Fünfte Szene

[237] HANS sieht ihnen etwas zerstreut nach.

SCHMITZ gemütlich. So. Na nu gestatte mal ... nu will ich mich mal auf dein Ledersofa setzen. Er setzt sich in die Sofaecke rechts. Er will sich so recht hineinwerfen, fühlt aber, daß es hart ist. Oho!

HANS. Ja, ja! Nicht wahr: was so'n echtes Königlich Preußisches Kasernensofa ist ... »Je mehr anderwärts Luxus und Wohlleben um sich greifen, um so ernster tritt an den Offizierstand die Pflicht heran, nie zu vergessen, daß es nicht materielle Güter sind, welche ihm die hochgeehrte Stellung im Staat und in der Gesellschaft verschafft haben.«

SCHMITZ lachend. Du redst wie 'n Buch.

HANS. Das hab ich noch so von Kriegsschule her behalten. – Aber wollen wir nicht lieber ins Hotel gehn? Da ist es denn doch ...

SCHMITZ. Weshalb? Ich find es hier sehr nett. Hotels kann ich alle Tage haben, aber in so 'ner Leutnantsstube in der Kaserne bin ich noch nie gewesen. Er sieht sich um. Riesig interessant.

HANS. Nicht wahr ...

SCHMITZ. Aber komm, setz dich doch auch, Hans![237]

HANS setzt sich rechts auf den Stuhl.

SCHMITZ. Komm, steck dir noch eine von den Echten an, die dir vorhin so gut schmeckten.

HANS. Die vorletzte?

SCHMITZ. Oh, ich hab im Koffer noch. Nimm dir nur! Von Köln werd ich dir ein Kistchen zukommen lassen. Sie zünden sich die Zigarren an. Nun sag mal: wo schläfst du denn hier eigentlich?

HANS. Ja, sieh mal, das ist ja nun eigentlich ziemlich mangelhaft. Indem er aufsteht und die Tür rechts hinten öffnet. Das ist hier. Ein kleiner Raum. Ganz dunkel. Wie eine Gruft – wie ein Familienbegräbnis. Er schließt die Tür wieder. Licht und Luft kommen einzig und allein hier oben durch dies Fenster. Das ist verstellbar. Natürlich läßt man's den ganzen Tag offen. Lächelnd. Nu, aber, wie du so freundlich warst anzudeuten – man wird ja hier sein Leben nicht beschließen.


Er setzt sich wieder auf seinen Stuhl.


SCHMITZ. Ja! Es ist doch ein merkwürdiges Leben ... Sag mal: deine Vettern, die Rambergs: das sind doch so eigentlich die ... die Richtigen?

HANS. Die Richtigen?

SCHMITZ. Nun ja ... ich meine ... für das Offiziersleben.

HANS. Erlaube mal! Ich wohl nicht?

SCHMITZ. Dich könnt ich mir auch anspruchsvoller denken. Aber die ... Ein paar prächtige Menschen übrigens!

HANS. Ja, ja ...

SCHMITZ. Deine Großmama kann sie gar nicht genug rühmen.

HANS. Das glaub ich! Sie waren schon in Lichterfelde Musterknaben. Aber, verzeih mal, lieber Papa: das ist mir vorhin aufgefallen: weshalb ... wofür danktest du ihnen eigentlich?

SCHMITZ verlegen lächelnd. Ich? Ach so ... na, sie haben sich doch wohl deiner immer sehr angenommen.

HANS. Angenommen?[238]

SCHMITZ. Sie stehn dir ja doch schließlich auch am nächsten.

HANS. Nun ja, aber: »angenommen –« Na, wenn du willst ...


Pause.


SCHMITZ. – – Das Bild von der Käthe macht sich da übrigens sehr schön.

HANS. Prachtvoll, jawohl. Eigentlich viel zu schade für so 'ne Kasernenbude.

SCHNITZ. Schade? Wieso?

HANS. Ich meine nur: es paßt doch nicht so recht ... in die Umgebung.

SCHMITZ. Hm. Ja. Na ... Pause. Hans, hör mal zu! Es ist mir peinlich, aber – ich hab's nun mal deiner Großmutter versprechen müssen – sie hat mir da so was angedeutet – so was erzählt – von einem Mädel – Gott: jeder hat ja mal in seiner Jugend ... mehr oder weniger ... seine Streiche gemacht ... sich die Hörner abgelaufen ...

