(CXXXIV.)
Die Außschindlinge.

[120] Es ist ein altes Sprichwort / man müsse Gefahr mit Gefahr vertreiben / und wer Gefahr liebt / der kommet darinnen üm. Wann ein Glied mit der Faulung angegriffen wird / lässet man solches / als ein Lößgeld deß gantzen Leibes / hinweg schneiden und brennen / wiewol solches ohne Gefahr nicht geschehen kan / das Leben aus der Gefahr zu retten / und[120] ergehet es auch also mit den Ausschindlingen / wann die Geburt auß Mutterleib gleichsam geschunden und geschnitten wird / beedes Mutter und Kind / oder eines von beeden zu erhalten. Ob nun dieses keine sachen auff den Schauplatz zu bringen / so wollen wir etwas weniges / andren zu dienlicher Nachrichtung / von dieser fast seltnen Sache vermelden.

3. Die Ursachen zu dergleichen Mitteln sich zu entschliessen sind zweyerley. 1. Wann die Geburt zu groß ist / daß sie durch den ordentlichen Weg nicht heraus kommen kan / welches beschiehet / wann ein grosser starcker Mann / ein kleines schwaches Weib hat / welches ihr Kind in Mutterleib mit viel Obsessen mästet / daß es groß und starck wird / aber doch sich durch den engen Gang nicht zwängen kan. 2. Wann das Kind tod ist / und ihm selbsten nicht helffen mag / da es dann übel hergehet / und man dergleichen Frucht mehrmals Stuckweis heraus bringet.

3. In solchen gefährlichen Fällen / gebrauchet man auch das gefährliche Mittel / und eröffnet der Kindhaberin Leib in der Seiten / und zu gleich auch die Mutter / nimmet das Kind mit der Afftergeburt heraus / nähet mit etlichen Häfften den Leib wider zu / und genesen mehrmals Mutter und Kind / wann sonderlich dieses Mittel fürgenommen wird / bevor die Mutter sich mit der Kindsarbeit schwächet und abmattet; da dann leichtlich ein Zufall den Garaus machen kan.

4. Verständige Wundärtzte halten diese Sache für gar thunlich / und wissen sich so zu verhalten / daß das Geäder nit verletzet wird / und kein Bruch darauß erfolget / wie geschehen kan: ja sie heilen solchen Schnitt so leicht als ein Fleischwunden; die Weiber begehren auch vielmals auffgeschnitten zu werden / weil sie solchen Schmertzen für gering halten / und ist nit zu zweiffeln / daß viel auß Unwissenheit solches Mittels / und Manglung verständiger Wundärtzte / verderben und sterben müssen.

5. Daß aber dieses thunlich / beglauben so wol alte als neue Exempel / und soll Cajus Julius den Namen Cæsaris von [121] cædendo bekommen haben / weil er auß Mutterleib geschnitten worden / daß also dieses Mittel bereit den Alten bekant gewesen. In Franckreich aber findet man viel die noch leben / und besagter massen in die Welt kommen; ja fast kein Wundartzt / welcher ein Buch von seiner Kunst geschrieben / lässet dieses in vergeß / daß er dergleichen Ausschindling auff die Welt bringen helffen.

6. Frantz Drusset hat ein gantzes Buch hiervon (de partu Cæsareo) und erzehlet unter andern von einem Namens Godart zu Meseil wonhafft / daß er ein Weib gehabt / welche zum sechstenmal auffgeschnitten worden / und allezeit glücklich geboren habe / den Wundartzt nennet er Nicolas Chuiclet, nach welches Tod sie in Kindsnöthen gestorben / weil kein andrer sich deß Orts unter stehen wollen sie auffschneiden.

7. Ambrosius Noir ein berühmter Wundartzt zu Poithuiers und Gilles Grün haben eine arme Frau zu Morinville auffgeschnitten / und drey Kinder von ihr genommen / welche alle drey nicht lang gelebet / die Mutter aber ist darvon gekommen / und etliche Jahr hernach an der Pest gestorben.

8. Bernharda Arnoul unferne Estampes hat vier Tage gekrissten / und endlich um Gottes Willen gebetten / man solte sie öffnen / welches ein ungeschickter Wundartzt kühnlich und glücklich verrichtet / und als ein gemeines Geschwer eröffnet / mit Häfften den Leib wider zusammen genähet / und mit einem Stärckpflaster versehen / daß Mutter und Kind darvon gekommen. Ja dieses Weib hat sich nach ihres Mannes Tod wider verheuratet.

9. Collatte Berenger zu Ury bey Fontaineblau gienge über den zehenden Monat schwanger / und truge ein Todes Kind / welches durch den ordentlichen Gang nicht hinaus wolte: Ist aber auffgeschnitten und das Kind mit der halb verfaulten Afftergeburt an ihr genommen worden. Diese wurd wider heil / und hat hernach mehr Kinder zu der Welt gebohren.

10. Der gleichen hat sich auch in der Schweitz begeben / da Elisabet Alespachin eines Wundartztes Jacob Nufers[122] Weib zu Sigershausen / zum erstenmals in Kindsnöth überaus grosse Schmertzen erlitten / und alle Hebammen deß Orts zu ihr kommen lassen / welche ihr doch nicht helffen können / Ihr Mann sagte ihr in das Ohr / wann sie wolte / were er entschlossen ihr den Leib auffzuschneiden. Das Weib willigte darein und bate solches ja nicht zu verzögern. Der Mann gehet hin / und saget es der Obrigkeit an / damit wann es übel außschlagen solte / man ihn nicht für seines Weibes Mörder halten möchte.

11. Nach diesem sagte er / daß alle zage und seiche Weiber auß der Stuben gehen solten / welches auch erfolget / daß ihrer nur zwo bey ihm geblieben. Er bittet Gott um gnädigen Beystand / leget darauff das Weib auff den Tisch / und schneidet mit einem Scheermesser einen eintzigen Schnitt / daß die Weiber das Kind aus ihrem Leibe nehmen / ohne Verletzung der Mutter. Ob nun wol die Weiber für der Thür das Kind weinen hörten und hinein wolten / machte er doch nicht auff / bevor er die 5. Häffte gegeben / welche in wenig Tagen wider geheilet worden / das Kind ist frisch und gesund erwachsen. Die Mutter hat nach diesem noch Zwillinggebracht / und leben der Orten noch von diesem Geschlechte.

12. Hier möchte man sagen / daß man von denen nur lese / welche darvon gekommen / aber nicht von denen / welche darvon gestorben. Ist wahr / man muß aber glauben / daß andre Ursachen mit unterlauffen; als / daß die Kindbetterin viel zu schwach daß die Frucht in dem Leibe nicht gesund / welches vielerley Zufälle verursachet / daß der Wundartzt der Sachen nicht genugsammen Bericht / und den Handgriff nicht weiß / daß die Mutter nicht gesund / alt und unheilsam / etc. Solcher Gestalt kan dieses Mittel / und kein anders das Todesziel zurück halten. Es ist aber eine seltene Frage: Wann dem Weib Zwilling in dem Leib hat / und kan sie nicht zu der Welt bringen / daß man ihr gleichsam die Wand der Mutter öffnen muß / welches auff der lincken und rechten Seiten geschehen kan / welcher under beeden der Erstgeborne? Auff welcher Seiten der Leib am höchsten / da soll man den Schnittwagen[123] und derselbe wird der Erstgeborne seyn / ob er gleich der letzte in der Empfängniß gewesen were /

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. 120-124.
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