(CXXXIX.)

Die gerettete Unschuld.

[482] Es ist ein altes / aber warhafftiges Sprichwort: Hüt dich für der That / der Lügen wird wol raht. Der beste Trost eines falsch angeklagten / ist ein gut Gewissen /dessen sich dorten getröstet die Brüder Josephs / daß sie zwar keine Kundschaffter / aber doch / sagten sie /daß sie diesen Unfall an ihren Brüdern verschuldet. Joseph aber gieng getrost in sein Gefängnis / wie auch Daniel in die Löwen-Gruben / die drey Männer in den Feuer-Ofen / und Susanna von dem Richtplatz / versichert daß Gott die Seinen durch unverhoffte Mittel wol weiß aus der Anfechtung zu erretten.

2. Dieses hat auch erfahren eine Edle in Poitiers /welche wir wegen ihrer Keuschheit Lucretiam[482] nennen wollen / ihren Eheherrn aber / wegen seiner ernstlichen Sitten / Catonem. Dieses Land-Herren grösster Lust war Jagen und Falken beitzen / Pferde / Hunde /wilde und zahme Thiere / so gar / daß er auch einen Löwen und eine Löwin / welche er mit aus Welschland gebracht / gehalten / der Hofnung / sie solten Junge ziehen. Dieser Cato hatte mit Lucretia eine friedliche Ehe / und Ursach / sie mit ihrer dreyfachen Schönheit zu vergnügē / als nemlich / deß Verstands /deß Leibs und der Glücks-Güter / welche sie alle reichlich besessen.

3. Es fügte sich aber daß dieses Herren Hofmeister sich in eine Gräfin verliebte / und nach langen Bedacht sich nicht enthalten konte / seine Brunst zu offenbaren / als Lucretia allein / und wegen etlicher Haußhändel mit ihm zu reden Gelegenheit gesuchet /welches er / als eine Gegenneigung außlegte / und leichtlich glaubte / was er gewünschet und verlanget. Verrähter / antwortete Lucretia / bist du wol so kühn daß du mich für eine Ehebrecherin ansehen solt? Schweig / oder ich wil dich deinen Frevel büssen machen / wie du verdienet hast. Was Ursache habe ich dir doch zu solchem Verdacht gegeben / du ehrvergessner Bub.

4. Mit solchem Bescheid musste dieser Hofmeister wieder abziehen / und machte ihm leichtlich seine Rechnung / daß er bey seinem Herrn übel angesehen seyn würde / deßwegen er entschlossen war / seinen Fuß weiter zu setzen. Lucretia aber sagte ihrem Herrn nicht an / was der Hofmeister an sie gelangen lassen /alles daraus besorgliche Unglük zu verhüten / weil sie wol wuste / daß er ein ernstlicher Mann / und sich an diesen untreuen Gesellen vergessen möchte. Als nun der Hofmeister nicht vermerken können / daß ihm sein Herr abhold / hat er seine Furcht fallen lassen /und sich aldar zuverbleiben entschlossen.

5. Lucretia sahe nun diesen Frevler nicht gerne für ihren Augen / er auch vermerkte wol / daß er keine Gnade zu erwartē / weil diese seine Frau leben würde /[483] trachtete deßwegen sie aus dem Mittel zu raumen /mit einer teufflischen Verleumdung / die ihm gewiß der Lügen Geist in den Sinn gegeben. Er hat aber mit Juda sagen müssen / weh mir / daß ich unschuldig Blut verrahten / wie wir nachgehends melden wollen.

6. Cato hielte an seinem Hof einen jungen starken und närrischen Menschen / welchen er den Haan in den Korb genennet. Dieser war ein einfältiger Gesell /den die Hofbursch fast gar toll gemachet / daß er sein Brod / ohn andre Arbeit: mit possenreissen zugewinnen pflegen. Der Hofmeister bediente sich nun dieses Narren zu seinem Vorhaben / und beschwätzet ihn /daß er eine grosse Schalkheit verüben könte / wann er sich in der Gräfin Schlafkammer verstekte / und morgens gegen Tag ihr unwissend / wieder heraus kommen würde. Der Haan in dem Korb liesse sich bereden / und war die Sache so viel leichter / weil Cato in einer andern Schlaffkammer zu übernachten pflegte.

