5.

[133] Eine wie eitle Matrone! sagte sich Bonaventura, als er durch das kleine Schiebfensterchen seines Beichtstuhls eine graue Locke unter einem Hute hervorgeglitten auf einem Taschentuche liegend bemerkte.

Ein Matronenhaar in Locken!

Dann aber hörte er die klangvolle Anrede und staunte eine Greisin zu finden, die sich einen so reinen jugendlichen Ton der Rede bewahrt hatte …

Nach den ersten geflüsterten Anreden und Erwiderungen stellte er die Frage um die letzte Beichte. Er hörte, daß diese in Wien bei dem Beichtvater der Hospitaliterinnen stattgefunden …

Dann sagte die Frau, die er für eine Matrone hielt, daß sie gerade deshalb zu ihm gekommen wäre, weil sie ihn schon einigemal beim Austheilen des heiligen Abendmahls gesehen und nicht nur die Geduld bewundert hätte, mit der er unter Hunderten beim Ausspenden des Brotes die Worte sprach: »Herr, ich bin nicht werth, daß du eingehst unter mein Dach; aber sprich nur ein Wort, so wird meine arme Seele gesund!« sondern wie er jene[134] Worte auch jedem so, als wenn er ihn persönlich kannte, gesprochen, jedem so, als wenn sie gerade für ihn bestimmt wären. Deshalb wage sie, ihn mit sich selbst zu belästigen, fürchtend freilich, daß seine Zeit zu gemessen wäre …

Bonaventura hatte die Absicht, Lob und Sorge um seine Zeit mit einer Handbewegung abzulehnen. Da blickte er etwas auf und erkannte unter der damals üblichen Form des Hutes mit langgeschweiften Seiten, die die Wangen verdeckten, ein jugendliches Antlitz und nun in Vergleichung mit den Locken und nach der Erwähnung Wiens war es nur die Oberstin von Hülleshoven aus Benno's zutreffender Beschreibung …

Noch ehe er vor Ueberraschung mehr als ein ermunterndes und beruhigendes: Bitte! erwidert hatte, sprach schon die Beichtende:

Ich bekenne mich zu der Unruhe, in welche die Seele durch Grübeln und Denken versetzt wird, bekenne mich zum Zweifel an allem, an Gott, dem Erlöser, an Kirche und künftigem Gericht!

Bonaventura verhüllte sich in seine Stola und sprach nach einigem Bedenken auf dies schmerzlich entschiedene Wort:

O ihr Heiligen! Sie geben Ihrem Zustand vielleicht viel schneller einen Namen, als Sie ihn noch ergründet haben! Sie hatten sich des religiösen Lebens vielleicht nur entwöhnt. Plötzlich drängt Sie irgendeine Stimmung zu ihm zurück und nun erschrecken Sie, nicht mehr alles so zu lieben und zu glauben, wie Sie in Ihrer Kindheit es liebten und glaubten. Machen Sie doch diese Rückkehr nicht zu[135] übereilt! Vor der Feuertaufe des Herrn kam die Wassertaufe des Johannes! Legen Sie sich doch erst Uebungen zum Uebergange auf! Keine Geißelung des Körpers, keine Entbehrung Ihrer Sinne, nur eine gewisse Ascetik des Denkens. Sehen Sie, gewöhnen Sie sich einfach, überall den Finger Gottes zu suchen. Nehmen Sie nichts mehr, was Ihnen begegnet oder was Sie vom Schicksal anderer, ja vom Leben der ganzen Welt in Erfahrung bringen, in dem leichten Sinne, der nur die Erscheinung als solche betrachtet. Streben Sie vielmehr darnach, alle Erfahrungen, die Sie machen, zu verbinden, ihren geheimen Sinn und Zusammenhang zu ergründen, ihrer Folgerichtigkeit nachzuspüren und nennen Sie dann das, was Sie sonst in der Sprache des Denkens Zufall, Ungefähr, Wille, eigene Absicht nannten, einfach und kurzweg Gott. Wenn Sie diese Begegnung Gottes in kleinen Dingen stündlich suchten, würde das Aberglaube werden. Aberglaube kann es sein, die ganze majestätische Größe Gottes immer auch bei kleinen Leiden und Freuden sich gegenwärtig zu denken. Aber jenen Fußtapfen der wandelnden Gottheit nachgehen, die in Ernstem und Wichtigem liegen, gibt Erhebung. Sie werden staunen, wo Sie überall diese Schritte abgedrückt finden, wenn Sie nur erst anfangen, für alles das, was die Welt gleichsam namenlos hinstellt, gleichsam mit einem »Man« ein führt oder mit einem »Es« (»es wird sich zeigen«) oder sonst mit einer Form der reinen Genüge des Menschen an sich selbst, den Herrn der Welt einzuführen. Versuchen Sie das! Zu einem Gott sich erheben, der außer uns und unendlich hoch[136] über uns wohnt, ist allerdings schwer; denn je näher wir ihm da zu kommen suchen, desto entfernter rückt er. Nehmen Sie also Gott zu Ihrem steten Begleiter, nur daß er einige Schritte vorangeht, nicht immer Ihnen zur Seite, nehmen Sie ihn zum Erfüller aller der Pausen, die Ihnen das Leben läßt, zu der zweiten Person, die in Ihrem Gewissen mit Ihnen redet, zu dem unsichtbaren Freunde, der in einem dunkeln Zimmer, wo Sie über irgendein Vorhaben brüten, mit Ihnen Rath hält! Ist das von Ihnen eine Zeit lang versucht worden, so werden Sie auch allmählich wieder anfangen, christgläubig und kirchlich zu denken.

Es wäre also der umgekehrte Weg, den ich früher einschlug, alles, was mir sonst Gott hieß, gerade anders zu nennen! sagte Monika und ihre Gedanken verweilten einen Augenblick bei der Gräfin Erdmuthe, die noch gestern beim Abschiede gesagt hatte: »Der Herr schenkt mir ein gutes Reisewetter, etwas Frost und gute Wege!« Nun aber sprach sie: Meine Zweifel über Gott werden sich wieder beruhigen; schwerer die über die Kirche und über die Wahrheit des katholischen Glaubens!

Bonaventura wallte fast auf mit den Worten:

Sie sind so arm an Glauben und sind schon wählerisch? Sie hungern und dürsten und bemäkeln schon die Speise, die Ihnen gespendet wird? Wahrlich, die milden Gutthäter müssen sich viel gefallen lassen!

Fast bereute er dann sein hartes Wort und blickte deshalb ein wenig auf. Groß und voll senkte sich der Strahl zweier dunkelbrauner Augen auf ihn herab, ein wehmüthiger Zug um den Mund milderte einen Anflug[137] von Bitterkeit in schönen, regelmäßigen Zügen. Er mußte des Obersten gedenken. Er mußte sich sagen: Diese beiden Menschen sind sich so ähnlich und fliehen sich!

Mit sinnendem Ernste, bei dem sich die Augen wieder verkleinerten und die großen Sterne wie in das tiefste Innere zurückzogen, sprach Monika:

Ich weiß vollkommen, was wir an unserer Religion besitzen! Sie ist kein Gedanke, der soeben von heute aus dem Haupte eines erleuchteten Geistes sprang. Sie ist eine ehrwürdige Ueberlieferung, eine große Weltbegebenheit, aus der wir entnehmen dürfen, was wir für uns nutzbar machen können. Ich werfe es den Protestanten vor, daß sie sich die Bürde auch des Ballastes an ihrem Lebensschiff viel zu leicht gemacht haben. Ist man Christ, so soll man auch die Geschichte seines Glaubens tragen. Oft hab' ich mir gesagt: An allem, was unsere Kirche festhält, ist etwas, was uns irgendwie immer wieder versöhnt, wenn wir dann auch wieder einer zweiten andern Formel nur mit schwerem Herzen genügen. Dann aber – plötzlich tritt doch ein Widersacher in uns auf, den ich nicht den Teufel nennen kann. Unser Herz stößt plötzlich einen Hülfsschrei aus und lechzt nach der Natur. Ich habe nie über diese Dinge so nachgedacht, als seitdem ich Rechte des Herzens zu haben glaube. Ich bin nicht glücklich vermählt. Gesetzt, ich würde noch einmal lieben können, unsere Kirche verböte mir das. Wie soll ich da nicht an ihrer Göttlichkeit zweifeln!

