Erste Szene

[409] DEMETRIUS.

Werd ich Marina sehn?

MNICZEK.

Sie wartet nur

Auf die Befehle ihres gnädgen Zaren,

Doch erst noch ein Geschäft von Wichtigkeit.

DEMETRIUS.

Das Todes-Urteil!

MNICZEK.

Ja, das Todes-Urteil,

Du siehst, vom russischen Senat gefällt.

DEMETRIUS.

Wie kams, daß du so plötzlich Argwohn schöpftest?

MNICZEK.

Ich lieh dem Mann das Ohr, dem du den Mund

Verbotest!

DEMETRIUS.

Wie? Dem schmutzigen Spion?

MNICZEK.

Dem schmutzigen Spion! Ich sagte gar,

Daß ich in deinem eignen Auftrag komme,

Und daß du nur, um ihm sein Handwerk leichter

Zu machen, ihn gebrandmarkt vor der Welt.

DEMETRIUS bricht aus.

Das –


Mäßigt sich.


wird nicht mehr geschehn![409]

MNICZEK.

Mein Fürst und Zar,

Gott Vater war Regent im Paradies

Und hatte einen einzgen Untertan,

Und dennoch kam er mit dem Katechismus

Nicht aus, er mußte seine Engel rufen

Und sie umgürten mit dem Flammenschwert.

Denkst du die deinen durch die zehn Gebote

Zu zügeln? Hoff es nicht! Du hoffst umsonst.

DEMETRIUS blickt wieder in das Urteil.

Hat denn Fürst Schuiskoi seinen Hochverrat

Bekannt?

MNICZEK.

Mit Vorbehalt! Doch alles ist

Bewiesen, und es war ein schlaues Stück.

Um Mitternacht ein Brand – Geheul der Glocken

Von hundert Türmen – Du heraus – Die Deinen

Weit weg quartiert und deine ganze Wache

Besetzt mit Mördern im Soldaten-Rock –

DEMETRIUS.

Pfui! Pfui!

MNICZEK.

Klug! Klug! Ob ein gemeiner Stein,

Ob eine Silber-Kugel: wenns nur trifft,

So gilt das gleich! Und sicher hätts getroffen,

Denn an der Spitze stand Otrepiep,

Der, seit du ihn so schmählich von dir stießest,

Dein grimmger Feind ist und viel schärfre Waffen,

Wie jemals, führt, weil ihm der Haß sie wetzt.

Für diesen bitt ich, nebenbei gesagt,

Dich um Pardon.

DEMETRIUS.

Wenn ich den Fürsten selbst

Begnadige, so kann ich seinen Hund

Nicht hängen lassen. Darum seis gewährt.

MNICZEK.

So mein ichs nicht. Du mußt das Todes-Urteil

Vollstrecken, wenn dein Weg durchs Leben nicht

Dem Gang durch einen Garten gleichen soll,

Wo jeder Schritt ein Selbst-Geschoß entzündet

Und jede Blume eine Natter deckt.

Ich meine nur, daß du das Werkzeug dir

Erhalten sollst, das hier so brav gedient.

Wie töricht wärs, den Degen zu zerbrechen,[410]

Bloß, weil der Feind ihn schwang, und dennoch kann

Man Waffen kaufen. Aber einen Menschen,

Der einzig ist, und den man noch bewundert,

Indem man ihn verfolgt, im Zorn vernichten,

Wär ruchlos, dumm und lächerlich zugleich.

DEMETRIUS.

Ich staune! Diesen Menschen nennst du einzig?

Wo ist er denn? Wie hältst du ihn verwahrt?

Das einzge hebt man sicher auf.

MNICZEK.

Im Kerker!

Im tiefsten Kerker, dreifach an die Mauer

Geschlossen, mit den Beinen halb im Wasser,

Weil ihn zur Nacht die Moskwa dort besucht,

Und überdies noch Kugeln dran. Mein Fürst,

Versteh mich nur. Der Mensch ist in der Welt,

Was Belladonna oder Eisenhut

Im Pflanzenbeet. Sie kriechen bei der Rose,

In ihrer nächsten Nachbarschaft, hervor,

Und hauchen schwüles Gift, wie diese Duft,

Obgleich derselbe Boden sie erzeugt.

Der Gärtner reißt sie aus, doch für den Arzt

Sind sie unschätzbar! Solch ein Bursche beißt

Als Säugling schon die Mutter in die Brust,

Indem er trinkt, und kratzt den Vater, der

Ihn küssen will! Doch, wenn die Zeit ihn reift,

Versteckt er seine Krallen, heuchelt, schmeichelt

Und wird ein Lügner, Späher und Verräter,

Dem Judas selbst noch schamrot weichen muß.

Und das ist, was du brauchst, wie's liebe Brot.

DEMETRIUS.

Das! – Überzeuge mich davon, und eher

Laß ich mich in das Fell des Bären nähen,

Als ich mich hüll in deinen Hermelin.

MNICZEK.

Mein Fürst! Du stehst an Gottes Platz auf Erden

Und sollst allmächtig und allwissend sein.

Zur Allmacht bringst dus leicht. Die Mütter schicken

Dir jährlich ihre Söhne und die Berge

Ihr Eisen und ihr Gold: das Eisen gibst

Du diesen in die Hand und mit dem Gold

Füllst du jedwedem nach Verdienst die Tasche,[411]

Da hast du, was den Donnerkeil vertritt.

Wohin ihn aber werfen? Wo der Feind?

Der schlimmste ist der stillste. Alles lächelt,

Wie Sonnenschein. Doch, was verbirgt dies Lächeln?

Wem darfst du traun? Du brauchst Allwissenheit!

Und diese mußt du dir aus tausend Augen

Zusammensetzen, wie aus tausend Armen

Die Allmacht, und der listge Argus ist

Dir oft noch nötger, als der plumpe Mars.

DEMETRIUS.

Vater! Man sagt, wer graue Haare trägt,

Dem hängt auch Spinngewebe vor den Augen,

Die Kirschen schmecken dir schon längst nicht mehr,

Kein Wunder, daß dir auch die Welt mißfällt.

Einstweilen laß ich deinen Einzgen hängen,

Doch wenn ich in die Jahre komm, wie du,

So bau ich ihm den Galgen um zum Kreuz!

MNICZEK.

So sprach dein Vater auch in seiner Jugend,

Doch, als er starb, hieß er der Schreckliche

Und war bespritzt mit seines Kindes Blut!

Wer damit anfängt, daß er allen traut,

Wird damit enden, daß er einen jeden

Für einen Schurken hält. Und du nun gar

Hast dich zu hüten. Wenn auch noch so echt,

Der Russe hat dich nicht als Kind gekannt,

Du kommst, als wärs vom Himmel. Dann: der Pole

Hat dich ins Land gebracht, und wärs der Teufel

Gewesen, immer würd es besser sein.

Und endlich, dieser unglückselge Schritt

Der Zarin, diese Pilgerschaft zum Grabe,

Der schon des Volks verstohlne Wallfahrt folgt:

Du darfst dein Herz nicht fragen, du mußt handeln,

Die Stunde drängt, drum zeichne rasch das Blatt.

DEMETRIUS.

Ich soll schon Blut vergießen, eh ich noch

Gesalbt bin? Soll das Schwert des Richters schwingen,

Eh mich die Zaren-Krone deckt?

MNICZEK.

Du hast

Den Schwur des Heers!


Reicht Demetrius eine Feder.[412]


DEMETRIUS.

Wenn ich mißtrauen soll,

Und dazu rätst du ja, warum nicht dir?


Wirft die Feder weg.


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 2, München 1963, S. 409-413.
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