Sonntagsfrühe

[120] Der Samstig het zum Sunntig gseit:

»Jez hani alli schlofe gleit;

sie sin vom Schaffe her und hi

gar sölli müed und schlöfrig gsi,

und 's gohtmer schier gar selber so,

i cha fast uf ke Bei me stoh.«

So seit er, und wo's Zwölfi schlacht,

se sinkt er aben in d'Mitternacht.

Der Sunntig seit: »Jez isch's an mir!«

Gar still und heimli bschließt er d'Tür.

Er düselet hinter de Sterne no,

und cha schier gar nit obsi cho.[120]

Doch endli ribt er d'Augen us,

er chunnt der Sunn an Tür und Hus;

sie schloft im stille Chämmerli;

er pöpperlet am Lädemli;

er rüft der Sunne: »D'Zit isch do!«

Sie seit: »I chumm enanderno.«

Und lisli uf de Zeche goht,

und heiter uf de Berge stoht

der Sunntig, und 's schloft alles no;

es sieht und hört en niemes goh;

er chunnt ins Dorf mit stillem Tritt,

und winkt im Guhl: »Verrot mi nit!«

Und wemmen endli au verwacht,

und gschlofe het die ganzi Nacht,

se stoht er do im Sunneschi,

und luegt eim zu de Fenstern i

mit sinen Auge mild und gut,

und mittem Meien uffem Hut.

Drum meint er's treu, und was i sag,

es freut en, wemme schlofe mag,

und meint, es seig no dunkel Nacht,

wenn d'Sunn am heitere Himmel lacht.

Drum isch er au so lisli cho,

drum stoht er au so liebli do.

Wie glitzeret uf Gras und Laub

vom Morgetau der Silberstaub!

Wie weiht e frische Maieluft,

voll Chriesibluest und Schlecheduft!

Und d'Immli sammle flink und frisch,

sie wüsse nit, aß 's Sunntig isch.

Wie pranget nit im Garteland

der Chriesibaum im Maiegwand,

Gelveieli und Tulipa,

und Sterneblume nebe dra,

und gfüllti Zinkli blau und wiiß,

me meint, me lueg ins Paradies![121]

Und 's isch so still und heimli do,

men isch so rüeihig und so froh!

Me hört im Dorf kei »Hüst« und »Hott«;

e »Gute Tag«, und »Dank der Gott«,

und »'s git gottlob e schöne Tag«,

isch alles, was me höre mag.

Und 's Vögeli seit: »Frili jo!

Potz tausig, jo, do isch er scho!

Er dringt jo in sim Himmelsglast

dur Bluest und Laub in Hurst und Nast!«

Und 's Distelzwigli vorne dra

het 's Sunntigröckli au scho a.

Sie lüte weger 's Zeiche scho,

der Pfarer, schint's, well zitli cho.

Gang, brechmer eis Aurikli ab,

verwüschet mer der Staub nit drab,

und Chüngeli, leg di weidli a,

de muesch derno ne Meie ha!

Quelle:
Johann Peter Hebel: Gesamtausgabe, Band 3, Karlsruhe 1972, S. 120-122.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Alemannische Gedichte
Alemannische Gedichte
Plattdeutscher Hebel: Eine Freie Uebersetzung Der Hebel'schen Alemannische Gedichte (German Edition)

Buchempfehlung

Strindberg, August Johan

Inferno

Inferno

Strindbergs autobiografischer Roman beschreibt seine schwersten Jahre von 1894 bis 1896, die »Infernokrise«. Von seiner zweiten Frau, Frida Uhl, getrennt leidet der Autor in Paris unter Angstzuständen, Verfolgungswahn und hegt Selbstmordabsichten. Er unternimmt alchimistische Versuche und verfällt den mystischen Betrachtungen Emanuel Swedenborgs. Visionen und Hysterien wechseln sich ab und verwischen die Grenze zwischen Genie und Wahnsinn.

146 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon