(LXI.)

Die verwirrte Irrung.

[207] Was ihr nicht wollet / daß euch die Leute thun / das thut ihnen auch nicht. Dieses in der Natur und vielen Heyden Büchern gegründte Gesetz / stimmet mit den Worten unsers Erlösers über ein: Ma den Maß da ihr messet / wird man euch wieder messen: verstehe es sey Gutes oder Böses / und befindet sich solches auch in nachgesetzten Exempel / da dessen Blut wieder ist vergossen worden / der zuvor Blut vergossen hatte /wie folgends zu vernehmen seyn wird.

2. Nicht ferne von dem Fluß Arar wurde geboren Orianda / eine Jungfrau von wundervoller Schönheit. Wie die Sonne die kleinen Stäublein an sich ziehet: also locket ein schönes Angesicht der Jünglinge Hertzen. Unter ihren viel Bulern waren die nächsten an dem Bret Tolam und Lizard / beede tapfere und von ihren Eltern wol angesehene Edelleute: doch war von ihnen Lizard / wegen mehrers Reichthums / von Orianda aber Tolam wegen mehrerer Freundligkeit dem andern vorgezogen.

3. Dieser Jungfrauen Neigungen waren so wetterwendisch / daß sie bald zu diesem bald zu jenem schwebten / und man billich sagen mögen daß sie dem Mondschein in dem Haubt / welcher den Zu- und Abfluß ihrer Gunsten regierte. Diese beede standen auf dem Scheidewege der Hoffnung und der Furcht /gewillt bald einen / bald den andern anzutretten.

4. Die Freunde begehren zu wissen / welchen sie einmahl wehlen wolte: sie giebt ihnen die Wahl wieder heim / und sie nehmen sie bey dem Wort / und erkiesen Lizard / deme Oriande nicht widerspricht und also Tolam in untröstliche Betrübnis setzet. Er will ihn lassen für die Kllingen fordern / betrachtete aber /daß wann er obsiegt / land flüchtig werde müsste /[208] und daß er gegen ihm nichts verbrochen / in dem er sein Glück mit Füssen nicht weg gestossen / welches auch er Tolam nicht gethan / wenn es ihme nur so gut werden mögen.

5. In diesen Gedanken wil er von Orianda Urlaub nehmen / und bringt sein Anliegen so holdselig und doch kläglich vor / daß Orianda ihre alte Gewogenheit verneurt / und ihn anzunehmen / Lozard hingegen abzuschaffen verspricht: jedoch mit zweifflenden Worten / und Betraurung daß die Jungfrauen ihrer Freunde und Gesippten willen unterworffen / welchen sie beugen / aber nicht brechen könten. In zwischen triebe Lizard sein Verlöbnis / die Auffsetzung deß Heuratsbriefs / und wurde der Hochzeitliche Ehrentag bestimmet.

6. Tolam sendete durch seinen Freund Gordian einen Abschied Brief an Oriandam / welcher so beweglich / daß sie die Nacht vor ihrer Hochzeit / zu Gordian in das Hauß kommet / und mit ihme in Mannskleidern / biß zu Tolams Schloß / (von dar er mit der Post schon auf Paris zu abgeloffen) folget. Als sie nun verstanden / daß er sich in solcher fast weltgrossen Statt etliche Tage aufhalten würde / nehmen sie beede Abwege dahin zu kommen / und Tolam zu sprechen / ob man sich wol an einem so volkreichen Ort / sonder Zauberey / unsichtbar machen kan /

7. Tolam hingegen befande sich auf der zweyten Post so übel / daß er sich auf sein Schloß in einer Senfften zu rücke muß tragen lassen. Was für eine Verwirrung und Irrung in Orianda Hause entstanden /ist leichtlich zu ermessen. Die Befreunden mutmassen alle / daß Tolam Oriandam müsste entführet haben /und weil sie hören / daß er auf seinem Schlosse / lassen sie ihn durch Oberherrliche Handbietung / in das Gefängnis bringen. Nach deme er aber glaubwürdig erwiesen / wie es mit seiner Raise von Tag zu Tage hergegangen / und daß er Oriandam nicht gesehen /ist er wieder erlassen / und alle Schuld auf Gordian geleget worden.[209]

8. Tolam und Lizard hörten / daß Gordian und Orianda ihren Weg nach Paris genommen / folgen deßwegen / die Hochzeiterin wieder zurücke zu bringen. Tolam begegnet Gordian allein auf der Gassen /und lässet sich den blinden Zorn verblenden / daß er ihn also bald / als den Rauber seiner Liebsten / ermordet. Nach dem er nun Oriandam nicht erfragen kan / nimmt er den Weg wieder zu rücke und begegnet unfern von Hause in einem Gasthof Lizard / der ihn nun auch für den Entführer seiner Hochzeiterin gehalten / und ihn für der Faust niedergestossen / deßwegen er in verhafft gebracht worden / und durch den Henker eines schmälichen Todes sterben müssen.

9. Nach dem nun Orianda lang auf Gordian gewartet / muß sie / wie der verlohrne Sohn / nach Hause kehren / und üm Verzeihung ihrer Unbedachtsamkeit /mit einem flehendlichen Fußfall bitten: Ist aber zu einer gar gnädigen Straf in ein Kloster geschaffet worden: da sie / als eine Ursacher in dreyer Mordthaten /ihre Thorheit die Zeit ihres Lebens büssen müssen: Ob sie zwar den Vorsatz nicht gehabt einen von ihnen in Gefahr / und ümb das Leben zu bringen.

10. Weil hier von zweyen Zornigen gehandelt worden / wollen wir schliessen mit folgenden


Rähtsel.


Wie wird dieser Mann genennet /

der sich selbsten nicht erkennet /

der verhüllt sein Angesicht /

der liebt oh: Verstand zusterben

was er that das weiß er nicht /

und lässt seinen König erben.

will er sich der Sünde schenen /

kan er seine Schuld berenen.


Der Zornige kennt sich nicht wann er ergrimmt / verstellet sein Angesicht / setzet sein Leben auf die Spitze / und wann er seinen Gegner ermordet / oder ermordet wird / so fallen die Güter dem Könige heim: bereuet[210] er aber seine Sünde und ziehet zu rucke / so kan er bey Gott noch Gnade finden.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mord-Geschichte. Hamburg 1656, S. 207-211.
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