Caput XVIII

[478] Minden ist eine feste Burg,

Hat gute Wehr und Waffen!

Mit preußischen Festungen hab ich jedoch

Nicht gerne was zu schaffen.


Wir kamen dort an zur Abendzeit.

Die Planken der Zugbrück' stöhnten

So schaurig, als wir hinübergerollt;

Die dunklen Gräben gähnten.
[478]

Die hohen Bastionen schauten mich an,

So drohend und verdrossen;

Das große Tor ging rasselnd auf,

Ward rasselnd wieder geschlossen.


Ach! meine Seele ward betrübt,

Wie des Odysseus Seele,

Als er gehört, daß Polyphem

Den Felsblock schob vor die Höhle.


Es trat an den Wagen ein Korporal

Und frug uns: wie wir hießen?

»Ich heiße Niemand, bin Augenarzt

Und steche den Star den Riesen.«


Im Wirtshaus ward mir noch schlimmer zumut',

Das Essen wollt mir nicht schmecken.

Ging schlafen sogleich, doch schlief ich nicht,

Mich drückten so schwer die Decken.


Es war ein breites Federbett,

Gardinen von rotem Damaste,

Der Himmel von verblichenem Gold,

Mit einem schmutzigen Quaste.


Verfluchter Quast! der die ganze Nacht

Die liebe Ruhe mir raubte!

Er hing mir, wie des Damokles Schwert,

So drohend über dem Haupte!


Schien manchmal ein Schlangenkopf zu sein,

Und ich hörte ihn heimlich zischen:

»Du bist und bleibst in der Festung jetzt,

Du kannst nicht mehr entwischen!«
[479]

»Oh, daß ich wäre« – seufzte ich –

»Daß ich zu Hause wäre,

Bei meiner lieben Frau in Paris,

Im Faubourg Poissonnière!«


Ich fühlte, wie über die Stirne mir

Auch manchmal etwas gestrichen,

Gleich einer kalten Zensorhand,

Und meine Gedanken wichen –


Gendarmen in Leichenlaken gehüllt,

Ein weißes Spukgewirre,

Umringte mein Bett, ich hörte auch

Unheimliches Kettengeklirre.


Ach! die Gespenster schleppten mich fort,

Und ich hab mich endlich befunden

An einer steilen Felsenwand;

Dort war ich festgebunden.


Der böse schmutzige Betthimmelquast!

Ich fand ihn gleichfalls wieder,

Doch sah er jetzt wie ein Geier aus,

Mit Krallen und schwarzem Gefieder.


Er glich dem preußischen Adler jetzt,

Und hielt meinen Leib umklammert;

Er fraß mir die Leber aus der Brust,

Ich habe gestöhnt und gejammert.


Ich jammerte lange – da krähte der Hahn,

Und der Fiebertraum erblaßte.

Ich lag zu Minden im schwitzenden Bett,

Der Adler ward wieder zum Quaste.
[480]

Ich reiste fort mit Extrapost,

Und schöpfte freien Odem

Erst draußen in der freien Natur,

Auf bückeburgschem Boden.

Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 21972, S. 478-481.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Deutschland. Ein Wintermärchen
Deutschland: Ein Wintermärchen
Deutschland. Ein Wintermärchen
Neue Gedichte: Deutschland. Ein Wintermärchen. Atta Troll (insel taschenbuch)
Deutschland: Ein Wintermärchen (insel taschenbuch)
Deutschland. Ein Wintermärchen (insel taschenbuch)

Buchempfehlung

Wieland, Christoph Martin

Geschichte der Abderiten

Geschichte der Abderiten

Der satirische Roman von Christoph Martin Wieland erscheint 1774 in Fortsetzung in der Zeitschrift »Der Teutsche Merkur«. Wielands Spott zielt auf die kleinbürgerliche Einfalt seiner Zeit. Den Text habe er in einer Stunde des Unmuts geschrieben »wie ich von meinem Mansardenfenster herab die ganze Welt voll Koth und Unrath erblickte und mich an ihr zu rächen entschloß.«

270 Seiten, 9.60 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon