6.

[164] Die Wirthin zum »Goldenen Lamm« war eine der rührigsten Frauen der Stadt.

Und wäre sie nicht auch die gutherzigste und wohlthätigste ihres Geschlechts schon von Natur gewesen, die kleine dicke, rundliche, noch immer hübsche Frau, die Beichtväter hätten sie dazu gemacht. Sie hätten ihr diese Lust am Spenden schon als Strafe auferlegt, da die gute Frau das gesundeste Leben liebte und ein leicht in den Adern rollendes Blut hatte … Ja, sie wechselte viel mit ihren Oberkellnern – sie wechselte auch viel mit den Vertrauten ihres Herzens … sie betrachtete aber dann die »Religion« wie ein Bad, mit dem man allen schlimmen Staub der Seele wieder wegspült und immer wieder frisch und gefallsam in die Abwechselungen der schönen Erde, in Landpartieen, kleine Badereisen, Theater und Concerte zurückkehrt.

»Die Tochter aus dem goldenen Lamm« einst genannt, hatte sie einen Sänger geheirathet, der sich bei ihren Aeltern, wie man zu sagen pflegt, »festgekneipt« hatte. Sie hatte dann diesen zum Wirth gemacht. Nachmals war er gestorben. Dann folgte unter gleichen Umständen[165] ein Schauspieler. Auch von diesem wurde sie Witwe. Nun nahm sie das Leben ganz wie Semiramis, groß und frei, vom luftigsten Standpunkte. Aber gut war sie, unendlich gut, mildthätig bis zum Exceß, und dabei so stark und wohlgenährt, daß die Juweliere das Doppelte verdienten an den Ketten, die sie kaufte, dann ihren Verehrern heimlich zusteckte und sie sich, zur Genugthuung vor dem ganzen Dienstpersonal und den Stammgästen der Table-d'hôte und des abendlichen Schoppens, scheinbar wieder von diesen zurückschenken ließ … Und niemand hatte dies Manöver mit größerer Gewandtheit ausgeführt als seinerzeit Jodocus Hammaker, der einige Jahre lang, vor der ominösen Hängegeschichte mit Dominicus Nück, auch der Vertraute ihres Herzens und ihrer Kasse gewesen war.

Mundet's euch heute nicht? rief die Frau aus einem Fenster, das in die Einfahrt ihres großen und geräumigen Gasthauses ging. Denkt Ihr an die Karmeliterinnen, wo morgen Nachmittag groß Tractament sein soll, wie bei einer Kindtaufe! Wird ja bei Euer Gnaden eingeladen, als käm' eine Prinzessin ins Spital und wollte die Suppe kosten, die dann auch einmal aus Fleisch gekocht wird!

Damit reichte sie dem »gnädigen« Bettelvolk aus der mit ihrem Fenster in Verbindung stehenden Küche in die dargereichten Scherben Gemüse und Fleisch und füllte selbst die Gefäße, die oft so defect waren, daß sie ihr unter der Hand zerbrachen. Jeden Montag und Donnerstag fand diese Austheilung statt, die Tage ausgenommen, die noch etwaige Vergehen und die Gebote des Beichtstuhls hinzufügten.

Diese »Abfütterung«, wie der Herr Oberkellner mit[166] goldenem Siegelringe apathisch und seiner Stellung bewußt, sie benannte, mußte rasch geschehen, damit die Ordnung des frequenten Gasthauses nicht gestört wurde. Die Lahmen und die Blinden, die alten Frauen und barfüßigen Kinder durften sich nicht zu lange aufhalten und etwa die Gabe unter der Einfahrt oder im Hofe schon verspeisen, manche gar ohne Messer und Gabel wie die Wilden.

Die Wirthin schöpfte dabei immer aus, warf zuweilen ein schlechtes Stück mit einem derben Kraftworte an die Köchinnen hinter sich zurück und ruhte nicht einen Augenblick im Nutzen ihres Mundwerks.

Das Stück geb' ich ja keinem Hund, viel weniger einem Menschen! … O die Metzger! … Die bringen's aus! … »Kaufe keinen Ochsen ohne Knochen, Madame!« sagte der neulich am Rothenthurm … Nun? Steht mir nicht so lange! Marsch! … Jesus Marie, was ist das für ein Topf? Ein halber Henkel kaum! … Ich glaube, erst vorige Woche gab ich einen neuen! … Riekeschen! … hörst du! Mach' mir mal den Rock hinten ein bissel loser! Zwei Haken! … So! … s'ist mir heut ganz schlecht, denk' ich an die Frau, die sie die Nacht umgebracht haben! … Weiß man denn immer noch nicht, Leute, wer's gethan hat? … Wozu ist nun die wohllöbliche Polizei! … Jeden vergessenen Nachtzettel straft sie, von jedem Fremden, der von auswärts kommt, will sie wissen, was er für eine Nase hat, aber was drinnen in der Stadt vorgeht unter den Spitzbuben und Räubern und Mördern –

Der Oberkellner rief den Aufhorchenden, die auf diese[167] Art auch noch die Zukost publicistischer Neuigkeiten und über Welt und Zeit allerlei freisinnige Ansichten erhielten:

Marsch! Fort! Es kommen Fremde!

Nun, nun! rief nun wieder den Oberkellner verweisend die Wirthin. Geduldige Schafe gehen viel in einen Stall! Dann aber polterte sie doch wieder dem Oberkellner zu Liebe: Riekeschen, mach' fort, daß die Bagag' hinauskommt! Ihr Trampelthiere! Laßt doch erst die Kinder vor!

Vom Lärm des Bettlervolks und der Straße wurde die Rede der guten Lammwirthin übertäubt. Wagen kamen und gingen, Omnibus rollten, die Glockenzüge, die den Hausknechten schellten, wurden gezogen und jetzt bekam auch die Lachlust ein Schauspiel durch ein komisches Intermezzo.

Zwei Italiener begrüßten sich, wie es schien, nach jahrelanger Trennung …

Der eine kam eben mit dem Omnibus, der andere empfing den Aussteigenden unter der Hausthür. Neben letzterm standen zwei jüngere, die auf ihren Häuptern Breter mit Gipsfiguren hielten und in dem Augenblick, als die beiden ältern die Zeichen der höchsten Freude austauschten, das Gleichgewicht verloren. Eine mit Strahlenkronen geschmückte Madonna fiel und zerbrach. Der ältere in grauem Kittel und Manchesterbeinkleidern, unser Napoleone, hatte jetzt mindestens fünf Dinge zu gleicher Zeit zu erledigen … Einmal seinen aus London kommenden Bruder zu begrüßen, Marco Biancchi, einen scharfblickenden, schon graubehaarten Italienerkopf, dann ihm seine Söhne vorzustellen, dann wieder diesen ihre Unachtsamkeit vorzuhalten, nun wieder auf ein Fenster im fünften[168] Stock zu zeigen, wo ein weiblicher Kopf herausschaute, ohne Zweifel Porzia, und dann doch wieder staunend auf die große Bagage seines Bruders Marco zu zeigen, die nun abgeladen wurde, und bei alledem auch noch die Umstehenden zum Kaufen zu ermuntern!

E questo possibile! rief er. Dopo quindici anni rivedersi encora! … Asino, dove ai gli occhi! … Questo e mio figlio! Il mio segundo! Questo il terzo! La sopra mia figlia … Fa attenzione, asino! Di non dimenticare, quello che tu ai sopra la testa! … Fratello! Caro fratello! … Ma tu mi sembre un cavaliere! Cielo! Quel gran baulo! Attenzione cocchieri! … Buon albergo! Proprio et buon mercato! … Figuri kauf!

Alles das ging bunt durcheinander.

Bei allen diesen Vorgängen sitzt auf der dritten oder vierten Stufe der Treppe des Hotels Pater Sebastus und verzehrt mit Gabel und Messer, die ihm zur besondern Auszeichnung die Wirthin dargereicht, sein Gemüse und sein Fleisch …

Er thut es sonst so hell umschauend, heute aber wie ein völlig Abwesender …

Erbebend schon von der Begegnung mit dem Rittmeister und Landrath von Enckefuß, dem dritten in dem unheimlichen Bunde von damals, als man sich das Wort gegeben zu haben schien, einen Mann wie den Kronsyndikus, Sprossen der alten Sachsenherzoge, nicht die Folgen einer Uebereilung erleiden zu lassen – war sein Auge, irrend auf der mit Zetteln beklebten Wand, zu der er sich abgewendet, – auf Serlo's Weib und seine Kinder gefallen …[169]

Wenn man sonst von ihm sagte: Da ist ein Mönch, der sich wie die Heiligen in Dornen wälzen könnte! so hätte man es heute wol glauben mögen. Das Reden der Wirthin, das Durcheinander der Bettler, die Begrüßungen und die Ankunft der Italiener hörte er nicht … Mechanisch verzehrte er seine karge Mahlzeit … Schon war er mit ihr zu Ende, saß ermüdet, versunken und starr vor sich niederblickend, die leere Schüssel in der Hand, dicht an die Mauer gedrückt, um niemanden auf der lebhaften Passage der Treppe zu stören …

Da kommt eine schon bejahrte, aber stattlich aufgeputzte Dame mit zwei leicht und behend die Stufen hinaufhüpfenden halbwüchsigen Mädchen …

Plötzlich hielt die Frau inne, betrachtete ihn und redete ihn mit dem Gruße an:

Aber, Herr Doctor! Sind Sie es denn wirklich? Ja, kennen Sie mich denn nicht mehr, Herr Doctor Klingsohr?

Der Bruder Sebastus springt auf, stellt seine Schüssel zur Seite, betrachtet Madame Serlo-Leonhardi und Serlo's herangewachsene Kinder wie ein Irrsinniger, den jemand auf seine frühere Vernunft anredet und der sich darauf von ihm wie taub abwendet, während doch ein gewisser trauriger Blick der Befremdung auszudrücken scheint, daß ihm eine Ahnung nicht ganz fern läge von dem, was der Anredende meinen möchte und was er einst wirklich gewesen sein könnte … Er sieht die erhitzt aus der zu ihrer abendlichen Vorstellung abgehaltenen Probe Zurückgekommenen mit zusammengedrückten Augen wie zweifelnd[170] und in Furcht an und geht von dannen, ohne ein einziges Wort gesprochen zu haben.

Wer die Scene beobachtete und der in Erstaunen und in den lauten Ausruf ihrer Ueberraschung ausbrechenden Schauspielerin den vollen Glauben schenkte, daß dieser Mönch ein ehemaliger Bekannter von ihr, ein Doctor Klingsohr wäre, konnte in der That hinzufügen: Jetzt aber ist es ein Heiliger! Denn Pater Sebastus war vor ihr zurückgewichen, wie vor einer Bewohnerin einer ihm völlig fremden Welt; er hatte ihrer Annäherung sich entzogen, wie einer Unreinen … Der Schein der völligen Entfremdung von seiner Vergangenheit hob und verklärte ihn fast.

Dennoch schoß er an den Häusern dahin wie ein Besinnungsloser … Erst, als ihm jener Dämon, der im menschlichen Innern hockt und der selbst unserm tiefsten Schmerze höhnende Geberden machen kann, sagte: Siehst ja aus, als gehörtest du auch zum Mummenschanz! merkte er auf sich … In dem kleinen Schatten der Mittagssonne sah er sich wie einen verhutzelten Gnomen durch die schattenlosen Gassen schreiten, in einer ihm wie jetzt erst auffallenden Kutte, barhaupt, barfuß … Das ist deine Angst, mit Komödianten verwechselt zu werden, daß du so entliefst! sagten ihm jene innern Stimmen, die er schon sonst »Ironieen des Satan« genannt hatte und schon damals, noch ehe er an den Satan glaubte … Irrend wankte er dahin … Kindern hätte er sich anschmiegen mögen mit einem: Nehmt mich mit! … In seine Wohnung wollt' er und fand sie nicht – es war eine kleine Zelle in einem ehemaligen Profeßhause[171] der Jesuiten – dort gab es lange Gänge, selbst unterirdische aus den Zeiten her, wo die Kirchenfürsten diese Stadt als Regenten beherrschten und oft vor dem Trotz und dem Freiheitssinn der Bürger sich flüchten mußten – in eines dieser Verließe wieder, wo er schon öfter dahingetastet, dort mochte er sich verbergen, nur um die innern Stimmen, diese quälenden, zum Schweigen zu bringen … An jeder Kirchthür verbeugt er sich … an jedem steinernen Kreuze schlägt er eines auch auf seiner Brust … die Momente der klarsten Anschauungen, des Witzes, der Unbefangenheit, der schärfsten Kritik über sich und andere, die er heute gehabt, weichen dem Paroxysmus, der schon damals im Mondenschein im Park von Schloß Neuhof die Gespenster Heinrich Heine's leibhaftig sehen konnte und von den alten Stammers redete, wie wenn sie säßen und Schön Hedwig beweinten, ihr Kind, das ihnen der wilde Jäger geraubt … oder wie er seine Mutter sehen konnte, eine verschleierte Nachtwandlerin, mit der Lampe in der Hand und durch die Ahnensäle der Wittekinds schreiten … oder wie er oft ganz deutlich am Strande der Ostsee Lucinden im nächtlichen Nebel den Klabautermann auf einem Schiffe zeigte … oder wie er später, als er den Saft der Mohnblume wie alles erproben wollte, sich dem Gangesgott im Kelche der Lotosblume verglich … Wie hätte ihn noch der Mord der Buschbeck schütteln müssen, wenn er den in Erfahrung gebracht! Nur war er nicht der Mann des Hörens, sonst hätte er längst davon vernehmen müssen … Der Geist, der jetzt ihn jagte, war – die Erinnerung an Lucinden.

Immer tiefer kommt er in das Labyrinth der engsten[172] Gassen … Nichts will er sehen von den lichteren Straßen, selbst die nicht, wo die Zeitungsexpeditionen liegen, die seine neuesten Artikel verkaufen – dem Laden Klingelpeter's, wo eben die zinnernen Athanasiusmedaillen in die Welt gehen, schießt er vorüber … Alte Frauen plötzlich, in seltsamen Trachten, den Kopf mit grellfarbigen Tüchern umwunden, sitzen vor verfallenen Häusern und zupfen Werg aus alten Matratzen … Der Staub wirbelt auf … Fremdartig gesprochene Laute wecken ihn … Nichts von den Heiligen, nichts mehr von der Gottesmutter … Bei den Juden ist er … in der Rumpelgasse … Hier wohnen ihrer Hunderte dicht beisammen, Kleider hängen an den Häusern, alte Möbel, versperren die Wege, Flaschen und Gläser stehen an den Fenstern und nun erst findet sich der Taumelnde zurecht.

Vor einem der rothbraunen Häuser, gebaut aus Steinen, die vielleicht übrig geblieben von damals, als die Vorvordern der Einwohner dieser Gasse sich einst selbst verbrannten, um der zu Zeiten im Mittelalter epidemischen Verfolgungswuth zu entgehen, stand der wie im Kreise Getriebene plötzlich still und betrachtete den Geschäftsreichthum einer Trödelfirma, die sich »Nathan Seligmann« nannte …

Hinter ihm aber steht ein Mann, der ihn beobachtet. Es ist nicht unser Löb, der von ihm trotz des Judaeus Apella so altburschikos behandelte Anbeter der heute mit einem Blumenstrauß gefeierten jüdischen Druide Veilchen Igelsheimer, die dem Geschäfte ihres Verwandten vorsteht mit einer Kenntniß des Alterthums und des Gerümpels der Jahrhunderte, die Lucinde an der Maximinuskapelle[173] geahnt zu haben schien, als sie dem Wirth zum »Weißen Roß« als den eigentlichen Wardein der von dem Knaben verkauften alten römischen Münzen den Ahasver selbst genannt hatte.

Eine andere Persönlichkeit war es, die den Mönch daherkommen und vor dem Trödelhause Nathan Seligmann's sinnend halten sah …

Den Rücken auf einen Stock stemmend, der fast zusammenbricht von der weniger schweren, als vielleicht ermüdeten Last, denkt das etwa vorhandene Menschenstudium desselben beim Anblick eines in den Trödelkram verlorenen Franciscanerpaters: Pater Sebastus? Der Franciscaner? Will der Juden bekehren? Mit Veilchen Igelsheimer den Anfang machen? Fehlt ihm in seiner Klause ein Luxusgegenstand, den er dort einzuschmuggeln gedenkt unter der Kutte? Eine Lichtputze, eine Lampe zum Studiren, eine Laterne für die unterirdischen Gänge, wenn er die geheimnißvolle alte Pforte im Gewölbe des Profeßhauses finden sollte? … Wie er die Kleider betrachtet! … Doch nicht etwa den alten rostigen Ritterhelm? … Doch nicht den Dreimaster und den Galanteriedegen dazu? … Oder den Frack mit ellenlangen Schösen und die carrirten engen Beinkleider, die ihm vor Jahren ganz gut mögen gepaßt haben?

Der Späher, der selbst wie ein Irrender bald da, bald dort still gestanden und fast die Spalten der Thüren, die Risse der alten Häuser betrachtet hatte, als könnte er sich in sie verkriechen, ja als suchte er nur allein dem Sonnenstrahl auszuweichen, wie weiland der allein in der Nacht lebende Held Trojan, ein Vampyr der serbischen[174] Sage – der Späher tritt in ein Haus zurück … Der Mönch macht eine Bewegung, als wollte er weiter gehen …

Bald aber erkennt der Späher, daß dies Weitergehen nur die bekannte Bewegung ist, die einen andern Entschluß maskirt. Einigemal wendet sich der Mönch, als hätte er sich im Wege geirrt, wäre unschlüssig, sich links oder rechts zu wenden, und ehe er noch darüber von jemand beobachtet zu sein glaubt, ist er verschwunden. Selbst für den Späher ist er es, der in eines der alten Häuser getreten … Scheint dieser doch selber zu fürchten, belauscht zu werden.

Nach einer Weile tritt der Späher wieder hervor und sieht sich vorsichtig um. Die heiße Mittagszeit macht die Gasse menschenleerer als sonst. Dann an den niedrigen Fenstern Nathan Seligmann's vorüberstreifend, erkennt er den Pater durch die Trödelvorräthe hindurch … Er befindet sich unter ihnen … Was kann der Mönch dort wollen? Er scheint zu handeln? Um was? Er zeigt auf seine Kutte … sieht er dich? Vorübergleitend entschlüpft der Lauscher.

Sein sonst so elastischer Spürsinn ist heute frei von aller Unternehmungslust.

Wankend schreitet auch er dahin … nimmt einen Weg, er weiß es selbst nicht wohin … an den Straßenecken wird ein Anschlag der Polizei angeheftet … Hundert Thaler dem, der eine Spur zur Entdeckung des Mörders der Frau Hauptmann von Buschbeck angibt … Sonst war er so flink, solche Summen zu verdienen, er, der alle Spelunken der Stadt, die Herbergen der Freude und des Raubes kennt … Weiter wankt er, grüßt und[175] achtet nicht des ausbleibenden Gegengrußes … Gewohnt scheint er das … Sonst studirt er jedem, den er grüßt, eine Frage nach seiner Lage, nach seinem Thun und Treiben und eine selbstgegebene Antwort an … Auch heute hätte er Gelegenheit gehabt, seine gewohnten Glossen zu machen.

Da fährt Herr Bernhard Fuld in einem eleganten Coupé mit seinem jungen Weibchen neben sich in ihre Villa hinaus nach Drusenheim …

Der Späher scheint zu denken: Sie fahren wie mit Extrapost! Man glaubt wegen des europäischen Gleichgewichts und vielleicht ist nur eine neue Toilette aus Paris gekommen, die sich vor Ungeduld Madame selber abgeholt hat!

In einem Gig fuhr sich hinter ihm her der Freund der Fulds, Herr Gebhard Schmitz; ein Groom sitzt neben ihm, die Hände ineinander geschlagen, wie wenn er der Herr wäre …

Der Späher sieht ihm nach und weiß vielleicht schon: Ist die bestellte Caricatur am nächsten Sonntag fertig, wenn ihr eure Landpartie macht?

Ein offen zurückgeschlagener großer Wagen mit zwei Damen und einem Herrn biegt um eine Straßenecke …

Der Späher erschrickt im ersten Augenblick, zieht tief den Hut und blickt dem Wagen nach: Madame Hendrika Delring! Sie fährt vor dem Fünfuhr-Diner noch mit ihrem Mann aufs Land, weil sie von einer Gelegenheit gehört haben, für den ersten – gemischten – Enkel des Hauses Kattendyk eine vortreffliche Amme zu bekommen … Die neue Gesellschafterin wol bei ihr? … Nein! Die[176] schreibt an ihren Freund Hunnius, daß im Domstift immermehr Platz wird … Oder ist es die Kleine –

Aufschreckend wankt der Beobachter dahin … immer weiter und weiter … allmählich ermannt er sich und tritt in eine Weinschenke, sich in der Hitze eines Nachsommertages zu stärken …

Doch des Redens über den Mord auch hier kein Ende …

Man klagt die Frau Hauptmännin an und sagt fast, ihr wäre recht geschehen, und schon setzt er an, sie zu vertheidigen und eine ganze Rede wickelt sich in ihm auf: Sehr wohl kannt' ich die Aermste, aber glauben Sie mir, meine verehrtesten Herrschaften, sie war mehr krank als böse! Die Vortrefflichste glaubte an die Seelenwanderung und war in Fledermäuse verliebt, weil sie hoffte, die würden sie einst durch die Lüfte ins Jenseits tragen! … Für den König der Fledermäuse sparte sie gefangene Mäuse und Batzen und Coupons … O wie oft habe ich sie gebeten, ihre Guitarre neu beziehen zu lassen! Aber nur zwei Saiten wollte sie auf ihr dulden; die eine war sie, die andere Bruder Hubertus im Kloster Himmelpfort, genannt der »Abtödter« … Wie oft pfiff sie mir sein Leiblied, als er noch schmuck und grün durch die Wälder daherkam aus Holland und Java, wo ihn die Indier gelehrt hatten, wie man Menschen so weit bringen kann, nur noch dreißig Pfund zu wiegen, die Hälfte vom Nettogewichte meines Bauches vor dem Mittagessen! .. O ihr hättet sie sehen sollen, die Frau »Baronin«, wenn sie die Thür verschlossen hatte und durch das Schlüsselloch mit mir über den Stand der Zinsen und die Leiden der westfälischen Domänenkäufer[177] sprach, deren Obligationen so werthloses Papier geworden sind! … Das Schluchzen dann hinterm Schlüsselloch hätte euch gerührt und ihr hättet ein Gemüth bewundert, das dreißig giftige Pfeilspitzen liegen hatte und doch allen denen vergab, die sie beschuldigten, ihre Dienstboten nur aus bösem Herzen zu quälen, während es nur ihr unglückseliges Loos war, daß sie in der Nacht Mitgefühl bedurfte, zufällig zu einer Stunde, wo frische und gesunde junge Mädchen zu schlafen pflegen! … Eine, ja Eine, die ist ihr einmal zu Dank gewesen! Das hat sie mir oft erzählt! Die blieb ein Jahr, neun Monate, funfzehn Tage, drei Stunden bei ihr! Die hat sie dann aber auch, so sagte sie oft, ausgestattet wie eine Prinzessin! Auf ein vornehmes Schloß hat sie sie gegeben, wo sie wie eine Prinzessin gehalten wurde; nur seidene Kleider und goldene Spangen mit Juwelen durfte sie da tragen; aber sie war ja selber schuld, kicherte die gute Baronin hinterher, daß sie's nicht lange genoß … der Nickel wollte auch die Krone haben! sagte sie. Und dann hustete die Edle wie aus feuchten Kellern heraus die liebreichen Worte: Na aber, da haben wir sie schön abgeführt!

Möglich, daß der wirkliche Vortrag dieser Erzählung durch die Erinnerung an das grelle Lachen gehindert wurde, in welches die Hingeopferte nach solchen und ähnlichen vertrauten Mittheilungen sich in Gegenwart ihres guten Freundes und Rathgebers zu verlieren pflegte … Oder was ist es, daß er die Weinschenke verläßt? .. Es ist drei Uhr … Am Hahnenkamp begegnen ihm vier fröhliche Menschen, unter ihnen sein wärmster Beschützer[178] nächst Dominicus Nück, der Assessor von Enckefuß … Aber ha! Auch Benno von Asselyn, dem er noch gestern Abend so dicht unter die Augen getreten, als wollte er sagen: Sieh mich genau an! Ich bin's! Unglücksmensch, du, du, den ich möchte – warum sahst du mich so oft Abends von Rendezvous kommen, wo eine siebzigjährige Eule, getrennt von mir durch eine verschlossene Thür, mir ihre Gefühle und ihre stolzesten Hoffnungen auf die Beschämung eines gewissen Ungetreuen, des grünen Jägers, erzählte … Warum blickst du mich so forschend an? Mensch! Was wendest du so den Kopf zum Assessor? Dich, dich möcht' ich –

Ganz gehorsamster Diener! … Tief verbeugt er sich bei alledem und lächelt …

In fröhlichster Champagnerlaune grüßt Thiebold de Jonge und macht sich den gewohnten »Witz« mit ihm, im Gespräche Anspielungen zu machen auf das unenträthselt gebliebene Hängen des Sporenritters in partibus, diesen »Witz«, der ihn seit Jahren verfolgt, der ihn so martert, so quält, daß er im Begriff ist, nach Amerika auszuwandern – für immer …

Aber bei alledem zieht der Erbebende seine weiße Halsbinde in die Höhe und sagt, im Stil eines Belesenen, zu Thiebold de Jonge:

Herr de Jonge! Ein Wald! Ein Wald! Ein Königreich für diesen Wald! Bei Witoborn! Wann kann ich aufwarten?

