(CXXVIII.)
Das Furchtpflaster.

[102] Die Furcht richt / nach dem Sprichwort / alles anderst an / als es gekocht ist. Die Furcht ist ein Tyrann / der nit glaubet was wol gemeint ist / und hält alle Speisen für Gifft. Es ist aber solche Furcht zweyerley: 1. Wann man fürchtet was man erfahren hat / wie der Hund in der Kuchen / so mit warmem Wasser begossen worden / auch das kalte fürchtet / und wie ein gebrantes Kind das Feuer scheuet / und eine solche Furcht ist der Natur gemäß / in dem sie den Menschen sich zu erhalten eingepflantzet / und wer sich also fürchtet / schläffet gerne auff gantzer Haut.

2. Die andre Art der Furcht bildet ihr ein eine Bestraffung / welche sie noch nit erfahren / und ist nichts schmertzlichers als solcher massen in steten Fürchten leben. Eine solche Furcht ist ein Regel der Sünden / und sagt hiervon das Sprichwort: Wann hinder jeder Sünde der höllische Löw sich sehen liesse / so würden wir uns keine gefallen lassen. Diese Furcht wird durch den Wahn vermehret / daß man auß einer Mucken einen Elephanten im Sinne machet / und ist diese Furcht gut / wann man in Gelegenheit ist böses zu thun / daß man die Straffe fürchtet / wie wir alle die Hölle fürchten sollen, wann aber das Böse vollbracht / so mehret sich die Furcht und Wartung der Dienge / die da kommen sollen / wie auß nachgehender Erzehlung zu hören seyn wird.

3. Bey Emanuel König in Portugal hat sich einer von seinen Hoffdienern angemeldet / und gebeten S.M. wolle ihn doch in ihre gnädige Beschirmung nehmen / weil er etliche[102] Feinde / die ihn zu tödten gedrauet. Der König erkläret sich gnädigst / daß er solches gerne thun wolte / und gabe ihm auch einen Schutzbrieff / wie er selbsten haben wolte.

4. Nach etlichen Tagen kame er wieder und sagte / daß dieser Brieff kein genugsames Pflaster / seinen Schaden und die Wunden / welche die Furcht in sein Hertz geschlagen / zu heilen. Wol / sagte der König / für dem Unheil / das dir begegnen möchte / wil ich dich wol schützen / aber für dem Unheil das du fürchtest / kan dich kein König der Welt beschirmen / und hilfft weder Kraut noch Pflaster für der Wahnsinnigen Furcht; Dann die Furcht ist schmertzlicher als das / was man fürchtet.

5. Gleich wie die Wollust / welche wir uns einbilden / viel geringer in dem Wercke / als in unserm Verlangen sich befindet: also ist auch das Unglück so wir fürchten viel geringer / als der Wahn / den wir darvon fassen. Wer aber für der Schmitten gewesen / wie man zu reden pflegt / der fürchtet die Funcken nit; ja die Furcht der künfftigen Straffe / ist ein Antheil der Straffe / und ist öffter ein Lügner / als ein Warsager.

6. Zu Bologna welche von dem Fetten Erdreich die Fette und der Mutter Musen genennet wird / war ein Zärtling Badenio genant / welcher sich für den geringsten Wunden und Kranckheiten entsetzet / daß er aus Furcht derselben von Sinnen kommen mögen. Er hatte vielleicht jemand sehr verwundet / oder in schmertzlichen Kranckheiten gesehen / und bildete ihme deßwegen ein / daß er wegen deß geringsten Fiebers sterben müste / hielte sich deßwegen / als ob er gläsern wäre / weil er den werthen Schatz seiner Gesundheit in gebrächlichem Gefässe trüge.

7. Wie jener auff den zukünfftigen Durst getruncken / und auff den zukünfftigen Hunger gegessen / welches die Kunst ist niemals durstig und hungerig zu werden / also hat dieser auff die künfftige Kranckheit Artzney und Mittel gebraucht für die Kranckheit / von welcher ihm zu Zeiten getraumet hatte. Der Artzt / Namens Florian / fragte / ob[103] er wol schlieffe / ob ihm Speiß und Getranck schmeckte / ob er öffnung deß Leibes hätte? Badenio beantwortete alle Fragen mit ja / daher er abnahme / daß es ihm allein an dem Gehirn mangelte.

8. Der Medicus sahe wol daß Badenio nicht seiner / sondern er seines Geldes vonnöthen hatte / fragte deßwegen / was er dann von ihm begehrte? Er sagte ein Purgation / den künftigen Kranckheiten für welchen ich mich fürchte / zu begegnen / wol / gedachte der Artzt / der Beutel soll dir purgiret werden / und bedachte diesem ein Furchtpflaster über zu legen / welches ihn der Entsetzung abhelffen solte.

9. Dieses Vorsatzes giebt er ihme eine Artzney / welche ihn Frost und Hitz haben machet / als einen der das Fieber am Halß hat: Badenio vermeint er sey in der Hölle. Als er wieder kommet / schickt er sich besser darein / und wurde von Florian getröstet / daß solches bald vergehen / unnd er ein neuer Mensch werden würde / gestalt er ihm auch nach und nach machte die Kranckheit zu Fuß abziehen / welche er auff der Post ankommen machen / daß er endlich sich nit mehr für dem Fieber gefürchtet / und also den gefasten Wahn verlohren hat.

10. Auff besagter hoher Schul hielte sich ein Student auff / Namens Faron / der von einem Parmesaner Largo genant / etliche scharffe Schertzreden in guter Gesellschafft schiessen lassen. Dieses wurde Largo verkundschafftet / welcher alsobald ergrimmet / und seine Bekanten zusammen fordern lassen / ihnen die Außgestoßnen Wort eröffnet / und üm Beystand angeruffen / solche Unbillichkeit zu rächen. Faron war wie eine Taube gegen diesen Sperber: er gienge nur bey Nachts / und versicherte den Weg mit etlichen Kundschafftern / damit er ja den Parmesaner nicht möchte in die Hände fallen.

11. Als er nun in diesen Aengsten / welche die grosse Furcht einen Menschen einsagen und einjagen kan / übereilt ihn Largo / und erweiset sich mit vielen Prügeln sehr freygebig gegen ihn / daß sein gantzes Kleid damit überbremet war / nechst unfreunlicher Ermahnung / er solte künfftig besser bedencken die[104] Worte / welche er über die Zungen springen liesse. Nach deme nun dieses Furchtpflaster von seinem Rucken / dancket er dem lieben GOtt / daß er so wol darvon gekommen / und noch Arm oder Bein entzwey gebrochen hatte / noch gar getödtet worden; Da ihm doch die Furcht diese Gefahr viel grösser fürgemahlet / und er Tag und Nacht darmit geplaget / welches doch in kurtzer Zeit überwunden / und nunmehr ausgestanden.

12. Also solten diejenigen / welche durch deß Henckers Hand sterben sollen / bekennen / daß die Furcht deß Todes viel schmertzlicher ist / als der Tod selbsten. Die beste Furcht ist Gott fürchten / und versichert glauben / daß alles von ihm komme gutes und böses. Gleich wie der Zauberer Schlangen von Mose Schlangen verschlungen worden; also verschlinget die ewige Straffe alle zeitliche Schmertzen: Daher jener recht gebetten / Gott wolle ihn hier lassen leyden / was er wolle / und seiner nur dort verschonen.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. 102-105.
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