Fünfte Szene

[216] HANS RUDORFF junger Leutnant, Mitte der Zwanziger. Abgerundete, fast weiche Bewegungen, in elegantem, modernem Ziviljackettanzug. Seine Gesichtsfarbe ist im Gegensatz zu der seiner Kameraden ein wenig blaß und zart. Er tritt zuerst von rechts ein. Ihm folgen Harold Hofmann, ein großer, ernster Mann mit Ordensband, Peter und Paul, Moritz, Benno und Meitzen.


Die Herren am Skattisch haben sich beim Eintritt erhoben. Hans stutzt einen Moment beim Anblick Grobitzschs. Dann geht er geschwind auf von Marschall zu, der ihm freundlich auf halbem Wege entgegenkommt und ihm die Hand reicht.


VON MARSCHALL die Hand Rudorffs mit beiden Händen fassend und kräftig schüttelnd. Guten Tag, lieber Rudorff. – Na, glücklich wieder angelangt?

HANS gibt dem nähergetretenen Glahn die Hand. Guten Tag, Glahn.

GLAHN. Guten Tag, Rudorff.

HANS geht auf Grobitzsch zu und reicht auch ihm die Hand. Guten Tag.[216]

VON GROBITZSCH reserviert, höflich. Guten Tag. –

PETER laut. Ordonnanz! Die Suppe!

PAUL. Komm, setzen wir uns!


Er faßt Hans unterm Arm und führt ihn nach rechts.


HANS sich die Hände reibend. Ja, Kinder, ich habe höllschen Hunger.

PETER. Hier. Hierher! – Alles in Ordnung.

HANS. Ah: sieh da.

PETER. Hier, an meine grüne Seite. Harold, du sitzt da.


Die Beiden nehmen ihn in die Mitte.

Gleichzeitig setzen sich die Herren des Skattisches wieder.


VON GROBITZSCH. Also Glahn, Sie geben.

EINE ORDONNANZ bringt die Suppe für Harold und Hans, eine andere Ordonnanz auf einem Tablett zwei Glas Portwein.

MORITZ schenkt die Bowle ein. Lieber Hans: ich muß zunächst ordnungshalber bemerken, daß diese Bowle in der ursprünglichen Anlage nicht von mir stammt.

BENNO. Weeßte, Hans, du siehst aus, wie'n Mächen!

MORITZ gleichzeitig. Wie'n junger Gott!

PAUL. Ja ja – ihm hat jetzt 'ne ganze Weile so die echte, gesunde Kommißluft gefehlt!

HANS. Nu ja, aber wißt ihr: ich war auch verdammt auf dem Hund. –

PETER. Aber fett bist du geworden – bei Großmuttern? – Was?

BENNO. Das ist kein Schönheitsfehler!

MORITZ gleichzeitig. »Laßt wohlbeleibte Männer um mich sein!«

ORDONNANZ bringt den zweiten Gang.

BENNO mustert Hans mit dem Monokel. Bei Gott! Feist wie'n Stabsoff'zier!

HANS zu Meitzen. Mein lieber Herr Doktor: wie gefalle ich Ihnen denn?

MEITZEN. Gut. Wenn ich denke, wie Sie weggingen ...

HANS. Sehen Sie! Das ist die Hauptsache!


Er schüttelt ihm die Hand.
[217]

PETER. Na, Moritz! Unvorbereitet wie du dich hast – los!

MORITZ steht auf, räuspert sich und Klopft ans Glas. –: Meine Herren!

HANS. Nur nicht feierlich, lieber Mohr! Mach's kurz!

MORITZ ernst. Meine Herrn! Ein halbes Jahr lang war uns unser lieber Rudorff jetzt entrissen. Wir sind eine Zeitlang in banger Sorge um seine Gesundheit gewesen. Hm. Aber auch sonst – wie sehr er uns allen gefehlt hat, brauch ich wohl nicht erst zu betonen. Nun haben wir ihn wieder in unsrer Mitte. Gott sei Dank: gekräftigt an Leib und Seele – bereit, sich wieder ganz in den Dienst des Regiments zu stellen, mit dessen Traditionen der Name Rudorff unauslöschlich verbunden ist. Meine Herren, ergreifen Sie Ihr Glas – Die Herren erheben sich. – und Stimmen Sie mit mir ein in den Ruf: unser lieber Rudorff, der würdige Enkel des ritterlichen Kommandeurs, der bei Mars-la-Tour an der Spitze unseres Regiments gefallen ist. Er hebt sein Glas gegen das Bild zwischen den Fenstern. Unser Hans – er lebe hoch! Nochmals: hoch! Und zum dritten Male: hoch!


