Caput XVI

[473] Das Stoßen des Wagens weckte mich auf,

Doch sanken die Augenlider

Bald wieder zu, und ich entschlief

Und träumte vom Rotbart wieder.


Ging wieder schwatzend mit ihm herum

Durch alle die hallenden Säle;

Er frug mich dies, er frug mich das,

Verlangte, daß ich erzähle.


Er hatte aus der Oberwelt

Seit vielen, vielen Jahren,

Wohl seit dem Siebenjährigen Krieg,

Kein Sterbenswort erfahren.
[473]

Er frug nach Moses Mendelssohn,

Nach der Karschin, mit Intresse

Frug er nach der Gräfin Dubarry,

Des fünfzehnten Ludwigs Mätresse.


»O Kaiser«, rief ich, »wie bist du zurück!

Der Moses ist längst gestorben,

Nebst seiner Rebekka, auch Abraham,

Der Sohn, ist gestorben, verdorben.


Der Abraham hatte mit Lea erzeugt

Ein Bübchen, Felix heißt er,

Der brachte es weit im Christentum,

Ist schon Kapellenmeister.


Die alte Karschin ist gleichfalls tot,

Auch die Tochter ist tot, die Klenke;

Helmine Chézy, die Enkelin,

Ist noch am Leben, ich denke.


Die Dubarry lebte lustig und flott,

Solange Ludwig regierte,

Der Fünfzehnte nämlich, sie war schon alt,

Als man sie guillotinierte.


Der König Ludwig der Fünfzehnte starb

Ganz ruhig in seinem Bette,

Der Sechzehnte aber ward guillotiniert

Mit der Königin Antoinette.


Die Königin zeigte großen Mut,

Ganz wie es sich gebührte,

Die Dubarry aber weinte und schrie,

Als man sie guillotinierte.« – –
[474]

Der Kaiser blieb plötzlich stillestehn,

Und sah mich an mit den stieren

Augen und sprach: »Um Gottes will'n,

Was ist das, guillotinieren?«


»Das Guillotinieren« – erklärte ich ihm –

»Ist eine neue Methode,

Womit man die Leute jeglichen Stands

Vom Leben bringt zu Tode.


Bei dieser Methode bedient man sich

Auch einer neuen Maschine,

Die hat erfunden Herr Guillotin,

Drum nennt man sie Guillotine.


Du wirst hier an ein Brett geschnallt; –

Das senkt sich; – du wirst geschoben

Geschwinde zwischen zwei Pfosten; – es hängt

Ein dreieckig Beil ganz oben; –


Man zieht eine Schnur, dann schießt herab

Das Beil, ganz lustig und munter; –

Bei dieser Gelegenheit fällt dein Kopf

In einen Sack hinunter.«


Der Kaiser fiel mir in die Red':

»Schweig still, von deiner Maschine

Will ich nichts wissen, Gott bewahr',

Daß ich mich ihrer bediene!


Der König und die Königin!

Geschnallt! an einem Brette!

Das ist ja gegen allen Respekt

Und alle Etikette!
[475]

Und du, wer bist du, daß du es wagst,

Mich so vertraulich zu duzen?

Warte, du Bürschchen, ich werde dir schon

Die kecken Flügel stutzen!


Es regt mir die innerste Galle auf,

Wenn ich dich höre sprechen,

Dein Odem schon ist Hochverrat

Und Majestätsverbrechen!«


Als solchermaßen in Eifer geriet

Der Alte und sonder Schranken

Und Schonung mich anschnob, da platzten heraus

Auch mir die geheimsten Gedanken.


»Herr Rotbart« – rief ich laut –, »du bist

Ein altes Fabelwesen,

Geh, leg dich schlafen, wir werden uns

Auch ohne dich erlösen.


Die Republikaner lachen uns aus,

Sehn sie an unserer Spitze

So ein Gespenst mit Zepter und Kron';

Sie rissen schlechte Witze.


Auch deine Fahne gefällt mir nicht mehr,

Die altdeutschen Narren verdarben

Mir schon in der Burschenschaft die Lust

An den schwarzrotgoldnen Farben.


Das beste wäre, du bliebest zu Haus,

Hier in dem alten Kyffhäuser –

Bedenk ich die Sache ganz genau,

So brauchen wir gar keinen Kaiser.«
[476]

Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 21972, S. 473-477.
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