Zweiter Akt

[18] Gemach der Judith. Judith und Mirza am Webstuhl.


JUDITH. Was sagst du zu diesem Traum?

MIRZA. Ach, höre lieber auf das, was ich dir sagte.

JUDITH. Ich ging und ging und mir wars ganz eilig, und doch wußt ich nicht, wohin michs trieb. Zuweilen stand ich still und sann nach, dann wars mir, als ob ich eine große Sünde beginge; fort, fort! sagt ich zu mir selbst und ging schneller, wie zuvor.

MIRZA. Eben ging Ephraim vorbei. Er war ganz traurig.

JUDITH ohne auf sie zu hören. Plötzlich stand ich auf einem hohen Berg, mir schwindelte, dann ward ich stolz, die Sonne war mir so nah, ich nickte ihr zu und sah immer hinauf. Mit einmal bemerkt ich einen Abgrund zu meinen Füßen, wenige Schritte von mir, dunkel, unabsehlich, voll Rauch und Qualm. Und ich vermogte nicht zurückzugehen, noch stillzustehen, ich taumelte vorwärts; Gott! Gott! rief ich in meiner Angst, – hie bin ich! tönte es aus dem Abgrund herauf, freundlich, süß; ich sprang, weiche Arme fingen mich auf, ich glaubte, einem an der Brust zu ruhen, den ich nicht sah, und mir ward unsäglich wohl, aber ich war zu schwer, er konnte mich nicht halten, ich sank, sank, ich hört ihn weinen, und wie glühende Tränen träufelte es auf meine Wange. –

MIRZA. Ich kenne einen Traumdeuter. Soll ich ihn zu dir rufen?

JUDITH. Leider ists gegen das Gesetz. Aber das weiß ich, solche Träume soll man nicht gering achten! Sieh, ich denke mir das so. Wenn der Mensch im Schlaf liegt, aufgelöst, nicht mehr zusammengehalten durch das Bewußtsein seiner selbst, dann verdrängt ein Gefühl der Zukunft alle Gedanken und Bilder der Gegenwart, und die Dinge, die kommen sollen, gleiten als Schatten durch die Seele, vorbereitend, warnend, tröstend. Daher kommts, daß uns so selten oder nie etwas wahrhaft überrascht, daß wir auf das Gute schon lange vorher so zuversichtlich hoffen und vor jedem Übel unwillkürlich zittern. Oft hab ich gedacht, ob der Mensch wohl auch noch kurz vor seinem Tode träumt.[19]

MIRZA. Warum hörst du nie, wenn ich dir von Ephraim spreche?

JUDITH. Weil michs vor Männern schaudert.

MIRZA. Und hast doch einen Mann gehabt!

JUDITH. Ich muß dir ein Geheimnis anvertrauen. Mein Mann war wahnsinnig.

MIRZA. Unmöglich. Wie wäre mir das entgangen?

JUDITH. Er war es, ich muß es so nennen, wenn ich nicht vor mir selbst erschrecken, wenn ich nicht glauben soll, daß ich ein grauenhaftes, fürchterliches Wesen bin. Sieh, keine vierzehn Jahre war ich alt, da ward ich dem Manasses zugeführt. Du wirst des Abends noch gedenken, du folgtest mir. Mit jedem Schritt, den ich tat, ward mir beklommener, bald meint ich, ich sollte aufhören zu leben, bald, ich sollte erst anfangen. Ach, und der Abend war so lockend, so verführerisch, man konnt ihm nicht widerstehen; der warme Wind hob meinen Schleier, als wollt er sagen: nun ists Zeit; aber ich hielt ihn fest, denn ich fühlte, wie mein Gesicht glühte, und ich schämte mich dessen. Mein Vater ging an meiner Seite, er war sehr ernsthaft und sprach manches, worauf ich nicht hörte, zuweilen schaut ich zu ihm auf, dann dacht ich: Manasses sieht gewiß anders aus. Hast du denn all das nicht bemerkt? Du warst ja auch dabei.

MIRZA. Ich schämte mich mit dir.

JUDITH. Endlich kam ich in sein Haus, und seine alte Mutter trat mir mit einem feierlichen Gesicht entgegen. Es kostete mir Überwindung, sie Mutter zu nennen; ich glaubte, meine Mutter müsse das in ihrem Grabe fühlen und es müsse ihr weh tun. Dann salbtest du mich mit Narden und Öl, da hatt ich doch wahrlich eine Empfindung, als wäre ich tot und würde als Tote gesalbt; du sagtest auch, ich würde bleich. Nun kam Manasses, und als er mich anschaute, erst schüchtern, dann dreist und immer dreister, als er zuletzt meine Hand faßte und etwas sagen wollte und nicht konnte, da war mirs ganz so, als ob ich in Brand gesteckt würde, als ob es lichterloh aus mir herausflammte. Verzeih, daß ich dies sage.

MIRZA. Du preßtest dein Gesicht erst einige Augenblicke in deine Hände, dann sprangst du schnell auf und fielst ihm um den Hals. Ich erschrak ordentlich.

JUDITH. Ich sah es und lachte dich aus, ich dünkte mich mit einmal[20] viel klüger, als du. Nun höre weiter, Mirza. Wir gingen in die Kammer hinein; die Alte tat allerlei seltsame Dinge und sprach etwas, wie einen Segen; mir ward doch wieder schwer und ängstlich, als ich mich mit Manasses allein befand. Drei Lichter brannten, er wollte sie auslöschen; laß, laß, sagte ich bittend; Närrin! sagte er, und wollte mich fassen – da ging eins der Lichter aus, wir bemerktens kaum; er küßte mich – da erlosch das zweite. Er schauderte und ich nach ihm, dann lacht er und sprach: das dritte lösch ich selbst; schnell, schnell, sagte ich, denn es überlief mich kalt; er tats. Der Mond schien hell in die Kammer, ich schlüpfte ins Bett, er schien mir gerade ins Gesicht. Manasses rief: ich sehe dich so deutlich, wie am Tage, und kam auf mich zu. Auf einmal blieb er stehen; es war, als ob die schwarze Erde eine Hand ausgestreckt und ihn von unten damit gepackt hätte. Mir wards unheimlich; komm, komm! rief ich, und schämte mich gar nicht, daß ichs tat. Ich kann ja nicht, antwortete er dumpf und bleiern, ich kann nicht! wiederholte er noch einmal und starrte schrecklich mit weit aufgerissenen Augen zu mir herüber, dann schwankte er zum Fenster und sagte wohl zehnmal hintereinander: ich kann nicht! Er schien nicht mich, er schien etwas Fremdes, Entsetzliches, zu sehen.

MIRZA. Unglückliche!

JUDITH. Ich fing an, heftig zu weinen, ich kam mir verunreinigt vor, ich haßte und verabscheute mich. Er gab mir liebe, liebe Worte, ich streckte die Arme nach ihm aus, aber statt zu kommen, begann er leise zu beten. Mein Herz hörte auf zu schlagen, mir war, als ob ich einfröre in meinem Blut; ich wühlte mich in mich selbst hinein, wie in etwas Fremdes, und als ich mich zuletzt nach und nach in Schlaf verlor, hatt ich ein Gefühl, als ob ich erwachte. Am andern Morgen stand Manasses vor meinem Bett, er sah mich mit unendlichem Mitleid an, mir wards schwer, ich hätte ersticken mögen; da wars, als ob etwas in mir riß, ich brach in ein wildes Gelächter aus und konnte wieder atmen. Seine Mutter blickte finster und spöttisch auf mich, ich merkte, laß sie gelauscht hatte, sie sagte kein Wort zu mir und trat flüsternd mit ihrem Sohn in eine Ecke. Pfui! rief er auf einmal laut und zornig, Judith ist ein Engel! setzte er hinzu und wollte mich küssen, ich weigerte[21] ihm meinen Mund, er nickte sonderbar mit dem Kopf, es schien ihm recht zu sein. Nach einer langen Pause. Sechs Monate war ich sein Weib – er hat mich nie berührt.

MIRZA. Und – ?

JUDITH. Wir gingen so eins neben dem andern hin, wir fühlten, daß wir zueinander gehörten, aber es war, als ob etwas zwischen uns stände, etwas Dunkles, Unbekanntes. Zuweilen ruhte sein Auge mit einem Ausdruck auf mir, der mich schaudern machte; ich hätte ihn in einem solchen Moment erwürgen können, aus Angst, aus Notwehr, sein Blick bohrte, wie ein Giftpfeil, in mich hinein. Du weißt, es war vor drei Jahren in der Gersten-Ernte, da kam er krank vom Felde zurück und lag nach drittehalb Tagen im Sterben. Mir wars, als wollt er sich mit einem Raub an meinem Innersten davon schleichen, ich haßte ihn, seiner Krankheit wegen, mir schiens, als ob er mich mit seinem Tode, wie mit einem Frevel bedrohte. Er darf nicht sterben – riefs in meiner Brust – er darf sein Geheimnis nicht mit ins Grab hinunter nehmen, du mußt Mut fassen und ihn endlich fragen. Manasses – sprach ich und beugte mich über ihn – was war das in unsrer Hochzeitsnacht? – Sein dunkles Auge war schon zugefallen, er schlug es mühsam wieder auf, ich schauderte, denn er schien sich aus seinem Leibe, wie aus einem Sarge, zu erheben. Er sah mich lange an, dann sagte er: ja, ja, ja, jetzt darf ichs dir sagen, du – – Aber schnell, als ob ichs nimmermehr wissen dürfte, trat der Tod zwischen mich und ihn, und verschloß seinen Mund auf ewig. Nach einem großen Stillschweigen. Sag, Mirza, muß ich nicht selbst wahnsinnig werden, wenn ich aufhöre, Manasses für wahnsinnig zu halten?