Die Herren stimmen in das dreifache Hoch ein und stoßen erst mit ihm, dann untereinander an.

Die Herren am Skattisch links haben sich während der Rede verschiedentlich angesehen und einander aufmerksam gemacht. Nach dem Hoch legen von Marschall und Glahn die Karten aus der Hand.


VON MARSCHALL sich halb erhebend. Prosit, lieber Rudorff!

GLAHN. Prosit, Rudorff.

VON GROBITZSCH bleibt sitzen. Prosit.

HANS erwidert durch Kopfnicken mit dem Glas in der Hand.

HAROLD gleichzeitig, während er mit Moritz anstößt, kopfschüttelnd. Du kannst es doch nicht lassen, immer das alte Phrasengedresche ... Aber wir danken dir.

MORITZ dreht sich schmunzelnd den Schnurrbart.

PETER indem er Hans auf die Schulter klopft. Keine Phrasen, lieber Hans, keine Phrasen! Du und das Regiment!


Er und Paul stoßen nochmals mit ihm an.

Alle setzen sich wieder.
[218]

HANS zerstreut, mit einem Seufzer. Ach ja ... Das sagt ihr so ... Er sitzt einen Augenblick versunken da – reißt sich dann von seinen Gedanken los und sagt forsch. Na: los! An die Gewehre! Er sieht sich die Schüssel an. Was haben wir denn da?

MORITZ. Ein gemästet Kalb. Das hat unsere wackere Frau Lubahn extra geschlachtet – für den verlornen Sohn.

BENNO. Und in Schnitzel zerlegt.


Lachen.


HANS essend. Nu, mein Benno: Du bist jedenfalls noch der Alte geblieben. Was?

BENNO. Hoffentlich! Wozu die Neuerungen! Prost, alter Junge – in diesem Sinne!

HANS. Prosit! Ich habe übrigens neulich auf der Reise dein Bild gesehn.

BENNO. Mein Bild? Erlaube mal ... Wo denn?

HANS. Im Simplicissimus.

BENNO. Ha! Rede mir nicht von diesem Schandblatt! Ist mir schon öfter gesagt. Was kann ich dafür? Skandal!

MORITZ der die Gläser wieder gefüllt hat und in der Folge weiter einschenkt. G'sundheit! G'sundheit!


Alle stoßen gemütlich lachend wieder an.


BENNO. Donnerwetter! Er sieht nach der Uhr. Zehn Minuten Drei! Er springt hastig auf. Ich habe ja um drei Uhr Abmarsch ins Gelände! – Furchtbar leid! Wiedersehn.


Er gibt Hans herzlich die Hand und eilt rechts ab.


PAUL nimmt den Platz von Benno ein. Na, Hans, was hast du uns denn eigentlich mitgebracht?

HANS essend. Ich? Nischt. – Aber Großmama – läßt euch herzlich grüßen. Sie hofft, ihr werdet fortfahren »ihr Stolz« zu sein!

VON GROBITZSCH laut, im Ausspielen. Machen wir!

PETER. Da fällt mir ein – trinken wir mal auf das Wohl unserer alten Dame! Die andern Herrn dürfen sich anschließen.[219]

MORITZ gleichzeitig. Causa bibendi!


Sie stoßen an.


VON GROBITZSCH indem er seine Karten aufdeckt. Die Sache will's. Schluß!

VON MARSCHALL streicht das Protokoll. Lieber Grobitzsch – da dürften Sie wohl der Leidtragende sein.

VON GROBITZSCH. Natürlich, wie immer. Ordonnanz: die drei Bier bezahl ich.

VON MARSCHALL UND GLAHN stehen auf und gehen nach rechts.

GLAHN im Vorbeigehen an dem andern Tisch. Mahlzeit, meine Herren.


Verbeugung, ab.


DIE HERRN am rechten Tisch, ohne sich zu erheben. Mahlzeit.

VON MARSCHALL geht zu Hans, der sich erhebt. Na, lieber Rudorff, nu leben Sie sich möglichst bald wieder ein in den ... Apparat.

HANS. Danke, danke, lieber Marschall, wird sich schon machen.


Sie schütteln sich die Hände.


VON MARSCHALL mit Verbeugung zu den andern. Mahlzeit, meine Herren. Überanstrengen Sie sich nicht!

DIE HERRN lachend. Besten Dank, Mahlzeit, Mahlzeit!

VON MARSCHALL rechts ab.

ORDONNANZ hat inzwischen Herrn von Grobitzsch das Parolebuch gebracht und aufgeschlagen vor ihm auf den Tisch gelegt.

VON GROBITZSCH rückt seinen Stuhl schräg und scheint sich im Folgenden in die Lektüre des Parolebuches zu vertiefen. Bringen Sie mir noch ein kleines Glas Bier!

EINE ORDONNANZ stellt rechts, wo Hans und Harold fertig gegessen haben, zwei Lichter auf den Tisch. Die Herren stecken sich Zigarren an.

MORITZ gemütlich. Teurer Freund, nu erzähl mal – was hast du denn nun eigentlich alles erlebt? Wenn einer eine Reise tut ... Haste viel gedichtet?

HANS. Nee! Gott sei Dank ...

MORITZ. Schade! Sehr schade![220]

HANS. Das überlaß ich von jetzt an dir, alter Bratenbarde. Aber erlebt hab ich manches. Ja, Kinder, ich habe mehr erlebt, als ihr ahnt.

MORITZ. Oha! Also los!

HANS. Ja, mehr als ihr ahnt – vor allem – ich habe mich nämlich ver –


Sein Blick begegnet zufällig dem Blicke Grobitzschs. Er stockt.


PETER. Na?

HANS. Ich habe mich – verdammt nach euch gesehnt.

MORITZ. Kleiner Schäker.


Lachen und Anstoßen.


HAROLD ernst. Hm. – Du, Hans, was ... sagst du denn dazu, daß du ... hm ... daß du ... hm ... daß man dich in die Kaserne getan hat?

HANS. Du lieber Gott! Kaserniert oder nicht kaserniert. Wenn's Kind nur Luft hat.

MORITZ. So die echte, garantiert reine Kasernenluft.

PAUL. Feine Sache. Übrigens: laß man gut sein, Vetter. Das Wohnen in der Kaserne hat auch seine Vorzüge.

HANS. Ach natürlich, was macht denn das. Wenn's weiter nichts gäbe. Ich glaube übrigens kaum, daß es lange dauern wird. Ich habe dazu meine ganz bestimmten Gründe ...

HAROLD. Wieso?

HANS nach einigem Schweigen. Wer weiß. Hoffentlich ... löst mich bald ein jüngerer korrektionsbedürftiger Dachs ab. Macht ja nichts. Macht ja nichts.

HAROLD. Hm. Ja. – Und was ... hm ... Was sagst du denn zu deiner neuen Kompagnie?

HANS lebhaft. Was?! Bin ich denn nicht bei meiner alten Kompagnie geblieben?

HAROLD. Nein. Du bist zur siebenten gekommen.

HANS. Aha! Seiner Majestät schneidigste Kompagnie! Da soll ich wohl ordentlich zugeritten werden. Hm?

PETER. Ach! Was denn! Der Hauptmann Rohde[221] ist ja ein bissel ... ja ... er hat seine Eigenheiten. Aber!

HAROLD. Na? Was denn? Aber?

PETER. Ach was! Ich habe bei dem Mann acht Wochen gestanden und bin ausgezeichnet mit ihm ausgekommen. Man muß ihn eben zu nehmen wissen. Jedenfalls behandelt er einen als Offizier und hat seine Kompagnie großartig im Zug.

VON GROBITZSCH erhebt sich mit dem Parolebuch in der Hand. Beruhigen Sie sich, Rudorff – wie ich hier eben im Parolebuch lese – habe ich zunächst die Ehre ... vierzehn Tage die siebente Kompagnie zu führen. – Herr Hauptmann Rohde hat Urlaub genommen. Schweigen. Also bitte, ersparen Sie sich den Weg zu mir! Ich danke für persönliche Meldung.

HANS steht auf und verneigt sich stumm.

VON GROBITZSCH an dem Tisch vorbeigehend. Mahlzeit, meine Herrn.


Er geht rechts ab. – Schweigen.


Quelle:
Otto Erich Hartleben: Ausgewählte Werke in drei Bänden. Band 3, Berlin 1913, S. 216-222.
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