[115] Genoveva tritt wieder auf.
KATHARINA zu Margaretha.
Fort! Spute dich! Die Gräfin kehrt zurück!
Wir sehn uns wohl zur Nacht noch.
MARGARETHA.
Meine Saat
Ist aufgegangen. Sei gewiß, sie will
Jetzt bei mir fragen nach dem Wie und Wo.
KATHARINA.
Du irrst dich!
GENOVEVA für sich.
Sie ist schlecht. Doch – sie ist alt.
Ich übereilte mich. Ich mach es gut.
Sie soll, die erste, nicht von dannen ziehn,
Der ich nicht Speis und Trank und Herberg bot.
Sie nähert sich Margarethen und bleibt unentschlossen stehen.
MARGARETHA zu Katharina.
Siehst du? Sie ist verlegen. Nun, ich will
Es ihr erleichtern. Wie sie mit sich kämpft!
Sie faßt Genovevas Hand.
Soll ich noch einmal lesen, edle Frau?[115]
GENOVEVA entreißt ihr die Hand.
Nein! Diesem Weibe bitte ich nichts ab!
Sie wendet sich stolz und geht.
DRAGO begegnet ihr.
GENOVEVA bleibt vor Drago stehen.
KATHARINA.
Da hast dus!
MARGARETHA.
Meinst du, daß es mich verdrießt?
Das nicht! Das nicht! Doch freilich merk ichs mir.
Mich kitzelts, wenn man schaudernd vor mir weicht,
Ich denke dann: Du hast ein Angesicht,
Das einst die Häscher dir verscheuchen wird,
Wenn sie zur Nacht mit ihren Stricken nahn.
Auf Genoveva und Drago deutend.
Ei, wie vertraulich!
KATHARINA.
Was denn?
MARGARETHA.
Weißt du nicht,
Warum ein Schwan so weiß ist? Daß man ihn
Mit Kot bewirft. Dann dient der Flügelschnee
Dazu, daß dunkler ihm die Flecken stehn,
Wie der gemeinen Gans!
GENOVEVA zu Drago.
Ihr geht zu Bett,
Wenn ich nicht zürnen soll. Das Fieber hat
Euch zwar verlassen, doch Ihr seid noch schwach
Tuts, Drago!
DRAGO.
Wenn Ihr es durchaus so wollt!
Für sich.
Ich steh doch wieder auf!
Ausgewählte Ausgaben von
Genoveva
|
Buchempfehlung
Schnitzlers erster Roman galt seinen Zeitgenossen als skandalöse Indiskretion über das Wiener Gesellschaftsleben. Die Geschichte des Baron Georg von Wergenthin und der aus kleinbürgerlichem Milieu stammenden Anna Rosner zeichnet ein differenziertes, beziehungsreich gespiegeltes Bild der Belle Époque. Der Weg ins Freie ist einerseits Georgs zielloser Wunsch nach Freiheit von Verantwortung gegenüber Anna und andererseits die Frage des gesellschaftlichen Aufbruchs in das 20. Jahrhundert.
286 Seiten, 12.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.
432 Seiten, 19.80 Euro