MIRZA. Ich schaudere.

JUDITH. Du hast oft gesehen, daß ich manchmal, wenn ich still am Webstuhl oder bei sonst einer Arbeit zu sitzen scheine, plötzlich ganz zusammen falle und zu beten anfange. Man hat mich deswegen fromm und gottesfürchtig genannt. Ich sage dir, Mirza, wenn ich das tue, so geschiehts, weil ich mich vor meinen Gedanken nicht mehr zu retten weiß. Mein Gebet ist dann ein Untertauchen in Gott, es ist nur eine andere Art von Selbstmord, ich springe in den Ewigen hinein, wie Verzweifelnde in ein tiefes Wasser – –[22]

MIRZA mit Gewalt ablenkend. Du solltest lieber in solchen Augenblicken vor einen Spiegel treten. Vor dem Glanz deiner Jugend und Schönheit würden die Nachtgespenster scheu und geblendet entweichen.

JUDITH. Ha, Törin, kennst du die Frucht, die sich selber essen kann? Du wärest besser nicht jung und nicht schön, wenn du es für dich allein sein mußt. Ein Weib ist ein Nichts; nur durch den Mann kann sie etwas werden; sie kann Mutter durch ihn werden. Das Kind, das sie gebiert, ist der einzige Dank, den sie der Natur für ihr Dasein darbringen kann. Unselig sind die Unfruchtbaren, doppelt unselig bin ich, die ich nicht Jungfrau bin und auch nicht Weib!

MIRZA. Wer verbietets dir, auch für andere, auch für einen geliebten Mann jung und schön zu sein? Hast du nicht unter den Edelsten die Wahl?

JUDITH sehr ernst. Du hast mich in nichts verstanden. Meine Schönheit ist die der Tollkirsche; ihr Genuß bringt Wahnsinn und Tod!

EPHRAIM tritt hastig herein. Ha, ihr seid so ruhig, und Holofernes steht vor der Stadt!

MIRZA. So sei Gott uns gnädig!

EPHRAIM. Wahrlich, Judith, wenn du gesehen hättest, was ich sah, du würdest zittern. Man mögte schwören, alles, was Furcht und Schrecken einflößen kann, sei im Solde des Heiden. Diese Menge von Kamelen und Rossen, von Wagen und Mauerbrechern! Ein Glück, daß Wälle und Tore keine Augen haben! Sie würden vor Angst einstürzen, wenn sie all den Greuel erblicken könnten!

JUDITH. Ich glaube, du sahest mehr, wie andere.

EPHRAIM. Ich sage dir, Judith, es gibt keinen in ganz Bethulien, der jetzt nicht aussieht, als ob er das Fieber hätte. Du scheinst wenig vom Holofernes zu wissen, ich weiß um so mehr von ihm. Jedes Wort aus seinem Munde ist ein reißendes Tier. Wenn es des Abends dunkel wird –

JUDITH. So läßt er Lichter anzünden.

EPHRAIM. Das tun wir, ich und du! Er läßt Dörfer und Städte in Brand stecken und sagt: dies sind meine Fackeln! ich hab sie billiger, wie andere. Und er meint sehr gnädig zu sein, wenn[23] er bei der Glut einer und derselben Stadt sein Schwert putzen und seinen Braten schmoren läßt. Als er Bethulien erblickte, soll er gelacht und seinen Koch spöttisch gefragt haben: Meinst du, daß du ein Straußen-Ei dabei rösten kannst?

JUDITH. Ich mögt ihn sehen! Für sich. Was sagt ich da!

EPHRAIM. Wehe dir, wenn du von ihm gesehen würdest! Holofernes tötet die Weiber durch Küsse und Umarmungen, wie die Männer durch Spieß und Schwert. Hätte er dich in den Mauern der Stadt gewußt: deinetwegen allein wäre er gekommen!

