(CXLII.)

Die bestraffte Blutschand.

[495] Wann ein Mensch ein Königreich / oder alle Wollust / die er ihm selbsten wünschen möchte / verdienen solte / und dagegen seine Hand 24. Stunden in das Feuer halten: Würde sich wol niemand finden / der solchen Schmertzen außstehen könte? Gewißlich der sichs unterstehen solte / wird seine Thorheit bereuen /und bald wieder zu rücke ziehen. Was thun aber die frevlen Sůnder anderst / als daß sie gegen der zeitlichen Ergötzlichkeit der Sünden / nicht die Hand /sondern den gantzen Leib / nicht nur 24. Stunden /sondern von Ewigkeit zu Ewigkeit / in die unerlöschliche Höllenflammen stürtzen / da die Reue zu spat /und kein zurücke ziehen mehr statt finden wird.[495]

2. Wann nun die Verdamten durch das gestraffet werden sollen / dadurch sie gesůndiget / wie die Gelehrten wollen / so ist ausser zweiffel / daß die Brunst die unzůchtigen und viehischen Liebe / mit den Flammen an heimlichen Orten bestraffet werden wird / und wann die Hurerey mit so gantz unerträglicher Straffe belegt / was müssen denn die Blutschänder erfahren /welche wieder Göttliche / natürliche und aller Völcker recht / Seelen vergessen / wissentlich dahin sündigen. Alle zeitliche Straffe ist zu gelind / ob gleich solche Knechte doppelte und vierfache Straffen empfahen /weil sie ihres Herrn Willen wissen / und doch nicht volbringen / sondern das Wiederspiel thun. Hiervon folget eine sondere Geschichte / welche zwar was alt /und sich begeben zu Zeiten König Karls deß VII. der die Engelländer aus Frankreich gejaget / doch merkwůrdig / und auf diesen Schauplatz gehörig.

3. Der Fürst Nicolas von Este / Marggraf zu Ferrara / war zwar aus unehlichem Bette geboren / hatte aber das Glück / daß er Azzo den rechten Erben verjagte / und besser regierte / als keiner seiner Vorfahren. Er vermählte sich mit Frantzen von Carrara / damals Herrn zu Padua / Tochter / und erzeugte mit ihr einen Sohn / welchen er Hugues nennen liesse / dem er die Grafschafft Rovigo zu geeignet. Kurtz darnach hat diese Mutter Hugues die Welt gesegnet / und ist von ihrem Herrn und allen Unterthanen sehr betrauret worden.

4. Der Marggraf wolte sich nicht verheuraten / sondern wehlte ihm alle Nacht eine andre Beyschläferin /daß die Zahl seiner unehlichen Kinder sehr groß worden. Nach etlichen Jahren / lässet er sich von seinen Rähten bereden / daß er sich vermählet mit Malatesta Fräulein / die dazumals viel Stätte und Flecken / ja fast die gantze Romagnam beherrschte. Diese seine zweyte Gemählin war schön / und hatte nicht mehr als 17. oder 18. Jahre / daß der Marggraf sich billich mit ihr hette vergnügen sollen: Er fuhre aber auf die vorige Strassen / und besuchte die alten[496] Kunten; als ob er andern zu gefallen ein Weib / ihme zugefallen aber viel Kebs-Weiber hielte: Deßwegen auch vielleicht Gott / nachgehendes Ergernis in seinem Hause verhengt.

5. Die Marggräfin wusste aus was Ursachen ihr Herr bey ihr aussetzte / und beklagte sich einsten gegen ihre Kammer-Dienerin / welche ihr getreu war /und sie von Jugend auferzogen hatte. Diese Melitta (also wurde sie genannt) räht ihr / sie solte sich rächen / ihn mit gleicher Müntz bezahlen / und sich auch mit andern lustig machen / wie ihr Herr. Die Marggräfin antwortete / daß solches übel hinaus gehen würde / und daß die Männer / welche die Gesetze der Keuschheit verfasset / solche nicht ihnen /sondern dem Weiber-Volk auferlegt / und sie darnach zu bestraffen pflegten? in dergleichen Verbrechen aber ungestrafft außgiengen. Doch weil sie gesehen daß der Tod oder das Alter ihren Herrn allein von solchem unzüchtigen Leben abhalten würde / ist ihr die Zeit / so lang zu warten / viel zu verdrießlich gefallen.

6. Der junge Hugues pflegte mit seiner Stiefmutter zu spielen / ihr die Zeit zu kürtzen / zu spatziern / und war aller Liebes Verdacht von ihnen entfernet. Ob ihn nun diese geile Dirne zu bösen Händlen veranlasste /war er doch / als noch ein gantz unerfahrner Schüler /nicht fähig zu verstehen was sie von ihm haben wolte / sondern erwiese ihr allen kindlichen Gehorsam / und schuldige Ehrerbietung.