7. Kurtz zu sagen / bringt der Hofmeister durch die dritte Person so viel zuwegen / daß Cato diesen Haan im Korb aus seiner Gemählin Schlafzimmer frühe Morgens gehen sihet / und weil er ein einfältiger Tropf / nicht anders wähnen mochte / als daß sie ihn /und nicht er sie zu solcher Schandthat geleitet / hat er ihn in das Gefängnis zu führen / sie aber seinen Löwen fůrzuwerffen befohlen: ohne fernere Erkündigung der Sachen. Ob nun der Hofmeister über seine Klugheit gefrolocket / ist leichtlich zu gedenken. Das Trauerspiel aber musste über den schuldigen / und nicht über den unschuldigen Theil ausgehen.

8. Die keusche Lucretia wird den Löwen fůrgeworffen / und kan zu keiner Verhör bey ihrem Eheherrn kommen. Was geschihet aber? Die Löwen und die Löwin / welchen man sonsten nichts zu essen gabe / verschonten / aus sondrer und wunderbar Schickung Gottes / dieser unschuldigen Gräfin: welches so bald dem Grafen berichtet worden / und nach dem in dem Gefängnis der einfältige Haan im Korb bekennet /[484] daß der Hofmeister ihn zu diesen Possen beschwätzet / ist er an statt der Gräfin in die Löwengruben geworffen worden / welche ihn alsobalden zerrissen und verzehret.

9. Die fromme Gräfin hat sich gegen ihren Herrn sehr beklagt / daß er sie ungehörter Sachen verurtheilt / deß wegen er ümb Verzeihung gebeten / und dieselbe leichtlich erhalten. Der Werkzeug dieses Unheils /ich sage der Haan im Korb ist der Gefängschaft wieder erlassen worden / und weil ihn die Gräfin für ihren Augen nicht sehen wollen / hat ihn der Graf von Hof geschaffet. Der Hofmeister aber ist in die Gruben gefallen / welche er der keuschen Lucretia gegraben hatte.

10. Zum Beschluß dieser Erzehlung wollen wir setzen die Wort welche Daniel in der Löwengruben folgenden Inhalts / vermutlich geführet.


Irrgedicht.

Du Gott Himmels und der Erden /

Hör ach hör doch meine Klag.

Ich schrey' / ich schrey' aus der Tieffen

Laß nun deine Gnade trieffen

in den letzten Todes nöhten

HErr erhöre was ich sag'.

Ach GOtt / ach GOtt zürne nicht /

ist des Königs Sinn ergrimmet /

der mich aus verhetztem Raht

nunmehr gantz verstossen hat.

Weiß ich doch / daß Gottes Huld

mich in seine Schirmung nimmet.

Der auf seine Güte trauet

ist versichert in Gefahr

in dem Wasser in dem Feuer

kommet Gottes Schutz zu steuer

und errettet aus den Nöhten

seiner frommen Diener Schar.

Du mein Schöpfer sihest mich

Du du prüfest Hertz und Nieren[485]

Du weist / daß ich dir vertrau'

und nach deiner Rettung schau'

Als nach dem / der mich wol kan

aus der Löwengruben führen.

Wann die lybier Thiere brüllen

von dem langen Hunger matt:

mit den starcken Schwäntzen schmeissen /

drauend mich bald zu zerreissen

und mit gantz entbrannten Schnauff /

von mir wollen werden satt /

So ruff' ich / HErr Gott zu Dir!

Du / du zaumest ihren Rachen /

daß das lang bemähnte Haar /

dieser wilden Löwen Schaar

mich / gleich jenem / hart erschrecket /

die von schweren Traum erwachen.

Der wil mir die Hände lecken /

dieser streicht mich mit dem schwantz

dieser wil mein Haubküß seyn:

jener stehet / wie ein Stein /

blinkend freundlich / unbeweget

mit der strengen Augen Glantz.

Meine Ruh' ist sonder Ruh'.

HErr du wirst mich nicht verlassen /

weil die Löwin mich verschont /

und ich der Gefahr gewont:

Dann du liebest / der dich liebt

und stürtzt alle die dich hassen.

Umb mich liegenTodten-Beine /

die mir bilden jener Pein /

so diß Löwen-volk verzehret /

das so freundlich mit mir fähret;

sie als meines Leibes Schützer /

nicht mehr meine Feinde seyn.

Ich halt ob deß Glaubens Pfand /

Hoffnung lässet nicht in Schanden.

Wer hat mir die Speise bracht?

GOtt / GOtt hat an dich gedacht.

Daniel / der König rufft /

dich zu retten aus den Banden!

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mord-Geschichte. Hamburg 1656, S. 482-486.
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