3.

[32] In der Tracht der Beguinen,

In dem Mantel mit der Kappe

Von der gröbsten schwarzen Serge,

Ist vermummt die junge Nonne.


Hastig längs des Rheines Ufern

Schreitet sie hinab die Landstraß',

Die nach Holland führt, und hastig

Fragt sie jeden, der vorbeikommt:
[32]

»Habt Ihr nicht gesehn Apollo?

Einen roten Mantel trägt er,

Lieblich singt er, spielt die Leier,

Und er ist mein holder Abgott.«


Keiner will ihr Rede stehen,

Mancher dreht ihr stumm den Rücken,

Mancher glotzt sie an und lächelt,

Mancher seufzet: »Armes Kind!«


Doch des Wegs herangetrottelt

Kommt ein schlottrig alter Mensch,

Fingert in der Luft, wie rechnend,

Näselnd singt er vor sich hin.


Einen schlappen Quersack trägt er,

Auch ein klein dreieckig Hütchen;

Und mit schmunzelnd klugen Äuglein

Hört er an den Spruch der Nonne:


»Habt Ihr nicht gesehn Apollo?

Einen roten Mantel trägt er,

Lieblich singt er, spielt die Leier,

Und er ist mein holder Abgott.«


Jener aber gab zur Antwort,

Während er sein Köpfchen wiegte

Hin und her, und gar possierlich

Zupfte an dem spitzen Bärtchen:


»Ob ich ihn gesehen habe?

Ja, ich habe ihn gesehen

Oft genug zu Amsterdam,

In der deutschen Synagoge.
[33]

Denn er war Vorsänger dorten,

Und da hieß er Rabbi Faibisch,

Was auf Hochdeutsch heiße Apollo –

Doch mein Abgott ist er nicht.


Roter Mantel? Auch den roten

Mantel kenn ich. Echter Scharlach,

Kostet acht Florin die Elle,

Und ist noch nicht ganz bezahlt.


Seinen Vater Moses Jitscher

Kenn ich gut. Vorhautabschneider

Ist er bei den Portugiesen.

Er beschnitt auch Souveräne.


Seine Mutter ist Cousine

Meines Schwagers, und sie handelt

Auf der Gracht mit sauern Gurken

Und mit abgelebten Hosen.


Haben kein Pläsier am Sohne.

Dieser spielt sehr gut die Leier,

Aber leider noch viel besser

Spielt er oft Tarock und L'hombre.


Auch ein Freigeist ist er, aß

Schweinefleisch, verlor sein Amt,

Und er zog herum im Lande

Mit geschminkten Komödianten.


In den Buden, auf den Märkten,

Spielte er den Pickelhering,

Holofernes, König David,

Diesen mit dem besten Beifall.
[34]

Denn des Königs eigne Lieder

Sang er in des Königs eigner

Muttersprache, tremulierend

In des Nigens alter Weise.


Aus dem Amsterdamer Spielhuis

Zog er jüngst etwelche Dirnen,

Und mit diesen Musen zieht er

Jetzt herum als ein Apollo.


Eine dicke ist darunter,

Die vorzüglich quiekt und grünzelt;

Ob dem großen Lorbeerkopfputz

Nennt man sie die grüne Sau.«


Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 21972, S. 32-35.
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