11.

Verlorene Wünsche

[115] Von der Gleichheit der Gemütsart

Wechselseitig angezogen,

Waren wir einander immer

Mehr als uns bewußt gewogen.


Beide ehrlich und bescheiden,

Konnten wir uns leicht verstehen;

Worte waren überflüssig,

Brauchten uns nur anzusehen.


O wie sehnlich wünscht ich immer,

Daß ich bei dir bleiben könnte

Als der tapfre Waffenbruder

Eines Dolcefarniente.


Ja, mein liebster Wunsch war immer,

Daß ich immer bei dir bliebe!

Alles, was dir wohlgefiele,

Alles tät ich dir zuliebe.


Würde essen, was dir schmeckte,

Und die Schüssel gleich entfernen,

Die dir nicht behagt. Ich würde

Auch Zigarren rauchen lernen.


Manche polnische Geschichte,

Die dein Lachen immer weckte,

Wollt ich wieder dir erzählen

In Judäas Dialekte.
[115]

Ja, ich wollte zu dir kommen,

Nicht mehr in der Fremde schwärmen –

An dem Herde deines Glückes

Wollt ich meine Kniee wärmen. – –


Goldne Wünsche! Seifenblasen!

Sie zerrinnen wie mein Leben –

Ach, ich liege jetzt am Boden,

Kann mich nimmermehr erheben.


Und Ade! sie sind zerronnen,

Goldne Wünsche, süßes Hoffen!

Ach, zu tödlich war der Faustschlag,

Der mich just ins Herz getroffen.


Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 21972, S. 115-116.
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