18.

Ueber Marianens anscheinende Besserung

[154] Den 16. October 1736.


Dieses kleine Gedicht, worin die Poesie schwach und nichts als die Rührung des Herzens noch einigermaßen poetisch ist, hat die Zeichen einer Besserung zum Vorwurf, die nach der Ankunft und klugen Sorge des erfahrnen und glücklichen Arztes, Herrn Leib-Medici Werlhofs, sich an dieser geliebten Kranken gewiesen hatten. Es war die Arbeit einer einsamen Stunde, und zwei Tage darauf machte ein unverhoffter Tod der Freude des Ehemannes ein trauriges Ende.


Ich sah, mit tiefgerührtem Herzen,

Der Mariane nahen Tod

Und las in jedem Blick mehr Schmerzen,

In jedem Athemzug mehr Noth.

Ich netzte die geliebte Brust

Mit meinen abgehärmten Wangen

Und hielt mit Angst und zagendem Verlangen

Vor dem annahenden Verlust

Den holden Leib umfangen.[155]

Zuletzt wandt ich mit einem Blicke,

Worin mit der Verzweifelung

Noch etwas matter Hoffnung rung,

Mich nach dem strafenden Geschicke.


Muß ich sie missen, die ich liebe,

Und neben der ich nichts geliebt?

Was hätt ich, wenn sie mir nicht bliebe?

Straft dann der Himmel auch die Triebe,

Die er uns selbst befiehlt und giebt?


Ist keine Kraft in wahren Thränen?

Dringt denn mein seufzen nicht zu dir?

Herr! deine Weisheit schilt mein sehnen;

Du willst mich von der Welt entwehnen,

Sie war mir nur noch werth in ihr.


Herr! was du willst, das soll geschehen,

Auch weinend ehr ich deinen Rath;

Doch hört dein Will auf unser flehen,

So laß auch mich die Gnade sehen,

Die oft ein reines Herz erbat!


Aufrichtig flehen wird erhöret:

Ich sprach, und durch den dunkeln Sinn

Fuhr auch zugleich ein Strahl von neuer Hoffnung hin;

Die Fluten Angst, die sich in mir empöret,

Vertobten nach und nach;

Ein innres Wort, ein höhrer Tröster, sprach

Zu dem von Angst und tiefen Schmerzen

Schon lang gepressten Herzen:[156]

Wer thut und trägt, was Gott gebeut,

Aus Gottes Willen macht den seinen,

Und küsst die Hand, die Strafe dreut,

Wird danken, wo er meint zu weinen.


Es kam der Mann, den Gott erwählte,1

Ein Werkzeug seiner Huld zu sein;

Er sah, was die Geliebte quälte,

Mit unbetrogner Scharfsicht ein.

Gleich legte sich der Brand, der in den Adern glühte,

Das heimlich starke Gift, verjagt aus dem Geblüte,

Wich minder edlen Stellen zu;

Ihr Herz fand Kraft, ihr Haupt die Ruh.

Ein frischer Trieb fuhr in die matten Glieder,

Sie sah das fast verlassne Licht

Mit halb verblendetem Gesicht,

Die Welt und mich erkannte sie nun wieder.


Vater! es hat deine Gnade

Mit der Menschen flehn Geduld;

Aber gieb, daß deine Huld

Nicht mehr Schulden auf uns lade!

Laß ihr Leben, dein Geschenke,

Fruchtbar sein an Dank und Treu;

Gieb, daß es mich nie erfreu,

Daß ich nicht an dich gedenke!

1

Der Herr Leibmedicus Werlhof. Er verließ in der That die werthe Kranke in bessern Umständen; aber die verräthrische Krankheit, der Friesel, schlug zurück, ein innerliches Geschwür brach durch, und der Tod raffte sie plötzlich weg.

Quelle:
Albrecht von Haller: Gedichte, Frauenfeld 1882, S. 154-157.
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