Jetzt wohin?

[104] Jetzt wohin? Der dumme Fuß

Will mich gern nach Deutschland tragen;

Doch es schüttelt klug das Haupt

Mein Verstand und scheint zu sagen:


›Zwar beendigt ist der Krieg,

Doch die Kriegsgerichte blieben,

Und es heißt, du habest einst

Viel Erschießliches geschrieben.‹


Das ist wahr, unangenehm

Wär mir das Erschossenwerden;

Bin kein Held, es fehlen mir

Die pathetischen Gebärden.


Gern würd ich nach England gehn,

Wären dort nicht Kohlendämpfe

Und Engländer – schon ihr Duft

Gibt Erbrechen mir und Krämpfe.


Manchmal kommt mir in den Sinn,

Nach Amerika zu segeln,[104]

Nach dem großen Freiheitstall,

Der bewohnt von Gleichheitsflegeln –


Doch es ängstet mich ein Land,

Wo die Menschen Tabak käuen,

Wo sie ohne König kegeln,

Wo sie ohne Spucknapf speien.


Rußland, dieses schöne Reich,

Würde mir vielleicht behagen,

Doch im Winter könnte ich

Dort die Knute nicht ertragen.


Traurig schau ich in die Höh',

Wo viel tausend Sterne nicken –

Aber meinen eignen Stern

Kann ich nirgens dort erblicken.


Hat im güldnen Labyrinth

Sich vielleicht verirrt am Himmel,

Wie ich selber mich verirrt

In dem irdischen Getümmel. –


Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 21972, S. 104-105.
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