Bonaventura blickte bei diesen sicher und fest gesprochenen Worten im Geist auf seinen eigenen Vater, seine eigene[138] Mutter, jenen, der vielleicht noch lebte und sich der Welt entzog, nur um dieser eine zweite Ehe zu ermöglichen …

Diese zartesten Fragen des Beichtstuhls hatte er erst in seiner jetzigen Wirksamkeit kennen gelernt. Sie kamen auf dem Lande nicht vor. Es gaukelten wol zu allen Zeiten vor seinen Augen die hundert Fälle, die die Vorsicht der römischen Casuistik über die Thatsachen des Ehelebens oft mit einer Nacktheit und Natürlichkeit aufzählt und niedergeschrieben hat, die nur aus Herzen kommen konnte, die sich zum Cölibat verpflichten. In allen diesen spanischen und italienischen Vorwegnahmen der durch die Liebe heraufbeschworenen Gewissensleiden ist jener wahren Empfindung wenig Rechnung getragen, die aus den reinsten Tiefen des Herzens stammt. Bonaventura las im Sanchez, im Bellarmin, im Lambertini die hundert Fälle, wo in der dort gebrauchten Sprache Cajus die Rosa liebt, Rosa den Titius, Thatsachen der Liebe, die das Licht des Tages scheut, nicht jener, die nicht erwidern will ohne das offene Bekenntniß ihrer Neigung vor der Welt; nicht jener, die der innern Heiligung des Menschen zum Segen werden kann und die die Kirche zum Fluche macht; nicht jener, die mit Verachtung solche Licenzen zurückweist, wie sie die Toleranz der Gewissensräthe anräth und nur mit Gebeten und Almosen gebüßt wissen will; nicht jener, die nach Neigung wählen und in der Freiheit, frühere Irrthümer zu berichtigen, vor gläubigen Seelen sogar durch das Beispiel der Patriarchenzeit geheiligt ist; nicht jener, die uns deshalb nur allein wahrhaft frei macht, weil sie die ewigen und unwiderleglichen[139] Gesetze der Natur zu Gesetzen der Sitte, der Vernunft und des göttlichen Willens erhoben hat …

Bonaventura's Stocken beängstigte die Beichtende, die es um sich her immer lebhafter werden hörte …

Ich komme wieder! sagte sie, um abzubrechen …

Sie sprachen von keinem Bunde, den Sie wirklich schließen wollen, hielt sie Bonaventura, sondern nur von der Beunruhigung Ihres Gewissens, wenn Sie ihn schließen wollten. Warum begeben Sie Ihr Nachdenken in eine Gefahr, der sich auszusetzen Sie nichts zwingt?

Will man denn nicht das, erwiderte Monika, was uns ein Anhalt des Lebens sein soll, gegen alle und jede Möglichkeit der Anfechtung stark und sicher sehen?

Die Gefahr wird an Ihnen vorübergehen!

Und wenn nun nicht?

Der Priester mußte sich's so natürlich denken, daß eine so gestörte Ehe damit enden konnte, daß eine junge, wie er nun hörte, mit Vorzügen des Geistes ausgestattete Frau noch einmal eine Bewerbung fand, der sie nicht widerstehen konnte. An Armgart mochte er sie nicht erinnern, da er deren den Aeltern gegenüber durchgeführte Gesinnung kannte und der Beichtenden nicht verrathen mochte, daß ihre Person ihm kein Geheimniß war. So blieb ihm nichts übrig, als die Zweifel, die auch an ihm in diesem Punkte nagten, zu überwinden und das zu thun, was er in seinem Berufe schon manchmal recht schmerzlich sich mit den Worten gestand: Wir gleichen den Aerzten, die aus Mangel an Erkenntniß und einer wahren Hülfe dem armen[140] Leidenden Wasser – gefärbt mit einem rothen süßen Safte, verschreiben!

Ich sehe Sie in dem Zustande, sagte er, den die Schrift den des zerstoßenen Rohres nennt und der Sänger des Dies Irae das Cor contritum quasi cinis! Das Herz zermürbt wie Asche! Bekämpfen Sie Ihre Stimmungen und halten Sie noch Betrachtungen über die Kirche davon fern! Fassen Sie die Kirche als ein großes Ganzes! Daß Sie als Kind am Freitage fasteten, was sagte es denn? Es sagte: Ich gehöre einer Gemeinschaft an, die das Vernunftgesetz über das Naturgesetz erhoben hat! Daß wir der Wildheit die Gesellschaft abrangen, daß wir einen Bund der Gesittung, der Künste, Wissenschaften, der Ordnung, eine Gesellschaft haben, wo die Tyrannen nicht herrschen, die Räuber, die Mörder schweigen und abseits treten müssen, wem anders verdanken wir denn das, als der Zähmung unserer natürlichen Begierden?

Monika schwieg … Sie beschloß, dem Vernommenen nachzudenken … Schon der bald sanfte, bald strenge Ton hatte sie erhoben …

Bonaventura schloß:

Kehren Sie bald, bald wieder! Absolvo te in nomine patris, filii et spiritus sancti!

Er machte das Kreuzeszeichen, zog sein Fenster zu und lehnte sich eine Weile in seinen Stuhl zurück – tief, tief – unzufrieden mit sich selbst …

Aber Ruhe, Kampf der Seele, Sieg gab es da wenig. Die Zahl der Harrenden war angewachsen. Schon meldete sich's am andern Fenster …

Er zog den Vorhang zurück. Er that es mit dem[141] Gefühl: Welch ein Stümper erscheinst du doch bei wirklichen Leiden! Kannst du dies Holz denn verlassen und einem Priester begegnen, ohne daß ihr beide vor einander die Augen niederschlagt?

Schon sprach wieder eine sanfte Stimme die übliche Anrede.

Auch diese Stimme kam von einem Weibe. Auch sie ertönte aus den Umhüllungen eines zwar nicht schönen, aber jugendlichen Hauptes. Ein kostbarer Pelz lag dicht am Gitter und berührte fast sein Beichttuch …

Hochwürdiger Vater, ich bin unglücklich! …

Der Beichtstuhl, mein Kind, hört nur das Unglück durch Sünden …

Ich sündige wider die Gebote der Kirche und doch spricht mein Herz mich frei!

Sollte die Versuchung des armen Leviten nicht enden! Bonaventura erklärte die vernommenen Worte für einen Widerspruch und wünschte Aufklärung …

Ich werde in wenig Wochen Mutter sein! Mein Gatte ist Protestant und ich bin zweifelhaft, das Kind in meinem Glauben taufen zu lassen!

Verlangt Ihr Gatte das Gegentheil?

Er verlangt es nicht! Er verdankt seine Lebensstellung mir, er ist die Rücksicht selbst! Dennoch schenkt' ich gern unser seit zehn Jahren ersehntes Kind ganz nur ihm!

Da thun Sie Unrecht! Sie bringen dem einen das, was er nicht begehrt, das kann Großmuth sein; aber Sie entziehen es einem andern, der darauf Ansprüche hat; das ist ein Raub!

Ich bin meinem Gatten Großmuth schuldig, ich bin[142] ihm Genugthuung schuldig! Und gerade vor meiner Familie, die ihn kränkt, zurücksetzt, sich freut, zwischen uns eine Trennung zu wissen! Ich fühle, daß ich ihm mein Kind schenken muß um der Liebe willen, um der Liebe ein Zeugniß zu geben! Sagen Sie denn auch wie alle andern Priester, daß mein Kind im Jenseits von mir getrennt sein wird?

Die Schrift sagt: »Bei unserm himmlischen Vater gibt es viele Wohnungen.« Vertrauen Sie auf seine Gnade, wenn Sie sich nicht noch anders besinnen und von Ihrem Gatten zu Ihrer Religionspflicht zurückführen lassen. Gaben Sie bei Ihrer Verbindung dem Geistlichen, der Sie traute, kein Versprechen über Ihre Kinder?

Man verlangte es damals nicht! Das ist über zehn Jahre her …

... Die Fälle der gemischten Ehen kamen jetzt so oft im Beichtstuhl vor. Dennoch horchte Bonaventura auf und gedachte der Zerwürfnisse im Kattendyk'schen Hause, dem Hause, wo Treudchen und Lucinde wohnten …

Glauben Sie auch, hochwürdiger Vater, fuhr die zitternde Stimme fort, daß ich nicht die Aussegnung erhalten werde?

Die Aussegnung einer Wöchnerin bei ihrem ersten Kirchgang ist ein Brauch, kein Sakrament …

Nach dem Glauben meiner Mutter und Geschwister werd' ich, wenn ich ohne Aussegnung sterben sollte, als ruheloser Geist Nachts mit einer Kerze in der Hand so lange um diese Kathedrale gehen müssen, bis eine andere Lebende sich für mich aussegnen läßt![143]

Bonaventura wurde irre, ob ein solcher Glaube in einem gebildeten Hause herrschen konnte. Fast an der Anwesenheit der Frau Hendrika Delring zweifelnd, sagte er:

Welche Thorheit! Nur fürcht' ich, daß Sie nach Ihrer Handlungsweise überhaupt nicht im Schoose unserer Kirche bleiben werden; denn die Gnadenmittel müssen Ihnen entzogen werden!

Eine Pause trat ein …

Auch Sie sprechen wie Kanonikus Taube! sagte die Stimme …

Wir sprechen alle, wie die Mutter Kirche spricht! Sie will keines ihrer Kinder sich entzogen sehen und ist streng gegen die, die ihrer Liebe ein neues Kind vorenthalten! Erwägen Sie Ihre künftigen Leiden! Ihr Gatte ist edel; wie denn wird er von Ihnen ein solches Opfer verlangen!

Hendrika Delring weinte …

Es währte lange, bis sie sich sammeln konnte …

O diese Welt! rief sie plötzlich heftig aus …

Warum nur beruhigt Sie der Friede dieses Gottestempels nicht? Warum sprechen Sie in dieser Aufregung? Erzählen Sie, was Ihnen begegnete!

Schon oft, hochwürdiger Vater, wollte ich zu Ihnen kommen! Ich hörte täglich von Ihrer Weisheit und Güte. Neulich noch, als meine Familie sich um mich versammelt hatte, ein Marienbild in meinem Zimmer entschleierte und, indessen alle auf den Knieen lagen, zu ihm ein Gelübde sprach, sie würden, wenn ich mein Kind nicht im Glauben des Vaters taufen ließe, eine Wallfahrt[144] antreten und in einem gräflichen Hause bei Witoborn, wo geistliche Uebungen gehalten werden, sechs Wochen lang sich einschließen und die Exercitien mitmachen, da schon wollt' ich zu Ihnen kommen – nur warf mich die Verzweiflung aufs Krankenlager. Meine Mutter behauptete, wenn ich anders handelte, würd' ich jetzt Gott um die Erfüllung eines Gelübdes betrügen …

Das ist eine Thorheit! erwiederte Bonaventura entrüstet. Wer lehrte Ihre Mutter, daß Gott unserer Opfer bedarf! Ein Gelübde kann einen Werth für unsere Seele haben, aber nur der Heide kauft seinem Götzen mit einem Gelübde etwas ab. Eher könnte Ihr Gewissen sich gedrückt fühlen von dem Vorwurf, die religiöse Denkungsart der Ihrigen, vollends einer Mutter zu verletzen …

Auch mußt' ich bittere Thränen darüber weinen und war in meinem Vorsatz wankend geworden! Ein junges Mädchen, das in meinen Diensten steht, sprach täglich von diesen Exercitien, an denen sie so gern theilgenommen hätte. Das junge Kind, das ich so lieb habe, vergegenwärtigt mir den Glauben, den ich immermehr verliere …

... Ist das Treudchen? dachte Bonaventura voll Bangen. Treudchens Beichtvater war – Cajetan Rother …

Leider aber läßt der Peiniger meiner Lebensruhe nicht nach! fuhr Hendrika Delring fort. Es ist mein eigener Bruder! Früher war mein Gatte Führer des Geschäfts. Aufrecht gehalten hat er's in schwieriger Zeit. Die Zeit ist nicht mehr günstig wie sonst, andere überflügeln den alten Kaufmannsschritt und darauf fußt mein Bruder,[145] um meinen Gatten täglich zu verletzen. Während er selbst sich der sinnlosesten Verschwendung ergibt, wirft er uns die kleinste Ausgabe vor und schon war unser Entschluß reif, ganz aus dem Geschäft auszutreten. Leider ist meine Mitgift, wie es bei Kaufleuten Sitte, nur klein; meine Einnahme hängt von dem Ertrag des Geschäftes ab. Eine ihr entsprechende größere Summe herauszuziehen, ist immer mit Schwierigkeiten für unser ganzes Haus verbunden. Darum, weil mein Mann von vorn anfangen müßte und auch des Salairs für die Führung des Ganzen zu entbehren hätte, bekämpfte ich diesen Schritt, hielt aber zu meinem Mann und brach mit meiner ganzen Familie. Deshalb auch schenkt' ich ihm im Geist meine Hoffnung, ohne daß der Edle es begehrt. Aber jetzt ist keine Wahl mehr. Mein Gatte muß weichen. Heute in der ersten Frühe fand eine Scene statt, die jede Aussöhnung unmöglich macht. Um das Geringfügigste erhob schon sonst unser Tyrann einen Streit. Diesmal darüber, daß er eine Gesellschaft geben will und zu dem Ende Ansprüche macht auf einen Theil meiner Zimmer. Ich verweigerte sie ihm aus Gründen, die eine Hausfrau haben darf. Nicht um eine Ladung Waaren, nicht um einen Werth von Tausenden begann er jemals einen solchen Streit, wie jetzt über diesen Gesellschaftsabend. Mein Gatte kam hinzu. Das ganze Haus wurde Zeuge eines Auftritts, der nur damit enden konnte, daß wir das Haus und das Geschäft für immer zu räumen erklärten. Mein Gatte wird eine Stelle suchen, meine Mitgift und ein uns angewiesenes Zehntel vom Reinertrage des Geschäfts reicht vielleicht aus, ihn[146] irgendwo zum Associé zu machen. Wir ziehen weg von hier und wenn ich dann an seiner Seite lebe – –

Nun dann, dann – unterbrach Bonaventura das plötzlich stockende Bekenntniß, dann schenken Sie Ihr Kind Ihrer Mutter – Ihr Gatte bedarf dann keinen weitern Beweis Ihrer Liebe mehr!

Hendrika schwankte, aber in ihrem Worte: Hochwürdiger Vater, ich zweifle schon an allem –! lag eine Zustimmung … Der sanfte Ton des Priesters hatte sie überwunden …

Das sagen Sie doch nicht! unterbrach Bonaventura. Die Liebe ist ja mächtig in Ihnen! Auch Liebe zu Ihrer andern Mutter, zur Kirche, haben Sie noch! Sie ringt nur mit der Gott ja gleichfalls wohlgefälligen Liebe zu Ihrem Gatten. So ist ja ein Ausgang da aus diesem Labyrinth, der Sie vorläufig vor Conflicten mit der Seelsorge bewahrt! In den Ihnen nun verhängten künftigen Entbehrungen kann ich nur eine Gnade des Himmels erkennen. Wie glücklich werden Sie sein! Ganz nur Ihrem Gatten hingegeben! Seine Sorgen, seine Erfolge theilend! Ich will Sie in mein Gebet einschließen! …

Eine Weile dauerte es, bis Madame Delring weiter sprach … Sie hatte ihr Taschentuch an ihr Auge gedrückt … Mit gebrochener Stimme hauchte sie:

Und ist es denn wirklich wahr – Und auch Sie, Sie sagen es – mein Kind würde im Jenseits –

Sie vollendete ihre Rede nicht. Denn Bonaventura unterbrach sie:

Wir haben eben eine so schöne Einigung gehabt, eine[147] Einigung, auf die hin ich Ihnen freudig die Absolution für Ihre Zweifel ertheile und Sie auf Sonntag zum Tisch des Herrn lade. Warum kehren Sie zu dem alten Unmuth zurück? Die Kirche hat den Abfall so vieler Millionen Bekenner erleben müssen, sie hat ihn zu einer Zeit erlebt, wo in der That ihr Wesen mannichfach entstellt wurde. Muß sie nun nicht streng sein, die Ihrigen zusammenzuhalten? Darf sie gering denken von dem, was ihre Lehre über die Stufenfolge und die Ordnung des Heils aufgestellt hat? Eine Sprosse daraus weggezogen und das ganze Gebäude wankt. Zu unserer Kirche zu gehören ist nun einmal nach unserer Lehre eine Wohlthat. Denken Sie doch nur immer an das, was Sie selbst als Kind glücklich gemacht hat, als Sie die erste Annäherung an die Gemeinschaft mit der sichtbaren Vertretung Ihres Glaubens fühlten! Diese sanften Klänge an einem Palmensonntag, diese heiligen Schauer des Ostertages, diese Wonnen einer höheren Liebe zu jeder Stunde des hochheiligen Kirchenjahres – gönnen Sie sie, ich bitte, auch Ihrem Kinde, dessen Ankunft und weiteren Lebensgang Gott segnen möge!

Nun ertheilte Bonaventura den Segen. Die Beichtende erhob sich langsam … Ein Diener, der in einiger Entfernung gewartet hatte, sprang hinzu und half ihr beim Aufstehen. Sie ging bis an eines der großen Portale, wo sie ein Wagen aufnahm.

Zeit zur Besinnung blieb dem Priester wenig … Ob er mit sich – zufriedener war? …

Aber da half kein Blick nach innen … Schon wieder mußte er das entgegengesetzte Fenster öffnen …[148]

Ein großer Triumph des Beichtstuhls ist das Herantreten selbst des Höhergebildeten zum Ohr des Priesters. Größer aber noch möchte man den Triumph nennen, wenn sich ihm die männliche Jugend in jenem Alter naht, wo die Knabenvorurtheile abgestreift sind und sich sonst der keimende Stolz des Mannes schämt, sich noch an den Gängelbändern der ersten Erziehung zu zeigen. Ein junges Roß zerreißt alle Stränge, bricht alle Schranken – aber so halbwüchsige Jugendkraft im Beichtstuhl zu erblicken, selbst da sich demüthigend, selbst da sich unterwerfend, das ist eine Glorie der Kirche und des Familienlebens. Alle Abbildungen, die man von dem knieenden heiligen Aloysius von Gonzaga, einem frommen, offen gestanden, etwas blöde und geistlos blickenden Pagen am Hofe der bigotten Nachfolger Philipp's II. sieht, bezwecken es, die Liebenswürdigkeit einer ganz noch in Knabengewohnheit sich haltenden Kirchlichkeit auch dem reifsten Jünglingsalter einzuprägen.

