17.

[110] Friede! … Linder, sanfter, himmlischer Friede! …

Du, der du Stirnen kühlst, die noch vom Kampf des Lebens erglühen, lindernden Balsam träufelst auf Herzen voll Kummer – deine heiligsten Tempel baut dir Mutter Natur!

Doch du segnest auch jedes bescheidene Dach, wo das Echo des schallenden Marktes verhallt, wo nur der Pendelschlag der Uhr – fernklingendes Schärfen der Sichel Saturn's! – uns in die grünen Matten versetzt, in die zeit- die raumlosen, die Paula's geschlossenes Auge erblickt! Segnest dem ermüdeten Wanderer sein Lager mitten auf Landstraßen! Segnest dem zum Tod ermatteten Krieger noch am Abend der verlorenen Schlacht, unbekümmert um des Siegers Ueberfall, mitten auf dem Weg seiner Triumphe, die Schlummerstätte! Zahllos sind die Wohnungen des Friedens auch noch auf dieser streitbewegten Erde …

Traulicher jedoch spinnt sich nicht die Spinne in ihr Netz, als es die Liebe versteht. Glückliche, die erlaubte Liebe, die sieht sich noch zuweilen um und beobachtet die[111] Welt, ob sie auch bei so viel Glück noch steht, beobachtet die Menschen, ob sie auch neidisch sind … Aber die ungestandene, die verschwiegene Liebe hat Ohr und Auge verloren … Sind da Sterne vom Himmel gefallen, sind Thürme eingestürzt, war ein Erdbeben – indessen der Lampe milder Schimmer das Antlitz der Geliebtesten beschien, indessen die Weiße ihrer Hand wetteifernd mit den Spitzen, an denen sie stickte, glänzte? Das Ohr hörte nichts. Schwirrte ein Käfer in ihrer Nähe, fiel eine zierliche Rolle aus ihrem Nähtisch zu Boden – das waren Weltbegebenheiten …

So in traulicher Stille und Verlorenheit der Gedanken saß Bonaventura in diesen Stunden bei Paula …

Nicht allein waren sie heute – Tante Benigna kehrte beiden im grünen Zimmer den Rücken und schrieb und las an einem geöffneten Schreibbureau …

Sollte Armgart wirklich zur Jagd sein? Und: Wenn nur kein Unglück geschieht! …

Das waren die beiden einzigen Worte, die, viertelstündlich wiederholt, die Liebenden störten …

Bonaventura hatte seit vorgestern Abend den Weg zur Erde nicht mehr zurückfinden können. Er schwebte in Lüften. Verpflichtungen gab es nach allen Seiten hin, nach Schloß Neuhof zur Mutter, nach Himmelpfort zu Klingsohr, Briefe und geschäftliche Mahnungen drängten, auch Müllenhoff's, seines polternden Wirthes Zumuthungen; Sorge drückte ihn um Benno, auf dessen dunkles Leben der Brief des Onkels so seltsam neue Streiflichter hatte fallen lassen, auch ein längst bezweckter längerer Besuch bei Hedemann, alles das drängte auf ihn ein –[112] aber er entschied sich für nichts, er entschloß sich zu nichts, es zog ihn nach Westerhof …

Gestern gegen Mittag hatte Paula die Vision von den Flammen gehabt … Er sah und hörte ihr angstvolles Ringen mit der unheimlichen Anschauung und mußte sie, da sie der Ruhe bedurfte, verlassen, gefoltert von den Bildern, die Paula sah. Es waren Bilder des Brandes und der Zerstörung. Es waren Bilder, die ihn an seine Beichtgeheimnisse, seine stummen schweren Bürden, erinnerten – Bürden, deren er sich nicht entledigen durfte ohne andere anzuklagen … Sprechen durfte er wol: Terschka ist mir verdächtig! Oder: Wenn Nück etwas im Schilde führte! … Aber das war auch alles … mehr zu sagen war ihm nicht erlaubt; denn bei genauerm Hinweis wußte jeder sogleich, er stellte Beichtbekenntnisse bloß …

Der Tag war so öde hingegangen, so einsam … Sein Herz klopfte … Wem sollte er sich vertrauen? Bei wem Beruhigung suchen! … Ziemten seine Empfindungen dem Priesterherzen? … Und hätte er sich vielleicht auch zu Benno, der selber litt, aussprechen dürfen, er räumte dem Stifter des Cölibats, Gregor VII. ein, daß kein Gefühl uns in der That mit größerm Egoismus erfüllt, als die Liebe … Doch, setzte er hinzu, vielleicht nur die ringende, die kämpfende, nicht die glückliche Liebe … Auf seinem Zimmer schloß er sich ein und las in seinen mitgebrachten Büchern erst im Augustinus, dann in seiner geliebten »Trutz-Nachtigall«, schrieb auch selbst in sein »Sünden-Brevier«, wie er ein kleines Büchlein seiner geheimsten Gedanken nannte:
[113]

Ich kann es nicht sagen – was jeder doch weiß!

Ich kann es nicht tragen – und trag's doch so heiß!

Ich kann es nicht finden – was überall liegt!

Ich kann es nicht binden – und hab's doch besiegt!