Ihre Eichenwälder sind zu jung! Nicht ein Ast, an dem sich eine rechtschaffene Seele aufhängen kann! Hahahaha! …

So lachte der Spötter und die andern gingen gleichfalls lachend oder fragend und die Köpfe zusammensteckend an ihm vorüber …[179]

Daß aber auch der Assessor lachen konnte! knirscht es in seiner Seele …

Er überlegt sich aber alles … Er wohnt in dieser Stadt mit dem Damoklesschwert überm Haupte und sollt' es eigentlich gern haben, wenn ihn zwar nicht heimlich, doch offen die Polizei fallen läßt. Er muß sich's ja sauer verdienen, daß man ihn schont und damals auf Nück's Lachen Rücksicht nahm, als er nach Aachen wollte, nach »Spaa«, wo er später sein »ihm gehörendes« Geld wirklich verspielt hatte … er mußte sich's verdienen durch die doppelte Tragfähigkeit seiner Schultern, die linke geistlich, die rechte weltlich … und in der Mitte ein Herz voll Ehrgeiz sogar und ein Mensch, der studirt hat! Sieh! Dieser Herr von Asselyn … Außer Nück und Schnuphase weiß niemand in der Welt als er, daß er in Abendstunden mit Hexen schwärmen kann … Wie er sich vorbeugt zum Ohr der andern und wie sie auf mich zurückschielen! Mensch – dich schleudr' ich aus dem Wege!

Ein Kieselstein flog vor seinem Knotenstock, daß davon beinahe Herr Joseph Moppes getroffen wurde …

Dieser kam wie immer mit Noten unterm Arm und probirte im Gehen seine Quartette …

Selbst Joseph Moppes, der als halber Virtuose doch Beifall und Popularität nöthig hatte, dankte nur halb dem schnell gebotenen Gruße …

Nun wankt der fast zusammenbrechende Fuß durch die Marcebillenstraße … dicht vor dem Hause des Mannes, den er sollte aufgehängt haben, vorüber … Es ist dasselbe neue stattliche Haus, in dem jetzt bis vier Uhr Nachmittags die Arbeit des Procurators ruhte … nebenan[180] säuselnd sind's die schönen Linden des Gartens, der zum Hause gehörte, Bäume, die noch gerade so grün und stillbewegt standen wie damals, als er um die Mittagszeit aus dem Fenster gesprungen und das in Gedanken mitgenommene Schlüsselbund zurückgeworfen haben sollte, die Tasche mit 30000 Thalern beschwert … In diesen Garten blickte niemand, als die Zöglinge des daranstoßenden Convicts, die gerade eine Freistunde hatten und an dem Gartengrün die müdegearbeiteten Augen stärkten und ihn nun sehen, ihn verrathen mußten … Fünf Jahre war es her, Hammaker war durch Nück's Zeugniß von jedem Verdacht freigesprochen, er durfte zu jeder Zeit in das Haus des Mannes eintreten, den er aufgehängt haben sollte; aber wer erträgt die Qual des Verdachts, den Spott, die Anspielungen auf die Procedur des Hängens, wenn die Menschen mit ihm redeten und vom Binden, Schnüren sprachen, ja auch nur von einer »verwickelten« oder »kurzabzuschneidenden« Verhandlung … Konnte Er nicht den Kopf erheben? .. Noch heute früh nach der Aufnahme des Thatbestandes und der Rückkehr des Assessors vom Frühstück bei Benno von Asselyn … was war nicht alles, als er zitternd unter den Menschen weilte und, zum Tode erblassend, den Assessor auf sich zukommen sah, zwischen ihnen besprochen worden! Die drohende Zunahme der Aufregung, die Stiftung von Gesellen- und Meisterbündnissen, manche Verbrüderung zu Rath und That, die man nicht hemmen konnte und die doch auszuarten drohte im Hinblick auf die Zeit und die schlimmen Ausbeuter der Leidenschaften … Die Gemüther auf dem Lande und in der Stadt von den kirchlichen[181] Fragen aufgeregt … zwei Richtungen sich kreuzend, die politische und die hierarchische, eine der andern zur Seite gehend, solange das nächste Ziel dasselbe … Schon Berathungen hier, Versammlungen dort … Stürmer und Dränger, wie sie in Kocher am Fall geredet, überall … unter dem Landvolk Wortführer, die schon anfangen bei verschlossenen Thüren zu sprechen … Die Regierung von anonymen Warnungen aufgeregt … Winke von den Gutgesinnten, Drohungen von den Feigen … Namen genannt, die die Häupter einer Erhebung werden sollen, wenn es dem Lande an die Kränkung seines Theuersten gehen sollte … Sogar Schnuphase auf den gefahrvollsten Bahnen; denn darin, daß er nur hin- und herreiste zur »Beruhigung«, gerade darin lag die Aufregung … Im Hüneneck, an der Insel Lindenwerth, war der Herd des Ganzen bei einem großsprecherischen Wirthe Namens Joseph Zapf … und der neue John Hampden, der neue Bürger Lafayette, der Sohn des Volkes, der einer möglichen Bewegung zum Haupte dienen konnte … eben kommt er daher …

Ein Mann mit kühnen Schultern und von freier Rede, ein Fürsprech im neubegründeten Severinus- oder Handwerkerverein … Eine große, stattliche Figur von herculischem Körperbau, über die Vierzig hinaus, gerötheten Antlitzes, mit dem Ausdruck gutmüthiger, aber reizbarer Beschränktheit … An dem unter einem langen Oberrock getragenen Schurzfell erkennt man den Küfer …

Wie geht es Ihnen, mein lieber Herr Lengenich?

Ei, Herr Hammaker![182]

Endlich ein Mann, der sich über die Begegnung mit ihm zu freuen schien …

Haben Sie endlich den Proceß gewonnen?

Welchen?

Den Drusenheimer! Schlagen Sie den Blutacker los? Sechshundert Thaler ja wol?

Neunhundert, Herr Hammaker! Ich schlag' ihn nicht los!

