Prinzessin Sabbat

[125] In Arabiens Märchenbuche

Sehen wir verwünschte Prinzen,

Die zuzeiten ihre schöne

Urgestalt zurückgewinnen:


Das behaarte Ungeheuer

Ist ein Königsohn geworden;

Schmuckreich glänzend angekleidet,

Auch verliebt die Flöte blasend.


Doch die Zauberfrist zerrinnt,

Und wir schauen plötzlich wieder

Seine königliche Hoheit

In ein Ungetüm verzottelt.


Einen Prinzen solchen Schicksals

Singt mein Lied. Er ist geheißen[125]

Israel. Ihn hat verwandelt

Hexenspruch in einen Hund.


Hund mit hündischen Gedanken,

Kötert er die ganze Woche

Durch des Lebens Kot und Kehricht,

Gassenbuben zum Gespötte.


Aber jeden Freitagabend,

In der Dämmrungstunde, plötzlich

Weicht der Zauber, und der Hund

Wird aufs neu' ein menschlich Wesen.


Mensch mit menschlichen Gefühlen,

Mit erhobnem Haupt und Herzen,

Festlich, reinlich schier gekleidet,

Tritt er in des Vaters Halle.


»Sei gegrüßt, geliebte Halle

Meines königlichen Vaters!

Zelte Jakobs, eure heil'gen

Eingangspfosten küßt mein Mund!«


Durch das Haus geheimnisvoll

Zieht ein Wispern und ein Weben,

Und der unsichtbare Hausherr

Atmet schaurig in der Stille.


Stille! Nur der Seneschall

(Vulgo Synagogendiener)

Springt geschäftig auf und nieder,

Um die Lampen anzuzünden.


Trostverheißend goldne Lichter,

Wie sie glänzen, wie sie glimmern!

Stolz aufflackern auch die Kerzen

Auf der Brüstung des Almemors.
[126]

Vor dem Schreine, der die Thora

Aufbewahret und verhängt ist

Mit der kostbar seidnen Decke,

Die von Edelsteinen funkelt –


Dort an seinem Betpultständer

Steht schon der Gemeindesänger;

Schmuckes Männchen, das sein schwarzes

Mäntelchen kokett geachselt.


Um die weiße Hand zu zeigen,

Haspelt er am Halse, seltsam

An die Schläf' den Zeigefinger,

An die Kehl' den Daumen drückend.


Trällert vor sich hin ganz leise,

Bis er endlich lautaufjubelnd

Seine Stimm' erhebt und singt:

»Lecho Daudi Likras Kalle!


Lecho Daudi Likras Kalle –

Komm, Geliebter, deiner harret

Schon die Braut, die dir entschleiert

Ihr verschämtes Angesicht!«


Dieses hübsche Hochzeitkarmen

Ist gedichtet von dem großen,

Hochberühmten Minnesinger

Don Jehuda ben Halevy.


In dem Liede wird gefeiert

Die Vermählung Israels

Mit der Frau Prinzessin Sabbat,

Die man nennt die stille Fürstin.
[127]

Perl' und Blume aller Schönheit

Ist die Fürstin. Schöner war

Nicht die Königin von Saba,

Salomonis Busenfreundin,


Die, ein Blaustrumpf Äthiopiens,

Durch Esprit brillieren wollte,

Und mit ihren klugen Rätseln

Auf die Länge fatigant ward.


Die Prinzessin Sabbat, welche

Ja die personifizierte

Ruhe ist, verabscheut alle

Geisteskämpfe und Debatten.


Gleich fatal ist ihr die trampelnd

Deklamierende Passion,

Jenes Pathos, das mit flatternd

Aufgelöstem Haar einherstürmt.


Sittsam birgt die stille Fürstin

In der Haube ihre Zöpfe;

Blickt so sanft wie die Gazelle,

Blüht so schlank wie eine Addas.


Sie erlaubt dem Liebsten alles,

Ausgenommen Tabakrauchen –

»Liebster! Rauchen ist verboten,

Weil es heute Sabbat ist.


Dafür aber heute mittag

Soll dir dampfen, zum Ersatz,

Ein Gericht, das wahrhaft göttlich –

Heute sollst du Schalet essen!«
[128]

Schalet, schöner Götterfunken,

Tochter aus Elysium!

Also klänge Schillers Hochlied,

Hätt er Schalet je gekostet.


Schalet ist die Himmelspeise,

Die der liebe Herrgott selber

Einst den Moses kochen lehrte

Auf dem Berge Sinai,


Wo der Allerhöchste gleichfalls

All die guten Glaubenslehren

Und die heil'gen Zehn Gebote

Wetterleuchtend offenbarte.


Schalet ist des wahren Gottes

Koscheres Ambrosia,

Wonnebrot des Paradieses,

Und mit solcher Kost verglichen


Ist nur eitel Teufelsdreck

Das Ambrosia der falschen

Heidengötter Griechenlands,

Die verkappte Teufel waren.


Speist der Prinz von solcher Speise,

Glänzt sein Auge wie verkläret,

Und er knöpfet auf die Weste,

Und er spricht mit sel'gem Lächeln:


»Hör ich nicht den Jordan rauschen?

Sind das nicht die Brüselbrunnen

In dem Palmental von Beth-El,

Wo gelagert die Kamele?
[129]

Hör ich nicht die Herdenglöckchen?

Sind das nicht die fetten Hämmel,

Die vom Gileathgebirge

Abendlich der Hirt herabtreibt?«


Doch der schöne Tage verflittert;

Wie mit langen Schattenbeinen

Kommt geschritten der Verwünschung

Böse Stund' – Es seufzt der Prinz.


Ist ihm doch, als griffen eiskalt

Hexenfinger in sein Herze.

Schon durchrieseln ihn die Schauer

Hündischer Metamorphose.


Die Prinzessin reicht dem Prinzen

Ihre güldne Nardenbüchse.

Langsam riecht er – Will sich laben

Noch einmal an Wohlgerüchen.


Es kredenzet die Prinzessin

Auch den Abschiedstrunk dem Prinzen –

Hastig trinkt er, und im Becher

Bleiben wen'ge Tropfen nur.


Er besprengt damit den Tisch,

Nimmt alsdann ein kleines Wachslicht,

Und er tunkt es in die Nässe,

Daß es knistert und erlischt.


Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 21972, S. 125-130.
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