Ihr Sterne behütet's? Das dank' ich euch nicht!

Dich schelt' ich, o Mond, der sein Schweigen nicht bricht!

O Sonne, o Sonne! Mit strahlender Miene

Sag' du es der Welt, welcher Königin ich diene!


So im Lied sich tröstend und erhebend, voll Ahnung in den Frühling sich versetzend, in Wonneschauern schon die erste Lerche sehend, die im Felde aufsteigt, wirbelt, immer höher und höher sich schwingt, schrieb er:


Lerche, schwebst im blauen Feld,

Willst gen Himmel dringen?

Ist's dein Ton, der so dich hält?

Trägt dich so dein Singen?


Vöglein, Vöglein, wüßtest du,

Wie beim stillen Wandern

Durch die grüne Sonntagsruh'

Du voransteigst andern –


Wie in deinen Jubel sich

Andrer Jubel mischen,

Sich in deinem Sangesstrich

Mit im Blau erfrischen –


Folgend deinem Schwebeflug

Hoch und höher steigen –

Droben würdest bald genug

Du als Stern dich zeigen!


Es kamen Briefe aus seinem Kapitel … Es kamen Anfragen, ob er nicht eine Mission nach Wien übernehmen[114] wollte zur Begrüßung des dort erwarteten Cardinals Ceccone … ob er auch seine Stimme mitgäbe zu diesem Protest und zu jenem Begehren … Es kamen Müllenhoff's Exercitien und – die lächerlichste Scene von der Welt – denn schon wieder hatte man dem Pfarrer von Sanct-Libori einen Streich gespielt, schon wieder ein Neugeborenes an seiner Thür ausgesetzt, diesmal ein Lebendiges sogar, nur kein Kind, sondern ein frischgeworfenes Kätzchen, das mit einem Häubchen und wie ein Wickelkind eingeschlagen und befestigt bei erster Morgenfrühe in einem Korb vor seiner Hausthür wehwinselte … In dem darob entstandenen Lärmen erst erfuhr Bonaventura, daß diese Verspottung bereits ähnlich neulich vorgekommen. Er suchte den Pfarrer zu trösten, der diesmal kleinsilbig wurde und das Toben und Androhen mit den Gerichten der Kathrein, dem alten Tübbicke und den Hausangehörigen verwies … Dabei versicherte Tübbicke aufs bestimmteste: Es ist nicht die Schmeling! … Bonaventura erfuhr, daß man für diese Streiche eine Hebamme im Verdacht hatte, die Müllenhoff öffentlich des »Teufels Großmutter« genannt haben sollte …

O brächte doch der Cardinal Ceccone, stöhnte Müllenhoff, seinen Zorn mit einem Stück harten Schinkens beim Frühstück hinunterwürgend, o brächte er doch eine großmächtige Kette von einigen hundert Meilen im Umfang, daß man unsere deutsche Wildniß wieder an Roms Gesetz und Regel binden könnte! Nein! Frau von Sicking sagte mir gestern, und eine junge Dame, die soeben aus der Residenz des Kirchenfürsten bei ihr eingetroffen[115] ist, bestätigt mir's, daß die Curie Sie entsenden will, Hochgeehrtester, den Cardinal zu begrüßen – nein, Sie werden einer solchen Ehre und Gelegenheit, bald Bischof in partibus, mindestens Weihbischof zu werden, nicht ausweichen! Die ganze germanische Kirchenprovinz bittet für Sie trotz Ihrer Jugend um das Pallium, wenn Sie ihr erwirken: Petri beide Schwerter! Oder wenn nur das eine, doch dies auf beiden Seiten geschliffen! … Daran reihten sich einfach, wie der Pfeffer zum Schinken, in Müllenhoff's Reform: Bischofsrecht über jedes Amt in Schule und Kirche! Keine Stelle vergeben, wenn nicht durch die Hirten Christi! Kein Amt, keine Pfründe, keine Strafe, keine Belohnung mehr aus weltlicher Hand! Keine Berufung mehr auf weltliches Gesetz! Wer innerhalb der Kirche wagt, weltliches Gesetz gegen Geistliche anzurufen, excommunicirt! Priester sind jetzt schon zu erziehen von Kindesbeinen an, damit hernach kein Mangel ist! Religion auf keiner Schule mehr, als durch uns! Kein Placet, kein Transeat, kein Cabinetspaß für den Willen Roms! Gottesdienst überall, im Tempel und im Freien: Congregationen, Bruder- und Schwesterschaften nach Bedürfniß! Klöster mit ganzer und halber Regel! Selbstbeschauung, wer nur Lust hat, sich, sei's als Eremit allein, im Spiegel seiner Nacktheit zu erblicken oder im Bund mit andern in den Exercitien! Verkehr zwischen Rom und jeder Hütte von Baumzweigen, »wo nur ein stümpernder Sanct-Antonius oder Sanct-Hieronymus« beten will! Jeder Heller endlich, der der Kirche gehört, nur von unserer eigenen Regula de Tri verrechnet! …[116]

Alles das tobte die Verzweiflung aus, daß er Mutter Schmeling nicht sogleich unter den Hexenhammer einer geheimen, sicher wirkenden Inquisition bringen konnte …

