Das geraubte Schäfchen

[92] Als Joabs Heldenheer die Kinder Ammon schreckte,

Und schon ganz Israel das Land um Rabba deckte,

Wo der Gewaltigen und Hanons Unverstand

Die Boten schänden ließ, die David abgesandt,

Da raubte sein Befehl Uria Glück und Leben

Um das geliebte Weib, das ihm der Herr gegeben,

Die Tochter Eliams, die Davids Freundin war,

Und, als sie ausgetraurt, ihm einen Sohn gebar.


Dem Herrn mißfiel die That, und Nathan ward ersehen,

Mit Worten Seines Zorns zum Könige zu gehen.

Er sprach: In einer Stadt befanden sich zugleich

Zween Männer; einer arm, der andre groß und reich.

Der Reiche sahe stets in Tagen voller Freuden

Die Heerden seines Hofs auf grünen Hügeln weiden;

Die Rinder unzerstreut bei jungen Farren ruhn;

Der Geiß' und Widder Muth im Felde fröhlich thun;

Die Lämmer ohne Fehl um ihre Mütter springen;

Das Lastvieh durch den Klee mit reichen Bürden dringen;

Die Blüten dicker Saat sich an den Wassern blähn,

Und seiner Schnitter Fleiß die schönsten Halmen mähn.

Dem Armen, ach! was war dem Armen doch bescheeret?

Ein einzig kleines Schaf, das er gekauft, genähret.

Das wuchs, und ward bei ihm und seinen Kindern groß,

Und kannte seinen Ruf, und schlief in seinem Schooß,

Und trank von seinem Kelch, und aß von seinen Bissen,

Und folgte seiner Hand, und lief nach seinen Küssen:[92]

Er hielte dieses Schaf, sein liebstes auf der Welt,

Wie in Jerusalem man eine Tochter hält.

Dem Reichen kam ein Gast; daß der bewirthet würde,

Nahm er kein Rind, kein Schaf aus seiner Weid' und Hürde:

Die räuberische Faust macht ihm ein Freudenmahl

Von jenem weißen Schaf, das er dem Armen stahl.


Er schwieg, und David schwur: Der Frevler soll nicht leben!

Er soll nicht nur das Schaf vierfältig wiedergeben;

Wer solche Missethat in Israel beginnt,

So wahr der Höchste lebt! der ist des Todes Kind.


Du, David, bist der Mann: erwidert der Prophete;

Will deine Seele noch, daß man den Räuber tödte?

So spricht der Herr, dein Gott: Ich habe dich gebaut;

Zum Könige gesalbt; das Reich dir anvertraut;

Den Händen Sauls gewehrt; jetzt deines Volks verschonet;

Und dir das Haus verliehn, in dem dein Herr gewohnet;

Die Weiber deines Herrn gab ich in deinen Schooß;

Du bist in Israel, du bist in Juda groß.

Du bist durch mich ein Herr, ein Sieger und ein König,

Du, des Isai Sohn. Ist dieses dir zu wenig,

So füg' ich mehr hinzu. Wie aber kannst du nun

Vor meinem Angesicht ein solches Uebel thun?

Des Herrn Gebot verschmähn, ihn und sein Wort verachten,

Und den Hethiter dir mit fremdem Schwerte schlachten?

Durch dich frißt Ammons Schwert Uria, deinen Knecht.

Sein Blut zeugt wider dich, und schreit zu mir um Recht.

Noch darfst du gar sein Weib jetzt, als dein Weib, umfassen!

Drum soll das Rachschwert nie von deinem Hause lassen.

So spricht der Herr, dein Gott: Zu desto größrer Pein

Soll dir dein eignes Haus des Unglücks Quelle sein.

Die Weiber will ich dir vor deinen Augen rauben,

Und deinem Nächsten selbst der Strafe Lust erlauben:

An ihnen soll das Volk, was insgeheim geschehn,

Bei lichtem Sonnenschein mit Schmach gerochen sehn.


Quelle:
Friedrich von Hagedorn: Sämmtliche poetische Werke, Leipzig o.J, S. 92-93.
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