(CXLV.)
Die Einbilder.

[159] Wir sagen in dem Sprichwort: Einbildung ist ärger als Pestilentz. Was die Pestin für Unheil mit sich bringet / ist sonderlich denen bekant / welche ihre Freunde und Bekante an dieser Seuche fallen sehen: Die aber so in ihrer Einbildung verderben / nehmen wir fast nit in acht / weil es so gemein / daß wir es für keinen Fehler erkenen. Wie nun die Pestin eine ansteckende Kranckheit ist / also machet auch ein Einbilder (ich wil nicht sagen Narren) derselben zehen / und hat Seneca recht gesagt: Daß ihrer viel zu der Weißheit und Wissenschafft gekommen weren / wann sie nicht vermeinet / sie weren schon darüber weit hinauß / und die alten Hebreer haben ein Sprichwort: So lang du lernest / so bist du klug; so bald du vermeinst / du könnest es / so bist du ein Thor.

2. Die Erkantnis der gegenwertigen Sachen ist nicht genug zu Erhaltung deß Leibes / sondern erfordert auch das Vergangene und Zukünfftige: Deßwegen hat die fürsichtige Natur nicht nur fünff äusserliche Sinne den Menschen ertheilet / vermittelst welcher das Gegenwertige erkennet wird / sondern auch den gemeinen Sinn (lensum communem) alles zu unterscheiden / die Bildungs-Kräffte[159] das abwesende fürzumahlen / und die Gedächtniß solches Gemähl zuerhalten / ertheilet. Wie nun unter den äusserlichen Sinnen das gute Auge am besten sihet / das gute Ohr am besten höret / also hat auch das wol beschaffene Hirn die stärckste und beste Bildung: ist es feucht / so würcket der gemeine Sinn am kräfftigsten / ist das Gehirn trucken / so drucket das Gedächtniß ihr Bildung gleichsam in ein Wachs / ist es hitzig / so kan sich das Bild leichtlich verfarmen / und haasirliche Gedancken darauß werden. Wann aber das Gehirn kalt und trucken zugleich / verursachet solches reiffes Nachsinnen / wie bey den alten und melancholischen Leuten.

3. Hier ist sich nun zu verwundern / daß die Einbildung den Verstand und Willen beherrschet / ja wider den Verstand und den Willen ihre Würckung leistet; massen die Mütter ihren Kindern Mahle anhangen / und wann die Schlaffgänger sich in Gefahre begeben / auf die Haußdächer steigen / in das Wasser gehen / etc. welches sie nit thäten / wann ihre Einbildung nit verletzet were. Also fürchtet sich mancher in der Finsternis / wo nichts zu fürchten ist: was ist die Ursache / daß man denen / welche in Todesgefahr gehen sollen / Wein zu trincken gibt / als daß desselben aufsteigende Dämpffe verhindern / daß sie ihnen nichts furchtsames einbilden sollen / oder man mahlet ihnen mit Worten den Sieg / die Großmütigkeit / die Ehre / die Beuten und dergleichen für / daß sie dardurch kühn angehen sollen.

4. Diese Einbildung wird auch genennet der Wahn / welchen man von einen Dinge fasset / und in solchen stehet fast alle Eitelkeit unsres menschlichen Wesens. Die erste Einbildung welche wir fassen / beharret lange Zeit / es seye selbe gegründet oder nit / unn machet uns solcher Wahn glückselig od' unglückselig / als welcher gleichsam zum Richter unsrer Gedancken ist / und für gut oder verwerfflich / für schätzbar oder verächtlich außspricht / was man ihm fürhält. Diese Krafft der Einbildung haben auch die Thiere / jedoch nach der Vollkommenheit oder Unvollkommenheit ihres Leibes Zustand / und erscheinet unter andern auch darauß / daß die Hunde in dem[160] Schlaff traumen / und dem / der ihnen gutes thut / von andern / wol zu unterscheiden wissen.

5. Also muß auch das Ungeziefer etlicher massen mit den Einbildungskräfften begabet seyn / weil sie ohne solche nicht wissen oder fassen könten / was vortheilig oder nachtheilig / dienlich oder schädlich / wie die Immen oder Biene die Blumen zu unterscheiden wissen / die Omeisen ihre Nahrung zusammen zu tragen / und weil die Einbildung von den Bildern / welche für gestellet werden ihren Namen hat / lässet sich zweiffeln / ob auch der blinde Maulwurff solcher fähig. Die Poeten erwärmen das Gehirn und stärcken ihre Einbildung mit dem edlen Rebensafft / welcher auch der Poeten Pferd genennet wird / was nun diese Einbildung für eine überauß grosse Krafft / wollen wir noch mit etlichen Erzehlungen beglauben / wiewol wir hiervon bereit an einem Ort auch gehandelt haben.

6. Ein Jud in Hispanien ist auf einem Esel entschlaffen / und das Thier wuste den Weg / und gienge über eine sehr schmale Brucken / die zwischen zweyen hohen Bergen war. Der Jud kame wol nacher Hause / als er ihm aber eingebildet die Gefahr / in welcher er gewesen / und wie leichtlich er den Halß brechen können / hat er sich so sehr entsetzt / daß er vor Schrecken gestorben. L. Vives in dem 3. Buch von der Seele.

7. Montaigne erzehlet von einem Weibe / welche ihr eingebildet / sie habe ein Stecknadel mit Brod eingeschlungen / und wolte ihr solches nicht lassen außreden. Der verständige Artzt giebt ihr ein Getranck ein / daß sie brechen machte / und wurffe eine gebogene Stecknadel in das Beck / welche die Frau ersahe / und dadurch wieder genesen. Diese beredete ein Edelman in Schertz / er hette ihr für einen Hasen eine Katz zu essen gegeben / darüber entsetzte sie sich so beweglich / daß sie ihr dieses für wahr eingebildet / und darüber in ein Fieber gefallen und gestorben.

8. Martin Weinreich meldet c. 17. von Wundergeburten / daß ein Weib für einem Ratzen erschrocken / und auch einen Ratzen zu der Welt geboren habe. Ein andre ist[161] für einem Leichnam erschrocken / und ihr Kind hat die Zeit seines Lebens einem Toden gleich gesehen.

9. Viel die man schertzweis zum Tod verurtheilt / sind auß Furcht und Einbildung gestorben / darunter Donella deß Hertzogen von Ferrara Tischrath gewesen / welcher seinen Herrn in das Wasser geworffen / ihm das Fieber abzuhelffen / unnd deßwegen die Flucht nehmen müssen: nachdem er aber in dem Parmesanischen Gebiet etliche Wafen gekaufft / und sich darauf auf einen Karren führen lassen / fürgebend / er were auf seinen Grund und Boden / hat der Hertzog den Karrn zu zerbrechen befohlen / und ihn wie gesagt / zu dem Schwert / welches ein klein Stäblein war / verurtheilt: von dem Schlage aber ist er auß Einbildung gestorben.

10. Einem Weibe in Beausse ist ein Frosch in die Hand gebunden worden / daß sie solchen darinnen solte sterben lassen / und ihr deß Fiebers damit abhelffen: sie hat ihr aber dz Thier so starck eingebildet / daß ihr Kind einen Froschkopff bekommen / welches sie damals empfangen hatte. Pareus.

11. In Westphalen hatte ein Edelmann die heiligen drey Könige in seiner Kammer abgemahlet / darunter einer als ein Mohr gantz schwartz gestaltet. Diesen bildete ihr die Edelfrau so starck ein / daß sie ein gantz schwartzes Kind mit grossen aufgelauffenen Lippen zu der Welt gebahre.

12. Zu Paris bildete ihm einer ein / er hätte ein Glocken in dem Kopf / und hörte sie klingen. Ein andrer sagte / er were von Mutter / und wolte nit in die Sonnen gehen. In dem Lymosinischen Gebiet hatte ein wildes Schwein einen Edelmann zu Boden geworffen / welchem doch die Jäger zu Hülff gekommen / und dem Schwein so viel Fänge gegeben / daß der Edelmann nit verwundet worden: Er hat ihm aber ungezweiffelt eingebildet / das Schwein habe jm mit den Waffen das rechte Bein abgeschlagen / und wolte sich keines andren bereden lassen / biß endlich zween Mönchen bey ihm eingekehret / deren der eine ihm erzehlet / daß er auch einen Schenckel verloren / aber durch Fürbitte deß H. Frantzen / denselben wieder bekommen.[162] Diesem stellte er Glauben zu / und kame also / ohne Wunderwerck / wieder zurecht.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der grosse Schau-Platz Lust- und Lehrreicher Geschichte, 2 Bde, Frankfurt a.M. und Hamburg 1664, S. 159-163.
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