Unter den Zeitungen, Briefen, Visitenkarten, die Renate geschickt hatte, fiel Bonaventura die Traueranzeige über den Tod Hendrika Delring's auf. Er widmete ihrem Andenken die innigste Theilnahme. Er vergegenwärtigte sich die Wirkungen dieses Schicksalsschlags, der das Kattendyk'sche Haus betraf. Schon so frei, schon so entfesselt von seinen frühern Anschauungen war er, daß er sich sagte: Also ein Zeugniß für die Liebe weniger in der Welt! … Von Lucindens Nähe hatte er keine Ahnung …

In Witoborn fand er um Mittag alles von der Jagd erfüllt und von den Nachrichten, die schon über den Landrath eingelaufen waren … Er selbst mußte sich geistlichen Aufträgen widmen und konnte deshalb auch nicht zum Kloster Himmelpfort, so gern er wollte … Dann mußte er jedenfalls die in Westerhof heute so verlassenen Damen besuchen … Onkel Levinus und Terschka konnten möglicherweise erst spät Abends zurückkehren … Gegen vier Uhr fand er Westerhof einsam und still … Die Dienerschaft war größtentheils zur Jagd … Die Beamten sogar feierten – sie wohnten ringsum zerstreut in den entlegneren Wirthschaftsgebäuden … Zwei Diener waren daheim geblieben und Dionysius Schneid war seines Ungeschicks wegen kaum zu rechnen … Nur an weiblichem Personal war kein Mangel … Er hörte sogleich, daß Paula heute wieder wohler war …[117] Wie immer mußte er sich erst Bahn brechen durch Hülfebegehrende, die sich auch von ihm die geistliche Segnung, die er im Vorübergehen spendete, nicht entgehen ließen …

Jetzt erst – zweimal vierundzwanzig Stunden nach der Frage: Und wenn nun doch noch die Urkunde gefunden würde – und wenn man dann verlangen würde, daß Sie das Opfer brächten, die Hand des Grafen Hugo zu nehmen? … sahen sich die Liebenden wieder …

Paula's Antwort lag in den stummen Gegenfragen der Begrüßung: Und jetzt erst seh' ich dich wieder? Ist denn noch alles so, wie an jenem Abend? War es kein Traum? Hältst du Wort, Wort dir selbst und mir? … Deutlich sprachen dies die ersten Grüße; doch mildernd und dämpfend mußte sich Tante Benigna's Nähe einmischen, ja Bonaventura's eigner Anblick. Der Gruß, einem Geistlichen, den die Kirche gezeichnet hat, dargebracht, verstand sich so von selbst zur Entsagung … Sofort fiel eine süße Bangigkeit auf Paula's Herz und auch in Bonaventura's Zügen schmolz sein erstes frohes Lächeln zum mildesten Ernst … Grade aber auch heute mußte die Tante nichts unterlassen, was den Eindruck der Würde eines Priesters mehrte und seine Erscheinung mit allen Glorien der Heiligkeit umgab …

Sie begann bald die Nähe Monika's und Ulrich's von Hülleshoven einzugestehen …

Jene hatte an sie selbst geschrieben und der heute so stille Abend war bestimmt, ihr zu antworten …

Von Ulrich lag ein Brief an seinen Bruder vor …[118] Benigna durfte alles an Onkel Levinus Gerichtete öffnen … es war schon vorgekommen, daß ein vortheilhafter Verkauf – von Schweinen, der Hauptbranche dortiger Viehzucht, versäumt worden war, weil Onkel Levinus einen Brief nicht erbrach, den er für die Abfertigung eines Recensenten hielt, mit dem er über alte römische Helme in Streit gerathen war …

In diesen Briefen wurden an Schwester und Bruder die gleichen Ansprüche auf Armgart gestellt … Tante Benigna las Monika's Brief –

»Liebe Schwester! Ich schreibe Dir im Vertrauen auf jene Versicherung Eurer Versöhnlichkeit, die Levinus der Gräfin Erdmuthe gegeben! Ist es Euch genehm, so erschein' ich auf Westerhof. Armgart verläßt auf ein Jahr das Stift, begleitet mich nach Wien, Italien; ich lasse sie zurückkehren, wenn ihr der Aufenthalt im Stifte Vortheile bringt, die sie nicht verscherzen dürfte … Wollt Ihr Ulrich den Vorzug lassen, so kann ich Euch keine Beweise meiner größern Würdigkeit geben. Mein Herz kämpfte, ob ich nicht in einer längern Zuschrift das Urtheil meines Kindes gewinnen sollte; ich entschied dagegen. Darf ich, wie ich war und wie ich bin, in Euerm Kreise erscheinen und hab' ich Euern Beistand, daß die Erziehung einer Tochter der Mutter gebührt, und stellt sich Armgart gehorsam und ergeben einem Auge dar, dessen bei ihrem Anblick vielleicht ausbrechende Thränen sie für keine Selbstanklage zu halten berechtigt ist, so hab' ich das Glück meines Lebens erreicht! Entscheidet!«

Paula klagte diese Sprache der Kälte und des Hochmuths[119] an … Sie, die sonst so Gütige und Milde, sagte:

Welche Selbstzufriedenheit! Mir ist's ein Wunder, wie nur immer Herr von Terschka die Tante so rühmen kann …

Bonaventura blickte nieder. Er durfte nichts von einer nähern Bekanntschaft mit Monika aus dem Beichtstuhl verrathen … Doch stand ihm versöhnend das Bild des Abschieds vor Augen, den auch die Frau in silbernen Locken am Portal des Kapitels ihm gewinkt hatte, als Schnuphase seine Rede hielt … Darauf hin sprach er wie bekannt von ihr und sagte:

Verbürgt sich so denn Herr von Terschka für sie –?

Ueberschwenglich spricht er von ihr –

Die Tante schwieg … Sie hatte diese Neigung Terschka's wohl bemerkt … Und Bonaventura gedachte der Fragen, die Monika über die zweite Liebe einer Geschiedenen an ihn gerichtet, aber auch des Vorzugs, den Armgart dem Fremdling zu geben schien und den er annahm – dieser Zweideutige …

Die ängstliche Stille, die entstand, auch in Bonaventura, der sich sagte: Das Leben eines katholischen Geistlichen ist so ein ewiges Niederblicken! unterbrach Benigna durch die Vorlesung des Briefs von ihrem Schwager …

»Lieber Bruder!« schrieb der Oberst. »Die Grüße, die Dir im Herbst schon Hedemann brachte, wiederhol' ich und bald soll, denk' ich, mein Handschlag folgen! Ich wäre schon bei Euch gewesen, aber ich suchte auf Bergbau mein Heil zu gründen und erwartete etwas von Kocher am Fall … Indessen reichen die Mittel nicht aus für Versuche, die zuletzt ohne Lohn bleiben. So will ich denn nach Witoborn. Meine[120] Pension ist nicht groß, wir hatten keine Wunden zu taxiren; man hat in England noch immer das System, die Wunden zu messen; zwei Zoll tief – 5 Pfund mehr; drei Zoll tief – 10 Pfund; ganz kalt – dann allerdings werden Witwe und Kind gut bedacht. Ich komme leider heil – und gesund und muß mich tummeln. Monika wird mir hoffentlich meinen Frieden nicht stören, den ich für mein Herz längst geschlossen habe. Ich bin in den Jahren, wo uns das Leben zuruft: Laß alles das der Jugend! Was ich noch Rest von dieser Jugend habe, das hätt' ich gern an Armgart gehängt; aber die glaubt, hör' ich mit Erstaunen, der Mutter zu nahe zu treten, wenn sie mir den Vorrang gibt! Nun hat sie gar ein Gelübde gethan – – Seltsame Welt, deren Anschauungen ich mich jenseit des Meeres – entwöhnt habe! Als guter Soldat will ich einstweilen den Waffenstillstand ehren, wenn er nach beiden Seiten hin aufrichtig gehalten wird. Empfiehl mich Schwägerin Benigna und dank' ihr in meinem Namen für alles Gute, was sie Armgart erwiesen. Mein Sinn ist, sagt Ihr, Eigensinn; ich kenne, was von uns Brüdern ich vom Vater, Du von der Mutter hast. Zuletzt ist aber das Leben so, daß wir, beim Zurückblicken auf unser Rechtgehabthaben, doch mit Trauer an unsere Schwächen, beim Zurückblicken auf unsere Irrthümer, immerhin doch an unsere Kraft erinnert werden. In Frieden und guter Hoffnung!«

Benigna las diesen Brief in einem Ton der Angst und Sorge, der seinem so versöhnlichen Inhalt widersprach. Auch sie war mit der Zeit so angesteckt von der Krankhaftigkeit der ganzen Sphäre, in der sie hier[121] lebte, daß sie ihre eigene resolute Weise verloren hatte und sie nur noch zuweilen bei aufloderndem Poltern geltend machte. So sicher und fest, wie in diesen beiden Briefen, war auf Westerhof lange nicht gesprochen worden.

Paula, gedenkend des neulichen Abends, wo Armgart den an Terschka gerichteten Brief ihrer Mutter zurückbehalten hatte, sagte mit derselben Zuversicht wie damals: Sie versöhnen sich beide! Und Armgart hat es zur seligsten Jungfrau gelobt, daß auch sie nicht eher ruhen will! Die Sehnsucht beider nach ihrem Kinde wird das harte Eis der Herzen brechen! Was könnte noch dazwischen liegen? …

Der Vermuthung Armgart's, auch ihre Mutter liebe Terschka, hatte sie gleich anfangs nicht nachleben mögen; Armgart's neue Gedankengänge kannte sie nicht …

Sie war befremdet über Bonaventura's Schweigen … Diesem hatte freilich Monika von Ehescheidung und zweiter Liebe gesprochen …

Inzwischen sagte, Bonaventura's stillen Schmerzblick nicht beachtend, die Tante:

Ich schreibe beiden: Kommt und versucht Euer Heil! Armgart ist kein Kind, das sich regieren läßt! Ihre Stellung auch im Stift macht sie selbständig …

So und ähnlich schrieb sie fort und ließ dem Flüstergespräch der beiden Liebenden Raum … Freilich blieb Bonaventura – ein Priester und Paula – eine Leidende … Wie die zarte Gestalt, die Künstlerhand aus Alabaster schuf, nur mit äußerster Vorsicht von prüfenden Händen berührt wird, so schonungsvoll mußte sich von selbst jedes Wort, jede Bewegung geben in Paula's Gegenwart … Der Athem eines so räthselhaften[122] Mundes; der feuchte Glanz eines Auges, das so geisterhaft in die Ferne sehen konnte! … Wäre nicht das Gefühl gewesen: Risse ich dich mit mächtigem Arm an meine Brust und bedeckte deine Lippen mit Küssen, du würdest dem Leben angehören, das uns alle bindet, den Sinnen, die die Schranken unserer gemeinsamen Natur sind! – es hätte Bonaventura wohl bange werden dürfen in dieser unheimlichen, spukhaften Umstrickung von Fäden, die Geisterhände um Paula zu spinnen schienen … Oft erschrak er, wenn die sanften schwarzen Wimpern sich über die blauen Augen senkten und das unendlichste Behagen in den edlen Formen des jungen Mädchens ihre Neigung auszudrücken schien, sanft zu entschweben in jenes dunkle Zwischenland zwischen Wachen und Traum, zwischen Leben und Tod, jenes Land, das hier den Menschen das Jenseits erschien … Die weißen Hände sanken dann nieder in den Schoos … Das ganze Sein der Kranken schien Nahrung einzusaugen, die aus der Luft ihr zuströmte, ja aus Bonaventura's Athemzügen … Der unwiderstehlichste Reiz des Frauenthums, die hingegebene willenlose Schwäche, benahm ihm die Sinne … Wäre in der wahren Liebe nicht der Vorbau des Herzens immer mächtig, daß es sich sagte: Entweihe Deine Gottheit nicht! Laß sie rein und unberührt von deinen stürmischen Wünschen! Lege deine Schätze für noch seligere Zukunft zurück! – er würde sich nicht haben halten können, mit seinen Armen diese seltsame Welt – an sich zu ziehen und zu zwingen, sich zur Menschheit zu bekennen …[123]

So kam schon die siebente Stunde … Tante Benigna schrieb immer noch und störte die Liebenden nicht … Sie wußte – und sie wußte nicht, sie sah – und sie sah nicht; sie war ganz in den ihr unbewußten Fesseln eines Idealanfluges, der, ob sie auch beim »Aufarbeiten ihrer Rester« am Schreibbureau Gänse, Enten, Schweine und Ochsen addirte, sie doch dabei wie ins Paradies versetzte, wo ja auch wildes und zahmes Gethier so fromm und heilig um den noch unberührten Baum der Erkenntniß wandelte …

Tiefe Stille … Nur die Tante sagt viertelstündlich:

Wo nur Armgart bleibt! … Wenn die Jagd nur kein Unglück bringt! …

Plötzlich fällt ein so seltsam heller Schein ins Zimmer … Die beschlagenen Fensterscheiben klirren leise … Anfangs beachtet niemand den Schein und das Klirren … Jetzt dringt ein Geruch ins Zimmer, der selbst der Tante, die an die Consequenzen der Landwirthschaft gewöhnt ist, zu fremdartig vorkommen sollte … Aber sie nimmt Anstand, dem Besuch zu verrathen, worauf man im Landleben alles gerüstet sein müsse … Sie schweigt und räth auf die Küche und das verbrannte Nachtessen …

Nun aber wird der Schein zu licht …

Alle drei erheben sich zu gleicher Zeit … Da hört man schon das Klirren von zerspringenden Fensterscheiben … Das ist Feuer! ruft die Tante und greift an den Klingelzug …[124]

Schon stürzen die Mädchen den todtblassen Damen entgegen – sprachlos … Statt ihrer spricht der in Glührothschimmer getauchte Vorsaal …

Es brennt –?! wollte die Tante ausrufen … Der Ton erstickte in ihrer angstgeschnürten Brust …

Doch schon war sie hinaus …

Bonaventura hielt Paula … Die Mädchen hatten schon inzwischen gesagt, daß die Kapelle brenne …

Menschenstimmen … Rufen, Schreien … Das Laboratorium! hörte man. Das Archiv! … Zusammenkrachendes Gebälk, eingeschlagene Thüren … Bonaventura, halb bewußtlos, übergab Paula den Mädchen, um selbst nach den Ausgängen des Schlosses zu sehen … Die Treppen waren steinern …

Im Hof entdeckte er eine mächtig lodernde Flamme, die aus der schon eingeschlagenen Thür der Kapelle wie eine gierige Zunge nach Nahrung suchte … Noch schien sich das Feuer auf das Innere der Kapelle zu beschränken … Wer aber wußte, was schon drinnen zerstört war! … Dem Archiv suchte man durch andere Zimmer beizukommen … Im Hof arbeitete mächtig eine der Spritzen, die sich im Schlosse befanden … Tante Benigna leitete sie selbst …

Noch aber fehlte es an Menschen … Die Diener sagten dem Domherrn, man spanne bereits an … Tante Benigna rief: Fahren Sie mit der Gräfin zum Stift!

