Fünfte Szene

[302] HANS sieht sich plötzlich im Raum um, als müsse er sich besinnen, wo er eigentlich sei. – Sein Blick bleibt an dem Bilde seines Großvaters zwischen den Fenstern hängen. Er tritt dem Bilde näher. Er nimmt eine Lampe vom Tisch und beleuchtet das Bild des Obersten. – So steht er eine Weile. Nein, nein ... du: habe keine Angst. – – Was getan werden kann – das – das werde ich tun.

TRAUTE aufgelöst, fast atemlos, tritt ein.

HANS hört sie und wendet sich um. Also doch – – du – Er fährt sie hart an. Was willst du? Was willst du hier? – Wie kommst du hierher?

TRAUTE. Ich suchte dich! Ich fand dich! Ich sah dich da – mit der Lampe in der Hand ...

HANS ohne Mäßigung. Hab ich dir nicht gesagt – – Weshalb folgst du mir? Wie? Weshalb läufst du mir nach?[302]

TRAUTE mit aufgehobenen Händen bittend. Hans!

HANS aufgeregt. Ja, ja! ... Du verfolgst mich! Was hab ich dir gesagt? Immer wieder gesagt? Du sollst gehn ... gehn sollst du, gehn!

TRAUTE verletzt, hart. Vergiß nicht, mit wem du sprichst!

HANS. Mit dir! Jawohl, mit dir! Ich weiß, wer du bist. Ich habe dir das Leben zerstört, ich habe dich zur Dirne gemacht und jetzt – jetzt stoß ich dich von mir – jawohl! Wundert dich das? Was willst du? Wird's denn nicht so gemacht? Ich handle nur konsequent. – Also geh! Lauf! Und hasse mich – ja: hasse mich: du hast das vollste Recht dazu!


Pause.


TRAUTE nachdem sie den Zorn in sich niedergekämpft hat. Du kannst mich nicht irre machen, Hans –

HANS. Irre machen? Was heißt das? War es nicht unsre feste, heilige Abrede, daß wir stillschweigend – ohne Abschied auseinandergehn wollten in dieser Nacht – da dorthin und ich – hierher? War das nicht dein eigener tapferer Entschluß? Und nun – brichst du dein Wort und heftest dich an mich, verfolgst mich wider meinen Willen, trotz meiner Bitten, trotz meines Befehls?! Was soll das? Was heißt das? Schämst du dich nicht?

TRAUTE. Nein, Hans. Ich –

HANS. Heute ist Rosenmontag! Heut Abend ist der langersehnte Kasinoball! Willst du mir vielleicht auch dahin nachlaufen? Willst du es darauf ankommen lassen, daß dich die Ordonnanzen schließlich mit Gewalt vor die Tür setzen?

TRAUTE. Rufe nur gleich deine Ordonnanzen und laß mich auf die Straße stoßen – denn heute Abend, Hans – auf den Ball heut Abend wirst du nicht mehr gehn. –

HANS sehr betroffen. Wie? Was ... heißt das? Du weißt doch, um was es sich handelt, was los ist – daß meine Braut kommt, mein Schwiegervater ...[303]

TRAUTE. Deine Braut und dein Schwiegervater werden kommen – vielleicht. Aber du wirst nicht kommen.

HANS schweigt und starrt sie an.

TRAUTE hält seinen Blick aus. Hans. – Ich weiß, was du vorhast ...

HANS. Was ich ... vorhabe ...

TRAUTE. Ja. Was du tun willst, jetzt, in dieser Stunde. – – Und deshalb verlaß ich dich nicht. – Du willst eine große Sünde tun.

HANS. Sünde. Was ist Sünde? Ich weiß von keiner Sünde. Ich tue, was ich tun muß.

TRAUTE innig, flehend. Tu's nicht, Hans ... tu's nicht!

HANS. Ich weiß nicht, wovon du sprichst.

TRAUTE zitternd. Und wenn du's dennoch ... tun mußtLeise. So nimm mich mit.

HANS verwirrt, macht eine abwehrende Bewegung.

TRAUTE. Nein? – Ohne mich? In sich gekehrt. Ob es mit mir ... auch Sünde wäre? – Gott ist so groß! ... Aber ohne mich – ja: da ist es eine Todsünde! Wild aufbrechend. Da ist es gemeiner Verrat! Was hab ich dir getan, du! Ich habe dir mein Leben: meinen Leib und meine Seele hingegeben, hingeworfen, damit du sie nimmst – zu dir – für dich – sie zerstörst, wenn du mußt – aber nicht, daß du sie von dir schiebst, kalt und mitleidig – du bist feig, Hans, feig bist du! – – –

HANS richtet sich auf und sieht sie groß an.

