[222] Heil dir lächelnder May,
Blumenschöpfer,
Herzenfeßler,
Wecker des Vergnügens,
Heil dir lächelnder Blüthenmond!
Er beschwebet die Flur,
Streuet Veilchen,
Schlüßelblumen,
Weiße Mayenglocken,
Streut sein goldenes Füllhorn leer.
Löst die Haare des Hains,
Hüllt den Schlehstrauch,
Hüllt den Hagdorn,
Der den Garten zäunet,
Hüllt den Kirschbaum in Blüthenschnee.
Schaut, er tanzet heran,
Schaut, des Kirschbaums
Wipfel säuseln
Ein Gewölk von Silber
Um sein wehendes Lockenhaar.
Wie der Apfelbaum nickt!
Roth und weiße
Blüthen purpern
Seinen grünen Wipfel,
Purpern alles Gezweig' umher.
Bien' auf Biene durchsummt
Bald die Blümchen
Unterm Baume,[222]
Bald die Wipfelblüthen,
Die der Morgen mit Gold bemalt.
Tief im bunten Gewölk,
Das die rothen
Apfelblüthen
Um die Wipfel wölken,
Tönt die Kehle der Nachtigall.
Strömt in Liedern dahin,
Tönt den Jüngling,
Der am Busen
Seiner Gattin schlummert,
Aus den Armen des Morgenschlafs.
Seht, er wandelt mit ihr
Durch den Garten,
Wo die Sonne,
Wo der blaue Himmel
Durch die röthlichten Blüthen bebt.
Helle Morgenmusik
Strömt vom Wipfel.
Ihre Herzen
Tanzen nach den Fugen,
Die der schmelzende Vogel tönt.
Nachtigallenmusik
Wirbelt Schlummer,
Süßen Schlummer
Über ihre Häupter,
Wenn die Stunde der Ruhe kommt.
[223]
Hespers lächelndes Aug
Blicket neidisch
Durch die Fenster,
Und die Nachtigallen
Tönen fröhlichen Brautgesang.
[224]
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