(VI.)

Die unschuldige Zůgeinerin.

[20] Selten findet man die Tugend unter den Lastern und die Unschuld bey den Ubelthätern. Das Lumpen Gesind / welches unter dem Namen der Zůgeiner die Welt durchwandert / sind solche Leute / daß man leichter einen weissen Raben / oder einen schwartzen Schwanen finden solte / als unter ihnen einen Frommen. Diesem nach ist folgende Begebenheit[20] billich unter die seltenē zu rechnen und deßwegen mehr als andre zu verwundern.

2. In Champagne ist eine Gesellschafft besagter Egyptier oder Zügener in einem Marcktflecken angelangt / unn alldar Herberg gesucht / unter welchen eine Schwangere so kurtz zuvor ihren Mann verlohren hatte / darnieder kommen / und von den andern /wegen ihrer Schwachheit zu rucke gelassen worden.

3. Die edle Frau / welcher der Marcktflecken eigenthumlich zustunde / erbarmete sich über diese verlassene / und leistete ihr allen Beystand: als sie aber vermerckte / daß es der Kindbetterin das Leben kosten möchte / in dem die Kranckheit von Tage zu Tage überhand nahme / liesse sie die Krancke durch den Geistlichen deß Orts besuchen / und zu Rettung ihrer Seelen beweglichst vermahnen: massen sie auch die kurtze Zeit ihres übrigen Lebens zu einem seeligen Tod wol angewendet.

4. Bevor nun die letzte Stund herbey nahte / bedancket sich die Zůgeinerin gegen ihre Wolthäterin / und gab ihr zu vernehmen / wie sie in der Jugend ihren Eltern entführet / sich mit einem flůchtigen Edelmann /der einen ermordet / und wegen Sicherheit sich unter die Zügeiner begeben hatte / verelichet / auch mit ihm diese Tochter Oliviam erzeuget / welche sie ihr befohlen / und einen Beutel mit hundert Kronen / zu ihrer getreuen Hand anvertrauen wolte / mit Bitt ihr solches Geld vorzutragen / biß sie erwachsen / und solches zu einer Außsteuer von nöthen haben möchte.

5. Avoye / also nennete sich diese Edle / hörte mitleidig zu / und verspricht ihr auch alle möglichste Willfahrung / dieses Mägdlein von so böser Gesellschafft ab und zu allen guten in ihren Diensten auffzuziehen / verhoffend ein Werck der Christlichen Liebsschuldigkeit darinnen zu leisten: empfangt also den Beutel mit dem Geld / und nimmt Oliviam auff / unter ihren andern Dienerinnen / nach Tamaris / der[21] Zügeinerin bald drauff erfolgten Tod / ehrlich und wol zu unterhalten.

6. Olivia erzeiget sich wol / ist fleissig und getreu /daß jhr Frau keine Klage über sie haben können /sondern vielmehr wegen ihrer Bescheidenheit und guten Sitten ihr mehr / als andern ihren Bedienten mit gunsten gewogen worden.

7. Hieraus entstunde nun Haß und Neyd / so die andern Mägde wieder diese Zügeinerin / wie sie sie nennten und würde ihr alles Unheil / so sich in dem gantzen Dorff begabe / meuchellistig beygemessen /und zu Beglaubung solcher Verleumbdung / mischten sie vielerley Wurtzel / Kräuter / Pergament Zettel /mit unbekanten Buchstaben unter ihr Gerätlein / und was verlohren wurde / muste alles die Zügeinerin entzucket haben.

8. Die Frau wil diesem Verdacht keinen Glauben geben / und entschuldigte ihre Unschuld mit der Anklägere verweiß / darüber sich denn die Feindschafft vermehrte.

9. Was begibt sich? Leon der Sohn in dem Hauß /verliebt sich in Oliviam / und ob er wol vermeinet / es were dieses Schloß leichtlich zu erobern / hat er doch mehr Widerstand gefunden / als er überwältigen mögen: in dem er nicht nur mehrmahls abschlägige Antwort erlangt / sondern sie hat sein unziemliches beginnen seiner Frau Mutter angesagt / welche ihm das Haubt mit einer scharffen Laugen gezwagen.