HANS schweigt.

SCHMITZ. Also – versteh mich nicht falsch, Hans ... ich will dir nicht etwa deine Sünden vorhalten und Tugend predigen – keineswegs. Ich will nur – oder eigentlich soll nur – dich noch einmal – fragen – du sollst mir – sagen: daß jetzt – verstehst du wohl: jetzt alles vorbei ist. Aber auch alles! – Kannst du mir das versichern?

HANS ohne aufzusehen. Ja, Papa: das kann ich dir mit gutem Gewissen versichern.

SCHMITZ reicht ihm die Hand.

HANS schlägt ein. Es ist wirklich alles – vorbei.


Pause.


SCHMITZ. Na, Gott sei Dank! Nun bin ich die Sache los. Ich meine: diesen peinlichen Auftrag. Ich weiß wirklich nicht, weshalb deine Großmama mit solcher Energie darauf bestand, daß ich diese feierliche Frage an dich richten sollte. Nun ja, die lieben Damen nehmen solche ... hm ... Geschichten natürlich[239] immer viel zu tragisch. Ich sagte mir ja gleich: was kann da sein! Pa! Ein junger hübscher Offizier, wie du – mein Gott: wozu sind denn die Mädels da?

HANS steht auf – lebhaft. Nein! – So war's nun doch nicht! – Etwas anderes war's nun doch! – Pardon!

SCHMITZ überrascht. Wie? –

HANS aufgeregt. Lieber Papa. Es ist das erste – und soll das letztemal sein, daß wir über diese Sache – miteinander sprechen. Aber da – will ich dir auch reinen Wein einschenken. Ich – ich will keine Geheimnisse vor dir haben – du sollst die volle Wahrheit wissen. – Es ... es handelte sich nicht um das landesübliche Techtelmechtel, sondern um eine Sache, die mir beinah ans Leben gegangen wäre. –

SCHMITZ. Aber, Hans, du bist ja ganz ...

HANS läßt ihn nicht aussprechen. Laß mich bitte, Papa. Es muß einmal heraus. Also ... Vorigen Sommer vor einem Jahre hab ich das Mädchen zuerst gesehn. In der Kirche war's ... eines Sonntags, als ich meine Leute zum Gottesdienst führte. Gertrude hieß sie, Gertrude Reimann, aus einer Handwerkerfamilie. Es lebte nur die Mutter noch. Bei der wohnte sie. – –

Ich will nicht leugnen, daß ich das Verhältnis anfänglich ebenso leichtfertig auffaßte und hinnahm, wie das im allgemeinen üblich ist ... aber das war nur im Anfang ... nach und nach gab es zwischen uns eine Vertrautheit und eine so wunderbare Innigkeit, wie sie in solchen Fällen wohl ganz selten ist. Das kam mir vor wie das schönste Glück. Ja! Ich vergaß ganz und gar, daß an dieser ... Liebe etwas Unrechtes und Unreines sein könnte. Wir beide lebten wie in einer anderen Welt, und wenn ich an die Zukunft dachte, dann kam mir wohl das eine oder andere in den Sinn – alles mögliche ging mir durch den Kopf – aber niemals, niemals der Gedanke, daß wir uns trennen könnten. – –

SCHMITZ erstaunt. Ja, Hans – aber ...

HANS. Ja! Du schüttelst den Kopf ... verrückt,[240] verrückt! Ich weiß ja. Aber was willst du! Ich war's eben mal ... Nervös auflachend. Ehre, wem Ehre gebührt. Ich will mich nicht besser machen, als ich bin. – Er geht aufgeregt durchs Zimmer und bleibt dann wieder vor dem unruhig gewordenen Schmitz stehen. Siehst du: so Standen die Dinge, als ich vorigen Juni zur Gewehrfabrik kommandiert wurde. Ein Jahr lang, grade ein Jahr lang hatten wir so einander angehört, die Traute und ich – und vier Wochen, lumpige vier Wochen sollt ich fortbleiben. Aber das war schon zu lang!


Er lacht bitter auf.


SCHMITZ. Ach so? – Hm. Nun ja, natürlich ...

