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[201] Der Superkargo Mynheer van Koek

Sitzt rechnend in seiner Kajüte;

Er kalkuliert der Ladung Betrag

Und die probabeln Profite.


»Der Gummi ist gut, der Pfeffer ist gut,

Dreihundert Säcke und Fässer;

Ich habe Goldstaub und Elfenbein –

Die schwarze Ware ist besser.


Sechshundert Neger tauschte ich ein

Spottwohlfeil am Senegalflusse.

Das Fleisch ist hart, die Sehnen sind stramm,

Wie Eisen vom besten Gusse.


Ich hab zum Tausche Branntewein,

Glasperlen und Stahlzeug gegeben;

Gewinne daran achthundert Prozent,

Bleibt mir die Hälfte am Leben.


Bleiben mir Neger dreihundert nur

Im Hafen von Rio-Janeiro,

Zahlt dort mir hundert Dukaten per Stück

Das Haus Gonzales Perreiro.«
[201]

Da plötzlich wird Mynheer van Koek

Aus seinen Gedanken gerissen;

Der Schiffschirurgius tritt herein,

Der Doktor van der Smissen.


Das ist eine klapperdürre Figur,

Die Nase voll roter Warzen –

»Nun, Wasserfeldscherer«, ruft van Koek,

»Wie geht's meinen lieben Schwarzen?«


Der Doktor dankt der Nachfrage und spricht:

»Ich bin zu melden gekommen,

Daß heute nacht die Sterblichkeit

Bedeutend zugenommen.


Im Durchschnitt starben täglich zwei,

Doch heute starben sieben,

Vier Männer, drei Frauen – Ich hab den Verlust

Sogleich in die Kladde geschrieben.


Ich inspizierte die Leichen genau;

Denn diese Schelme stellen

Sich manchmal tot, damit man sie

Hinabwirft in die Wellen.


Ich nahm den Toten die Eisen ab;

Und wie ich gewöhnlich tue,

Ich ließ die Leichen werfen ins Meer

Des Morgens in der Fruhe.


Es schossen alsbald hervor aus der Flut

Haifische, ganze Heere,

Sie lieben so sehr das Negerfleisch;

Das sind meine Pensionäre.
[202]

Sie folgten unseres Schiffes Spur,

Seit wir verlassen die Küste;

Die Bestien wittern den Leichengeruch

Mit schnupperndem Fraßgelüste.


Es ist possierlich anzusehn,

Wie sie nach den Toten schnappen!

Die faßt den Kopf, die faßt das Bein,

Die andern schlucken die Lappen.


Ist alles verschlungen, dann tummeln sie sich

Vergnügt um des Schiffes Planken

Und glotzen mich an, als wollten sie

Sich für das Frühstück bedanken.«


Doch seufzend fällt ihm in die Red'

Van Koek: »Wie kann ich lindern

Das Übel? wie kann ich die Progression

Der Sterblichkeit verhindern?«


Der Doktor erwidert: »Durch eigne Schuld

Sind viele Schwarze gestorben;

Ihr schlechter Odem hat die Luft

Im Schiffsraum so sehr verdorben.


Auch starben viele durch Melancholie,

Dieweil sie sich tödlich langweilen;

Durch etwas Luft, Musik und Tanz

Läßt sich die Krankheit heilen.«


Da ruft van Koek: »Ein guter Rat!

Mein teurer Wasserfeldscherer

Ist klug wie Aristoteles,

Des Alexanders Lehrer.
[203]

Der Präsident der Sozietät

Der Tulpenveredlung im Delfte

Ist sehr gescheit, doch hat er nicht

Von Eurem Verstande die Hälfte.


Musik! Musik! Die Schwarzen soll'n

Hier auf dem Verdecke tanzen.

Und wer sich beim Hopsen nicht amüsiert,

Den soll die Peitsche kuranzen.«


Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 21972, S. 201-204.
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