Hymnus an den Mond

[46] Freundlich ist deine Stirn', helles Auge der Nacht,

Weiß bekleideter Mond, lächelnd ist deine Wang',

Holder Wolkenbewandler,

Der die silberne Fackel schwingt.


Ruhe hüpfet dir vor. Wie der Pflüger frohlockt,

Wie der Schnitter frohlockt, wenn er hinter dem Hain,

Dich, am Saume des Himmels,

Mit der blinkenden Kerze sieht!


Frölich wandelt er heim, mit der Sichel am Arm,

Singet ein Schnitterlied. Du beflimmerst indeß

Seine blitzende Sichel,

Seinen nickenden Aerntestraus.


Röthlicht ist deine Wang', purpurfarben dein Kleid,

Wenn du, Rosen ums Haar, deine Grotte verläßt,

Und den östlichen Himmel,

Mit der Miene voll Lächeln, besteigst.


Silberfarben dein Kleid, wenn du vom hohen Gewölb'

Deines Himmels, die Stadt und das Dörfchen beschaust,

Das ein nickendes Wäldchen

In die wirthlichen Arme schlingt.


Du bist reizend, o Mond, wenn du, lächelnder Gott,

Durch das blaue Gefild, im Gewande von Licht,

Deine Tritte beflügelst

Und die Säume der Schatten färbst.
[46]

Minder reizend, doch schön, wenn du hinter dem Schirm

Regnichter Wolken stehst, und den sinkenden Kranz

Von verfärbten und welken

Blumen um deine Schläfe webst.


Welch ein freundlicher Gott! Wie er sein Fackellicht

Unter die Schatten des Hains und der Gesträuche mengt,

Wie er den silbernen Teppich

Ueber die Scheiteln der Hügel wirft!


Wie er vom Himmel herab sich im Bache besieht,

Manchen goldenen Streif auf die Gewäßer malt,

Manches goldene Sternchen

Auf die hüpfenden Wellen streut!


Welch ein wohlthätiger Gott! Zünde die Fackel an,

Ruft der liebende Hirt, leuchte mich durch den Wald,

Wo mein reizendes Mädchen

Meinen Schritten entgegen lauscht.


Zünde die Fackel an, fleht das Mädchen, o Mond,

Und beglänze den Pfad, wo mein Geliebter irrt;

Und du zündest die Fackel

Hinter dem Kranze von Hügeln an.


Frölicher wandelt er nun durch das krause Gebüsch,

Welches dein Licht verbrämt, durch den dämmernden Hain,

Seinem Mädchen entgegen,

Das beym Lispeln des Baches sitzt.


Immer reizest du mich, freundliches Auge der Nacht,

Wenn du dem Ost entsteigst, und im rothen Gewand

Hinter dem Walde hervorgehst,

Oder im grauenden Westen sinkst.
[47]

Immer reizest du mich, wenn du durch das Geweb',

Das der Lindenbaum webt, lächelnde Blicke wirfst,

Oder Edelgesteine

Ueber die blendende Schneeflur streust.


Schon als hüpfender Knab', ehe der Bardenkunst

Funken in mir entglomm, saß ich am Wiesenbach,

Und beschaute dein Antlitz

Mit verschlingenden Wonneblick.


Wie romantisch die Flur meinen Blicken erschien!

Elfen, mit Veilchen bekränzt, tanzeten Reihentanz

Durch die silberbesäumten

Wankenden Schatten des Eichenhains.


Sie bemalten die Flur mit dem heitersten Grün,

Goßen, mit kleiner Hand, Perlen und Silberstaub

In die Locken der Blumen,

Und entfalteten ihre Brust.


Heller blinkte der Mond! Schauer ergriff mein Haar,

Klopfte mit leisem Schlag an mein jugendlich Herz.

Mitternacht sank indeßen

Auf den schlummernden Eichenhain.
[48]

Quelle:
Ludwig Christoph Heinrich Hölty: Sämtliche Werke. Band 1, Weimar 1914, S. 46-49.
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