Bonaventura kehrte zurück und sorgte für die Zurüstungen der Flucht …

Paula fand er gefaßter … Man eilte, nach Kleidern zu suchen … Bonaventura verschloß schnell das[125] offen gebliebene Schreibbureau der Tante und steckte den Schlüssel zu sich …

Inzwischen mehrte sich der Zustrom der Nachbarn, die eine Riesenflamme jetzt nach außen hin hatten ausbrechen sehen, eine Flamme, die ihren Weg von dem in Brand befindlichen Altartabernakel in der That zum Archiv suchte, dem sich von außen nicht beikommen ließ, da die Fenster vergittert waren … Der eine Flügel des Schlosses schien verloren; schon machte sich die Flamme durch das erste und zweite Stockwerk Bahn …

Bonaventura verlor seine Geistesgegenwart nicht … Die wichtigsten Schränke ließ er sich bezeichnen, ließ Silbergeräth packen und folgte den Weisungen Paula's, die gerade jetzt in den seltsamsten Zustand gerieth … Nicht daß sie ihr Bewußtsein verlor, aber wie eine Traumwandelnde schritt sie dahin, wie eine Geisterjungfrau, die zuletzt, falls sie entfloh, auf einem Gespann von geflügelten Drachen entschweben mußte … Sie gab Weisungen, Aufklärungen, wie eine Seherin im Sturm am Ufer des brausenden Meeres … Dort! rief sie … Die Kisten! Die Schlüssel hängen ja hier! Nehmt sie doch! … Hier sind die Bücher der Grundverschreibungen! Da! Der Aufgang ist frei! … Uebereilt nichts! Der Dachstuhl brennt, aber an den Eckthürmen ist alles von Stein! … Leert das Laboratorium von brennbaren Sachen! Der Bau ist feuerfest! … Seht, der Wasserstrahl trifft ja mächtig! … Rettet nur das Archiv in den Keller! … Ha, der Mann! Seht den Mann! Folgt ihm nicht! Nein! Nein! Ein Balken stürzt! …[126]

Niemand sah einen Mann, den sie von der Galerie des Hofes aus erblicken wollte … Indessen ertönte ein furchtbares Krachen im Innern … Nach innen mußte das zweite Stockwerk eingestürzt sein … Die Flamme schlug schon oben zum Dach hinaus … Von den beiden Eckthürmen aus bekämpfte man ihr Weiterdringen durch die hinaufgezogenen Schläuche zweier Spritzen, die von unten her nur wenig hatten wirken können …

Dabei tönte die Schloßglocke hülferufend und mit herzzerreißender Eile schon seit einer Viertelstunde von einem dritten der vier Eckthürme …

Paula lehnte jede Entfernung vom Schlosse, jede Schonung ihrer selbst ab … War es der entschlossene Beistand Bonaventura's, war es die Erregung des Augenblicks oder welche Geister standen ihr zur Seite – sie befehligte wie die Gebieterin des Ganzen … Sie war die Stammherrin der Dorste-Camphausen, die Letzte ihres Geschlechts … Mit leuchtenden Augen, beschienen von Flammen, im erstickenden Qualm des Rauches verlor sie die Besinnung nicht … Die Tante dagegen brach schon zusammen … Wenigstens bedachte sie nur noch die Rettung des Kleinen und Einzelnen, während Paula im Ganzen lebte …

Menschen waren nun endlich genug da, die Befehle gaben und befolgten … Schon fehlten die Spritzen aus Witoborn nicht … Gensdarmen kamen daher gesprengt … Man isolirte das Feuer mit Erfolg … Ueber die Entstehung schwankten die Meinungen … Die einen leiteten das Unglück aus dem Laboratorium[127] her, die andern aus einem Kohlentopf in der Kapelle, den vielleicht ein Andächtiger hatte stehen lassen … Daß die Gräfin das Feuer schon gestern gesehen, war ein Wunder, wodurch die Anstrengung des Rettens, die Erhöhung der Stimmung gemehrt wurde …

Bonaventura irrte in trüben Ahnungen und barg sich jetzt – vor Müllenhoff, der im Eifer angekommen war, aber seine Zunge nicht ruhen ließ, der Entrüstung Worte zu geben über Fräulein Benigna, die kaum ihn erblickend Besinnung gewann und geradezu ihn beschuldigte, die Ursache des Feuers zu sein … denn ihm und seiner »Toilette« zu Liebe hätte man die Zahl der Vorhänge am Altar vermehrt, jene Sakristei hinter dem Altar improvisirt, ihm in dem engen Raum den seit Jahrhunderten dort verpönten Gebrauch von Licht gestattet …

Den heftigen, ganz aus der geistlichen Sprache und Rücksicht fallenden Wortwechsel unterbrach die Ankunft eines Pikets Husaren aus Witoborn … Man sperrte den Zudrang der Menschen, die von allen Richtungen herbeiströmten … Nur wer sich ausweisen konnte, wurde jetzt noch über die kleine Brücke gelassen, die zu der Insel führte, auf welcher Westerhof lag … Glücklicherweise war Windstille … Die Funken flogen nicht an die nahen Wirthschaftsgebäude und Kornspeicher …

