XII.
Der Mohr und der Weiße.

[155] Ein Mohr und Weißer zankten sich,

Der Weiße sprach zu dem Bengalen:

Wär' ich, wie du, ich ließe mich

Zeit meines Lebens niemals malen.


Besieh dein Pechgesichte nur.

Und sage mir, du schwarzes Wesen!

Hat dich die spielende Natur

Nicht uns zum Scheusal auserlesen?


Gut! sprach der Mohr, hat denn ihr Fleiß

Sich deiner besser angenommen?

Die Tafel ist bey dir noch weiß,

Der Maler soll erst drüber kommen!


Die Welt, darinn wir Menschen sind,

Gleicht einem ungeheuren Baume,

Darauf bist du, mein liebes Kind,

Unstreitig die unreife Pflaume.


Sie zankten sich noch lange Zeit,

Und weil sich Keiner geben wollte,[156]

Beschlossen sie, daß ihren Streit

Ein kluger Richter schlichten sollte.


Als nun der Weiße Recht behielt,

Da sprach das schwarze Kind der Mohren:

Du siegst; ich habe hier verspielt,

In Tunis hättest du verloren!


* * * * *


So manches Land, so mancher Wahn.

Es kömmt bey allen Nationen

Der Vorzug auf den Ort mit an;

Schön ist, was da gilt, wo wir wohnen.


Lichtwer.

Quelle:
Wilhelm Heinse: Erzählungen für junge Damen und Dichter gesammelt und mit Anmerkungen begleitet, Lemgo 1775, S. 155-157.
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