(CXL.)

Der unerhörte Kinder-Mord.

[486] GOtt der Allmächtige hat den Kindern gebotten / daß sie ihre Eltern ehren und lieben sollen: weil die Liebe nicht auf / sondern abzusteigen pfleget / und es keines Gebots bedarff / daß die Eltern den Kindern väterliche und mütterliche Neigung erweisen / welche ihnen gleichsam eingeschaffen ist: daher der getreue Gott seine Liebe gegen uns ungehorsame Kinder dem väterlichen und mütterlichen Hertzen vergleichet / wie in der H. Schrifft hin und wieder zu lesen ist. Es finden sich aber unartige Raben Eltern / welche nicht nur ihr Fleisch und Blut verlassen / sondern auch hassen /und alle natürliche Neigung auß ihren Hertzen reissen / wie dessen ein unerhörtes Exempel folgen sol.

2. In der Statt Meiland wohnte vor etlichen Jahren ein Kauffmanns-Frau / welche Pandora genamt /deren gantzes Leben war ein kurtzer Außzug aller Sünden und Laster / in dem sie Stoltz hochtragen / tyrannisch / und so geil / als eine lauffende Hůndin. In dem vierzehenden Jahre ihres Alters / machte sie sich zu einem Edelknaben / der zu Nachts bey ihr schlaffen musste / damit sie kein Gespenst erschreckte. Doch war sie klug in ihrer Thorheit / und wusste sich in Worten und Geberden so züchtig und keusch zu stellen / daß man diese Lais für eine Penelope gehalten /und hat doch ihre Liebs-Gewerb zu spielen nicht unterlassen.

3. Diese Pandora aber war nicht zu frieden / oder recht zu sagen nicht befriedigt von dem Edelknaben /sondern liesse auch einen andern jungen vom Adel /welcher ihre Kammerdienerin mit güldnen Kürissirern (ich wil sagen Ducaten) bekrieget / einkommen. Dieser verhofft die erste Blume an dem Rosenstock zu finden / musste aber erfahren daß ihme[487] Ehebrecher bevorkommen: doch belustigte er sich mit der Nachlese. Nach deme er seine Begierde gebüsset / hat er nicht mehr in den Garten kommen wollen / und sich mit Vorwand erdichter Kriegs-Dienste / abgedrehet.

4. Der dritte war ein reicher und fünfftzig jähriger Kauffmann / welchen sie heuratete und über 18. Jahre nicht zubrachte / daß also leichtlich zu erachten / mit was für einen doppelten Hornwerck sie das Hauß befestigen würde. Zu dem muste dieser Cornelius seinen Geschäfften nach auf die Messen verraisen / daß sie also Gelegenheit hatte ihrem Handel abzuwarten. Der Alte nahm Pandoram für eine Jungfrau an / weil er sich entweder / mit seinem Brillen auf diese Waaren nicht wol verstanden / oder von ihr / vermittelst zusammen ziehender Artzneyen / betrogen worden.

5. Bald nach ihrer Hinführung begabe sich / daß ein Edelmann von Rom Candido Jocondo benamt /aus seinem Vaterland / wegen eines Ableibs verjagt /und sich zu Meiland / unfern von der Pandora Hauß /aufhielte. Dieser sahe Pandoram an den Fenster / und verstande aus der Rede ihrer Augen / (welche Sprache die Italiäner fleissig studiren) daß sie ein treuhertzige Weibs-Person: Deßwegen er mit Seufftzen und Klagen seine Liebes-Brunst zuverstehen gegeben. Als er nun verstanden / daß sie Pandora genennet wurde /und ihme nicht unbewust / was die Poeten von Pandora dichten / daß sie nemlich von allen Göttern mit Gaben begnädigt / zween Becher in den Händen habe / aus welchen sie Gutes und Böses zu schencken pflege. Ließ er ihm dienen zu einem Liedlein / welches er Nachts auf der Lauten spielend / für der Pandora Hauß gesungen.


1.

6. Ach schöne Pandora / von Göttern gezieret /

vollkommen mit allen hochschetzbaren Gaben /

die andere Menschen absonderlich haben /

Ein sothaner Name dir billich gebühret.[488]

Du schenkest mir ein /

die quälende Marter / doch liebliche Pein.


2.

Sol Böses von schönesten Güteren kommen /

verursacht die Liebe so schmertzende Schmertzen /

in meinem / ja deinem verliebeten Hertzen /

Daß meine Gedanken Verständnis entnommen /

so schencke doch ein

das Gute / vermindere Leyden und Pein.


3.

Ach wehrte Pandora / was Venus ertheilet

das lasse doch Candido einsten geniessen /

mach seine Betrübnis mit Freuden versüssen /

schau Schöne / Cupido mich gäntzlich durchpfeilet.

komm schencke doch ein /

und rette Jocondo von tödlicher Pein.


7. Diesem Vogel dorffte man nicht viel singen /weil er sich gerne fangen liesse / und ist nicht außzusagen / wie gar unverschämt diese Pandora / sich gegen diesem Fremden erzeiget / daß er ihrer bald überdrüssig wordē / und nach deme er Landshuldigung erlanget / wieder nach Haus gezogen / und dieser freygebigen geilen Metzen gespottet. Vor seinen Abraisen / hat er bey allen Gesellschafften ruchbar gemachet / wie Pandora das ihrige auf Wexel gebe / und ihres Alten Handlung andern überliesse.

