An den Tod

[266] Halb aus dem Schlummer erwacht,

Den ich traumlos getrunken,

Ach, wie war ich versunken

In die unendliche Nacht!


Tiefes Verdämmern des Seins,

Denkend Nichts, noch empfindend!

Richtig mir selber entschwindend,

Schatte mit Schatten zu Eins!


Da beschlich's mich so bang,

Ob auch, den Bruder verdrängend,

Geist mir und Sinne verengend,

Listig der Tod mich umschlag.


Schaudernd dacht' ich's, und fuhr

Auf, und schloß mich an's Leben,

Drängte in glüh'ndem Erheben

Kühn mich an Gott und Natur.


Siehe, da hab' ich gelebt:

Was sonst, zu Tropfen zerflossen,

Langsam und karg sich ergossen,

Hat mich auf einmal durchbebt.


Oft noch berühre du mich,

Tod, wenn ich in mir zerrinne,

Bis ich mich wieder gewinne

Durch den Gedanken an dich!


Quelle:
Friedrich Hebbel: Sämtliche Werke. 1. Abteilung: Werke, Berlin [1911 ff], S. 266.
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