7. Als auf eine Zeit der Marggraf nach Meiland veraiset / mit selben Hertzog / wegen wichtiger Händel Unterrede zu pflegen / hat diese verlassne Wittib /an dem Sohn einkommen wollen / was ihr der Vater ist schuldig verblieben. Sie lässet den jungen Grafen holen / und saget ihm / daß sie mit seinem Herrn Vatern betrogen worden / auch nicht anders gewust / als daß sie mit ihm / und nicht mit dem alten Hachten /vermählet werden[497] sollen / deßwegen dann solche Ehehandlung nicht bündig / weil ein Irrthumm in der Person vorgegangen: giebt ihm darbey zu verstehen ihre Vorsorge / daß seine Stief-Brüder ihn so leichtlich aus dem Lande jagen können / als sein Vater seinen rechten und ehlichen Bruder vertrieben.

8. Dergleichen Gespräche setzte sie nach / brünstige Liebes Wort / kůssen und betasten / daß ihre Schönheit und holdselige Geberden auch einen Einsiedler hetten verführen sollen. Der Graf liesse sich nach schwachem Wiederstand bezaubern / daß er mit ihr vollbracht / darob sie beede einen Abscheu und Greuel haben solten. Ob dieser Blutschand / welche vielmals in die zwey Jahre fortgesetzet worden / hat der Marggräfin eine alte Kammermagd sehr verweißlich zugesprochen / daß sie angefangen ihr grosses Unrecht zu erkennen / weil es aber angefangen /hat sie doch die Liebes-Brunst getrieben / in dem Unrecht zu beharren.

9. Als nun ihr Sünden-Maß voll / erkundschaffte ein Hof-Diener / welcher seinem Herrn getreu seyn wolte / daß der junge Graf zu Morgens aus seiner Stiefmutter Schlafkammer geschlichen kommen: Als nun dieser einsten auf einem heimlichen Gemache mit blossem Rucken die Wand ansahe / (wie Opitz redet) wird er eines kleinen Löchleins gewahr / durch welches er gesehen / was zwischen diesen Sohn und der Mutter vorgegangen / und hat sich nicht wenig darob entsetzet / hat auch zu andrer zeit den Marggrafen dahin geführet / und selbsten den Augenschein lassen einnehmen.

10. Der Marggraf erstaunte ob dieser Blutschand /und liesse aus seinem Hertzen die väterliche Liebe und Neigung gegen diese Frevlere. Befihlt deßwegen beede in das Gefängnis zu legen / da ihnen bereit ihr böses Gewissen zum Henker worden. Der Scribent /aus welchem wir dieses vermelden / setzet / daß die Marggräfin / als man sie in Verhafft geführet / in ihrem Frauen-Zimmer / ein Lied nachgesetzten inhalts / gesungen / welches ihr gleichsam eine[498] Weissagung ihres für der Thür ruhenden Unglücks gewesen.


1.

11. Niemand hat so gute Tage

der hier lebt auf dieser Erden /

daß sie nicht durch manche Plage

solten unterbrochen werden.

Glück und Unglück ist verbunden /

Und wird keins allein gefunden.


2.

Was uns Menschen heut behaget /

kan uns Morgen leicht mißfallen.

Dem die Furcht das Unglück saget /

und nicht kan gesichert wallen.

Leid und Freude sind verbunden /

keines wird allein gefunden.


3.

Weil wir schnöde Menschen leben /

kan uns niemand selig preisen /

Tod du kanst den Ausschlag geben /

und zu wahrer Ruhe weisen.

Tod und Leben ist verbunden /

und wird unerwart gefunden.


12. Als sie dieses Lied geendet / ist sie in Verhafft gebracht worden / und nach dem der Marggraf die Sache reifflich erwogen / hat er beeden Gefangenen das Leben abgesprochen / und sie ermahnen lassen / daß sie GOtt üm Verzeihung ihrer Sünde bitten solten. Folgende Nacht hat der Nachrichter beeden Blutsch ändern die Häubter herab gehauet / und ihre Leichnam folgenden Tages offentlich sehen / und in eine Kirchen mit stattlicher Begängnis eingraben lassen /daß sie auch in dem Tod wie in dem Leben beysammen zu liegen kommen. Es wurde auch hierunter der Hertzog bestraffet / in dem er seines einigen ehlichen Sohns / und Lands-Erben beraubet worden / welches er mit vielen Threnen betrauret.

Quelle:
Georg Philipp Harsdörffer: Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mord-Geschichte. Hamburg 1656, S. 495-499.
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