9. Warnung an eine stoltze Jungfrau.

[377] Hochmütige Jungfrau.

Ihr wolt mich nicht anhören und doch keine Gegnerin seyn für dem Richterstul der Billigkeit: Ihr wolt euch in keine Rechtfertigung einlassen / weil ich Kläger bin. Wol / ich weiß daß mich die Zeit bald rächen wird / welche anfängt / euch so viel Falten in das Angesicht zu ziehen / als ihr Augenblicke gelebt habt / und alsdann werdet ihr euch nit mehr einfältig nennen können / wann euch der Spiegel der Rathgeb eurer vermeinten Schönheit / mit Furchten auf den Augenschein fůhret. Die Jahre rauben alles dahin / was uns wolgefält / und werden eurer nit verschonen. Verzeihet mir doch diese Warheit / und glaubet daß ihr müsset alt werden / und zwar in dem Land der Welte / da die alten Jungfrauen häßlicher / als die schönen Affen zu seyn pflegen. Ihr seufftzet über dieser Nachricht / könt mir aber leichtlich glauben / wann ihr betrachtet / daß ihr alle Tage und Stunde näher zu dem Tod kommet / und nunmehr in dem ab- und nit in dem zunehmen seyd / und die Jahre herbey eilen / von welchen ihr sagen werdet / sie gefallen mir nicht / und ich gefalle nun niemand nicht.

Es ist die Sonne schön / wann sie untergehet / der Herbst ist lustig / wann er Früchte bringet / die Lampe brennet heller / wann sie außleschen wil; aber die veralten Weiber können noch schön / noch lustig seyn / noch einigen Glantz von sich geben. Wolt ihr nun mehr hören von künfftiger Niderlag eures Hochmuts? Die Röte auf euren Lippen werden alsdann die zarrenden Augen erlangen; der weisse Glantz eurer Stirn / wird alsdann den Mund besitzen: die schwartze Farbe eurer Augbrauen / wird an den Zähnen zu sehen seyn: eure Wangen werden unter das Kien und eure Brüste unter die Gürtel hangen / etc.

Studieret hieraus was ich euch zu thun / und befleissiget euch der Freundlichkeit und Demut / welche eine Grundfeste ist aller Tugenden; alsdann wil ich wieder kommen / und mich entschliessen / ob ich seyn soll


Euer

so Tags / so Nachts dienstbeflissner Knecht.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. 377-378.
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