Thiebold de Jonge hatte wirklich, wie er an jenem Morgen nach dem Frühkaffee Benno »auf Ehre« versichert hatte, neun Jahre lang nicht gebeichtet. Benno würde nichts dagegen gehabt haben, wenn von diesem »auf Ehre« die jährliche Osterbeichte ausgenommen gewesen wäre; denn diese war, wie damals auch Pastor Engeltraut in Drusenheim gesagt hatte, eine ganz conventionelle »Sündenabwaschung«, der man nicht entrathen kann und die sich bei jedem, der keine bürgerlichen Unannehmlichkeiten erfahren will, innerhalb der katholischen Kirche von selbst versteht. Aber Thiebold de Jonge war wirklich in neun Jahren ein completter Heide gewesen.[149] Immer traf es sich, daß er zu Ostern irgendwo auf Reisen war; eine mahnende Mutter lebte nicht mehr; sein Vater war »ohne Vorurtheile« und als »König der Holzhöfe«, wie er hieß, in einer Vorstadt wohnend, mit der Gesellschaft wenig in Berührung, ausgenommen bei den Provinziallandtagen. Die Gelegenheiten, wo junge Leute Beicht- und Communionzettel brauchen, kamen bei Thiebold nicht vor. Weder brauchte er Stipendien zum Nachholen seiner etwas vernachlässigten Studien, noch ließ er taufen. »Ei, wart' du nur, Kerl«, sagte öfters sein Vater zu ihm, wenn er die Verwilderung bemerkte, »bis du nur endlich heirathen wirst, dann hört wol die Freigeisterei auf! Aber!« setzte er hinzu, »du wirst wol auch so ein Hans Matz werden, wie –« nun nannte er einige reiche ältere Herren aus der christlichen Handelssphäre, die, wie der »Ober-Chochem« Moritz Fuld, vorzogen, Garçons zu bleiben. Vor vier Monaten erst, als Thiebold so melancholisch und so verspätet von der drusenheimer Partie zurückkam und einige Tage lang seine besten Leibgerichte stehen ließ, setzte der Vater hinzu: »Die Hanne Kattendyk hast du dir nun auch entgehen lassen! Macht sich so ein hungeriger Professor dran! Nannette Schmitz ist freilich noch zu jung! Aber Josephine Moppes, Lisette Maus, Mamsell Effingh und der kleine Schwarzkopf, der mir schon gefallen könnte, Betty Timpe – sage mir nur, Kerl, warum schleppst du dich mit den Brüdern dieser Mamsells, diesen liederlichen Tagedieben, wenn du nicht reelle Absichten dabei hast!« Von einem adeligen Freifräulein und einer jetzigen Stiftsdame war keine Rede, weil der Sohn dem Vater[150] »mit dergleichen« schön angekommen wäre, obschon Thiebold auch hier auf die Länge keine Schwierigkeit gefunden hätte und überhaupt mit seinem Vater auf mehr als dem Du-Comment kindlicher Vertraulichkeit stand. Der alte de Jonge ließ sich von dem jungen de Jonge behandeln, als wenn die Rollen umgekehrt wären, er der Sohn und Thiebold der Alte. Thiebold erzog »seinen Alten« und der Alte hatte sogar Furcht vor dem Jungen und bemühte sich ängstlich, ihm zu Dank zu leben. Es war ein Verhältniß wie in der verkehrten Welt, was jedoch nicht ausschloß, daß Thiebold mit dem tiefsten Schmerz ausrufen konnte: »Wenn mir 'mal bei Gelegenheit der alte Mann sterben sollte, wüßt' ich auf Ehre nicht, wie das fertig bringen!«

Obgleich Thiebold seit vier Monaten sich weder in seiner Toilette vernachlässigte, noch irgendwie auffallend in seiner Ernährung zurückging, drückte ihn doch offenbar Melancholie. Seine Paletots gaben wol die Wintermode an, er hatte die Krägen und Aufschläge von schwarzem Sammet eingeführt, die seinem frischen, gesunden Antlitz und dem gescheitelten kräftig blonden Haar das schönste Relief gaben; aber selbst die Bewunderung, die noch vorgestern Abend auf der Apostelstraße sein Pelzrock mit Schnüren, gefüttert mit Marderfell aus dem nördlichen Canada – einem eigenen Importartikel – hervorgebracht hatte (selbst bei Pitern, der so kindlich glückselig sich erging, daß er die heute stattgehabte »Mordscene« mit Delring schwerlich schon embryonisch in seiner »fürchterlich reizbaren« Seele trug), selbst diese Bewunderung hinderte nicht, daß ein schon seit lange[151] gehegter elegischer Plan kurz vor seiner Reise nach Witoborn zur Ausführung kam. In seinem Innersten hatte er sich auf etwas ertappt, was ihn drückte. Es war etwas, das er am wenigsten seinem angebeteten Freunde Benno von Asselyn und gerade darum dem Domherrn gestehen wollte. Vorgestern, beim Nachhausegehen von der Austernpartie, als er zwischen ein und zwei Uhr unter den nächtlichen Sternen nicht enden konnte, von Armgart's Mutter zu schwärmen und jedesmal Benno, wenn dieser dann auch mit Ekstase anfangen wollte, mit Allotrien in die Rede fiel, hätte er beinahe alle Schleier von seinem Innern wegfallen lassen. Asselyn! – rief er; aber da war dieser wieder durch irgendeine ironische Seitenbemerkung »unverbesserlicher ausgebrannter Krater« und so blieb eine »unwiderstehliche Erleichterung seines Busens« in ihm stecken. Heute in der Frühe zog er seinen canadischen Pelz an, las, um seine Katechismuszeit aufzufrischen, in einem alten Beichtspiegel, den er aus der Bibliothek seiner Mutter als Reisegepäck nach dem frommen Witoborn mitnehmen wollte, und beschloß, dem Domherrn eine gründliche Schilderung gewisser Schlechtigkeiten zu geben mit der Bitte, das Nähere davon Benno mitzutheilen, damit ihn dieser nicht verkenne, denn – »Eines muß der Mensch haben«, sagte er sich, »woran er sich vom Thiere unterscheidet, welches nicht mit Vernunft begabt ist«; ja er setzte hinzu: »Unter gewissen Umständen ist das Sakrament der Buße eine merkwürdige Geschichte!« … Zu den besondern Segnungen des Beichtstuhls gehören nämlich die sogenannten »Restitutionen«. Der Beichthörende[152] übernimmt dann die Ausgleichung einer eingestandenen Schuld, ohne daß der davon Betroffene die Ahnung hat, von wannen ihm diese geheimnißvolle Rechtfertigung oder unerwartete Schadloshaltung gekommen ist …

Für die sogleich zugestandene neunjährige Unterlassung des Beichtens erhielt Thiebold Vorwürfe, die er »vollkommen in der Ordnung« fand. Ja fast hätte er ohnehin zur schnellern Orientirung des hochverehrten Priesters über die »betreffende Persönlichkeit«, die hier in dem schönen canadischen Pelzrock und mit dem schönsten frisirten Scheitel vor ihm lag, die Ergänzung gegeben: »Schauderhaft, selbst für jene wunderbare Rettung am Sturz des St.-Moritz fand ich keine Veranlassung, irgendjemand anderes zu danken, als dem Obersten von Hülleshoven und einem Ihnen vielleicht persönlich nicht ganz unbekannten Ehrenmann Namens Hedemann« … Trotz dieser zurückgehaltenen Indiscretionen mußte Bonaventura nach einigen weitern Wechselreden den Freund Benno's sogleich erkennen. Nicht wenig war er überrascht, als dieser von sich eingestand, daß auch er eine Dame liebte, die er nur »leise angedeutet« zu haben glaubte durch offene Nennung ihres Namens Armgart von Hülleshoven.

Ich liebe ein Mädchen, bekannte Thiebold, von dem ich vor einigen Monaten erfuhr, daß es auch das »Ideal« eines Freundes von mir ist, für den ich »sonst mein Leben lasse«! Durch eine besondere »Verkettung von Umständen« hatten wir zusammen eine nächtliche Reise zu »bestehen«, wir drei, die Dame, mein Freund und ich. Die Gegend war reizend, einsam und »wunderschön«! Die[153] Nacht mondhell, die Sterne – nein, es war »wirklich« prachtvoll und – und – »niemand« schlief, »die junge Dame ausgenommen«, die, von Anstrengungen »übermannt«, »der Natur ihren Tribut zollte«! Mein Freund und ich, wir »zwei«, »verständigten uns durch gegenseitiges Schweigen«. Merkwürdig aber! Je mehr »der Morgen graute«, desto »finsterer wurde es«! Der Mond »verschwand« … Die Berge, die Tannen – reizend; aber um vier Uhr Morgens »stichdunkel«! Unsere Begleiterin erwachte! Sie seufzte und erzählte ihre Träume, die wir »um das feierliche Schweigen zu brechen«, ihr auszulegen versuchten! »Aber« an den einzelnen Stationen mußten wir aussteigen, um mit den Posthaltern und Postillonen abzurechnen, denn mein Kutscher war mit meinen Pferden schon auf der ersten Station zurückgeblieben. Rücksichtsvoll und feierlich, wie wir »gestimmt« waren, ließ einer den andern zuerst wieder einsteigen, und zerstreut, wie wir gleichfalls gewesen zu sein »nicht leugnen können«, verwechselten wir unsere Plätze. Da – da fühlt' ich auf einer der letzten Stationen vor Erreichung der »regulären Schnellpost« im Dunkel eines Hohlweges eine zarte Hand in der meinigen … Die »Handschuhe« meines Freundes waren es nicht, obgleich es mir schien, als hätte er längst auf dem Herzen, mir mit Gefühl zu sagen: Freund, beruhigen Sie sich! Sie sehen wohl, ich bin der Bevorzugte! Aber nein! Die Handschuhe waren die der jungen Dame. Ein Druck war es, »als wollte sie sagen«: O Geliebter, wie dank' ich Ihnen von Herzen! Sie haben mich zeitlebens zu Ihrer Schuldnerin gemacht! Bleiben Sie mir gut mein ganzes Leben lang! … Herr Gott, ich[154] zitterte! Ich wußte, daß das gar nicht mein Platz hier war und sie mich für meinen Freund hielt! Ich erwiderte den Händedruck und das mit Beben und mit einer »gewissen Schüchternheit«, woraus sie noch um so mehr die »Berechtigung entnahm«, glauben zu dürfen, daß der von ihr Beglückte mein Freund und nicht ich war. Die Dame legte sich wieder in ihre Ecke »und entschlief aufs neue«. Aber das Gewissen brannte mir. Herr des Himmels, der Wagen hielt, und nun mußt' ich aussteigen, und der Freund, der »ein wenig geschlummert hatte« und die Worte des lieblichen Engels »überhörte«, folgt – und nun diese »beklagenswerthe Verschmitztheit meinerseits«! Ich schlug ja vor, die Plätze wieder zu wechseln! Und dies geschah und der Morgen graute immermehr und der Postillon blies und das junge Mädchen erwachte »aufs neue«. Gott, sie lächelte! Sie lächelte in aller Unschuld. Sie lächelte meinen Freund an, der ihr nun wirklich gegenübersaß! Aber »natürlicherweise«! Nicht im mindesten machte dieser Miene, sich an eine Zärtlichkeit zu erinnern, »die er nicht genossen hatte«. Um meine Verlegenheit zu vermehren, gab die dankbare Freundin unserer Herzen nun auch mir die Hand, als wollte sie sagen: Ganz zu kurz kommen sollen auch Sie nicht, lieber Herr de Jonge! Und dies offenbar viel kältere Benehmen sah mein Freund nicht ohne Befremden. Schwerlich schrieb er's auf »Rechnung meines Wagens«, den er zwar zu loben anfing; aber ich gestehe, daß ich schon damals beschämt war, nicht im mindesten »honnet genug« gewesen zu sein und gesagt zu haben: Erlauben Sie, mein Fräulein; vorhin – das bin ich auch gewesen![155] Kurz, mein armer Freund blieb ohne alle Aufklärung! Ich, ich sonst ein Mensch von »Reellität«, habe aus »Liebesglut« meinen Betrug verschwiegen bis zum heutigen Tage und »ich muß gestehen«, diese Lüge »entstellt meinen ganzen Charakter«. Denn nicht nur nicht – wie gesagt – sie einzugestehen war alle Tage Zeit – sondern auch – meine Schlechtigkeiten in diesem »Punkte« nahmen noch zu …

Bonaventura hatte schon oft Gelegenheit gehabt, sich zu überzeugen, daß Benno nicht Unrecht hatte, seinen Freund Thiebold de Jonge einen »närrischen Kerl« zu nennen. Diese so wunderlich stylisirten Gewissensscrupel überraschten ihn daher nicht im mindesten …

Ich kann sagen, ich habe eine so gründliche Abneigung gegen mich selbst gefaßt, fuhr Thiebold fort, daß ich jede Nacht um einige Stunden meines Schlafes »verkürzt« werde. Auch werde ich keine Ruhe finden, ehe es nicht wieder »Tag in meinem Innern« wird! Eines muß der Mensch haben, was seine Religion ist und die Ehrlichkeit, glaub' ich, »spielt dabei keine unansehnliche Rolle«.

Welche andere »Schlechtigkeiten« sind es denn sonst noch, die Sie vorhin erwähnten? fragte Bonaventura …

Die bodenloseste Verstellung! sagte Thiebold und trocknete sich den Angstschweiß von der Stirn. Ich schmeichle nämlich meinem Freunde mit der »stereotypen Versicherung«, daß die »Palme des Sieges« nur er allein davontragen könne. Regelmäßig aber habe ich davon das absolute Gegentheil im Herzen! Ich sage ihm: Asselyn – bitte um Entschuldigung! (Für die unerlaubte Angabe eines Namens –) Ich sage: Freund, Sie sind der Glücklichste[156] der Sterblichen! Im Gegentheil aber erwäg' ich meine bessern Umstände, sogar meinen »scheinbaren Adel« und ähnliche »Chancen«. Diese »vorhabende« Reise morgen nach Witoborn ist z.B. eine solche schlechte Erfindung meiner Doppelzüngigkeit! Nicht im entferntesten liegt für mich ein Interesse vor, Wälder zu kaufen, die an keinem »schiffbaren Wasser« liegen. Nichtsdestoweniger hab' ich dies schlechte Geschäft als eine außerordentliche »Conjunctur« hingestellt, ja dem Freunde sogar »schmählicherweise« mein Bedauern ausgedrückt, daß ich ihm durch meine Anwesenheit in Witoborn ein »lästiger Zeuge« sein würde. Wie gesagt, ich fange an stündlich über mich selbst zu stolpern und mich dem schaudervollsten Trübsinn zu ergeben aus Desperation über mich selbst! Hochwürdiger Vater! Ich möchte auf die ehrliche Straße zurück! Es würde mir dies »stellenweise« erleichtert werden, wenn Sie, hochwürdiger Vater, die Güte haben wollten, meinen Freund zu versichern, Sie wüßten aus »authentischer Quelle«, daß er geliebt wird. Ich würde dann mit einer gewissen Erleichterung neben ihm meinen Platz im Postwagen einnehmen; denn wir wollen diesmal mit der gewöhnlichen Diligence fahren …

Mit diesem schwungvollen Schluß endete Thiebold's gründlich einstudirte Beredsamkeit …

Jeder andere, der dieser Flüstersprache zugehört haben würde, hätte sicher seinem Ohr nicht getraut. Aber ein katholischer Priester hört dergleichen Herzensergießungen täglich. Die Neigung, die man bei Schulkindern das »Anbringen« nennt, wird durch den Beichtstuhl in Bezug wenigstens des »Anbringens über sich selbst« sogar geschult[157] und erzogen. Und will man ein guter Erzieher sein, muß man zugestehen, daß in dem Anbringen selbst über andere in der Schule ein Keim liegt, der etwas Gutes enthält. Es kann ein Wahrheits- und Gerechtigkeitstrieb sein, der nichts Unrechtes sehen oder leiden kann. Ein Kind, dem man das Anbringen unter allen Umständen verleiden wollte, könnte leicht in Gefahr gerathen, am Guten irre zu werden; denn immer wird es denken: Ei, das Böse ist doch dafür da, daß es entlarvt und bestraft werde; wie hindert man mich denn, das Gute herzurichten? Und der Beichtstuhl hört deshalb mit Geduld alles, was in ihm angebracht wird. Auch behülflich ist er, die Entdeckungen zu fördern und das Gute so wieder einzurichten und einzufugen, daß die, die es verletzten, nicht zu sehr dabei bloßgestellt werden. Er legt Strafe und Züchtigung vorzugsweise für die innere Gesinnung auf, übernimmt dann aber fürs Praktische gern, wie wol ein liebender Vater auch thut, das von seinem Kind gestohlene Gut wieder an den rechten Platz zu legen, ohne daß der Thäter auf ewig zu Schaden kommt. Der Beichtstuhl möchte gern auf diese Art die Harmonie des Lebens ergänzen. Und da die Sünden, in allgemeiner Formel ausgedrückt, oft nur Redensarten sind, so muß er zu dem Ende ausführlich die Facta hören, muß wissen, welche Rubrik in der Moral verletzt wurde und welche Arznei zu wählen ist, ob eine heroische, erschütternde, ein Taraxakum, oder eine sanfte und lind auflösende …

