Die Seligkeit der Liebenden

[210] Beglückt, beglückt, wer die Geliebte findet,

Die seinen Jugendtraum begrüßt;

Wenn Arm um Arm, und Geist um Geist sich windet,

Und Seel' in Seele sich ergießt!


Die Liebe macht zum Goldpalast die Hütte,

Streut auf die Wildniß Tanz und Spiel;

Enthüllet uns der Gottheit leise Tritte,

Giebt uns des Himmels Vorgefühl!


Sie macht das Herz der Schwermuth frühlingsheiter;

Sie bettet uns auf Rosenaun,

Und hebet uns auf eine Himmelsleiter,

Wo wir den Glanz der Gottheit schaun!


Die Liebenden sind schon zu beßern Zonen

Auf Flügeln ihrer Lieb' erhöht;

Empfahen schon des Himmels goldne Kronen,

Eh ihr Gewand von Staub verweht.


Sie kümmern sich um keine Erdengüter,

Sind sich die ganze weite Welt,

Und spotten dein, du stolzer Weltgebieter,

Vor dem der Erdkreis niederfällt!


Sanfthingeschmiegt auf seidne Frühlingsrasen,

Auf Blumen eines Quellenrands,

Verlachen sie die bunten Seifenblasen

Des lieben leeren Erdentands.


Ein Druck der Hand, der durch das Leben schüttert,

Und eines Blickes Trunkenheit,

Ein Feuerkuß, der von der Lippe zittert,

Giebt ihnen Engelseligkeit.
[210]

Ein Blick der Lieb', aus dem die Seele blicket,

In dem ein Engel sich verklärt,

Ein süßer Wink, den die Geliebte nicket,

Ist tausend dieser Erden werth.


Ein Herzenskuß, den selber Engel neiden,

Küßt ihren Morgenschlummer wach;

Ein Reihentanz von ewigjungen Freuden

Umschlingt den lieben langen Tag!


Ein süßer Schlaf sinkt auf ihr keusches Bette,

Wie auf die Lauben Edens sank!

Kein Endlicher mißt ihrer Freuden Kette,

Wer nicht den Kelch der Liebe trank!
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Quelle:
Ludwig Christoph Heinrich Hölty: Sämtliche Werke. Band 1, Weimar 1914, S. 210-212.
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