HANS. Die ersten vierzehn Tage schrieb sie mir noch die zärtlichsten Briefe ... dann hörte das auf einmal auf – gar nichts mehr ließ sie von sich hören, und als ich zurückkam, erfuhr ich sofort, daß sie mich in der schamlosesten Weise betrogen hatte. Und zwar mit einem Menschen – aber das gehört nicht hierher. Genug: alle Welt wußte davon. Alle Welt! Sogar der Oberst hatte merkwürdigerweise davon erfahren und hielt es für notwendig, mir nachträglich die wohlwollendsten Ermahnungen zukommen zu lassen. Na – lieber Papa: ihm hab ich damals schon mein Ehrenwort gegeben, daß die Sache tot und begraben sei! Tot und begraben!

SCHMITZ. So. – Hm. Und sag mal, Hans ... hast du sie denn seitdem – niemals – wiedergesehn?

HANS. Niemals! Gott sei Dank. Ja: Gott sei Dank! O, was glaubst du wohl: was ich damals für eine Wut, für eine wahnsinnige Wut am Leibe hatte! – Bei Gott, Papa, es saß verdammt tief! Ich würgte und würgte daran ... Folge war, daß ich ganz toll drauf los lebte ... sinnlos.

SCHMITZ. Aha! Und da machte man dann Dummheiten.

HANS. Ja. Offen gestanden, lieber Papa, es ist mir ganz recht, daß wir auch darauf kommen, damit du mich richtig beurteilst. Siehst du: das ist die einzige[241] Zeit meines Lebens, in der ich gespielt und Schulden gemacht habe: mir war einfach alles Wurscht. Ich war vollkommen außer Rand und Band und bummelte ganz kolossal. Die Folge waren dienstliche Unannehmlichkeiten, verzweifelte Stimmungen ... da wurd ich krank – zu meinem Glück vielleicht. Na ... und das Übrige – weißt du.


Pause.


SCHMITZ. Hm. Bist du also nun zu Ende?

HANS. Ja.

SCHMITZ erhebt sich. Gewichtig. Nun dann ... lieber Junge: gib mir mal zunächst deine Hand! Ich bin nun selber froh, daß die Sache zwischen uns zur Sprache gekommen ist. – So hatt ich sie mir freilich nicht vorgestellt, ich wußte nur so ungefähr, was die Rambergs damals an die Großmama geschrieben: Gott sei Dank, er ist sie los ... oder so was, aber ...

HANS frappiert. Die Rambergs – an die Großmama?

SCHMITZ. Ja. – Jetzt sehe ich, daß es doch viel ernster war. Ich danke dir für deine offene, ehrliche Beichte – sie hat dir in meinen Augen gewiß nicht geschadet – im Gegenteil. Er atmet erleichtert auf und setzt sich wieder. Na! – Alles in allem kann man dir schließlich nur gratulieren, daß du die gefährliche Person so glatt losgeworden bist.

HANS. Gefährliche Person? Wenn du sie gesehn hättest ...

SCHMITZ. Ja, ja, ja ... laß man gut sein: soviel hab ich nun doch gemerkt: gefährlich, reell gefährlich hätte dir das Mädchen werden können. Sieh mal, so 'n Mädel, das sich mit einem Offizier einläßt, von dem sie doch von vornherein weiß, daß er sie nicht heiraten wird – wie kann denn die was taugen? Sie mag ja manchmal ganz nette und liebenswürdige Eigenschaften haben – aber im Grunde ist es doch immer wieder dasselbe. Du hast es ja erlebt. Wehe dem Manne, der sein Herz an ein solches Geschöpf hängt!

HANS seufzend. Du hast recht. Ich hab's erlebt. –[242]

SCHMITZ munteren Tones. Na!? Nu wollen wir mal von was Erfreulicherem reden. Herrgott, war euer Fest heute nett! Hab ich mich amüsiert! Weißt du, unter uns gesagt – ich hab mir das so fidel nicht vorgestellt. In einer Kaserne!

HANS zerstreut. Ja, ja ... das ist ja auch ...

SCHMITZ. Wie?

HANS. Ja, ja! Es war wirklich sehr nett ... Es klopft. Herein!


Quelle:
Otto Erich Hartleben: Ausgewählte Werke in drei Bänden. Band 3, Berlin 1913, S. 237-243.
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