10. Nach diesem wandelt Leon seine Liebe in Haß und Feindschafft / und weil ihm nach Paris zu raisen anbefohlen / wil er nicht ohne zuvor verübte Sache scheiden: massen er die Gelegenheit erkundschaffet /unvermerckter weise aus seiner Frau Mutter Schatz /der Olivia hundert Goldstücke zu entwenden / und hundert Blätlein Eichenlaub an die stelle einzulegen.

11. Damit scheidet er und verzehret das Geltlein zu Paris in vollen Freuden. Avoye giebt bald hernach der Olivia Urlaub / ihrem Sohn alle Veranlassung[22] zum bösen aus dem wege zu raumen; weil er bald wieder nach Hause kommen / und endliche Strittigkeiten in der Nachbarschafft vertragen solte. In dem sie nun ihr das anvertraute Geld einhändigen wil / findet sie den mit Blättern angefůllten Beutel viel zu leicht / und schleusst aus diesem Betrug / daß die Olivia von ihrer Mutter die Zauberkunst ererbet / und die vorgemelten Aufflagen / ausser allem zweiffel / wahr seyn müsten.

12. Hierüber wird ein Geschrey in dem Schloß /Olivia hinaus gestossen / und von den rasenden Bedienten und Bauren mit Steinen verfolgt / daß sie in ihrer Unschuld zu boden geworffen und also jämmerlich ümb ihr Lebenkommen müssen.

13. Leon kehrt wiederumb nach Hause / und fällt in ein hitziges Fieber / daß die Aertzte ihn verlassen /und der Beichtiger seine Seele zu heilen beschicket wird. Es kunte ihm nicht unwissend seyn der Olivia jämmerlicher Tod / und daß er desselben Ursacher /sagte ihm sein Gewissen: Dieses zu entladen eröffnet er dem Beichtvater und seiner Frau Mutter den hinterlistigen Diebstall / durch welchen er Olivia verächtliches / und / wie er es nennte / verrähtliches Verfahren gegen ihn / zu rächen vermeint: nichtwähnend / daß es zu einem solchen Ende ausschlagen solte / und daß diese unschuldige umb das Leben kommen würde.

14. Hierüber betrübte sich die alte Mutter / daß sie ihr den blutigen Leichnam der Olivia nicht aus dem Sinne schlagen könte / und bedunckte sie / daß solche That ümb Rache gen Himmel schreye / wie das Blut deß Gerechten Abbels. Weil sie nun dieses verfahren nicht sattsam bereuen kunte / verschafft sie die 100. Kronen benebenst noch anderen gewissen Einkunfften für Tamaris und Oliviam jährlichen Seelmessen zu lesen / und gehet kurtze Zeit hernach den Weg aller Welt.

15. Leon steht von seiner gefährlichen Kranckheit auff / richtet aber seiner Mutter letzten Willen keines weges aus / und verlachet die Widerstattung[23] deß entwendten Geldes. Es ruhete aber die Straffe für der Thür / denn er von einem andern von Adel der ihn wegen Ehbruchs in verdacht hatte / unversehens in allen seinen Sünden ermordet worden.

16. Diese wahre und merckwürdige Geschichte lehret daß Gott keine Sůnd unbestrafft lässet / es stehe gleich kurtz oder lang an: wie wir an Leon sehen / der sich durch seine Kranckheit nicht wollen bekehren lassen. »Hiervon sagt der übertreffliche Marggraff Malvezzi / daß Gott nicht alles in dieser Welt unbestrafft hingehen lasse / damit die Bösen nicht wähnen / es sey kein Gerechter GOtt in dem Himmel / der auff das niedrige sehe: Hingegen straffe Gott auch nicht alles / damit die Frommen nicht vermeinen / es sey kein ewige Belohnung in jener Welt.«


Echo.

Echo sag / was bringt Unschuld?


E. Huld.

Sag / was bringt die Unschuld mehr?


E. Ehr.

Was hilfft wider Ungedult?

E. Geduld.

Also kan ein guts Gewissen /

Böse Tage wol versüssen.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mord-Geschichte. Hamburg 1656, S. 20-24.
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