Die Planeten

[84] Bis jetzt haben wir in unsern Betrachtungen über das Weltgebäude unsern Wohnplatz, die Erde, die Sonne, und den Mond näher kennengelernt. Jetzt erheben wir unser Auge zu den leuchtenden Sternen, an denen sich so oft das Auge des nächtlichen Wanderers ergötzt. Wer etwa in einer großen Hauptstadt oder in der Nähe derselben gelebt hat, der kann wissen, was eine Illumination ist, und wie herrlich es aussieht, wenn zu Ehren eines großen Herrn in der ganzen Stadt viele tausend kleine Lampen zu gleicher Zeit angezündet werden und brennen. Das Auge kann sich nicht satt schauen, und überall erblickt es etwas anderes und Schöneres. Aber alle diese irdische Herrlichkeit ist in gar keine Vergleichung zu setzen mit der großen himmlischen Illumination, die in jeder[84] wolkenlosen Nacht zur Ehre des großen Weltbeherrschers aus unermeßlicher Höhe herabflimmert.

Fürs erste müssen wir wissen, daß es zweierlei Arten der Sterne gibt. Denn so sehr sie alle, groß und klein, in der größten Unordnung untereinander zu stehen scheinen, so behalten doch die meisten derselben jahraus jahrein ihr nämliche Stellung gegeneinander, gehen jahraus und jahrein in der nämlichen Ordnung mit- und nacheinander auf und unter, keiner kommt dem andern näher, keiner entfernt sich von dem andern. Jeder von uns, der auch nur ein Gestirn kennt, den Heerwagen oder den Jakobsstab, der wird's wissen. Wie diese Sterne in seiner Jugend standen, so stehen sie noch, und wo er sie im Sommer oder Winter, nachts um 8 Uhr oder in der Mitternacht zu finden wußte, dort findet er sie in der nämlichen Jahrszeit wieder. Und diese Sterne heißen Fixsterne.

Nur mit sehr wenigen andern, welche man Irrsterne oder Planeten nennt, hat es auch eine andere Bewandtnis. Diese behalten nicht ihre gleichförmige Stellung gegen die andern. Wenn der Planet, Jupiter genannt, heute nacht zwischen zwei gewissen Sternen steht, so steht er von heute übers Jahr nicht mehr zwischen den nämlichen, sondern an einem andern Ort. Es ist, als ob diese Sterne für Kurzweil bei den andern herumspazierten, ihnen gute Nacht oder guten Morgen brächten, und sich um die Zeit und Stunde nicht viel bekümmerten. Aber sie haben ihre Ordnung so gut wie die übrigen, nur eine andere. Die mehresten von ihnen kennt jeder Leser aus den Kalendern, besonders aus dem hundertjährigen. Diese Planeten haben nun folgende Eigenschaften miteinander gemein:

1. Sie sind unter allen Sternen unsrer Erde am nächsten, viel näher als irgendein Fixstern.

2. Sie bewegen sich in großen Kreisen und in ungleich langen Zeiten um die Sonne, welches die andern nicht tun. Und aus diesem Grunde verändert sich unaufhörlich ihre Stellung am Himmel.

3. Es sind von Natur dunkle Weltkörper. Sie empfangen ihr Licht wie unsre Erde von der Sonne. Was wir in der Nacht an ihnen glänzen sehen, ist Sonnenschein, der wie aus einem Spiegel zu uns zurückstrahlt, so daß wir auch in der finstersten[85] Sternennacht doch nicht ganz von diesem fröhlichen Lichte verlassen sind. Jeder Planet ist eine ungeheure große Kugel, die sich immer und ohne Ruhe herumdreht. Nur diejenige Hälfte, die alsdann gegen der Sonne steht, hat Licht, die andere ist finster. Sie haben daher auch ihresteils Tag und Nacht.

4. Ein Planet steht nicht immer in gleicher Entfernung und Richtung gegen die Sonne. Sie haben daher, wie unsre Erde, verschiedene Jahreszeiten, in ihrer Art, Sommer und Winter.

Falsch ist es also, wenn man glaubt, die Sonne sei selber ein Planet. Denn sonst müßte sie sich selber in einem großen Kreis um die Sonne bewegen, sie müßte Tag haben, wenn sie von sich selber beschienen wird, und Nacht, wenn sie nicht von sich selber beschienen wird. Sie müßte Sommer und Winter haben, wenn sie näher oder weiter von sich selber absteht, und das ist lauter Widerspruch. Hingegen haben die Weltweisen entdeckt, daß in dem unermeßlichen Weltraum, und unter den unzähligen Weltkugeln desselben, unsere Erde selber ein Planet sei, weil sie alle Eigenschaften der andern Planeten hat, und wer auf einem andern Planeten stünde, und aus einer Weite von Millionen Meilen nach der Erde schaute, dem würde sie ebenso als ein kleiner glänzender Stern erscheinen, wie uns der Abendstern erscheint. Denn es ist die Entfernung von den Sternen zu uns gerade so weit, als von uns zu den Sternen.

Mißlich muß es daher auch um die Behauptung stehen, daß unsere Erde abwechselnd von den Planeten regiert werde, oder daß Witterung, Fruchtbarkeit und andere Dinge von ihnen herrühren, ob man gleich die Erfahrung haben kann, daß je nach sieben Jahren manches wieder so kommt, wie es sieben Jahre früher war. Denn

1. sonst müßte ein Planet den andern regieren, weil ja unsere Erde selber ein Planet ist, und solche Unordnung wird in dem Reich der Weltkörper nicht statuiert;

2. so müßte unsere Erde auch die andern Planeten hinwiederum regieren, und das kann nicht sein, sonst müßten wir auch etwas davon wissen.

