Der Rabe und der Fuchs

[191] Wurst wieder Wurst. Das ist das Spiel der Welt,

Und auch der Inhalt dieser Fabel.

Ein Rabe, welcher sich auf einen Baum gestellt,

Hielt einen Käs' in seinem Schnabel.

Den Käse roch der Fuchs. Der Hunger rieth ihm bald,

Dem schwarzen Räuber sich zu nahen.

Ha! spricht er, sei gegrüßt! Ist hier dein Aufenthalt?

Erblickt man hier die reizende Gestalt?

Daß du gefällst, muß, wer dich kennt, bejahen.

Erlaube mir die Lust, dich jetzo recht zu sehn ...

Ja! der Fasan muß dir an Farbe weichen.

Ist dein Gesang nur halb so schön,

So wird, an Seltenheit, dir auch kein Phönix gleichen.

Den Raben täuscht das Lob, das ihm der Falsche gab.

Er kann sich nicht vor stolzer Freude fassen.

Ich, denkt er, muß mich hören lassen,

Und sperrt den Schnabel auf. Sein Käse fällt herab,

Den gleich der Fuchs verschlingt. Er sagt: Mein schönster Rabe,

Ein Schmeichler lebt von dem, der ihn zu gerne hört,

Wie ich dir jetzt bewiesen habe.

Ist diese Lehre nicht zehn solcher Käse werth?

Des Fuchses Schüler schweigt, mit heimlichem Verlangen,

Den schlauen Fänger auch zu fangen.

Der trug einst Speck nach seinem Bau,

Und er begegnet ihm. Wie, spricht er, Hühnerfresser,

Ist jetzo Speck dein Mahl? Du lebest zu genau,

Fast wie ein Mäuschen lebt. Schalk, dein Geschmack war besser.

Sieh um, in jenen Hof. Die Hennen, die dort gehn,

Sind klügrer Füchse Kost: nichts schöners wird man sehn.

Dich sollte wol ein solcher Anblick rühren.

Allein, du bist nicht dir, noch deinem Vater, gleich.

Sonst warst du doch an Muth und an Erfindung reich.

Da suchte dich das Glück. Der Fuchs läßt sich verführen,

Wirft seinen Fraß dahin, setzt dem Geflügel nach.

Doch jenes macht sich unter Dach,

Und krähet, ihm zum Hohn, im sichern Hühnerhause.

Kräht, ruft er, kräht! mir bleibt ein fetter Fraß zum Schmause.[192]

Er trabt zurück, und sucht. Der frohe Rabe sitzt

Auf einem Baum, wo ihn die Höhe schützt.

Den Speck hat er verzehrt. Freund, schreit er, mit Vergnügen

Erlern' ich Füchse zu betrügen.

Gedenk' an meinen Käs', ich denk' an deine List:

Vorhin war ich ein Thor, wie du es heute bist.


Quelle:
Friedrich von Hagedorn: Sämmtliche poetische Werke, Leipzig o.J, S. 191-193.
Lizenz:
Kategorien: