Ein Geburtstag auf der Reise

[247] Wie wird mir so beklommen,

Obgleich ich ruhig schlief!

Wär' heut' der Tag gekommen,

Der mich in's Leben rief?

Ja, sagt mir der Kalender,

Ein Strauß des Freundes auch,

Den der zu milde Spender

Mir flocht am Lorbeerstrauch.


Ach, was sind das für Boten!

Wo bleiben Weib und Kind,

Die sonst, zum Liebesknoten

Verschränkt, die Ersten sind!

Heran, heran, wie immer,

Du theures, theures Paar,[247]

Sonst wage ich mich nimmer

Hinein in's neue Jahr.


Daß ich noch Athem hole,

Verdank' ich euch allein,

Denn ihr seid meine Pole

Und werdet's ewig sein!

Wie sollt' ich wohl noch ringen,

Wär's nicht des Vaters Pflicht?

Und könnt' es mir gelingen,

Stärkte dies Weib mich nicht?


Drum schnell, ich muß euch schauen!

Christine, an mein Herz,

Du innigste der Frauen,

Eh' es erstarrt vor Schmerz.

Und daß ich zwiefach nippe,

Reich' auch dein Kind zum Kuß,

Das meiner bärt'gen Lippe

Nur naht, wenn's eben muß.


Sie zögern noch! Ermannung!

Sie sind dir heut' zu fern!

Du lebst in der Verbannung,

Doch nicht von Stern zu Stern!

Du ward'st auf eine Weile

Dem Paradies entrückt,

Damit es, dir zum Heile,

Bald doppelt dich beglückt.


Nun wohl, ich will es tragen,

Bin ich auch Duldens satt;

Ich ward zurück verschlagen

In eine finst're Stadt,[248]

Wo ich, der Welt verborgen,

Bestand den ersten Streit,

Drum werde dieser Morgen

Der Pilgerschaft geweiht.


Es ist die rechte Stunde,

Ein Schlachtfeld zu beschau'n,

Ich mache flugs die Runde

Und thu' es ohne Grau'n,

Als wären's schon Aeonen,

Wo ich hier, stumm, doch bang,

Mit jedem der Dämonen

Auf Tod und Leben rang.


Drum erst zum kleinen Hause,

Das mich beherbergt hat!

In dieser dunklen Klause

Reift' ich zur Dichterthat,

Viel litt ich da im Stillen,

Viel hat's in mir geschafft:

Von Gott den reinen Willen,

Vom Teufel jede Kraft.


Vorüber doch, vorüber!

Mir wird in meinem Sinn

Auf einmal trüb und trüber,

Nun ich zur Stelle bin.

Mir däucht, durch dieses Fenster

Grinzt noch der ganze Chor

Der Larven und Gespenster,

Die mich gequält, hervor.


Dafür zum Königsgarten

Mit raschem Schritt hinab![249]

Er war's, der dem Erstarrten

Stets wieder Leben gab,

Der, wenn mich eine Mahnung

Des Todes tief geschreckt,

Mich gleich durch eine Ahnung

Der Zukunft neu geweckt.


O Park, sei mir gesegnet!

Bleib ewig frisch und grün,

Und wenn's nur einmal regnet,

So sollst du zweimal blüh'n!

In jeden deiner Gänge

Verlier' ich mich mit Lust,

Denn jeder hat Gesänge

Gehaucht in meine Brust.


Hier zeigte, wie im Traume,

Sich mir die Judith schon!

Dort, unter'm Tannenbaume

Sah ich den Tischlersohn,

Da drüben winkte leise

Mir Genovevas Hand,

Und in des Weihers Kreise

Fand ich den Diamant.


Dann wollt' es mich bedünken,

Ich sei unendlich reich!

Mein Busen war dem Blinken

Des Sternenhimmels gleich:

Schon viel sind aufgegangen

In wandelloser Pracht,

Mehr glaubt man noch umfangen

Vom stillen Schooß der Nacht.


Zwar blieben's damals Schemen,

Mir nur zum Trost geschickt,[250]

Sie mußten Abschied nehmen,

So wie ich sie erblickt.

Das fügte tausend Schmerzen

Den schwersten noch hinzu,

Doch kam zuletzt dem Herzen

Durch sie allein die Ruh.


Denn als sie Blut getrunken,

Wie des Odysseus Schaar

Im Hades, deren Funken

Längst still verglommen war:

Da wandelten die Schatten

Sich in Gestalten schnell,

Und nun sie Leben hatten,

Ward's rings um mich auch hell.


So will's ja der Berather

Der Welt, daß in der Kunst

Das Kind den eig'nen Vater

Erlös't vom ird'schen Dunst,

Und für die heil'ge Schüssel

Voll Bluts, die er vergießt,

Ihm dankt mit einem Schlüssel,

Der ihm das All erschließt.


Quelle:
Friedrich Hebbel: Sämtliche Werke. 1. Abteilung: Werke, Berlin [1911 ff], S. 247-251.
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