4.

[152] Meine Frau ist nicht zufrieden

Mit dem vorigen Kapitel,

Ganz besonders in bezug

Auf das Kästchen des Darius.


Fast mit Bitterkeit bemerkt sie:

Daß ein Ehemann, der wahrhaft

Religiöse sei, das Kästchen

Gleich zu Gelde machen würde,
[152]

Um damit für seine arme

Legitime Ehegattin

Einen Kaschemir zu kaufen,

Dessen sie so sehr bedürfe.


Der Jehuda ben Halevy,

Meinte sie, der sei hinlänglich

Ehrenvoll bewahrt in einem

Schönen Futteral von Pappe


Mit chinesisch eleganten

Arabesken, wie die hübschen

Bonbonnieren von Marquis

Im Passage-Panorama.


»Sonderbar!« – setzt sie hinzu –

»Daß ich niemals nennen hörte

Diesen großen Dichternamen,

Den Jehuda ben Halevy.«


Liebstes Kind, gab ich zur Antwort,

Solche holde Ignoranz,

Sie bekundet die Lakunen

Der französischen Erziehung,


Der Pariser Pensionate,

Wo die Mädchen, diese künft'gen

Mütter eines freien Volkes,

Ihren Unterricht genießen –


Alte Mumien, ausgestopfte

Pharaonen von Ägypten,

Merowinger Schattenkön'ge,

Ungepuderte Perücken,
[153]

Auch die Zopfmonarchen Chinas,

Porzellanpagodenkaiser –

Alle lernen sie auswendig,

Kluge Mädchen, aber Himmel –


Fragt man sie nach großen Namen

Aus dem großen Goldzeitalter

Der arabisch-althispanisch

Jüdischen Poetenschule,


Fragt man nach dem Dreigestirn,

Nach Jehuda ben Halevy,

Nach dem Salomon Gabirol

Und dem Moses Iben Esra –


Fragt man nach dergleichen Namen,

Dann mit großen Augen schaun

Uns die Kleinen an – alsdann

Stehn am Berge die Ochsinnen.


Raten möcht ich dir, Geliebte,

Nachzuholen das Versäumte

Und Hebräisch zu erlernen –

Laß Theater und Konzerte,


Widme ein'ge Jahre solchem

Studium, du kannst alsdann

Im Originale lesen

Iben Esra und Gabirol


Und versteht sich den Halevy,

Das Triumvirat der Dichtkunst,

Das dem Saitenspiel Davidis

Einst entlockt die schönsten Laute.
[154]

Alcharisi – der, ich wette,

Dir nicht minder unbekannt ist,

Ob er gleich, französ'scher Witzbold,

Den Hariri überwitzelt


Im Gebiete der Makame,

Und ein Voltairianer war

Schon sechshundert Jahr' vor Voltair' –

Jener Alcharisi sagte:


»Durch Gedanken glänzt Gabirol

Und gefällt zumeist dem Denker,

Iben Esra glänzt durch Kunst

Und behagt weit mehr dem Künstler –


Aber beider Eigenschaften

Hat Jehuda ben Halevy,

Und er ist ein großer Dichter

Und ein Liebling aller Menschen.«


Iben Esra war ein Freund

Und, ich glaube, auch ein Vetter

Des Jehuda ben Halevy,

Der in seinem Wanderbuche


Schmerzlich klagt, wie er vergebens

In Granada aufgesucht hat

Seinen Freund, und nur den Bruder

Dorten fand, den Medikus,


Rabbi Meyer, auch ein Dichter

Und der Vater jener Schönen,

Die mit hoffnungsloser Flamme

Iben Esras Herz entzunden –
[155]

Um das Mühmchen zu vergessen,

Griff er nach dem Wanderstabe,

Wie so mancher der Kollegen;

Lebte unstet, heimatlos.


Pilgernd nach Jerusalem,

Überfielen ihn Tartaren,

Die an einen Gaul gebunden

Ihn nach ihren Steppen schleppten.


Mußte Dienste dort verrichten,

Die nicht würdig eines Rabbi

Und noch wen'ger eines Dichters,

Mußte nämlich Kühe melken.


Einstens, als er unterm Bauche

Einer Kuh gekauert saß,

Ihre Euter hastig fingernd,

Daß die Milch floß in den Zuber –


Eine Position, unwürdig

Eines Rabbis, eines Dichters –

Da befiel ihn tiefe Wehmut,

Und er fing zu singen an,


Und er sang so schön und lieblich,

Daß der Khan, der Fürst der Horde,

Der vorbeiging, ward gerühret

Und die Freiheit gab dem Sklaven.


Auch Geschenke gab er ihm,

Einen Fuchspelz, eine lange

Sarazenenmandoline

Und das Zehrgeld für die Heimkehr.
[156]

Dichterschicksal! böser Unstern,

Der die Söhne des Apollo

Tödlich nergelt, und sogar

Ihren Vater nicht verschont hat,


Als er, hinter Daphnen laufend,

Statt des weißen Nymphenleibes

Nur den Lorbeerbaum erfaßte,

Er, der göttliche Schlemihl!


Ja, der hohe Delphier ist

Ein Schlemihl, und gar der Lorbeer,

Der so stolz die Stirne krönet,

Ist ein Zeichen des Schlemihltums.


Was das Wort Schlemihl bedeutet,

Wissen wir. Hat doch Chamisso

Ihm das Bürgerrecht in Deutschland

Längst verschafft, dem Worte nämlich.


Aber unbekannt geblieben,

Wie des heil'gen Niles Quellen,

Ist sein Ursprung; hab darüber

Nachgegrübelt manche Nacht.


Zu Berlin vor vielen Jahren

Wandt ich mich deshalb an unsern

Freund Chamisso, suchte Auskunft

Beim Dekane der Schlemihle.


Doch er konnt mich nicht befried'gen

Und verwies mich drob an Hitzig,

Der ihm den Familiennamen

Seines schattenlosen Peters
[157]

Einst verraten. Alsbald nahm ich

Eine Droschke, und ich rollte

Zu dem Kriminalrat Hitzig,

Welcher eh'mals Itzig hieß –


Als er noch ein Itzig war,

Träumte ihm, er säh geschrieben

An dem Himmel seinen Namen

Und davor den Buchstab' H.


»Was bedeutet dieses H?«

Frug er sich – »etwa Herr Itzig

Oder Heil'ger Itzig? Heil'ger

Ist ein schöner Titel – aber


In Berlin nicht passend« – Endlich

Grübelnsmüd', nannt er sich Hitzig,

Und nur die Getreuen wußten:

In dem Hitzig steckt ein Heil'ger.


»Heil'ger Hitzig!« sprach ich also,

Als ich zu ihm kam, »Sie sollen

Mir die Etymologie

Von dem Wort Schlemihl erklären.«


Viel Umschweife nahm der Heil'ge,

Konnte sich nicht recht erinnern,

Eine Ausflucht nach der andern,

Immer christlich – bis mir endlich,


Endlich alle Knöpfe rissen

An der Hose der Geduld,

Und ich anfing so zu fluchen,

So gottlästerlich zu fluchen,
[158]

Daß der fromme Pietist,

Leichenblaß und beineschlotternd,

Unverzüglich mir willfahrte

Und mir folgendes erzählte:


»In der Bibel ist zu lesen,

Als zur Zeit der Wüstenwandrung

Israel sich oft erlustigt

Mit den Töchtern Kanaans,


Da geschah es, daß der Pinhas

Sahe, wie der edle Simri

Buhlschaft trieb mit einem Weibsbild

Aus dem Stamm der Kananiter,


Und alsbald ergriff er zornig

Seinen Speer und hat den Simri

Auf der Stelle totgestochen –

Also heißt es in der Bibel.


Aber mündlich überliefert

Hat im Volke sich die Sage,

Daß es nicht der Simri war,

Den des Pinhas Speer getroffen,


Sondern daß der Blinderzürnte,

Statt des Sünders, unversehens

Einen ganz Unschuld'gen traf,

Den Schlemihl ben Zuri Schadday.« –


Dieser nun, Schlemihl I.,

Ist der Ahnherr des Geschlechtes

Derer von Schlemihl. Wir stammen

Von Schlemihl ben Zuri Schadday.
[159]

Freilich keine Heldentaten

Meldet man von ihm, wir kennen

Nur den Namen und wir wissen,

Daß er ein Schlemihl gewesen.


Doch geschätzet wird ein Stammbaum

Nicht ob seinen guten Früchten,

Sondern nur ob seinem Alter –

Drei Jahrtausend' zählt der unsre!


Jahre kommen und vergehen –

Drei Jahrtausende verflossen,

Seit gestorben unser Ahnherr,

Herr Schlemihl ben Zuri Schadday.


Längst ist auch der Pinhas tot –

Doch sein Speer hat sich erhalten,

Und wir hören ihn beständig

Über unsre Häupter schwirren.


Und die besten Herzen trifft er –

Wie Jehuda ben Halevy,

Traf er Moses Iben Esra,

Und er traf auch den Gabirol –


Den Gabirol, diesen treuen

Gottgeweihten Minnesänger,

Diese fromme Nachtigall,

Deren Rose Gott gewesen –


Diese Nachtigall, die zärtlich

Ihre Liebeslieder sang

In der Dunkelheit der gotisch

Mittelalterlichen Nacht!
[160]

Unerschrocken, unbekümmert

Ob den Fratzen und Gespenstern,

Ob dem Wust von Tod und Wahnsinn,

Die gespukt in jener Nacht –


Sie, die Nachtigall, sie dachte

Nur an ihren göttlich Liebsten

Dem sie ihre Liebe schluchzte,

Den ihr Lobgesang verherrlicht! –


Dreißig Lenze sah Gabirol

Hier auf Erden, aber Fama

Ausposaunte seines Namens

Herrlichkeit durch alle Lande.


Zu Corduba, wo er wohnte,

War ein Mohr sein nächster Nachbar,

Welcher gleichfalls Verse machte

Und des Dichters Ruhm beneidet'.


Hörte er den Dichter singen,

Schwoll dem Mohren gleich die Galle,

Und der Lieder Süße wurde

Bittrer Wermut für den Neidhart.


Er verlockte den Verhaßten

Nächtlich in sein Haus, erschlug ihn

Dorten und vergrub den Leichnam

Hinterm Hause in dem Garten.


Aber siehe! aus dem Boden,

Wo die Leiche eingescharrt war,

Wuchs hervor ein Feigenbaum

Von der wunderbarsten Schönheit.
[161]

Seine Frucht war seltsam länglich

Und von seltsam würz'ger Süße;

Wer davon genoß, versank

In ein träumerisch Entzücken.


In dem Volke ging darüber

Viel Gerede und Gemunkel,

Das am End' zu den erlauchten

Ohren des Kalifen kam.


Dieser prüfte eigenzüngig

Jenes Feigenphänomen,

Und ernannte eine strenge

Untersuchungskommission.


Man verfuhr summarisch. Sechzig

Bambushiebe auf die Sohlen

Gab man gleich dem Herrn des Baumes,

Welcher eingestand die Untat.


Darauf riß man auch den Baum

Mit den Wurzeln aus dem Boden,

Und zum Vorschein kam die Leiche

Des erschlagenen Gabirol.


Diese ward mit Pomp bestattet

Und betrauert von den Brüdern;

An demselben Tage henkte

Man den Mohren zu Corduba.


Fragment
[162]

Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 21972, S. 152-163.
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