1.

[157] In dem Dome zu Corduva

Stehen Säulen, dreizehnhundert,

Dreizehnhundert Riesensäulen

Tragen die gewalt'ge Kuppel.


Und auf Säulen, Kuppel, Wänden

Ziehn von oben sich bis unten

Des Korans arab'sche Sprüche,

Klug und blumenhaft verschlungen.


Mohrenkön'ge bauten weiland

Dieses Haus zu Allahs Ruhme,

Doch hat vieles sich verwandelt

In der Zeiten dunkelm Strudel.
[157]

Auf dem Turme, wo der Türmer

Zum Gebete aufgerufen,

Tönet jetzt der Christenglocken

Melancholisches Gesumme.


Auf den Stufen, wo die Gläub'gen

Das Prophetenwort gesungen,

Zeigen jetzt die Glatzenpfäfflein

Ihrer Messe fades Wunder.


Und das ist ein Drehn und Winden

Vor den buntbemalten Puppen,

Und das blökt und dampft und klingelt,

Und die dummen Kerzen funkeln.


In dem Dome zu Corduva

Steht Almansor ben Abdullah,

All die Säulen still betrachtend,

Und die stillen Worte murmelnd:


»Oh, ihr Säulen, stark und riesig,

Einst geschmückt zu Allahs Ruhme,

Jetzo müßt ihr dienend huld'gen

Dem verhaßten Christentume!


Ihr bequemt euch in die Zeiten,

Und ihr tragt die Last geduldig;

Ei, da muß ja wohl der Schwächre

Noch viel leichter sich beruh'gen.«


Und sein Haupt, mit heiterm Antlitz,

Beugt Almansor ben Abdullah

Über den gezierten Taufstein,

In dem Dome zu Corduva.

Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 21972, S. 157-158.
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