Thiebold, der sich in dem Augenblick vorkommen mochte, wie der heilige Aloysius, Thiebold, der als »Aufgeklärter« nur festhielt an dem, was »an seiner Kirche wirklich gut«[158] ist – »aufgeklärt« und »protestantisch« lagen für ihn und vielleicht auch für Benno weit, weit auseinander –, traf heute nicht den alten guten Herrn, bei dem er angeleitet worden war richtig Beicht zu sprechen. Der Pfarrer von Sancta-Maria an den Holzhöfen pflegte in solchen Fällen immer zu sagen: »Geh du man, min lütje Jong (es war ein Friese, wie die Asselyns), dat schall ik wol maken!« Der gute alte Herr arrangirte, was Thiebold von eingeworfenen Fenstern, Näschereien, sogar schon Schulden (bei vierzehn Jahren!) ihm eingestanden hatte. Hier aber mußte Thiebold erleben, daß seine noble Gesinnung und die »authentische Quelle« und sein »die Güte haben wollten« – nicht den mindesten Anklang fanden …

Bonaventura verurtheilte ihn zwar nur zu einigen Aves und einigen Spenden, sprach ihm aber das Absolvo erst nach folgenden strengen Worten:

Und können Sie mir wirklich zumuthen, daß Ich nun auch noch an dem Gewebe Ihrer Unwahrheiten mit fortspinne? Wollen Sie Ihren Betrug gut machen, den Sie in dem Wagen bei jener nächtlichen Fahrt gespielt haben, so glaub' ich, daß Sie ihn selbst bekennen müssen. Erleichtern will ich Ihnen diese Beschämung allerdings dadurch, daß ich der Meinung bin, Ihr Geständniß ist zunächst da anzubringen, wo der Betrug stattfand. Zuerst müssen Sie der jungen Dame, die Sie nun ja wiedersehen werden, bekennen, daß Sie es waren, der den Händedruck empfing. Die Täuschung, die Sie begingen, ist freilich eine doppelte. Lassen Sie aber erst das Geständniß vorangehen, das Sie der Dame selbst zu machen[159] haben, und sagen Sie dann mir, da ich gleichfalls in der gemeinten Gegend sein werde, was sie Ihnen erwiderte; vielleicht wünscht sie den Vorfall jetzt lieber ganz verschwiegen. Soll ihn aber später Ihr Freund erfahren – und ein wirklich dann Ihretwegen besorglicher Fall das – so will ich Ihrem guten Willen, Ihrer Neigung, Ihr Gewissen zu entlasten, vor dem Freunde ein Zeugniß geben, das Ihre Hinterlist nicht zu sehr compromittirt oder wol gar eine Aufkündigung der Freundschaft zur Folge hat, wenn nicht Schlimmeres, was ich nicht wünschen möchte; denn Ihre Freundschaft ist dem Freunde schon ein Besitz, den er hat; die Liebe jenes Mädchens aber bisjetzt etwas noch Zweifelhaftes. Ich möchte nicht, daß er um Freundschaft und Liebe zugleich kommt …

Thiebold erhob sich wie angedonnert … Die Verwickelung wurde immer größer … Die ganze Freundschaft mit Benno stand auf dem Spiel … Und – ein Geständniß seiner offenbaren Heimtücke an Armgart selbst! .. Er sah die vollkommenste Niederlage, die ihm Bonaventura im Stifte Heiligenkreuz bereitete … Die Vorwürfe Armgart's hörte er, hörte die offenkundigste Demüthigung in dem kühlsten: »Sie waren das?« das je auf Erden gesprochen wurde – Er wankte nur so hinaus und litt mehr, als sich schildern läßt. Denn seine Bewunderung vor Benno's Vetter war nicht blos hoch, sondern »höchst«. Er mußte sich gestehen, unter solchen Gefahren und Verwickelungen hätte er sich die Reise nach Witoborn anzutreten nicht für möglich gedacht.

Ruhe, Erwägung, Sammlung waren Bonaventura[160] nicht vergönnt … Wie gern hätte er sich jetzt träumerisch verloren in Benno's Liebe, in Armgart's Gegenliebe, die er durch seine Thiebold gegebene Vorschrift prüfen, zu vollerem Bewußtsein erheben, zum reichern Schatz für seinen Freund ansammeln wollte. Er dachte: Vielleicht kannst du eine dem dunkeln Lebensschicksal deines Freundes plötzlich aufgebende rosige Beleuchtung in Witoborn ihm selbst ankündigen! … Aber schon redete eine andere Stimme …

Es war eine heisere. Aber eine weibliche, soweit ein sonderbares Näseln und stoßweises Schluchzen sie unterscheiden ließen – ein Taschentuch mußte schon an allen Enden gewechselt worden sein, so feucht war es von dem Jammer der Zerknirschung. Eine Nase wurde dem Hörer sichtbar, geschwungen wie der Schnabel eines Geiers. Drüberher ein orangegelber, ganz neuer Atlashut, mit schwarzem Sammet besetzt und mit Spitzengarnitur. Es war dem Hute und dem Taschentuche und dem Weinen zufolge eine Dame. Alles Uebrige konnte einem Manne angehören.

So gewandt wie diese Bonaventura bereits hinlänglich bekannte Seele wußte selten eins die vorgeschriebenen Anreden und Formeln auswendig. Die Frau war erst vor vierzehn Tagen dagewesen, aber schon wieder war sie der Sünden so voll, daß der Beichtvater in sein Examen keine andere Ordnung bringen konnte, als systematisch nach sämmtlichen zehn Geboten. Eine Sünderin war es ganz nach dem Schema eines Beichtspiegels. Bei jedem Paragraphen der Moral hatte sie ihrem Innern gleichsam ein »Eselsohr« gemacht. Schon neulich hatte[161] sie unnützerweise dreizehnmal Gott, siebenmal die Heiligen, siebzehnmal die Nothhelfer angerufen. Die Terminologie des Beichtstuhls und der Curialstyl der Gnadenzustände war ihr so geläufig, daß man hätte sagen mögen, sie sündigte auf Stempelpapier. Auch einem Diebe konnte man sie vergleichen, der seine Einbrüche schon nach demjenigen Strafmaß qualificirt, das gerade ausreicht, ihm nach zwei Jahren wieder die Freiheit zu verschaffen.

Dies war eine Frau, die im Entzug des allerheiligsten Sakramentes des Altars lebte. Sie behielt nur noch den Beichtstuhl offen zur Erweckung eines besseren Gnadenzustandes. Der junge Domherr war durch vorher nothwendig gewesene officielle Mittheilung der Sachlage über eine Frau orientirt worden, die sich alle vierzehn Tage vor ihm geberdete, als wäre ihr durch Vorenthaltung des heiligen Brotes die notwendigste physische Speisung entzogen.

Mit solchem Seelenjammer, dem da nun auch ein Priester, ein Mann, der außerhalb der Ehe leben und dem holden Reiz der Frauen nicht auf sich wirken lassen darf, sein Ohr leihen muß, hätte Bonaventura lieber, wie die Casuisten in diesem verfänglichen Kapitel, lateinisch gesprochen! Aber schon war er auch von St.-Wolfgang her gewöhnt, daß sich die Gewissen nach dieser Seite hin mit besonderer Vorliebe erleichterten. Sein Vorgänger, Cajetan Rother, hatte den Drang seiner Beichtkinder, Sünden des Fleisches einzugestehen, durch jene geistige Entbindungskunst, die Sokrates in philosophischen Fragen erfunden, sogar noch zu beleben gewußt.[162] Kein Kind hatte er aus dem Beichtstuhl gehen lassen, das er nicht auf sein Geheimstes ausgefragt hätte. Bonaventura schauderte anfangs vor den Mittheilungen, die man ihm machte, und bald ließ er vieles, was sich auszuplaudern schon gewohnt war, gar nicht mehr zu Worte kommen. Aber diese Materie blieb darum doch ein Lieblingsthema der reuigen, durch Geständniß halb sich schon entschuldigt glaubenden Mittheilung. Bekenntnisse dann freilich, wie die von dieser Frau heute schon zum sechsten oder siebenten mal vernommenen, waren ihm noch neu. Diese konnten nur in einer großen Stadt vorkommen. Sie kamen so geläufig, so formenfest, als wollte nur ein Gewerbtreibender wie die bürgerliche, so hier die himmlische Steuer entrichten, die ihm für sein Fach die Berechtigung gab, es wie begonnen so fortzusetzen.

Welche Strafen sollte nun Bonaventura einer Frau verhängen, die als eine Gelegenheitsmacherin in Untersuchung gerathen war, außer dem Stande der Gnade lebte und keineswegs als gebessert betrachtet werden konnte? Einer Frau in glänzendem Staat, Besitzerin einiger Häuser, einer Frau, die in dem Rufe stand, bei sich Gesellschaften zu dulden, wo schon manches junge Mädchen um Ehre und Ruf gekommen? Die Polizei und die Kirche kannten Madame Schummel … Bonaventura erhielt sie gleichsam als eine geistliche Observatin von seinen Vorgängern überliefert, als eine Frau, die in einer Art Kirchenbann lebte. Schon beim ersten Besuche, den sie ihm im Beichtstuhl machen mußte, sprach er zu ihr die Worte des Propheten: »Ich will Haufen Leute über dich bringen, die dich steinigen und mit ihren[163] Schwertern zerhauen und deine Häuser mit Feuer verbrennen und dir dein Recht thun vor den Augen der Weiber!« Aber diese markdurchschneidenden Worte kamen der Madame Schummel, die wie ein Büßer mit der Geißel nicht stark genug zugehauen bekommen konnte, gerade recht. Da sie ihn fortwährend belästigte, nahm sich Bonaventura vor, bei ihren Allgemeinheiten nicht zu verharren, ihr Reden zu unterbrechen und zu versuchen, ob es nicht auch in dem Leben solcher Bekennenden »Restitutionen« geben könnte …

Welches ist die letzte Seele, die Sie auf dem Gewissen haben? fragte er sie heute geradezu.

Du mein Gott! .. war die auf den Tod erschrockene Antwort …

An wessen Seele haben Sie sich zuletzt vergriffen? Gestern? Heute schon? Sprechen Sie!

O du mein Gott! ..

Ich frage!

Bonaventura's Auge erhob sich so drohend, wie wenn er den vollständigen Kirchenbann über sie verhängen wollte …

Frau Schummel verstand die Drohung und fing an zu zittern und sprach:

Jesus Maria Joseph! Zwei junge Herren haben eine Wette gemacht, – daß ein gewisses junges Mädchen, nicht – nicht – so – nicht so unschuldig sei, wie sie aussähe …

Und Sie? unterbrach der Priester das Geständniß einer Frau, die nun hier auch knieen durfte an der Stätte, wo eben Unschuld und Sittlichkeit gesprochen! ..[164]

Ich – ich kann sagen, daß ich sie – ich meine das Mädchen – begleitet habe auf Tritt und Schritt und sie eingeladen, mich zu besuchen – und gewiß – gewiß auch würde sie gekommen sein, wenn nicht ein – ein geistlicher Herr, den ich gut kenne – es bemerkt und ihr – die Bekanntschaft mit mir verboten hätte …

Ein – geistlicher Herr? »Den ich gut kenne!«

Bonaventura erbebte … Er sah die Würmer in der Hostie wieder … Doch bekämpfte er sich und gedachte des römischen Katechismus, der Theil II, 5. 9. 51. befiehlt, der Priester soll darauf achten, daß die Sünder im Beichtstuhl so behandelt werden, daß sie immer Lust bezeigen, wiederzukommen.

So denn zwang er sich zur Selbstbeherrschung …

Ach, weinte Madame Schummel, meine vornehmen Freunde verderben mich! Da kommen sie und schmeicheln mir und bieten Geschenke! Tausend Thaler kann ich haben, wenn ich –

Dies unglückliche Mädchen zu Falle bringe –?

Nein, ihre Freundin! Die – die mit ihr in einem Hause wohnt …

In einem Hause? … Bonaventura wußte kaum, was ihn plötzlich an Treudchen Ley und Lucinden zu denken zwang – er wußte kaum, was ihm plötzlich die Besinnung raubte, zwang seine Fragen zu unterbrechen, seinen Entschluß zu helfen lähmte …

Ich Aermste, ich soll alles möglich machen! schluchzte Madame Schummel. Ich unglückliche Frau ich –

Sie werden alles versuchen, die Preise zu gewinnen,[165] die sittenlose Männer auf diese Verführungen stellen! sagte Bonaventura …

Nein, da sei Gott für, hochwürdiger Vater! Die Eine, die Kleine, ei, ich höre ja, die ist fürs Kloster bestimmt …

Treudchen! .. Bonaventura wußte, wie Treudchen von den Klosterfrauen gefesselt wurde, wußte, wie Treudchen ebenso die Schwester Beate fürchtete, wie sie die Schwester Therese liebte. Treudchen hatte ihm alles das bei einem Besuch im Kapitelhause, bei ihrer, Renaten angebotenen Hülfe zu seiner neuen Einrichtung selbst erzählt …

Mit hochklopfendem Herzen fragte er:

Und die andere –?

Maria, Königin der Jungfrauen, lass' mich siegen bei allen Angriffen der Feinde meines Heiles! Mein heiliger Schutzengel, bitte für mich und erlange mir einen großen Abscheu gegen alle Fleischeslüste. Und du, Gott der unendlichen Barmherzigkeit –

Schweigen Sie! unterbrach Bonaventura die auswendig gelernte und statt der Antwort auf die scheinbar überhörte Frage vorgetragene Litanei eines Gebetbuches. Unterlassen Sie jeden Versuch zu diesen fluchwürdigen Freveln und beten Sie die eben von Ihnen begonnenen Worte drüben an den Stufen der heiligen Afra-Kapelle! … Er mußte sich sagen – sein Amt schrieb es ihm vor – der Glaube erleuchtete auch die heilige Afra, die ursprünglich ganz auf den Wegen dieser Frau wandelte, erleuchtete eine Margaretha von Catona, auf welche bis in ihr einunddreißigstes Jahr gleichfalls jene[166] Worte des Propheten paßten, die er zum ersten Gruß zur Frau Schummel gesprochen, und die dennoch eine Büßerin wurde und nicht nur in ihrem Grabe mit unverwestem Leichnam liegt, sondern sogar im Gegentheil, worüber sie heilig gesprochen worden ist, einen eigenthümlich »angenehmen Geruch verbreitet« … Und über Lucindens Lebensgänge zu forschen, verließ ihn alle Kraft. Auch war Frau Schummel schon verschwunden – ohne Absolution, wie gewöhnlich. Auf das Wort: »Heilige Afra«, das Bonaventura mit einer segnenden Handbewegung gesprochen, hatte sie selbst im Knieen geknixt und erhob sich. Sie hoffte, mit der Zeit ihr erworbenes Vermögen in ungestörter Ruhe und endlicher Versöhnung mit den öffentlichen Thatsachen genießen zu können.

Leichtere Fälle kamen dann, die Bonaventura's erschüttertem Gemüthe Erholung gestatteten … Er übereilte nichts … er ließ jedem Zeit, sich auszusprechen … Einigen, die zu redselig wurden, sagte er mit Sanftmuth, daß die bewilligte Zeit bald vorüber wäre, sie möchten ein nächstes mal kommen und dafür sorgen, daß sie vom Meßner den Vortritt erhielten.

Soll es denn so sein? rief es wie ein Weheschrei in ihm auf, als dann endlich drei Stunden vorüber waren. Darf es eine Institution geben, die uns der Sünde gegenüber nur zu Hörenden macht, nur zu Belauschern dieses bunten, entsetzlichen Lebens? Soll das Bedrängte nicht sofort Entsatz erhalten von jedem, der davon nur die leiseste Kunde vernimmt? Soll eine in Erfahrung gebrachte Wahrheit nicht sofort laut verkündigt,[167] ein Verbrechen durch uns zur Bestrafung gebracht werden? …

Wie viel Hülfeschreie verhallten nun schon so in seiner Brust! …

Wozu das alles! seufzte er … Wozu? Wozu?

Ein feierliches Hochamt in einem entlegneren Theile des großen Baues hatte begonnen … Niemand kam mehr, um an sein Ohr zu gelangen … Aber noch saß er, als blutete er aus tausend Wunden … Ein Erzittern, ein fieberhaftes Frösteln fühlte er bis tief in sein Allinnerstes …

Im Begriff sich jetzt zu erheben, faltete er sein Tuch zusammen. Schon hatte er den Drücker der Thür in der Hand, um sein enges Gefängniß zu verlassen, schon sah er im Geist gewohntermaßen den Meßner vor sich, der voll Ehrfurcht und mit einem nie so reich gewesenen Ertrag von »Beichtpfennigen«, wie sich jetzt ein solcher seit der Erhebung dieses gefeierten Priesters zum Domherrn ergab, ihn empfing und zur Sakristei geleitete …

Als er mit einem Fuße schon aus dem Beichtstuhl war, bemerkte er, daß der Meßner einen Zuspätgekommenen, der an der linken Seite des Stuhles knieete, entfernen wollte …

Es war ein Mann aus dem untersten Volke, mit einer Blouse über dem Rock. Ein Filzhut bedeckte das nicht sichtbare Antlitz … nur ein krauses, struppiges, röthlich blondes Haar sah er. Der Betende schien sich nicht wollen stören zu lassen …

Bonaventura winkte dem Meßner und trat in den Stuhl zurück …[168]

Mächtig schollen die Klänge des Hochamts, heute sogar, wie oft, begleitet von einer Instrumentalmusik. Sie wogten durch das hohe Gewölbe und dennoch blieb in diesem entlegenen, dunkeln Winkel die geflüsterte Zwiesprache innerhalb des Stuhles deutlich vernehmbar.