8. Der fünffte Buler bey dieser schönen Milaneserin war Cesar Parthenope / ein Edler Jůngling in besagter Statt. Dieser zoge in die Behausung deß Romenesers / und finge seine Liebe an / wo es derselbe gelassen. Er hatte leichtlich eine Festung bezwingen können / aus welcher die Besatzung gezogen / und da die Thůr andern zuvor offen gestanden; massen ein solcher Ort übel zu verwahren. Der Poet Euripides hat dieser Meinung recht gesagt:[489]


Wer sich der Unzucht hat ergeben /

der führet stets ein böses Leben.


9. Ohne Einruckung ärgerlicher Umstände / bulten sie fast alle Nächte biß an den Morgen / und war dieser letzte der Liebste. Lucio Martiano / welcher in der Nachbarschafft wohnte / und dieser Dirne Gewerb wol in acht nahme / warnete Cesar / daß er doch / sein Unglück zu vermeiden / dieser Schandmetzen müssig gehen solte / und erzehlte ihme / was er von Candido Jocondo gehöret / und daß ihr Mann / wann er in Erfahrung kommen solte / wie andere seine Stelle vertretten / nicht unterlassen würde / Rache zu üben: Weil aber Cesar ein Jüngling der Fleisch und Blut /bey welchem die Begierden der Jugend nicht außbleiben / so solte er sich verheuraten / an eine Jungfer Eusebiam Jovial genamt / die seinem Stand gemäß / wie er auch in der Stille gethan / daß solches Pandora nicht erfahren / als nach deme es geschehen gewesen.

10. Es befande sich aber Pandora von diesem letzten schwanger / und wusste / daß nun ihr Mann wiederkommen solte. Sie schreibt an Cesar / und giebet ihm genugsam zu verstehen / daß ihre Liebe nunmehr sich in Feindschafft verwandelt / und daß sie einen Tyrannischen Schluß / wider ihre Leibesfrucht nehmen möchte. Cesar giebt der Dirnen / so ihm den Brieff eingehändigt / diese mündliche Antwort / Sage deiner Frauen / benebens meinem Gruß / daß sie mir das / was sie hier schreibet / viel eh offenbaren sollen: Doch wil ich nicht unterlassen / alles zu verschaffen /was von nöhten seyn wird.

11. Als nun Finee / die Magd / solche Antwort hinterbracht / hat Pandora viel böse Anschläge in dem Sinn gehabt. Bald wolte sie sich / bald ihren treulosen Bulen / bald die Frucht in dem Leibe erwürgen. Sie sendet zu einer Zauberin in den Thal / welcher Comico genennet wird / eine Kunst zu holen / den Cesar wiederumb an sie zu bringen. Ob nun wol die Hexen ihr etliche Sachen schickten / hat[490] sie doch solche dem gewesen Liebsten nicht können beybringen.

12. Als sie nun an dem Vater nicht Rach üben möchte / und der siebende Monat ihrer Schwängerung ergangen / entschleusset sie sich an deß Cesars Kind /(als ob es nicht auch das ihrige were) zu rächen. Die Magd wolte sie zur Gedult ermahnen / und sprache ihr zu / sie solte doch ihrer selbst schonen: Das verteuffelte Weib aber bedrauete sie zu erwürgen / wann sie nicht thun werde / was sie ihr befehlen würde. Nöhtigte sie also / auf einen Kasten zu steigen / und von denselben herunter auf ihren groß gespannten Leib so lang zu springen / biß das Kind von ihr gekommen / welches sie alles mit höchster Gedult außgestanden / daß ihr auch das Angesicht aufgeschwollen / und wie leichtlich zu erachten / keine geringe Schmertzen verursachet.

13. Die Gotteslästerliche Worte / so sie darzu gebrauchet / wollen wir hier bey zu fůgē nicht wehrt achten / und ist sie nicht vergnügt gewesen / daß sie ihres Leibes halb todten Frucht erlediget worden /sondern sie hat das unschuldige und ungetauffte Kind an die Wand geschlagen / zerrissen / wie man eine Ziegen zertheilen kan / mit Füssen zertretten / das Hertzlein aus dem Leib gerissen / und einem Schafhund vorgeworffen / welchen sie in die Kammer kommen lassen. O unerhörter Kinder-Mord / welchen auch die Löwen und Thigerthiere an ihren Zůchten nicht zu üben pflegen. Wer weiß / wie die Welschen in ihren Gemůts-Neigungen gantz ungehalten sind /wird dieser Warheit wol Glauben zu stellen.

14. Nach solcher grausamen Mordthat ist sie / von den außgestandenen Schmertzen erkrankt / und hat ihr Leben in Teufflischer Verzweifflung geendet. Finee ihre Magd hat solches alles / wie Pandora befohlen /dem Vater deß Kindes angemeldet / und ihn dardurch so sehr betrübt / daß er in ein Kloster gegangen / und ein Frantziscaner Kutten angezogen / seine Sünde zu büssen. Finee aber ist von Meiland entwichen / weil sie befürchtet / es möchte ihr[491] wegen Behülffe zu dieser erschröcklichen That auch übel gelohnet werden.


Wollust ist deß Teuffels Thron /

bringet endlich Spott und Hohn.

Sie strafft ewig Gottes Sohn /

Zeitlich hat man Reu darvon /

ja deß Teuffels Marter-Kron

ist der Buler letzter Lohn.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mord-Geschichte. Hamburg 1656, S. 486-492.
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