[258] Es wollen etliche Klüglinge man soll nit sagen / daß sich die Gerechtigkeit Gottes erbarme / oder daß die Barmhertzigkeit Gottes gerecht sey / weil erbarmen und Gerecht seyn gantz widrige Würckungen haben. Es finden sich aber etliche Begebenheiten / darunter auch die vorhergehende eine seyn könte / daß Gott nach einem gerechten Gericht straffet / in der Strafe aber seine Barmhertzigkeit sehen und spühren lässet. In nachgehender Erzehlung werden mir sehen / daß war was der Psalmist sagt: Barmhertzig und Gerecht ist der HErr. Barmhertzig / in deme er durch seine Langmut eine Sünderin zu der Busse leitet: Gerecht in dem er sie zu verdienter[258] Straffe ziehet / und doch wider Barmhertzig / in dem er sie auß der Todesnoth errettet / und erweiset / daß die Hertzliche Barmhertzigkeit alle andere Wercke Gottes übertrifft.
2. Mamerta in einer benanten Handelsstatt in Franckreich / war eine von den jungen Witfrauen / welchen besser ist freyen als brennen / weil sie in solcher in Brunst lebendig Todt: Lebendig dem Leibe nach / Todt aber nach der mit bösen Lüsten angefüllten Seele. Diese verliebte sich in Madoalt einen Hoff nungs-reichen Edelmann / weil er ein einiger Sohn und sein Vatter ein wolbegüteter geitziger und murrischer Mann. Solcher Nißling war in seinem ersten Außflug leicht gefangen / und erfreuete sich von einer so schönen Weibsperson geliebt / und in unziemlichen Wollüsten geübt zu werden.
3. Die Liebe wird nit sonder Ursache mit einem Irrwisch (igne fatuo) verglichen / welcher die / so ihm folgen in einen Abgrund eussersten Verderbens stürtzet. Diese blühende Liebe hat sich bald gewendet in einen fruchtbaren / aber ehrlosen und verfluchten Segen. Madoald bate die Mamerta / sie solte ihre Schwengerung verschwiegen halten / damit er von seinem Vatter nicht enterbet oder nach Amsterdam in das Zuchthauß geschicket werden möchte / weil er noch nicht seiner völligen Jahr / und seine gethane Verlöbniß mit offentlichen Kirchgang und Hochzeit halten vollstrecken könte.
4. Mamerta begibt sich solchem einrathen zu folge / auff ein Dorff / stellet sich als were sie kranck / und dorffte doch ihre Kranckheit niemand offenbahren / Madoald in zwischen vergisset seiner gegebenen Treue / deß Baumens und der Frůcht die er gebauet / raist in Teutschland / und erinnert sich nicht einmahl dessen / so er hoch betreulichst versprochen hatte. Also vergessen die leichtfertigen Jünglinge / deß leichtglaubigen Frauen-Volcks / und heisset es / auß den Augen und auß dem Sinn.
5. Mamerta ist in solchen Nöthen fast verzweiffelt: Sie hoffte / der sie Schanden gemacht / solte sie auch[259] wider zu Ehren bringen / und weil sie sich verlassen sahe / gebrauchet sie unterschiedliche Artzneyen die Frucht in dem Leibe abzutreiben. Als sie nun keine Würckung verspürte / und von Zeit zu Zeit die Geburtsstunde herbey nahet / erkaufft sie / vermittelst einer Summa Gelts / eine Hebamme und eine Magd / die ihr in gröster Verschwiegenheit dienen solten.
6. Also gebiert sie zu gebührender Zeit einen schönen Knaben / den sie in eine Multern auf dem nechst darbey fliessenden Wasser darvon schwimmen lässet. Der Fluß war diesem Mose getreuer als die ungetreue Rabenmutter / und hat ihn zwey Meilwegs von dannen geführet / biß zu einer Mühl / da er von der Můllerin auß dem Wasser gezogen / und mit Verwilligung ihres Mannes / an Kindsstatt ist aufferzogen worden / der Hoffnung seine Eltern zu erkundigen.
7. Nach dem aber deß Müllers einiges Töchterlein gestorben / haben sie diesen Knaben / so sie in der H. Tauff Dioclem nennen lassen / so sehr geliebt / als ob er ihr eigner Sohn wäre. Mamerta inzwischen entladen von ihrer Bůrde / raist wider in die Statt / und sorget nit wo ihr Kind hingekommen / sondern hält darvor / er seye ersoffen und den Fischen zu einer Speise worden.
8. Nach dem sie nun Jahr und Tag auff ihren undanckbaren Madoald gewartet / und auff ihre Schreiben niemals keine Antwort erhalten / schreitet sie zu der andern Ehe / und erzeiget mit Titian ihrem Manne viel Kinder. Anders theils kame auch Madoalt wider / verheuratete sich und vergasse der Sünden seiner Jugend / als ob selbe niemals geschehen / und in aller Menschen Gedancken verjähret weren.
9. Die Göttliche Gerechtigkeit aber / machet der Obrigkeit die Augen auf / unnd schickte daß die Magd / welche der Mamerta Kind besagter massen zu ersäuffen gemeint / wegen dergleichen That in Verhafft kommet / und unter andern auch diese Mißhandlung peinlich bekennet / daß Mamerta gleichfals in Gefangschafft gesetzet wird. Die Warheit kommt an den Tag / und werden beede zu dem Schwert verurtheilt.[260]
10. Als nun diese Weiber hinauß auf den Richtplatz geführet / findet sich unter dem hauffen Volck ein Laquay / welcher laut schreyet / das die Mamerta seine Mutter / und daß er von dem Müller der ihn aufferzogen / verstanden / wie er ihn vor vngefehr 16. Jahren gefunden / und fühlete er in seinem Hertzen eine sondere Neigung / deßwegen man soll innen halten / wie auch geschehen / und kein unschuldig Blut vergiessen. Was Mamertam anlanget / wird sie wider zurücke geführet / ihre Magd aber muste durch deß Henckers Hände sterben.
11. Der Müller und seine Frau werden über diesen Fall vernommen / und befindet sich auß allen umständen / daß Diocles der Mamerta Sohn / deßwegen sie dann als eine Kindermörderin nicht können gestraffet werden Titian / als er hörte / wie seine Ehefrau von Modoalde listige Weise hintergangen worden / bey ihme aber sich unsträfflich verhalten / hat er ihr solchen Fehler verziehen / und Dioclem seinem Vater / der damahls noch kein Kind erzeuget / heim geschaffet.
12. Hieraus ist zu beobachten / daß nichts im verborgen bleibet / wie lang es auch anstehe für den Menschen. Solte der / so das Ohr gemachet nicht hören / unnd der das Aug gemacht nicht sehen? Ach nein / wie Gott die guten Wercke so in verborgen geschehen / sihet / offentlich vergilt; also bringt er auch die Wercke der Finsterniß an das Liecht / und erweiset / wie Eingangs Meldung beschehen / seine Barmhertzigkeit der Züchtigung und Straffe.
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