[Ich bin rasiert und trage keine Locke]

[50] Ich bin rasiert und trage keine Locke,

sogar die Bürste gönn ich meinem Rocke.

Ich bin durchaus kein lyrischer Tenor,

nur was ich heiss durchlebt, trag ich euch vor.


Nicht zart allein ins schwelgende Gefühl

verlier ich mich – auch in der Welt Gewühl.

Und seh das Schöne nicht und Edle nur,

ich kenne der Gemeinheit breite Spur.


Ich seh den Schmutz am Lumpenrock des Sclaven,

ich seh den Schmutz im Herzen manches Braven.

Und sprech es aus, was Kopf und Herz empört,

und freue mich, wenns euch die Ruhe stört.


Und ob ihr Klugen auch mein Wollen höhnt –

und ob ihr Frommen mich entsetzt verpönt –

und ob ihr Zarten meine Worte flieht –

hart ist das Leben, hart sei auch mein Lied!

Quelle:
Otto Erich Hartleben: Meine Verse. Berlin 1905, S. 50-51.
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