TRAUTE. Ja, Hans! Es ist Feigheit, daß du dich vor mir versteckst, daß du dich wegstehlen möchtest von mir. Nimm mich, nimm mich – was starrst du mich so an? Ich gehöre dir – willst du es leugnen – willst du es noch leugnen vor mir, daß du dich töten willst – heute – noch in dieser Stunde?


Pause.


HANS ruhiger, tiefernst. Traute – höre mich an! – Ich habe schwere unsühnbare Schuld auf mich, geladen. Ich habe meine Braut – ich habe ihren Vater,[304] eine ehrenwerte Familie betrogen – ich habe meinem Oberst das Wort gebrochen. Doch auch ohne das – es ist nicht mehr das ein oder andere – es ist nicht mehr dies und jenes – es ist alles – ich kann nicht mehr leben in dieser Welt und – eine andre hab ich nicht. Da soll denn wenigstens der Name Rudorff – Nach einem flüchtigen Blick zu dem Bilde seines Großvaters, schwer. Glaube mir, du Liebe! Ich weiß schon, warum – nun ja: warum ich in den Tod gehe. Aber du – du –

TRAUTE leidenschaftlich. Aber ich bin zehnmal schuldiger als du! Ich habe dich, den besten Menschen, von seinen Wegen abgebracht. Ich habe in meiner sündhaften Liebe alles, alles vergessen und nur an das eine gedacht, wie ich dein sein könnte, wie du mir gehören könntest. Was bin ich noch wert? Sie wirft sich vor ihm in die Knie. Laß mich nicht allein, Hans! Laß mich nicht allein! Mein Leben hat keinen Sinn mehr ohne dich!


Sie klammert sich an ihn.


HANS hebt sie mit Gewalt auf und sucht die Widerstrebende zu sich zu drängen. In heftigem, innerem Kampfe. Traute ... Traute

TRAUTE. Ich lasse dich nicht ... Sie ringt mit ihm. Ich lasse dich nicht ...

HANS. Traute! So höre doch!

TRAUTE. Nichts mehr, nichts mehr! Du selbst hast es ja vorausgefühlt, hast es ja vorausgewußt. Gestern Abend: die Verse, die ich auf deinem Schreibtisch fand: »Am Rosenmontag liegen zwei...«

HANS. Nur gespielt, nur gespielt hab ich mit dem Gedanken.

TRAUTE. Versündige dich nicht – nicht gespielt – dein Innerstes, dein tiefstes Gewissen hat dir gesagt, daß es so recht sei – daß du mich nicht verlassen dürftest. Zitternd. Sage mir: was soll aus mir werden, wenn du mich zurücklassest und ich den Mut nicht mehr finde, dir zu folgen?[305]

HANS hält sie mit beiden Händen, schwer atmend. Du willst – mir folgen!

TRAUTE seinen Blick voll erwidernd. Ja. Ich muß. – Ich will. – Gott wird uns verzeihen – – – Gott ist ja so groß. Wie sollte er das nicht verstehn!

HANS küßt sie auf die Stirn. Pause.

TRAUTE. Sage mir, Hans, wie hieß das Gedicht weiter, das du gemacht hast? Es waren nur noch ein paar Zeilen, ich hab es gesehen. »Am Rosenmontag liegen zwei – die kalten Hände noch verschlungen« – wie hieß es weiter? Bitte, sag es mir!

HANS mit seinen Angen in ihren Augen, mechanisch, zögernd. »Das Leben ... strömte rauh vorbei – die beiden ... haben's nicht bezwungen.«

TRAUTE an seinen Lippen hängend. Weiter! Weiter!

HANS. »Als überwunden ... grüßen sie – den Sieger, dem das Glück begegnet – – – im Tod verbunden, segnen sie all jene, die das Leben segnet.«

TRAUTE. Ja ... so. Selig, selig ... Mein Hans.


Sie schmiegt sich leise weinend in seine Arme.

Während die Beiden in schweigender Umarmung dastehen, ertönt draußen das aus dem vierten Akt

bekannte Wecksignal. Das erstemal leise, das zweitemal stärker, das drittemal fortissimo.


HANS bei den ersten Tönen des Signals zusammenfahrend. Horch! Hörst du? Das ist es! – Das Leben. Das Leben. Komm!


Er preßt sie an sich und eilt mit ihr links ab.


Quelle:
Otto Erich Hartleben: Ausgewählte Werke in drei Bänden. Band 3, Berlin 1913, S. 302-306.
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