Eigensinniger Mann! Neunhundert Thaler! Viel Moos!

Die Ehre, Herr Hammaker! Die Ehre! Die Ehre! Was ist der Mensch ohne Ehre!

Ein wahres Wort!

Wir, denk' ich, wir beide wissen es!

Braver Mann! Aber was nützt Ihnen die drusenheimer Ehre?

Wo ich geboren bin, Herr! Bin in die Welt mit Ehren hinausgezogen! Der Acker soll wüst und leer bleiben, bis die Gemeinde und mein Bruder nicht mehr hinter mir rufen: Ab instantia!

Erhaben! Aber –

Verkannt, Herr Hammaker!

Aber –

Ein Ehrgefühl muß der Mensch haben, wo ein Nadelstich aus Leben geht!

Wie fühl' ich mit Ihnen!

Ab instantia – Wegen Mangel an Beweis! Alle glauben und wissen meine Unschuld! Nur ein Bruder und die drusenheimer Gemeinde sagen: Laß hier deinen Acker! Sagen's so zweideutig, als wenn ich –

Ruchlos! Ruchlos![183]

Dornen und Disteln und Steine sollen drauf wachsen – ich bin Bürger in Drusenheim und bleib' es!

Wenn nur – Seligmann nicht Auftrag hätte – Ihnen zu bieten, was Sie wollen! Fuld's junges Weibchen will einen Pavillon hinter ihrer Villa haben! Es ist so prächtig draußen! Waren Sie lange nicht dort? Ach, meine Heimat! … Ach, meine alte Mutter! …

Guter Herr Hammaker! Auch Sie verkannt! Um diesen Acker hab' ich Thränen vergossen, mehr, als in Drusenheim Wasser fließt!

Das ist kein Wort, Herr Lengenich! In Drusenheim ist der Bach das ganze Jahr trocken und nur der Saft der Rebe fließt … Eine Prise?

Zitternd wird sie dargereicht … freudig angenommen. Lengenich und Hammaker, wie dieser ihm aufgeredet, sind die Opfer des Ab instantia-Absolvirens. Lengenich lebte in der Dunkelheit der Moppes'schen Weinkeller, wußte nichts von der Oberwelt, nicht einmal etwas von dem Mönche Sebastus, dessen Vater er beschuldigt worden ermordet zu haben, er sah nur immer, wenn es Licht um ihn wurde und er im Severinusverein präsidirte, den Himmel offen und die heilige Jungfrau mit der Wagschale der Themis in der Hand, wie sie ihm zuwinkte und alle Kronen der jenseitigen Gerechtigkeit an ihn austheilte. Seine Stimmung war die des geblendeten Simson, der zuletzt die Säulen der Paläste zusammenreißt … Einen Proceß gegen den Kronsyndikus zu beginnen hatten ihm Nück und Hammaker entschieden widerrathen – fehlte doch vor allem jenes im ersten Augenblick von ihm an der[184] Leiche gefundene Stück eines grünen Tuches, das so plötzlich damals abhanden gekommen …

Glauben Sie Gespenster, Herr Hammaker? fragte Lengenich jetzt und wie heimlich.

Entschieden! sagte Hammaker und zitterte, obgleich er nur scherzen wollte …

Ich sah den Mann, den ich soll erschlagen haben, neulich deutlich und als Mönch sah ich ihn, aber hager und lang – das Gesicht war es –

Der Deichgraf?

Stephan Lengenich erzählte, daß er kürzlich in den großen Weinkellern seines Principals, des Herrn Moppes, einsam gearbeitet hätte. Düster hätte die Lampe neben ihm gebrannt, mehrmals wäre sie ihm ausgegangen, wie zuweilen geschähe, wenn er gerade an den Fässern arbeitete, die an einem der kleinen vergitterten Fenster stünden, die in einen alten unterirdischen Gang einigen Lichtschimmer fallen ließen. Seit Jahren galt dieser Gang für verschüttet oder zum Aufbewahrungsort für Geräthschaften dienend, die zu den noch in der Nähe befindlichen geistlichen Häusern gehörten. Von seiner Arbeit aufblickend, erzählte Stephan Lengenich, hätte er durch das Gitter das volle Gesicht des Deichgrafen erblickt …

Ich glaube Gespenster, Herr Lengenich! Aber manchmal ist es auch blos der Dunst von altem Nierensteiner!

Meinen Sie? In dem Gang steht ein altes Marienbild, nicht weit von einem der Fenster … Halt' ich die Lampe drüberher oder thun's die Grubenräumer, die zuweilen durchziehen –[185]

So lebendig geht's da unten her?

Das meiste Leben geben die Ratten, Herr! … Aber das uralte Marienbild, das muß ich mir alle Tage betrachten, obgleich ich eigentlich – die Gnadenreiche vergeb' es mir –

Ihre alte verrätherische Geliebte in ihr erkennen?

Die nicht! Die andere! Die Geliebte von dem Doctor!

Die gegen Sie aussagte!

Wie aus den Augen geschnitten! Obgleich das Bild schwarz ist – sie hieß auch Schwarz –

Wer? fragte Hammaker zerstreut folgend …

Lucinde Schwarz –!

Lucinde Schwarz! … Hammaker wußte doch sonst alles in seinem Gedächtniß unterzubringen, er hatte auch ein Schubfach für diesen Namen, er wußte das, er konnte es jetzt nicht sogleich wiederfinden, obgleich er erst vor einer Stunde sie zu sehen geglaubt hatte … er grübelte auch: Sollte der Küfer nichts von dem Mönche Sebastus wissen?

Gerne hätte er alles das gesagt, aber Wichtigeres wälzte sein Inneres …

Sie sind zu fromm! sagte er …

Statt aller Antwort greift Lengenich in sein Schurzfell, zieht zwei blinkende zinnerne Medaillen hervor und will eine davon dem Manne darreichen … Dann zieht er sie wieder zurück und sagt: Sie sind ein Studirter!

Herr Lengenich! Ich bin ein Studirter, aber ich habe eine alte Mutter! Drüben in den Sieben Bergen wohnt sie! Ich besuche sie oft! … Ihr zu Liebe lieb' ich – Gott – und ich – ich kann Ihnen zeigen – was ich auf dem Leib trage …[186]

Er deutete auf seine Brust und lüftete ein wenig das Oberhemd, um einige Amulete zu zeigen …

Dann nehmen und behalten Sie! sagte Lengenich. Es ist die – wie heißt der Name?