3. So sind nicht sieben Hauptplaneten, sondern es sind, wie man mit guten Fernröhren entdeckt hat, bis jetzt eilf, und[86] folglich kann nicht alle sieben Jahre wieder der nämliche regieren. Wie sieht's jetzt aus?

Also ist auch der Mond kein Planet, wie schon aus der vorigen Betrachtung über ihn ersichtlich ist, sondern er ist der Mond und bleibt der Mond. Von den wahren Planeten aber sind einige schon lange bekannt, nämlich

Der Merkurius, aber diesen wird keiner von euch leicht gesehen haben. Denn er umläuft die Sonne in einem so kleinen Kreis, und steht immer so nahe bei ihr, daß er morgens nur kurz vor ihr aufgeht, und bald in dem anbrechenden Tag erblaßt, oder abends bald nach ihr untergeht, und also nicht überall zu sehen ist. Er ist ungefähr zweiundeinhalbmal näher bei der Sonne als wir, welches doch 8 Millionen Meilen beträgt. Ein Jahr währt auf diesem Planet nur 88 Tage, denn in so viel Zeit lauft er einmal um die Sonne herum, und vollendet seine Jahrszeit. Dafür ist er auch einer von den kleinen Planeten, und 16mal kleiner als die Erde.

Die Venus ist der zweite Planet, und diesen kennen wir alle unter einem andern Namen, als Abendstern oder Morgenstern. Denn wenn sie auf ihrem Lauf um die Sonne, welcher 224 Tage beträgt, gegen uns betrachtet vorne an der Sonne steht, so geht er auch früh ein paar Stunden lang vor ihr auf, und das ist alsdann der schöne Morgenstern.

Aber wenn er zu einer andern Zeit in seinem Umlauf so steht, daß er erst nach der Sonne aufgehen kann, so können wir wegen der Tageskelle und dem Sonnenglast ihn nicht mehr sehen. Unsichtbar folgt er den ganzen Tag der Sonne, wie ein Kind seiner Mutter nach, und erst wenn die Sonne untergegangen ist, wenn auf der Erde die Lichter bald angezündet werden und die Betglocken in die Dämmerung läuten, wird er am Abendhimmel sichtbar. Dieser Stern ist der einzige unter allen, der nicht nur aus der Ferne uns seinen Schimmer zeigt, sondern sogar einige Helle auf der Erde verursacht, und daher auch einen Schatten wirft. Dies rührt von der Nähe desselben her, die bisweilen nur 6 Millionen Meilen beträgt, da die Sonne selbst 21 Millionen weit entfernt ist.

Auch ist das Licht des Abendsterns nicht immer gleich. Oft strahlt er im schönsten Glanze, oft wieder blasser, und scheint[87] sogar kleiner zu sein. Aber die Sternkundiger haben schon lange durch ihre Ferngläser die Ursache davon entdeckt. Die Venus hat nämlich, von der Erde aus betrachtet, ihr zu- und abnehmendes Licht wie der Mond, und dies ist sehr begreiflich. Denn da sie eine große Kugel ist, und also nur die eine Hälfte derselben von der Sonne erleuchtet sein kann, während es auf der andern Nacht und stockfinster ist, so kann es oft geschehen, daß sich nur die Hälfte, ja weniger, von ihrer erleuchteten Seite gegen die Erde kehrt.

Aber was noch viel Merkwürdigeres haben die Sternkundiger durch die Hülfe der stärksten Ferngläser in dem Abendstern entdeckt. Er ist nämlich so wenig als unsere Erde eine ganz glatte Kugel, und hat ebenso wie sie seine Berge und Täler, und ob er gleich etwas kleiner als sie ist, so hat er doch Berge, welche den höchsten Berg unsers Weltkörpers um das Vier- bis Fünffache an Höhe übertreffen, welches die Astronomen aus dem Schatten derselben mit Genauigkeit zu berechnen wissen.

O das muß ein wundersames Vergnügen sein, mit einem solchen Fernrohre in der finstern Erdennacht 6 Millionen Meilen weit in eine fremde erleuchtete Welt hineinzuschauen, wenn man bedenkt, wieviel Vergnügen es schon macht, wenn wir von einem erstiegenen Berg nur in ein Tal hinüberschauen können, welches unsere Augen noch nie gesehen haben. Noch heimlicher und lieblicher aber müßte der Blick in einen solchen Stern hinein sein, wenn wir auch sehen könnten, was auf seinen Bergen wächst, was für Tiere darauf weiden, was für Menschen die Tiere hüten, und was sie sonst tun und treiben in ihrer lichten, luftigen Höhe.

Das hat die menschliche Neugierde. So viel man weiß, gern wüßte man noch mehr.

Merkurius und Venus sind die zwei einzigen bekannten Planeten, welche zwischen der Sonne und der Erde stehen. Weiter über die Erde hinaus kreisen um die Sonne noch die drei längst bekannten, Mars, Jupiter und Saturn, nebst fünf neuentdeckten, Pallas, Ceres, Juno, Vesta und Uranus genannt, welche in der Folge sollen beschrieben werden.

[1808]


[Fortsetzung hier][88]

Quelle:
Johann Peter Hebel: Poetische Werke. München 1961, S. 84-89.
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