Unter denen, die über die Brücke wollten, befand sich auch der allen wohlbekannte Bruder Hubertus …

Er machte sich Bahu mit einer Gewalt, die unwiderstehlich war …

Laßt mich, rief er den ansprengenden Reitern entgegen und keines Roßhufs achtend, drängte er zur[128] Brücke hinüber und stürmte in die Gefahr, die inzwischen nachließ …

Vorzugsweise war es jetzt, wie Paula ganz recht gesehen hatte, ein einziger Mann, der mit Anstrengung, ja mit Lebensgefahr dem Umsichgreifen des Brandes Einhalt that … Es war dies jener Dionysius Schneid, dem man anfangs vergebens gerufen hatte, der sogleich die Pferde und den Wagen in den Wirthschaftsgebäuden für Paula bestellen sollte, der sich dort »eine Ewigkeit«, wie die Angst der Tante ein Dutzend mal ausrief, aufhielt, der aber auch jetzt beim Einreißen der Zwischenmauer, beim Absperren der Flamme einen verdoppelten Eifer zeigte … Mit geschwärztem Antlitz, plötzlich rothen Haars, das Niemand seit dem Finkenhof wieder an ihm gesehen, saß er in einer buntgestreiften Stalljacke mitten in der Verwüstung des halb in Trümmern liegenden Flügels zwischen den beiden Thürmen, hob die Axt, zertrümmerte glühende Balken, um deren Zündkraft zu mildern, in kleinere Stücke, und arbeitete fast mit Wildheit allen andern zuvor, die sein Beispiel ermunterte …

Hubertus kam mit dem Namen: Schneid! auf den Lippen. Wie mußte er erstaunen, als man ihm auf diesen Namen den Diener zeigte, der hoch im qualmenden Gebälk saß, die blinkende Axt in der Hand …

Unmöglich! entgegnete er …

Doch! Doch! rief man ihm zu und bezeugte seine Anerkennung über die Entschlossenheit des sonst so trägen Dieners …[129]

Im Hof war ein Gedräng und kaum zum Hindurchkommen … Eimer, Spritzen, geborgene Geräthschaften bildeten schon einen hohen Haufen, über den die Menschen hinwegklettern mußten … Den Mönch, den die zuweilen noch aufzuckenden blauen Flammen am wassertriefenden Gebälk in seinen allbekannten Todtenkopfzügen beleuchteten, würde man nicht geduldet haben, hätte man nicht gewußt, daß der riesenstarke Greis es liebte, in solchen Fällen sich nützlich zu machen … Schon hatte er, immer den in der qualmenden Zerstörung sitzenden Schneid im Auge, von den Gensdarmen einen Eimer zugereicht erhalten, um Wasser zu holen aus dem glücklicherweise im Thauen begriffenen Teich, der die Insel bildete … Schon war sein unwillkürliches Erbeben vor der Anrede durch die Beigeordneten des Landraths die Ursache, daß Hubertus mechanisch Folge leisten wollte, als ein noch einmal auf die Stätte der Zerstörung im obern Stock geworfener Blick ihm eine plötzliche Gefahr zeigte, in die der Diener des Hauses gerieth … Sein eigener Zuruf erstickte schon in dem allgemeinen Geschrei: Er stürzt! Eine Leiter! Er ist verloren! …

Der schwarzberußte Mensch, der wie ein Gnom der Unterwelt durch Feuer und Rauch sich den Weg zu bahnen suchte, wollte sich vor einem drohenden Mauersturz vom Dache retten, sprang auf ein verkohltes Sparrenwerk, das unter ihm zusammenbrach, stürzte tiefer und tiefer und schwebte zuletzt mit seinen Füßen, die ohne Halt im Leeren tasteten, über einem Abgrund, in den er unfehlbar hinunterstürzen mußte, da sich seine Hände nur am glühenden Stumpf eines Balkens halten[130] konnten … Eine Leiter war nirgend anzulegen … Eine Minute noch – und unfehlbar fiel Schneid aus dem zweiten Stockwerk auf Steingeröll und Balken mit zerschmettertem Schädel nieder …

Doch nur eine Secunde der Rathlosigkeit, wo man die Leiter anbringen sollte, die an sechszig Stufen zählte und hin- und herschwankte vor der Macht ihres Gewichts, da schon stand Hubertus und rief: Hinauf! Wer steigt hinauf? …

In seinen knöchernen Armen hielt er die Leiter, daß sie frei schwebend stand wie gelehnt an eine Mauer …

Klettert hinauf! rief er wiederholt und immer dringender redete er den Ablehnenden zu … Habt keine Furcht! bedeutete er die, die die Leiter, so nur frei in der Luft gehalten, zu besteigen zögerten …

Endlich wagte es Einer der Feuerleute aus Witoborn … Schon berührten die Füße des in der Luft Hängenden die obere Sprosse der Leiter – er würde sich nicht haben halten können ohne einen Arm, der ihn umfing … So kletterte der Mann an der aus freier Hand gehaltenen Leiter empor … Wie eine Gerte bog sie sich, je höher er kam … Hubertus stemmte sich aber fest wie ein Athlet und balancirte die ungeheuere Wucht … Hülfe, die hinzukam, stieß er zurück mit dem Ruf: Gleichgewicht! – Das – kann nur Einer! – Mit den Zähnen knirschte er zum Zeichen seiner äußersten Anstrengung …

Der Arbeiter war jetzt oben … Er ergriff den schon Sinkenden, dessen Hände verbrannt sein mußten … Jetzt zog er ihn zu sich herüber auf die Leiter …[131] Diese, vom doppelten Gewicht überlastet, bog sich … Ein Schrei des Entsetzens unter allen Umstehenden, von denen einige hinzusprangen, um Hubertus wiederum zu unterstützen … Doch »Zurück«! rief er ihnen allen aufs neue entgegen und klemmte die Leiter zwischen seine beiden Kniee, die Arme in der fünften und sechsten Sprosse eingeschlungen, sodaß er die gewaltige Last nur wie eine vom Sturm bedrohte schwanke Fahnenstange hielt …

Der Arbeiter stieg nieder und brachte den Ohnmächtigen glücklich zu Boden …

Je näher dem Mönche Jean Picard kam, je näher ihm der Anblick des Armes möglich wurde, auf dem er das verhängnißvolle Zeichen der Erkennung suchte, desto schwächer wurde die Kraft des Bruders, dessen Kutte hie und da an den noch brennenden Trümmern schon versengte … Nun ließ er das Hinzukommen anderer geschehen … Als der Arbeiter mit dem Geretteten auf unterster Sprosse stand, sank die Leiter in die Hände der Uebrigen …

Hubertus holte einige Augenblicke Athem, hörte mit lächelndem Kopfnicken die bewundernden Beifallsäußerungen der Umstehenden und folgte dem Arbeiter, der den Bewußtlosen weg von der Brandstätte trug …

Diesem bot man jetzt Hülfe, Erquickung, ein Lager in dem andern Flügel des Schlosses …

Hubertus aber sagte zu dem Träger:

Laßt das alles, Landsmann! … Ich trag' ihn schon selbst weiter! … Mit Brandwunden weiß ich umzugehen! …

Damit nahm er den Ohnmächtigen und trug ihn[132] aus dem Gewühl und ganz aus dem Schloß hinaus in das inzwischen aufs neue und immer mächtiger vom Menschenstrom belebte Dunkel der Nacht …

Während jetzt schon von allen Thürmen auf Meilen umher die Feuerglocken riefen, kamen auch die Theilnehmer der Jagd an … Terschka voraus auf einem leichten Wagen … Thiebold … der Onkel … Auch von Witoborn kamen Benno und Hedemann …

Armgart machte sich Bahn durch alle … Paula's hohe Entschlossenheit und muthvolle Haltung hörte erst auf, als sie in die Arme ihrer weinenden Freundin sinken konnte …

Bonaventura stand voll Rührung und sprach, als die Gefahr vorüber schien, mit zitternder – tiefahnungsbanger Stimme ein Dankgebet, in das alle Nahestehenden mit entblößten Häuptern einstimmten …

Die Thurmuhren schlugen zehn … Jedes sagte: Wenigstens noch ein Glück, daß der Unfall so zeitig ausbrach …

Wächter wurden für die Nacht bestellt … Allmählich wurde alles stiller … Die Gruppen lösten sich auf … Man zerstreute sich …

Auch die Schloßbewohner bedurften der Ruhe …

Onkel Levinus fand sich leicht in neue Thatsachen, die er gedruckt las, schwerer in solche, die er selbst erlebte … Er hatte mehr als sonst gewohnt dem Rebensafte zugesprochen, auch auf der Jagd selbst schon manche Herzstärkung genommen … Um sich zu finden und im Nichtzuändernden zu orientiren irrte er mit einem offenen Lichte so lange im Schlosse auf und ab,[133] bis ihn die Wächter aufmerksam machten, er könnte leicht den Brand aufs neue entzünden …

Armgart flüchtete auf ihr Zimmer wie ein verstörter Geist …

Terschka, dem man kaum die Anwesenheit des Mönchs Hubertus und dessen gewaltige That erzählt hatte, als er auch schon in seine unversehrt gebliebene Wohnung entschlüpfte, schien am längsten zu wachen … Das Licht an seinen Fenstern erlosch erst nach Mitternacht …

Bonaventura war mit Benno, Thiebold, Hedemann und Müllenhoff zu Fuß gegangen …

Endlich breitete die stille Nacht über das Gemälde des Schreckens ihre dunkeln Schwingen …

Schauerlich ist es, wenn nach solchen Begebnissen auf einsamem Lager der Schlummerlose das Krähen des Hahnes so laut und hell und wohlgemuth hört, wie zu aller Zeit, und doch sich sagen muß: Der anbrechende Morgen zeigt das Neue in seiner ganzen folgenschweren Größe …

Quelle:
Karl Gutzkow: Der Zauberer von Rom. Roman in neun Büchern, Band 6, Leipzig 1860, S. 110-134.
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