Hammaker, aufhorchend, liest die Umschrift und spricht das schwierige Wort aus:

Athanasiusmedaille!

Kommt von Rom! … Was ist der Mensch ohne diesen Beistand! Da, Herr, konnt' ich beichten! Da, Herr, glaubte man mir! Wenn hier etwas an unsern Rechten, an unsern Gesetzen gerüttelt würde –

St!

Vor wem sollen wir uns fürchten?

Nächsten Sonntag – hm! – auch in Drusenheim?

Jeden Sonntag bin ich in Drusenheim!

Ich meine – am Abend – am andern Ufer – am Hüneneck?

Sie wissen –?

Zu Joseph Zapf?

Ich sollte fehlen?

Würdiger Mann!

Lengenich sah, daß Hammaker über alles unterrichtet war, was vom Rolandswirth Joseph Zapf in dem Drang der Umstände zum Besten der großen Sache des Landes vorbereitet wurde.

Stumm schütteln sich beide die Hände – der Küfer die weiche und zarte des Agenten, dieser die rauhe des, wie es schien, von den geheimen Leitern für die Stunde der Gefahr ausersehenen Vorkämpfers.

Stephan Lengenich ging jetzt …[187]

Esel! – lag zwar in dem ihm nachschauenden Blicke Hammaker's, als der Küfer mit dem an die mächtigen Lenden schlagenden Schurzfell von dannen schritt … aber sein Muth zum Humor verläßt ihn … er sieht die Menschen an den Straßenecken … Hundert Thaler! … Er liest es jetzt selbst: »Besonders ist es wünschenswerth Auskunft zu erhalten über einen Unbekannten, der an einigen Abenden in der Dunkelheit die Ermordete besucht haben soll« …

Nun hält er sich an einem Mitleser, um nicht umzusinken …

Die Zähne klappern … die Lippen beben und rechnen:

Freitag, Sonnabend, Sonntag! … Dreimal vierundzwanzig Stunden noch bis zu dem Augenblick, wo – Einer am Hüneneck sich den Hals brechen muß! »Unbekannter«! … Einer muß ausgehoben werden aus dem Neste – mit allen! … Ein Bote Nück's – ist er! Ein Vorredner – ist er! Ein Freisinniger – ist er! Diese tödlichen drei Tage … wenn nur Sonntags neun Uhr alles beisammen! … Wer kann das wissen? … Hier! Dort drüben! Jean Baptiste Maria Schnuphase …

Man fürchtet sich zwar drüben auch vor ihm, wie überall … Er greift aber zu einem Mittel der Demuth …

Weg mit dem Blick von den hundert Thalern an der Straßenecke – da ist ein elegantes Aushängefenster eines Schusters – die glänzenden Schuhe und Stiefel gestatten ihm, in ihrem Spiegel Toilette zu machen … Sein Rock ist gewöhnlich, wenn auch nicht so diogenesartig, wie der bei seinem Gönner Nück … aber seine Wäsche ist sauber, der Hut von derselben grauen Farbe wie der[188] Sommerrock, aber vom feinsten Velpel … Eine weiße Halsbinde legt sich leicht und lose um sein wohlgenährtes Kinn … Nicht nur ist er so sauber rasirt, daß man fast hätte annehmen mögen, Jodocus Hammaker hätte überhaupt keinen Bart, sondern die ganze Hautfarbe des Gesichts ist von einer Weiche, die nur durch die seiner Hände übertroffen wird … Die dunkelblauen Augen haben einen schielenden Glanz, die Nase ist stumpf, dem Munde fehlen einige Zähne … schweigt aber Jodocus oder blinzelt und lächelt süß oder affectirt eine treuherzige Sicherheit, die wieder mit geschäftlichem Eifer verbunden scheint, so liegt nichts Abstoßendes in dem nächsten Eindruck, dem sogar der des Schmachtenden nicht fehlt … Dabei ist die Stimme leise, flüstert und lispelt und steht mit der Höflichkeit des Benehmens in Einklang … Tiefauf seufzt er, sich Muth zu holen … Denn daß sogleich von der gemeinschaftlichen Freundin, dem Opfer dieser Nacht, würde gesprochen werden, weiß er schon … er überlegt, daß er sein Gespräch beginnen will mit einer Verlegenheit für ihn, für die Damen … er weiß, daß dem Anlaß zum Eintreten, den er nehmen will, auch der fünfjährige Spott auf Binden und Knüpfen nahe liegt – dieser Spott, der ihn in acht Tagen nach Amerika führen wird – er wagt aber dies Mittel der Einführung und gibt sich eine Haltung.

Hammaker findet das hohe lichthelle »Gewölbe« des steinernen Hauses wie immer in seinem saubersten Glanz.

Er findet, umflossen von Weihrauchduft, beide Schwestern zugleich anwesend. Die Nebenthür eines etwas[189] dunkeln Zimmers, das einen Ausgang zum Vorplatz des Hauses hat, ist offen. Vor Hammaker hat Eva nicht nöthig die Thür zu schließen. Vollkommen weiß er, was drinnen zu sehen ist … Die Schwestern haben dort noch ein Extrageschäft von Herrenhemden … Diese Geschäftsthätigkeit des »Herrn Maria« war eine willkürliche Ausdehnung seiner Privilegien und brachte ihn mit den Schneidern der Stadt in Collision; allein er nahm nur die Aufträge verschwiegener Herren an und diese gleichsam nur als Vertrauens- und Freundschaftsaufträge.

Auf einem Drehsessel, hochthronend, sitzt da aber auch Herr Maria. Erst vor wenig Stunden ist er angekommen von einer seiner vielen Ausfahrten und schon wieder schreibt er, eine bläulich angelaufene Brille auf der Nase, hochachtungsvollst und tiefergebenst Worte der Mittheilung, die mit allen Feinheiten des Stils und der Interpunktion gerade jetzt – es war für Beda Hunnius – an folgender Stelle angekommen waren:

– – »ohne Zweifel keine andere Bestimmung haben dürfte als, in des hochbetagten, eben verschiedenen Greises Stelle, einzurücken, derowegen eine Verzögerung der Audienz, nicht unwahrscheinlich eingetreten sein möchte, nun aber auch kein Zweifel sein dürfte, daß das Vicariat an einen Candidaten, verliehen werden könnte, welcher, lediglich die kleineren Aemter zu versehen hätte, mittlerweilen die großen dürften, dem jungen Domherrn zugeschlagen werden, worüber, indessen nicht zu zweifeln sein dürfte, daß Ew. Hochwürden zwar keine Berufung dürften zu gewärtigen haben, ohne jedoch[190] nicht unwahrscheinlich sein zu lassen eine schmeichelhafte Erhebung zum Ehren-Kanonikus, falls nämlich, die bevorstehende Visitation durch den Gubernial-Präsidenten von Wittekind-Neuhof, Excellenz, die Hände dem hohen Kirchenfürsten, Eminenz, so ungebunden lassen dürften, als Hochdessen feste Willensmeinung und Geneigtheit für Ew. Hochwürden Wirken über allen Zweifel erhaben sein lassen dürfen und, wenn ich gewogentlichst um Entschuldigung bitten dürfte, daß ich die laufende Mittheilung an Wohldieselben für heute abzubrechen wage, so muß ich die schaudervoll ergebenste Anzeige auch noch eines Mordes anfügen, welcher diese Nacht unbekannterweise einer Dame zugestoßen ist, welche« –

»Vöter!« lautete eben an dieser Stelle durch Unisono die Mahnung der Töchter, auf den eben eingetretenen Besuch zu achten …

Aus den tiefsten Labyrinthen des Periodenbaues, aus den Geheimnissen der Curie und einer sich eben in die Reproduction einer Mordscene verlierenden Phantasie erwacht Schnuphase und wendet die blaue Brille nach der Rechten und zu gleicher Zeit auch dem Drehsessel einen nur ganz harmlos gedachten Ruck gebend …

Da aber des Agenten Hammaker ansichtig werdend bekommt sein Schrecken eine Elasticität, die ihn im Nu um die Achse des Drehsessels herumwirbelt, sodaß er gerade mit dem verfänglichen Nacken einem Manne gegenübersitzt, von dem bekannt war, daß er die Menschen an Kronleuchterhaken aufhängte.

Was – »verschöfft« – uns – die Ehre? stammelt er und windet seine glücklicherweise leichten Beine[191] aus der Umklammerung der Drehschraube des Sessels los und sucht aus seiner schwebenden Lage auf ebenen Boden zu kommen.

Die Töchter stehen minder erschrocken. Herr Hammaker war von jeher gegen sie die Huldigung und Süßigkeit selbst.

Er nähert sich ihnen und äußert mit Artigkeit und einem sich tief unterwerfenden Tone seinen gerührtesten Dank für die ihm gewordene Aufforderung der Fräulein, sich der Erzbruder- und Schwesterschaft zum schwarzledernen Gürtel einverleiben zu wollen, deren Embleme sie vertheilten …

Beide junonische Gestalten sehen sich mit erstaunten Blicken an. Ihre dunkeln Augen rollen, die Augenbrauen senken sich tief niederwärts und ein ersichtlicher Aerger macht sie in dem Augenblicke jede um zehn Jahre älter, d.h. gerade so alt, als sie waren.

»Schwörzlöderner« Gürtel? fragt Schnuphase zur Besinnung gekommen und ergreift den Brief, den ihm Hammaker als Ausweis entgegenhält …

Es war ein lithographirter und demnach eine an viele Einwohner der Stadt abgesandte Einladung der Fräulein Eva und Apollonia Schnuphase, sich der Gnaden und Ablässe theilhaftig zu machen, die jeden erwarteten, der in die Erzbruder- oder Erzschwesterschaft vom schwarzledernen Gürtel des heiligen Nikolaus von Tolentino eintreten würde.

Sofort erkannte man, daß hier ein Falsum vorlag …

Die Aufregung, die diese Entdeckung hervorbrachte, war nicht gering. Die Damen betrachteten den Brief von[192] allen Seiten, der Vater bat um die Erlaubniß, ihn sämmtlichen geistlichen Herren zeigen zu dürfen, was jedoch entschieden von seinen Töchtern abgelehnt wurde.

Ein »Extrös-tückchen« der »Pörtei«, rief er, die nicht genug hat, die Kirche zu hindern, nach ihren Gesetzen zu leben, »söndern« die auch noch –

Ein vollkommen gerechtfertigter Zorn erstickte seine Stimme.

Die Schwestern traten mit dem Briefe bei Seite und flüsterten, von welchem Lieutenant oder Referendar wol dieser ghibellinische Spott herrühren konnte …

Der jetzt aber vertraulichst Eingeführte erhielt alle die Mittheilungen, die er nur über die Versammlung beim Rolandswirth zu hören wünschte.

Das Einverständniß war vollständig … Hammaker seufzte tief auf und zog die eben empfangene zinnerne Medaille, um sie mit Verklärung zu zeigen …

Wie auf ebenso viel Legionen des Himmels hoffend, öffnete Schnuphase eine Schublade des Schreibepults, in der einige Hundert dieser Medaillen lagen.

Dann noch ein Austausch des gemeinschaftlichen Schmerzes über die hingeopferte Dame …

Noch keine »S – pur«? war die dreifache Frage im Unisono.

Mit einem Blick gen Himmel, als wenn allen diesen Leiden nur von oben geholfen werden könnte, empfahl sich Hammaker …

Eine Stunde darauf fand Benno beim Eintreten in Nück's »Schreibstube« unter einem Dutzend Pulten auf[193] dem seinigen einen Zettel mit den eben erst rasch hingekritzelten, frisch mit Sand bestreuten Worten:

»Die Erben des Riedbauern Kipp in Euskirchen wünschen über ihres Erblassers Passiva, ehe sie das Beneficium inventarii antreten, eine vertrauliche Recherche – citissime! – Freitag früh Termin in Overladen Fasc. 1310a. – Sonnabend in Sachen ca Fiscum bei Zapf am Hüneneck die Vermessung der Ufergrenze – Ich spreche Sie aber noch um sechs – das Dampfboot geht, glaub' ich, um acht.«

Es war die Hand des Procurators.

Der Name des Hünenecks war für Benno ein Klang, der ihm auf Augenblicke die Besinnung nahm …

Eine so schnelle Trennung von Bonaventura! Aber drei – drei volle – selige Tage in Armgart's Nähe – vielleicht eine Begegnung mit ihr!

Zum Arbeiten fehlte ihm alle Sammlung. Er zählte nur die Minuten, bis es sechs schlug. An sein Ohr tönte nur die Glocke im Hafen und das Brausen und Rauschen im Dampfrohr, die mahnenden Zeichen zur Abfahrt.

Quelle:
Karl Gutzkow: Der Zauberer von Rom. Roman in neun Büchern, Band 3, Leipzig 1858, S. 164-194.
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