Französisches Wiegenlied

[222] In meines Vaters Garten –

blühe mein Herz, blüh auf –

in meines Vaters Garten

stand ein schattiger Apfelbaum –

Süsser Traum –

stand ein schattiger Apfelbaum.


Drei blonde Königstöchter –

blühe mein Herz, blüh auf –

drei wundersame Mädchen

schliefen unter dem Apfelbaum –

Süsser Traum –

schliefen unter dem Apfelbaum.
[223]

Die allerjüngste feine –

blühe mein Herz, blüh auf –

die allerjüngste Feine

blinzelte und erwachte kaum –

Süsser Traum –

blinzelte und erwachte kaum.


Die zweite fuhr sich übers Haar –

blühe mein Herz, blüh auf –

die zweite fuhr sich übers Haar,

sah den roten Morgensaum –

Süsser Traum –

sah den roten Morgensaum.


Sie sprach: Hört ihr die Trommel nicht –

blühe mein Herz, blüh auf –

sie sprach: Hört ihr die Trommel nicht

hell durch den dämmernden Raum –

Süsser Traum –

hell durch den dämmernden Raum?


Mein Liebster zieht zum Kampf hinaus –

blühe mein Herz, blüh auf –

mein Liebster zieht zum Kampf hinaus,

küsst mir als Sieger des Kleides Saum –

Süsser Traum –

küsst mir als Sieger des Kleides Saum!
[224]

Die dritte sprach und sprach so leis –

blühe mein Herz, blüh auf –

die dritte sprach und sprach so leis:

Ich küsse dem Liebsten des Kleides Saum –

Süsser Traum –

ich küsse dem Liebsten des Kleides Saum. – –


In meines Vaters Garten –

blühe mein Herz, blüh auf –

in meines Vaters Garten

steht ein sonniger Apfelbaum –

Süsser Traum –

steht ein sonniger Apfelbaum!

Quelle:
Otto Erich Hartleben: Meine Verse. Berlin 1905, S. 222-225.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Flucht in die Finsternis

Flucht in die Finsternis

Robert ist krank und hält seinen gesunden Bruder für wahnsinnig. Die tragische Geschichte um Geisteskrankheit und Tod entstand 1917 unter dem Titel »Wahn« und trägt autobiografische Züge, die das schwierige Verhältnis Schnitzlers zu seinem Bruder Julius reflektieren. »Einer von uns beiden mußte ins Dunkel.«

74 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon