Schlachtfeld bei Hastings

[19] Der Abt von Waltham seufzte tief,

Als er die Kunde vernommen,

Daß König Harold elendiglich

Bei Hastings umgekommen.


Zwei Mönche, Asgod und Ailrik genannt,

Die schickt' er aus als Boten,

Sie sollten suchen die Leiche Harolds

Bei Hastings unter den Toten.


Die Mönche gingen traurig fort

Und kehrten traurig zurücke:

»Hochwürdiger Vater, die Welt ist uns gram,

Wir sind verlassen vom Glücke.


Gefallen ist der beßre Mann,

Es siegte der Bankert, der schlechte,

Gewappnete Diebe verteilen das Land

Und machen den Freiling zum Knechte.


Der lausigste Lump aus der Normandie

Wird Lord auf der Insel der Briten;

Ich sah einen Schneider aus Bayeux, er kam

Mit goldnen Sporen geritten.
[19]

Weh dem, der jetzt ein Sachse ist!

Ihr Sachsenheilige droben

Im Himmelreich, nehmt euch in acht,

Ihr seid der Schmach nicht enthoben.


Jetzt wissen wir, was bedeutet hat

Der große Komet, der heuer

Blutrot am nächtlichen Himmel ritt

Auf einem Besen von Feuer.


Bei Hastings in Erfüllung ging

Des Unsterns böses Zeichen,

Wir waren auf dem Schlachtfeld dort

Und suchten unter den Leichen.


Wir suchten hin, wir suchten her,

Bis alle Hoffnung verschwunden –

Den Leichnam des toten Königs Harold,

Wir haben ihn nicht gefunden.«


Asgod und Ailrik sprachen also;

Der Abt rang jammernd die Hände,

Versank in tiefe Nachdenklichkeit

Und sprach mit Seufzen am Ende:


»Zu Grendelfield am Bardenstein,

Just in des Waldes Mitte,

Da wohnet Edith Schwanenhals

In einer dürft'gen Hütte.


Man hieß sie Edith Schwanenhals,

Weil wie der Hals der Schwäne

Ihr Nacken war; der König Harold,

Er liebte die junge Schöne.
[20]

Er hat sie geliebt, geküßt und geherzt,

Und endlich verlassen, vergessen.

Die Zeit verfließt; wohl sechzehn Jahr'

Verflossen unterdessen.


Begebt euch, Brüder, zu diesem Weib

Und laßt sie mit euch gehen

Zurück nach Hastings, der Blick des Weibs

Wird dort den König erspähen.


Nach Waltham-Abtei hierher alsdann

Sollt ihr die Leiche bringen,

Damit wir christlich bestatten den Leib

Und für die Seele singen.«


Um Mitternacht gelangten schon

Die Boten zur Hütte im Walde:

»Erwache, Edith Schwanenhals,

Und folge uns alsbalde.


Der Herzog der Normannen hat

Den Sieg davongetragen,

Und auf dem Feld bei Hastings liegt

Der König Harold erschlagen.


Komm mit nach Hastings, wir suchen dort

Den Leichnam unter den Toten,

Und bringen ihn nach Waltham-Abtei,

Wie uns der Abt geboten.«


Kein Wort sprach Edith Schwanenhals,

Sie schürzte sich geschwinde

Und folgte den Mönchen; ihr greisendes Haar,

Das flatterte wild im Winde.
[21]

Es folgte barfuß das arme Weib

Durch Sümpfe und Baumgestrüppe.

Bei Tagesanbruch gewahrten sie schon

Zu Hastings die kreidige Klippe.


Der Nebel, der das Schlachtfeld bedeckt

Als wie ein weißes Leilich,

Zerfloß allmählich; es flatterten auf

Die Dohlen und krächzten abscheulich.


Viel tausend Leichen lagen dort

Erbärmlich auf blutiger Erde,

Nackt ausgeplündert, verstümmelt, zerfleischt,

Daneben die Äser der Pferde.


Es wadete Edith Schwanenhals

Im Blute mit nackten Füßen;

Wie Pfeile aus ihrem stieren Aug'

Die forschenden Blicke schießen.


Sie suchte hin, sie suchte her,

Oft mußte sie mühsam verscheuchen

Die fraßbegierige Rabenschar;

Die Mönche hinter ihr keuchen.


Sie suchte schon den ganzen Tag,

Es ward schon Abend – plötzlich

Bricht aus der Brust des armen Weibs

Ein geller Schrei, entsetzlich.


Gefunden hat Edith Schwanenhals

Des toten Königs Leiche.

Sie sprach kein Wort, sie weinte nicht,

Sie küßte das Antlitz, das bleiche.
[22]

Sie küßte die Stirne, sie küßte den Mund,

Sie hielt ihn fest umschlossen;

Sie küßte auf des Königs Brust

Die Wunde blutumflossen.


Auf seiner Schulter erblickt sie auch –

Und sie bedeckt sie mit Küssen –

Drei kleine Narben, Denkmäler der Lust,

Die sie einst hineingebissen.


Die Mönche konnten mittlerweil'

Baumstämme zusammenfugen;

Das war die Bahre, worauf sie alsdann

Den toten König trugen.


Sie trugen ihn nach Waltham-Abtei,

Daß man ihn dort begrübe;

Es folgte Edith Schwanenhals

Der Leiche ihrer Liebe.


Sie sang die Totenlitanei'n

In kindisch frommer Weise;

Das klang so schauerlich in der Nacht –

Die Mönche beteten leise. –


Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 21972, S. 19-23.
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