An Minnas Geist

[220] Im leichten Tanz, mit Flügeln der Minute,

Entfloh mir jeder Tag,

Als Minna noch mit mir im Schatten ruhte,

Mit mir von Liebe sprach.


Es folgeten, in lauten Harfenchören,

Mir Engel durch den Hain,

Ich hörte die Musik der Himmelsphären,

Und sang ein Lied darein.


Und fühlte das Koncert der Abendhaine,

Wie ichs noch nie gefühlt,

Wenn Minna mich, am Ufer meiner Leine,

Sanft in den Armen hielt.


Sie starb: – Stets bleibt im Innern meiner Seele

Des Mädchens Bild zurück! –

Nun reizt mein Ohr kein Lied der Philomele,

Kein Blümchen meinen Blick.


Nun irr' ich durch verschränkte Tannenhaine,

Sink' auf verdorrtes Moos,

Und klage stets den Himmel an, und weine

Mein Leid in meinen Schoos.


Stets seh ich noch die Rosen ihrer Wangen,

Den zauberischen Gang,

Seh ihr Gelock', ein Spiel der Lüftgen, hangen,

Hör' ihrer Stimme Klang.


O schöner Geist! Durch Wiesen, durch Alleen,

Seh ich dich, bald im Kranz

Von Rosmarin und Tausendschönchen gehen,

Bald tanzen Geistertanz.
[220]

Du sitzest oft, erhöht zum Engelrange,

An meines Lagers Rand,

Und streichelst mir die bleichgehärmte Wange

Mit deiner weißen Hand;


Enttrocknest mit dem Schleyer mir die Thräne,

Die meine Seele weint,

Wenn deines Todes trauervolle Scene

Im Traume mir erscheint.


O warum wall ich noch im Erdenstaube?

O wohnt' ich schon mit dir,

Du schöner Geist, in deiner Himmelslaube!

Was weil' ich länger hier?
[221]

Quelle:
Ludwig Christoph Heinrich Hölty: Sämtliche Werke. Band 1, Weimar 1914, S. 220-222.
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