2.

Der beste König1

[189] Die Thiere wollten einen König wählen. Es warfen sich viele zur Wahl auf, worunter auch der Löwe und der Hirsch war. An diesem pries man das unschädliche Gemüthe und die prächtige Gestalt. Am Löwen war die Tapferkeit und die ungemeine Stärke der Vorzug. Ein schlauer Affe rieth auf den Elephanten. Er ist stark, sagt er, wie der Löwe und dennoch so gütig als der Hirsch.


Ein Fürst ist allzu schwach, der nicht zu zürnen weiß,

Sein unbeschütztes Volk steht fremder Herrschsucht preis;

Ein Landbezwinger ist ein allgemeiner Würger,

Der Nachbarn Straf und Furcht, doch weit mehr seiner Bürger.

Der ist vollkommen groß, der, recht an Gottes Statt,

Zum Frieden Huld und Recht und Muth zum siegen hat.

1

Diese und die folgenden Fabeln sind nach Augsburg zu einigen Kupfern zu stechen geschickt worden und ist also bei der Erfindung darauf gesehen worden, daß man eine Anzahl Thiere auf das Gemälde anbringen könnte.

Quelle:
Albrecht von Haller: Gedichte, Frauenfeld 1882, S. 189.
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Versuch Schweizerischer Gedichte
Versuch schweizerischer Gedichte: Nachdruck der elften vermehrten und verbesserten Auflage Bern 1777