Eine heisere, fremdartig betonende Stimme war es, die mit ihm sprach …

Bald erkannte er, daß sich ihm ein ruheloses Gemüth offenbaren wollte …

Er erkannte, daß er mit einem Verbrecher sprach …

Eine Zeit lang hörte er ruhig zu. Der Ton schien von einer nicht gänzlich verwahrlosten Seele zu kommen, aber auch von einem Gemüthe höchster Beschränkung … Der Mann sprach von einer unterirdischen Erscheinung, von einem Marienbilde unter der Erde, das ihm oftmals zurufe: Thue Buße! … Es hätte ihm schon einmal die Warnung vor einem Manne gegeben, der dann auch richtig neulich hätte den Kopf hergeben müssen …

Hammaker? sprach Bonaventura zu sich …

Der Mann erzählte, er wäre unter Verbrechern aufgewachsen, hätte bitter gebüßt, lange Jahre in Frankreich in Kerker und Banden gelebt, sich im Vaterland »etabliren« wollen – immer war das Deutsche von französischen Worten unterbrochen – aber neue Verführung wäre gekommen, selbst das Heiligste hätte ihn nicht zurückgeschreckt – er hätte ein Grab erbrochen …

Bonaventura bebte auf …

Nun erscheine ihm auch, sagte die Stimme, der Todte, den er auf die nackte Erde geworfen, und fordere von ihm zurück, was er ihm genommen, und doch[169] wäre es nichts gewesen, qu'une bagatelle – Schriften, die er nicht lesen könne …

Bonaventura hörte schon nicht mehr … Die Sinne vergingen ihm … Bei der ersten Ahnung, mit einem Verbrecher zu sprechen, hatte er sein Antlitz ganz verhüllt, hatte die ganze, volle Vorschrift der Regel des Beichthörens auf sich wirken lassen und sich so verborgen, daß der Geständige in seinem Muthe nicht wankend werden sollte … Nun diese neue Entdeckung! War das Bickert, der Knecht aus dem Weißen Roß? Der Leichenstörer, den die Häscher seit Monaten suchten? Bickert, der mehr gefunden im Sarge des alten Mevissen, als Bonaventura dem Onkel Dechanten vorgelegt? Schriften, die an seinen Vater erinnern konnten –

Hinauszustürzen aus dem Beichtstuhl, den Verbrecher festzuhalten, Hülfe zu rufen – das war sofort sein Gedanke – aber – Innocenz und Hildebrand, wie schultet ihr euere Reisige! Ein katholischer Priester wird erzogen, in der Beichte von Ravaillac zu hören, daß er den König von Frankreich ermorden wolle. Er wird, ähnlich wie Pater Cotton, der Jesuit, gethan, auf diesen ihm vorgelegten Fall antworten: Ich werde den König warnen, werde stündlich um ihn sein, werde den Todesstoß statt seiner empfangen; aber dem Mörder kann ich nur seine Sünde vorhalten und ihm ins Gewissen reden – seine That gehört Gott – seine Person kenn' ich nicht …

Die Beichte zu sprechen, nennt die Kirche das schönste und größte Heldenthum des Menschen. Petrus weinte bittere Thränen, Magdalena wand sich zu den[170] Füßen des Heilands, Augustinus gestand in seinen Bekenntnissen die Verirrungen seiner Jugend … Aber nicht minder groß ist das Heldenthum des Beichthörens … Christus hörte noch die Beichte eines Mörders, der am Kreuze neben ihm hing, während sein eigenes Leben verschmachtete und der unbußfertige Schächer ihn lästerte …

Und dennoch, dennoch riß unsern Freund die kindliche Liebe hin …

Unglücklicher! rief er fast in die schmetternden Klänge des Hochamts hinaus. Was führt dich gerade zu mir? Wisse! Ich, ich bin der Pfarrer des Friedhofs gewesen, den du entweihtest in Sanct-Wolfgang!

Das rothblonde struppige Haupt erhob sich einen Augenblick und sank, zuckend unter einem grauen Hute sich verbergend, kraftlos nieder … Der Spätling hatte diese Fügung des Zufalls nicht erwartet …

Uebersende mir die Schriften, von denen du sprichst! Die Ruhe meines Lebens hängt von ihnen ab! … Ach, gewiß auch die Ruhe deines Lebens! Weißt du doch, selig sind die Todten, denn sie werden Gott schauen! Vor seinem allwissenden Antlitz wird der von dir in seinem Grabe Gestörte auch für deine Seele bitten! Ist deine Reue eine wahre, ist diese Anfechtung zur Rückkehr in alte Schuld die letzte gewesen, dann kniee nieder vor der allerseligsten Jungfrau, wenn sie dir wieder erscheint in den Höhlen, wo du vor dem Arme der Gerechtigkeit dich verbirgst, bekenne ihr deinen Trieb zur Besserung, und willst du die vollste Aussöhnung mit Gott auch nur einmal, einmal erproben, in dem Genuß seines heiligen Leibes, o, so will ich dir das allerheiligste Sakrament[171] des Altars nicht entziehen, will dir die Erweckung durch den Mitgenuß seines gekreuzigten Leibes nicht versagen – Oder hast du noch irgendeine andere Schuld auf deiner Seele –?

Der Verbrecher athmete schwer und erhob sein Haupt nicht wieder …

Es war Bonaventura, als hörte er ein Murmeln: Ich hatte –

Du hattest? O rede! Du hattest? –

Ein – ein Engagement –

Wozu? Zu einer ruchlosen andern That? Sprich! Vertraue mir!

Ein Feuer –

Solltest du anlegen? Ha! Eine Urkunde – eine falsche Urkunde in dem Tumulte irgendwo niederlegen! Wo? Wo? Sprich!

Es ist vorüber –

Schon geschehen? Ihr Heiligen!

Nein, Herr, nein! –

Aber es wird geschehen!

Nein, Herr, nein –

Wen soll ich warnen? Rede!

Der Verbrecher schwieg …

Rede!

Keine Antwort erfolgte … Der Verbrecher murmelte ein Gebet …

Nun denn, sagte Bonaventura nach einer Weile, so sei dir dies Vorhaben vergeben, wenn es unterbleibt und du es um Jesu willen bereust! Aber auch dies noch! Mein Name ist Bonaventura von Asselyn! Meine[172] Wohnung im Kapitelhause! Sende mir die Schriften, die dir nichts nützen können! Nie, nie will ich dich erkennen! Ich sah dich ja nicht, ich will dich nicht sehen, ich spreche dir Befreiung deiner Schuld und schließe das Gitter, daß du dich ungestört entfernen kannst! Beim Tisch des Herrn will ich dich, falls du dein Vorhaben unterlässest und mir die Schriften schickst, anlächeln wie dein Freund wenn ich dir das Brot des Lebens reiche! Absolvo te in nomine patris, filli et spiritus sancti! Amen!

Bonaventura machte das Zeichen des Kreuzes – zog das Fenster zu … und erhob sich …

Als er sich zitternd entfernte, war niemand mehr gegenwärtig, selbst der Meßner nicht …

Das Hochamt tönte fort …

Wie eine Geistererscheinung war, was er erlebt hatte … Er wankte dahin wie wesenlos … wie ein Hauch der Lüfte …

In dem ihn umrauschenden Gewühl des Lebens, unter den sich drängenden Menschen, die ihm auswichen, hinter dem Meßner, der ihn in einiger Entfernung erwartet hatte und sich ihm anschloß und Platz machte, daß er hindurchkonnte zur Sakristei, war sein Sein das, was nach einem griechischen Dichter wir alle sind, nicht ein Schatten nur, nur eines »Schattens Traum«.

Bei alledem sprach ihm, als er sich umkleidete, sein Gewissen: Hast du dich nicht von deinem persönlichen Interesse fortreißen lassen? Blieb nicht ein Vorhaben zu wenig eingestanden, das viel wichtiger ist, als jenes Blatt Papier? … Wickert war ein Bundesgenosse Hammaker's …[173] Eine Feuersbrunst stand vor seinen Augen und wollte nicht weichen …

Benno holte ihn ab, um ihn in seine Wohnung zu begleiten und von ihm Abschied zu nehmen …

Was mußte nicht alles sein Mund verschweigen!

Er wußte nicht, was ihn bestimmte, zu sagen:

Seid auf Schloß Westerhof nur wachsam! Tag und Nacht haltet doch Obhut! …

... Wie bangte er der Hoffnung entgegen, die Räthsel jenes Sarges von St.-Wolfgang gelöst zu sehen!

Quelle:
Karl Gutzkow: Der Zauberer von Rom. Roman in neun Büchern, Band 4, Leipzig 1859, S. 133-174.
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