JUDITH lächelnd. Mögt es so sein! Dann braucht ich ja nur zu ihm hinaus zu gehen, und Stadt und Land wäre gerettet!

EPHRAIM. Du allein hast das Recht, diesen Gedanken auszudenken.

JUDITH. Und warum nicht? Eine für alle, und eine, die sich immer umsonst fragte: wozu bist du da? Ha, und wenn er nicht meinetwegen kam, wär er nicht dahin zu bringen, daß er meinetwegen gekommen zu sein glaubte? Ragt der Riese mit seinem Haupt so hoch in die Wolken hinein, daß ihr ihn nicht erreichen könnt, ei, so werft ihm einen Edelstein vor die Füße; er wird sich bücken, um ihn aufzuheben, und dann überwältigt ihr ihn leicht.

EPHRAIM für sich. Mein Plan war einfältig. Was ihr Angst einjagen und sie mir in die Arme treiben sollte, macht sie kühn. Ich komme mir wie gerichtet vor, wenn ich ihr ins Auge schaue. Ich hoffte, sie sollte in dieser allgemeinen Not sich nach einem Beschützer umsehen, und wer war ihr näher wie ich. Laut. Judith, du bist so mutig, daß du aufhörst, schön zu sein.

JUDITH. Wenn du ein Mann bist, so darfst du mir das sagen!

EPHRAIM. Ich bin ein Mann und darf dir mehr sagen. Sieh, Judith, es kommen schlimme Zeiten, Zeiten, in denen niemand sicher ist, als die in den Gräbern wohnen. Wie willst du sie bestehen, die du nicht Vater, nicht Bruder, nicht Gatten hast?

JUDITH. Du willst doch den Holofernes nicht zu deinem Freiwerber machen?

EPHRAIM. Spotte nur, aber höre. Ich weiß, daß du mich verschmähst, und hätte sich die Welt um uns her nicht so drohend verändert, ich wäre dir nicht wieder unter die Augen getreten. Siehst du dies Messer?[24]

JUDITH. Es ist so blank, daß ich mein eigenes Bild darin erblicken kann.

EPHRAIM. Ich schliff es den Tag, an dem du mich hohnlachend von dir stießest, und wahrlich, stünden jetzt die Assyrier nicht vor dem Tor, so stäke es schon in meiner Brust! Dann hättest du es nicht als Spiegel gebrauchen können, denn mein Blut würde es rostig gemacht haben!

JUDITH. Gib her. Sie sticht nach seiner Hand, die er zurückzieht. Pfui! Du wagst von Selbstmord zu reden, und zitterst vor einem Stich in die Hand.

EPHRAIM. Du stehst vor mir, ich sehe dich, ich höre dich, jetzt lieb ich mich selbst, denn ich fühle mich nicht mehr, ich bin voll von dir! So etwas gelingt nur in finstrer Nacht, wo im Herzen nichts mehr wacht, als der Schmerz, wo der Tod die Seele zusammendrückt, wie der Schlaf die Augen, und wo man nur willenlos auszuführen glaubt, was eine unsichtbare Macht gebietet. O, ich kenns, denn ich war so weit, daß ich selbst nicht weiß, warum ich nicht weiter ging! Das hat mit Mut und Feigheit nichts zu tun, es ist wie ein Abriegeln der Tür, wenn man schlafen will!

JUDITH reicht ihm die Hand.

EPHRAIM. Judith, ich liebe dich, du liebst mich nicht. Du kannst für das eine nicht, ich kann nicht für das andere. Aber weißt du, was das heißt, zu lieben und verschmäht zu werden? Das ist nicht wie sonst ein Leid. Nimmt man mir heute etwas, so lern ich morgen, daß ichs entbehren kann. Schlägt man mir eine Wunde, so hab ich Gelegenheit, mich im Heilen zu versuchen. Aber, behandelt man meine Liebe wie eine Torheit, so macht man das Heiligste in meiner Brust zur Lüge. Denn, wenn das Gefühl, was mich zu dir hinzieht, mich betrügt, welche Bürgschaft hab ich, daß das, was mich vor Gott darnieder wirft, Wahrheit ist?

MIRZA. Fühlst dus nicht, Judith?

JUDITH. Kann Liebe Pflicht sein? Muß ich diesem meine Hand reichen, damit er seinen Dolch fallen läßt? Fast glaub ichs!

EPHRAIM. Judith, ich werb noch einmal um dich! Das heißt, ich werb um die Erlaubnis, für dich zu sterben. Ich will nichts, als der Schild sein, an dem die Schwerter, die dich bedrohen, sich stumpf hacken![25]

JUDITH. Ist dies derselbe Mensch, den ein Blick auf das Lager der Feinde entseelt zu haben schien? Der mir vorkam, wie einer, dem ich einen von meinen Röcken borgen müsse? Sein Auge flammt, seine Faust ballt sich! O Gott, ich achte so gern, mir ist, als schnitt ich in mein eignes Fleisch hinein, wenn ich jemanden verachten muß! Ephraim, ich habe dir weh getan! Es schmerzt mich! Ich wollte aufhören, in deinen Augen liebenswert zu sein, denn ich konnte dir nichts gewähren, darum spottete ich dein. Ich will dich belohnen, ich kanns! Aber weh dir, wenn du mich jetzt nicht verstehst, wenn, so wie ich das Wort ausspreche, die Tat nicht, gebietend, wie die Notwendigkeit selbst, vor deine Seele hintritt, wenn dirs nicht ist, als lebtest du nur, um sie zu vollbringen. Geh hin und töte den Holofernes! Dann – dann fordere von mir den Lohn, den du willst!

EPHRAIM. Du rasest! Den Holofernes töten in der Mitte der Seinen! wie wärs möglich?

JUDITH. Wie es möglich ist? Weiß ichs? Dann tät ichs selbst! Ich weiß nur, daß es nötig ist.

EPHRAIM. Ich sah ihn nie, aber ich seh ihn!

JUDITH. Ich auch, mit dem Antlitz, das ganz Auge ist, gebietendes Auge, und mit dem Fuß, vor dem die Erde, die er tritt, zurückzubeben scheint. Aber, es gab eine Zeit, wo er nicht war, darum kann eine kommen, wo er nicht mehr sein wird!

EPHRAIM. Gib ihm den Donner und nimm ihm sein Heer, und ich wags, aber jetzt –

JUDITH. Wolle nur! Und aus den Tiefen des Abgrunds herauf und von der Veste des Himmels herunter rufst du die heiligen, schützenden Kräfte, und sie segnen und schirmen dein Werk, wenn nicht dich! Denn du willst, was alles will; worüber die Gottheit brütet in ihrem ersten Zorn, und worüber die Natur, die vor der Riesengeburt ihres eigenen Schoßes zittert und die den zweiten Mann nicht erschaffen wird, oder nur darum, damit er den ersten vertilge, knirschend sinnt in qualvollem Traum!

EPHRAIM. Nur weil du mich hassest, weil du mich töten willst, forderst du das Undenkbare.

JUDITH glühend. Ich hab dir recht getan! Was? solch ein Gedanke[26] begeistert dich nicht? Er berauscht dich nicht einmal? Ich, die du liebst, ich, die ich dich über dich selbst erhöhen wollte, um dich wieder lieben zu können, ich leg ihn dir in die Seele, und er ist dir nichts als eine Last, die dich nur tiefer in den Staub drückt? Sieh, wenn du ihn mit Jauchzen empfangen, wenn du stürmisch nach einem Schwert gegriffen, und dir nicht einmal zum flüchtigen Lebewohl die Zeit genommen hättest, dann, o, das fühl ich, dann hätt ich mich dir weinend in den Weg geworfen, ich hätte dir die Gefahr ausgemalt mit der Angst eines Herzens, das für sein Geliebtestes zittert, ich hätte dich zurückgehalten oder wäre dir gefolgt. Jetzt – ha! ich bin mehr, als gerechtfertigt; deine Liebe ist die Strafe deiner armseligen Natur, sie ward dir zum Fluch, damit sie dich verzehre; ich würde mir zürnen, wenn ich mich auch nur auf einer Regung des Mitleids mit dir ertappte. Ich begreife dich ganz, ich begreife sogar, daß das Höchste dir sein muß, wie das Gemeinste, daß du lächeln mußt, wenn ich bete!

EPHRAIM. Verachte mich! Aber erst zeig mir den, der das Unmögliche möglich macht!

JUDITH. Ich werd ihn dir zeigen! Er wird kommen! Er muß ja kommen! Und ist deine Feigheit die deines ganzen Geschlechts, sehen alle Männer in der Gefahr nichts, als die Warnung, sie zu vermeiden – dann hat ein Weib das Recht erlangt auf eine große Tat, dann – ha, ich hab sie von dir gefordert, ich muß beweisen, daß sie möglich ist!

Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 1, München 1963, S. 18-27.
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