Fünfter Teil

[297] Terni, Jenner.


Neid und Eifersucht sind die Dornen im Rosengarten der Liebe.

Ich habe von Rom abreisen müssen, der Herzog ruft mich zu Geschäften. Aber ich erkenne wohl, der Kardinal wollte mich fort; er hatte schon längst ein Auge auf mich und fand bei meinem Aufenthalte nicht seine Rechnung.

Ich reise vorwärts und meine Phantasie rückwärts; Herz und alle Freude ist in Rom geblieben. Zähren des tiefsten Gefühls rannen unaufhaltbar hervor mit ihren letzten heißen Seelenblicken; wir schieden aus glühender Umarmung. O sie liebt mich, groß und edel! Erhabnes Wesen!

Ich befinde mich hier in einer Wasserwelt; die Fluten rauschen, und Ströme stürzen sich mit donnerndem Gebrüll von den Gebirgen: und doch ist mein Sinn nur wie im Taumel gegenwärtig. Das Wetter ist außerordentlich lau und warm für die Jahrszeit; aller Schnee auf dem Apennin schmilzt. Die Nera ist mächtig angeschwollen, und der königliche Velino reißt sich wie eine Sündflut aus seinem See schräg übers Gebirg herab, setzt alle Gärten und Felder der Terner in Überschwemmung und verheert sie mit seinem Schutte.

Rührend ist bei dem fürchterlichen Schauspiel, wie die hülflosen Menschen so gut und freundlich und gesellig gegeneinander bei der allgemeinen Not werden und jeder erkennt, wie wenig er für sich selbst vermag.

Im schmalen Tal, an der Nera, vor dem Einflusse des Velino, liegt ein Dörfchen von wenig Häusern, Torrosina, wie in einem kleinen Kessel. Nachdem ich die ganze Lage besehen hatte, so fand ich, daß die Terner weit weniger und fast nichts leiden würden, wenn man oben auf dem Gebirge den Velino dahin führte, daß er in die Felsenkluft, wo die Nera furchtsam hervorschleicht, sich mit seinem Tartar stürzte. Außerdem gewännen sie noch das ganze[297] breite Bett des Flusses an die zwei Miglien lang für ihre Waldung; und der senkelrechte Sturz selbst würde an Höhe und Schönheit seinesgleichen nicht in Europa haben, da er jetzt nur gemach schräg herabrauscht. Weil aber Grund und Boden den Torrosinern gehört, so müßten sie denselben ihnen abkaufen, welcher jedoch an und für sich keinen Wert hat, da er lauter Felsen ist, und den etwanigen zukünftigen Schaden zu ersetzen versprechen, der für sie entstehen könnte, wenn die Nera bei großen Wassern vor der einbrechenden Gewalt des Velino sollte zurückgehalten werden.

Ich ging darauf in die Ratsversammlung von Terni und machte mein Gutachten als ein Werksverständiger bekannt. Alle, keiner ausgenommen, gaben dazu ihren Beifall; und dieser und jener sagte, daß er dies schon längst auch gedacht hätte. Und siehe da, man schickte kluge Redner zu den Torrosinern ab, und der gute Anschlag wurde mit wenig Kosten genehmigt.

Aus Furcht, daß es diesen gereuen möchte, will man sogleich Hand ans Werk legen und oben das kurze neue Bett ausgraben, welches ich diesen Morgen half abstecken.

Die Sache wegen Verlegung des Velinosturzes ist alt und wurde schon zu Ciceros Zeiten verhandelt. Es scheint, die Torrosiner sind gutherziger geworden, daß sie jetzt so bald nachgaben; oder der große Schaden und Jammer der Terner hat sie mehr als jemals ergriffen und zum Mitleiden bewogen, da ihr zukünftiger Verlust gegen dieser ihren doch nur äußerst klein sein kann und vergütet werden wird.


Perugia, Jenner.


Ich streiche durch alle die himmlischen Gegenden ohne rechten Genuß, und nur ergreift mich noch des Wasserelements Sturm und Aufruhr und die Luft mit ihren Gewittern und Wetterstrahlen.

Der Ort enthält einen Schatz von Gemälden, und sie und[298] die prächtig gepflasterten Straßen und schönen Paläste und Tempel zeigen allein noch den ehemaligen Wohlstand der Freiheit.

Für jetzt flüchtige Anzeige einiger Raffaele auf meinem Wege.

Foligno hat deren zwei, die allein wert sind, in dies Paradies zu reisen. Im Nonnenkloster delle Contezze ein Altarblatt, welches die Madonna vorstellt, vom Himmel herniederschwebend, wie sie der heilige Franziskus, Hieronymus, Johannes der Täufer und ein Kardinal anbeten. Es ist aus des Meisters bester Zeit. Welche Gestalten, welche Charakter! Wie ist alles so rein bis aufs Haar bestimmt! Echte klassische Arbeit.

Der Kopf der Madonna ist einer der schönsten welschen weiblichen Köpfe. Wie klar die Stirnen, wie reizend das lichte Kastanienhaar nach den Ohren weggelegt, der bräunliche Schleier wie sanft und lieblich, in den holden herniederblickenden Augen welche Güte! wie schön die großen Augenlider, vollen jugendlichen Wangen mit Schamröte überzogen, wie jungfräulich, wie süß der völlige Mund, das zarte Kinn, und die Nase wie edel herein! welch ein schönes Oval und wie reizend auf der rechten Seite herum im Schatten gehalten! wie reizend schwellen die Brüste unter dem roten sittsamen Gewand hervor!

Welch eine feurige, eifrige Frömmigkeit und Wahrheit im Kopfe des Heiligen von Assisi und welch ein schöner kniender Akt! Wie kräftig der Kopf des heiligen Hieronymus gemalt und in welchem feierlichen Ernste von Betrachtung! Johannes ist ein echter wilder Eremit, der sich nicht auf bürgerliche Höflichkeiten versteht und dreust sagt, was er denkt. Der Kardinal bloß Porträt voll Bewunderung.

Der Engel unten mit dem Täfelchen ist trefflich gemalt, nur weiß man nicht, was er soll, weil man vergessen hat, es daraufzuschreiben.

Das Kolorit in den Köpfen ist täuschend abgewechselt, wie die Natur tut. Die Figuren sind alle in Lebensgröße und die[299] Madonna noch darüber, um sie zur ersten Person zu erheben. Sie ist am lebendigsten und wirft Glanz um sich wie Sonne. Unten ist freies Feld und ein Flecken, wo die Heiligen sich beisammen befinden, sie anrufen und anbeten und in Betrachtung verloren sind.

Im Dom eben hier am Ende des linken Kreuzgangs ein Halbbogen, worin Madonna mit dem kleinen Christus zur Linken und dem kleinen Johannes zur Rechten vor sich; zwei holde nackte Bübchen in schöner Bewegung. Hinter ihr zur Rechten der heilige Joseph und zur Linken der heilige Antonius und auf beiden Seiten neben ihr zwei Jungfrauen. Alle sind in kniender Stellung, außer den Kindern. Die drei Weiber haben treffliche Gewänder; besonders ist das Mädchen zur Linken, von welchem man den bloßen linken Fuß sieht, ganz wollusterregend und göttlich, so zeigt sich das Nackende und die schöne Form des Unterleibs, der vollen Hüften und Schenkel; das Gewand macht eine ungekünstelte Falte zwischen den Schenkeln und zieht sich im Knien an; das lüsterne Auge des Meisters sah diesen Reiz der Natur ab. Die jungen Brüstchen schwellen lockend über dem Gürtel hervor. Die Kleidung von allen dreien ist rot, griechisch, wie leichte Hemder.

Die Gesichter sind voll Huld, und die Madonna hat besonders etwas mütterlich Süßes in Aug und Mund und blickt in stiller Entzückung nieder.

Alle sind vertieft in die Kinder, die aufeinander kindlich zeigen und sich freuen. Der Kopf des heiligen Joseph ist zugleich gemalt wie vom Tizian nebst dem herrlichen Ausdruck. Der heilige Antonius allein weicht sehr von den andern ab und ist mittelmäßig durchaus, als ob er ihn nur weggejagt hätte, um fertig zu werden. Alles andre ist mit Liebe entworfen, und es herrscht die stille Raffaelische Empfindung.

Nach Rom kann man Raffaelen zu Perugia am besten kennenlernen. Das meiste von ihm ist hier in der Kirche des heiligen Franziskus. Überhaupt will ich Dir in Perugia nur[300] drei Stücke von ihm vorzüglich empfehlen, eins aus seinem Knabenalter, eins aus seiner Jünglingschaft und eins, das er wenig Jahre vor seinem Tode vollendete, in einem Nonnenkloster vor der Stadt, welches zum Teil alles übertrifft, was er je aus sich hervorgebracht hat; das übrige wirst Du leicht einmal selbst finden.

Die zwei erstern sind bei den Franziskanern; das jüngste, in der Capella degli Oddi, stellt vor die Himmelfahrt der Madonna. In der Luft empfängt sie der Heiland, ihr Sohn mit Engeln, die Musik machen, und krönt sie; unten stehen die zwölf Apostel an ihrem offnen Sarge. In der Einfassung, die auf dem Altar ruht, sind noch drei ganz kleine Gemäldchen angebracht: der Englische Gruß, die Anbetung der Heiligen Drei Könige und die Beschneidung. Alles ein himmlischer Inbegriff einer Menge schöner Gestalten, die in seiner Seele aufblühten.

Der Kopf der Madonna ist heilig und selig im neuen Schauen; in einigen Engelsgestalten süße Anmut, besonders der mit der Handtrommel eine wahre Volkslust. Aber das Wunderbarste sind die zwölf Apostel; welche Charakter schon Paulus, Petrus und Johannes! Paulus hat viel von seinem Aristoteles, Johannes von dem aufblickenden Jüngling beim Bramante.

In dem ersten Gemäldchen unten erscheint der Engel der Madonna in einem korinthischen Tempel. Sie betet und blickt erhaben vor sich hin, ohne ihn anzusehen; in einem Landschäftchen davor zeigt sich Gott der Vater und der Heilige Geist als Taube.

In der Anbetung der Heiligen Drei Könige sind eine Menge Figuren, worunter einige voll Ausdruck mit Erstaunen. Die Hütte in zerfallnen Ruinen und das Landschäftchen ist kindlich angenehm und erfreulich.

Die Beschneidung ist das beste unter den kleinen. Ein ionischer Tempel; die zwei Priester mit trefflichen Köpfen voll Charakter und Ausdruck, und die Seitenfiguren gefühlt und gedacht.[301]

Das Ganze ist freilich äußerst hart und die Formen unausgebildet; alle Natur arbeitet bei ihm nur auf das erste Bedürfnis: gestaltlos; aber das Wesentliche, wobei man das andre bei Anfängern übersehen soll.

Das zweite ist die Abnehmung vom Kreuze. Das Gemälde hat zehn Figuren, fünf Männer und fünf Weiber, mit dem toten Christus und der in Ohnmacht gesunknen Mutter, die viel größer sind als im vorigen, ohngefähr zwei Drittel Lebensgröße.

Es ist in zwei Gruppen geordnet; die eine macht der von zweien getragne Tote, und Joseph von Arimathias, und Magdalena, und hinten vermutlich noch Johannes: und die andre die Mutter mit den Jungfrauen; der den Leichnam bei den Beinen hält, verbindet sie beide.

Die Hauptfiguren leuchten gleich hervor, der tote Jüngling, die schöne Magdalena voll Schmerz, und die Mutter. Besonders aber ist die Gruppe der letztern das Vortrefflichste. Alle Gestalten sind voll Seele, jede lebt, und empfindet dabei nach ihrem Charakter. Die Mädchen, welche die Mutter fassen, sind wie die drei griechischen Grazien; vorzüglich hat das, welches den Kopf derselben hält, eine Gestalt so tiefen großen Gefühls und hoher Schönheit durchaus in Formen und Bekleidung, daß man sie gleich zu einer Euripidischen Polixena brauchen könnte.

Über die ganze Szene verbreitet sich ein sanftes Abendlicht.

Dies war seine letzte Arbeit, bevor er nach Rom kam; und man sieht darin, wie sich seine Kunst schon ihrer Vollkommenheit nähert. Sie ist das Höchste aus dieser Zeit von ihm.

Ich kann hier nicht unterlassen, ein Gemälde von Correggio anzuführen, welches dieselbe Szene vorstellt und in der Johanniskirche zu Parma in einer Seitenkapelle befindlich ist. Nach meinem Gefühl hat er alle übertroffen und erhält den Preis wie ein Sophokles: so streng und einfach und rührend, mit Verleugnung seiner sonstigen blühenden[302] Farbenpracht und lächelnden Manier behandelt er die Begebenheit.

Erblaßt und ausgestreckt liegt der göttliche Jüngling da. Magdalena sitzt an seiner Seite und vergießt für sich in Wehmut versunken heiße Tränen, wie eine untröstliche Geliebte; und der Schmerz der zärtlichen Mutter an seinem Haupt über das entsetzliche Schicksal grenzt an des Todes Bitterkeit. Ein trübes Regenlicht um sie her; alles in Lebensgröße.

Man soll nie bei Bewunderung des einen schülerhaft gegen andre ungerecht sein. Raffael selbst Märtyrer für Amorn, hat ferner nie das Entzücken der Liebe, den höchsten Vorwurf vielleicht für alle bildende Kunst, mit so tiefem Seelenklang und heitrer Phantasie zugleich ausgedrückt als der bei seinen Lebenstagen unberühmte hohe Lombard, Ariosts Nachbar, in seiner Io; wenn ihm auch die antike kleine Leda, mit der im Stehen sich Zeus als Schwan begattet (welche treffliche wollüstige Gruppe ihr zum Zeichen eurer freien Denkungsart öffentlich gerade vor dem Eingange der Markusbibliothek aufstelltet), Anlaß zur ersten Idee davon gegeben haben sollte.

Das dritte und Hauptgemälde von Raffael zu Perugia ist in dem Nonnenkloster zu Monte Luce, welches er drei Jahre vor seinem Tode vollendete. Ein Altarblatt, die Figuren völlig in Lebensgröße.

Es stellt wie das erste vor die Himmelfahrt und Krönung der Muttergottes; aber alle Spur von seines Lehrmeisters enger und schmaler Manier ist hier verschwunden. Die zwölf Apostel stehen um den Sarg, statt der Madonna mit Blumen, Rosen, Lilien, Nelken und Jasminen, angefüllt, und blicken erstaunt auf, wo ihr Sohn sie von Wolken emporgetragen mit Engeln empfängt und krönt.

Die Mutter ist eine der frischesten weiblichen Gestalten, noch blühend wie eine Jungfrau, doch voll edlem Ernst, wie eine Matrone, und heißer wunderbarer Empfindungen der Seligkeit, im Taumel neuer Gefühle, wie vom Erwachen,[303] alles groß an ihr und herrlich schön. Sie faltet die Hände kreuzweis an die Brüste und blickt durchaus gerührt mit entzücktem Aug auf ihren Sohn. Ihr Gesicht ist nach ihm hingewandt, und man sieht ganz die rechte Seite und vom linken Auge nur den heißen Blick; große schwarze Augen mit einem zarten Bogen Augenbraue, und dunkelblondes Haar unter dem langen grünen Schleier, der sich hinter dem rechten Ohr hinabzieht.

Christus ist feurig im Gesicht, wie ein sonnenverbrannter Kalabrier aus seinem starken Bart um die Kinnbacken, und sein ausgestreckter rechter Arm voll Kraft und Nerve, womit er ihr den Kranz aufsetzt. Der Engel mit Blumen in der Rechten an ihm hat einen Kopf voll himmlischer Schönheit, sonniglich entzückt; es scheint ihm überall Glanz aus seinem Gesicht hervorzubrechen.

Die Anordnung durchaus ist reizend und bildet das schönste Ganze. Madonna ist oben in der Mitte, Christus zu ihrer Linken, an beiden ein Jüngling von Engel bekleidet, unter diesen bei jedem ein zart nackend Bübchen, und über allen der Heilige Geist in einem dichten Duft von gelbem Himmelsglanz.

Die Auffahrt geschieht ganz gemach auf einer dunkeln dicken Wolke mit lichtem Saum und hat nicht das leichte Schweben wie in andern Gemälden davon; aber eben dadurch gewinnt die Handlung Natur und Majestät. Raffael hatte eine sehr reine klare Empfindung, die ihn minder fehlen ließ als andrer scharfer Verstand.

Je länger man den Christus betrachtet, desto mehr findet man etwas übernatürlich Göttliches, das sich nur gütig herabläßt; das Demütige der Madonna vor ihm stimmt einen nach und nach dazu. Es ist etwas erstaunlich Mächtiges und Gebieterisches in seinem Wesen, das mehr im Ausdruck liegt als den Formen selbst; wunderbare Strenge und Güte miteinander vereinbart. Ich habe noch wenig neuere Kunstwerke gesehn, die den Eindruck in der Dauer immer tiefer und tiefer auf mich gemacht hätten. Je mehr[304] man nachdenkt und fühlt und Gestalt nachgeht, desto wahrer findet man diesen Christuskopf. Ich kann von diesem Gemälde nicht wegkommen und möchte tagelang mit Wonne daran hangen. Hoher göttlicher Jüngling, der du warst, Raffael! Unsterblicher, empfang hier meine heißeste aufrichtigste Bewunderung, und nimm gütig meinen zärtlichen Dank auf. Es gehört unter das Höchste, was die Malerei aufzuzeigen hat, diese Mutter und dieser Sohn und die vier Engel um sie her; und ich kann mich nicht von der Herz und Sinn ergreifenden Wahrheit und Hoheit wegwenden. Die zwei Hauptfiguren sind ganz wunderbar groß gedacht, in der Tat Pindarische Grazie und des Thebaners Schwung der Phantasie bis in die Draperien, die mächtige Falten werfen. Welch ein Arm, Christus aufgehabner rechter mit den weiten Ärmeln! wie ganz vollkommen gezeichnet und gemalt, und welche wetterstrahlende Wirkung tut er in der ganzen Gruppierung! und wie bescheiden zeigt sich daneben das Nackende der Mutter und füllt leicht das blaue Obergewand! So kräftig hat er nichts anders gemalt, und nirgend anderswo sind seine Formen so vollkommen reif, stark in der Art Schönheit, die ihm eigen war.

Die Apostel unten sind schwach und matt dagegen und nur wie verwelkend sterblich Fleisch, des Kontrasts wegen, aber durchaus vortreffliche Männergestalten, besonders Petrus und ein andrer im Vordergrunde, in Bewegung und Leben.

Mit denen in der Verklärung sind in drei Gemälden allein sechsunddreißig Apostel; und in jedem sehen sie anders aus und keiner wie der andre; und doch scheinen die meisten trefflich zu sein und zu passen.

Die Malerei ist wie die Musik; zu denselben Worten können große Meister, kann einer allein ganz verschiedne Melodien machen, die alle doch in der Natur ihren guten Grund haben; es kömmt nur darauf an, wie man sich den Menschen denkt, der sie singt.

Nehmen wir zum Beispiel ein Lied der Liebe![305] Bei denselben Worten wütet ein Neapolitaner: und ein andrer im Gletschereise der Alpen bleibt ganz gelassen.

Außerdem lieben wenige immer überein stark schon bei derselben Person; und es wird anders geliebt bei einer Blonden und Schwarzen, einer Sizilianerin von zwölf Jahren und einer nordischen Patriarchin. Und diese selbst lieben wieder anders Knaben, Jünglinge, Männer und Greise.

Dichter und Maler und Tonkünstler nehmen von allem diesen das Vollkommenste, was am allgemeinsten wirkt, welches aber weder Rechenmeister noch Philosoph zu keinem Zeitalter bestimmt festsetzen konnten. Und dies hat die Natur sehr weislich eingerichtet; sonst würde unser Vergnügen sehr eingeschränkt sein oder bald ein Ende haben.

Die Kuppel des Correggio zu Parma in der Johanniskirche, welche Christus' Himmelfahrt vorstellt, gehört zu einer besondern Gattung der Malertaktik und macht ein eigen Kunstwerk aus, das sich mit dem des Raffael, was malerische Wirkung betrifft, nicht vergleichen läßt, ohne diesem unrecht zu tun.

Man erstaunt dort, wenn man in den Kreis tritt, und wurzelt am Boden fest wie bezaubert, und sieht: einen wirklichen Jüngling von übernatürlichen Gaben in ferne Höhen steigen, von dienstbaren Sturmwinden emporgetragen, die liebkosend mit seinem weiten Purpurmantel spielen.

Selbst Apelles und Zeuxis und die ganze griechische Zunft würden dem Götterfluge mit entzückender Bewunderung nachschaun und keiner das Herz haben, zu sagen: anch' io son pittore!


Florenz, Jenner.


Ich habe mich unterwegs länger aufgehalten, als ich wollte, und auf meinem Gute bei Cortona verschiedne Anstalten zu Pflanzungen und beßrer Einrichtung der Gebäude gemacht. Die Kunstsachen, die ich in Rom teils ankaufte, teils schon bei dem Kardinal vorrätig fand, waren vor mir angekommen.[306]

Der Herzog empfing mich heiter und freundschaftlich und bezeugte alsdenn seine große Freude darüber, so wie Bianca und die andern Damen und Herrn vom Hofe.

Man stand hier noch im Handel über eine nackende Venus vom Tizian und wartete nur auf meine Entscheidung. Sie ist ungezweifelt ganz von seiner Hand; und der Kauf wurde gleich richtiggemacht.

Jetzt laß ich in der Galerie, die mein alter Lehrmeister Vasari erbaut hatte, ein Zimmer für das ausgesucht Vollkommenste zubereiten, das seinesgleichen hernach wohl schwerlich in der Welt haben wird, Belvedere ausgenommen.

Von der griechischen Venus will ich den neuen untern linken Arm vom Ellenbogen an wieder abnehmen lassen, weil er allzu schlecht ergänzt ist; der rechte von der Schulter an ist zwar auch nicht zum besten, doch will ich noch damit warten. Es ist ein Wunder, daß dies hohe Meisterstück so glücklich brach, daß die Teile nichts gelitten haben und alle so gut ineinander passen. Die Figur der Göttin selbst ging in dreizehn Bruchstücke und das Ganze in die dreißig Trümmern.

Der Kopf ist am Halse angesetzt und etwas klein in Proportion, wie aber bei andern griechischen weiblichen Bildsäulen; jedoch ganz von demselben Marmor, derselben Arbeit; der Zug des Halses paßt so trefflich und alles harmoniert so bis auf die allerschönsten Füßchen, daß an seiner Echtheit zur Figur keinen Augenblick zu zweifeln ist. Ein Gesicht voll hohem Geist und ionischer Grazie! Die Nase schießt nur ein klein wenig von der Stirn ab, nicht den dritten Teil wie ein Strahl im Wasser. Der Leib ist die frischeste, kernigste, ausgebildete Wollust; Brust und Schenkel schwellen markicht vorn und hinten. Sie hat durchaus den süßesten überschwenglichen Reiz eines soeben reif gewordnen himmlischen Geschöpfes vor der ersten Liebesnacht, welches Vater Homer mit dem Wundergürtel hat ausdrücken wollen.[307]

Sie hat ein Grübchen im Kinn: Zeichen von Fülle und Kraft zugleich und Reifheit der göttlichen Frucht, und nur halb eröffnete oder zugehaltne Augen, die das Innre nicht erkennen lassen wollen, sprödiglich.

Kurz, es ist Erscheinung eines überirdischen Wesens, von dem man nicht begreift, wo es herkömmt; denn es hat hienieden keine Leiden ausgestanden, alles ist zur Vollkommenheit ungestört an ihm geworden. Selbst der schönste und edelste Jüngling unter den Sterblichen muß sich vor ihm niederwerfen; und das Höchste, was er verlangen kann, ist ein Moment, nicht Huldigung auf ein ganzes Leben.

Schönheit, zur Reife gediehen und gedeihend, noch ungenossen. Das sich regendste Leben wölbt sich sanft hervor in unendlichen Formen und macht eine entzückende ganze. Adel, für sich bestehend, blickt aus den süßen lustseligen Augen, ein sonnenheißer Blick von Liebesfülle; flammt die Stirn herab, schwebt auf dem Munde, wo Stolz und Zärtlichkeit zusammenschmelzen.

Die Mitte des Oberleibs ist kräftig und gar nicht dünn; die Schultern sind völlig so breit wie die Hüften und gehen noch darüber hinaus, sanft vom Halse herabgesenkt. Der Unterleib hat zwei zarte Einwölbungen, bis wo die Höhen der Freuden sich heben. Die Schenkel steigen wie Säulen hernieder und verbergen den Eingang der Lust mit einem gelinden Druck.

Die Waden sind straff und voll bis an die Kniekehlen, ohne auszuschweifen.

Sie erscheint von den Seiten her schmal und von dem Rücken breit; alles Fleisch lebt, und nichts ist leer und müßig.

Aus dem Ganzen spricht jungfräulicher Ernst und Stolz, nichts Lockendes; es ist Inbegriff höchster weiblicher Liebesstärke. Sie blickt auf wie eine Jugendgöttin, von den Edelsten angebetet.

Sie erhält den ersten Preis unter den weiblichen antiken Schönheiten. Ihr Gesicht schon für sich, das glücklich ganz unversehrt blieb, ergreift unaussprechlich reizend, mehr[308] als irgendein andres, ist gewiß ursprünglich in der Natur selbst voll Geist und hohem eigentümlichen Wesen aufgeblüht und stammt wahrscheinlich von einer Lais oder Phryne. Bei der Niobe und ihrer schönsten Tochter, bei der Juno und einer kolossalischen Muse in Rom mag man mehr Erhabenheit finden; aber sie haben den lautern Quell von Leben nicht, der den Durst nach aller Art von Glückseligkeit im Menschen erquickend stillt. Hier ist alles beisammen, Körperreiz und Seelenreiz, Feuer und Schnelligkeit der Empfindung und heller ausgebildeter Verstand bei jedem Vorfall in der Welt.

Doch was verschwend ich Worte darüber; komm und sieh! und fühle! und traure herzinniglich, daß sie nicht den Mantel von Dir sich umwirft, Dich zu begleiten.

Tizians Venus wird eine schlimme Nachbarin an ihr erhalten.

Diese ist eine reizende junge Venezianerin von siebzehn bis achtzehn Jahren, mit schmachtendem Blick, aufs weiße widerstrebende Sommerbett, im frischen Morgenlichte, faselnackend vor innrer Glut von aller Decke und Hülle, bereit und kampflüstern hingelagert, Wollust zu geben und zu nehmen; die, anstatt die Hand vorzuhalten, schon damit die stechende und brennende Süßigkeit der Begierde wie abkühlt und mit den Fingerkoppen die regsamsten gefühligsten Nerven ihres höchsten Lebens berührt.

Bezaubernde Beischläferin und nicht Griechenvenus, Wollust und nicht Liebe, Körper bloß für augenblicklichen Genuß.

Ihre Formen machen einen starken Kontrast mit der griechischen. Wie das Leben sich an dieser in allen Muskeln regt und sanft hervorquillt und hervortritt: und bei der Venezianerin der ganze Leib nur eine ausgedehnte Masse macht! Aber es ist schier nicht möglich, ein schmeichelnder und sich ergebender und süß verlangender Gesicht zu sehen.

Sie neigt den Kopf auf die rechte Seite, sonst liegt sie ganz[309] auf dem Rücken. Das linke Bein in schöner Form ist reizend gestreckt, und das erhobne rechte Knie läßt unten die süße Fülle der Schenkel sehen. Der Kopf hat die Gestalt nach der Natur, ist aber, hingelassen nachdenkend mit dem zerfloßnen Körper, matt und wenig gebildet gegen die Griechin.

Die Blumen in der Rechten geben Hand und Arm durch den Widerschein bezaubernde Farbe und drücken den Leib zurück. Ihr Haar ist kastanienbräunlich und lieblich verstreut über die rechte Schulter mit einem Streif auf den linken Arm. Der Schatten an der Scham und die emporschwellenden Schenkel davor im Lichte sind äußerst wollüstig, so wie die jungen Brüste. Die großen grünlichtbraunen Augen mit den breiten Augenbraunen blicken in Feuchtigkeit. Sie ist lauter Huld, es recht zu machen in reizender sömmerlicher Lage, und gibt sich ganz preis, und wartet mit gierigem Verlangen furchtsamlich auf den Kommenden. Man sieht's ihr deutlich an, daß das Jungfräuliche schon einige Zeit gewichen ist, und sie scheint nur Besorgnis vor mehrern zugleich zu haben wegen der Eifersucht.

Tizian wollte keine Venus malen, sondern nur eine Buhlerin; was konnt er dafür, daß man diese hernach Göttin der Liebe taufte? Sein Fleisch hat allen Farbenzauber, ist mit wahrem jugendlichen Blut durchflossen; was er darstellen wollte, hat er besser als irgend ein andrer geleistet.

Unter den Antiken aber, die ich mitgebracht habe, ist ein himmlischer Bube, ein junger Apollo, welcher stark mit der Göttin wetteifern wird. Er lehnt sich mit der Linken an einen Stamm mit über den Kopf geschlagner Rechten; die ganze Stellung ist voll Reiz, besonders der schlanke Zug der rechten Seite. Das Gesicht blüht wonniglich selig und edel in seiner Gottheit auf. Das Leibchen ist äußerst zart gehalten, und doch regt und bildet sich alles. Es ist eine wahre Wollust, Venus und ihn zugleich von hinten zu sehen, das Weibliche und üppig Bübliche des Gewächses; Venus ist ein Schwall von hinten, etwas speckicht: Apollo[310] lauter süßer Kern. Ebenso kernfleischig spaltet sich sein Rücken; die Schenkel sind am vollsten und schier zirkelrund. Die zwei Hände muß ich ergänzen lassen und noch die Nase.

Der Ausdruck ist bezaubernd; er empfindet in sich und sinnt in Stille. Erste Ahndung von Verlangen in Ungewißheit, und doch mit dem entzückendsten Blick der Liebe.

Zwei junge Ringer aus einem Block Marmor gehören unter die gelehrtesten Arbeiten, die uns aus dem Altertum übrig sind. Sie sind im schönsten Moment eines Ringspiels verflochten, und es kann dazu keine auserlesenere Stellung geben. Die angestrengten Sehnen zeigen ihre Kraft in höchster Stärke und doch nicht schroff, und nichts erscheint gekünstelt, wie unsre Meister schon bei Körpern in Ruhe prahlen.

Noch hab ich Bruchstücke von einem Merkur, wo zum Ganzen nur die Hände fehlen. Das Gewächs ist zart und schlank, der Kopf voll Schönheit und Kraft und stellt einen klugen sinnreichen Jüngling dar. Er trägt einen Helm, wie einen Teller, mit Flügeln; die Haare waren abgeschnitten, und es sind kleine Löckchen wieder daraus geworden.

Von Gemälden, deren viel sind, will ich Dir nur ein Paar von Raffael anführen:

Papst Julius den Zweiten. Man kann nichts Wahrers von Gestalt sehen; und wie gemalt! Es hält sich neben dem besten Tizian. Erhabenheit und Scharfsinn im Nachdenken bilden ein Ideal von Heiligem Vater. Welch ein gediegnes festes Feuer in der ganzen Arbeit! Der schöne herabfließende Bart wie herrlich aufgesetzt! Hände, Stellung im Stuhl mit beiden aufgestützt, alles vortrefflich. Es ist die Natur. Die Stirn ist stark beleuchtet und geht hervor, und so fällt noch Licht auf den Bart; ein Meisterstück auch hierin.

Das zweite ist ganz klein, wenig über einen Fuß lang und breit und von ihm die größte Seltenheit, jedoch mit aller Liebe in seiner besten Zeit vollendet.[311]

Gottvater sitzt auf einem Adler in den Lüften, von zwei Engeln, wovon besonders der rechter Hand wunderschön ist, an den Armen leicht gehalten; und unter ihm sind die vier Evangelisten mit ihren Tieren; dann Wolken, dann Erde mit Bäumen. Um den Ewigen vergeht eine Glorie andrer geflügelter Buben im Glanze.

Der Kopf ist lauter Erhabenheit, ganz derselbe des Michelangelo in der Capella Sixtina, welcher die Sonne schafft. Das Nackende der Brust bis auf die bekleideten Schenkel in seiner Kleinheit vollkommen wie eine schöne Antike. Er stützt die Füße auf den geflügelten Stier und Löwen und sieht jovialisch gut und stark und mächtig in die Bestien und Menschen. Haar und Bart fliegen im Winde. Ein himmlisch Bildchen; reizende apokalyptische Laune!

Bianca freute sich darüber kindlich; und ich hab ihr damit ein Geschenk gemacht, weil ich's für mich erkaufte. Der Herzog nahm es übergnädig auf, und sie drückte mir eifrig die Hand dafür.

Die Schlaue stellt sich hochschwanger. Jetzt will er ihr einen Palast in eine unsrer angenehmsten Gegenden bauen lassen; und ich wurde gerufen, alles zu besorgen.


Florenz, Februar.


Florenz gefällt mir nicht mehr; ich gehöre nicht zu dem Hasengeschlechte, das nirgends am liebsten ist, als wo es geheckt ward. Unsre großen Männer haben wir gehabt; Tacitus sagt mit Recht, daß nach der Schlacht bei Actium in Rom kein großer Mann mehr aufstand. Wo der Bürger nichts mehr zu sagen hat, da ist es mit der Vaterlandsliebe eitel Ziererei.

Ein so großer Freund ich auch von Geschäftigkeit bin, so ekelt mich doch die bloße Schuster- und Schneider- und Tuchknappengeschäftigkeit an. Romulus, der hohe Geist, verbot aus gutem Grunde jedem Mitgenossen seiner Republik die niedern Handwerke; und dies wurde hernach so zur Sitte, daß noch jetzt im dritten Jahrtausend die Teutschen[312] und Spanier und Franzosen dieselben schier allein noch in den Ruinen der alten Herrlichkeit treiben. Sokrates wollte den nicht zum Gefährten durchs Leben, der auf Geld und Gut erpicht zu nichts Edlerm Muße hätte; und bei den stolzen Ottomanen kann der Überwundne und Sklave noch heutzutag alle Schuld deswegen aufs Schicksal schieben.

Florenz macht einen starken Kontrast mit Rom, alles regt und bewegt sich, und läuft und rennt und arbeitet; und das Volk kömmt einem trotzig und übermütig und ungefällig vor gegen das Stille, Große und Schöne der Römer. Der Römer überhaupt hat gewiß einen höhern Charakter. Die Politiker mögen die menschlichen Ameisenhaufen rühmen und preisen, sosehr sie wollen, und diese selbst auf ihre Arbeitsamkeit sich noch soviel einbilden: Maul und Magen, denn dieserwegen geschieht's doch, ist wahrlich nicht, was den Menschen über das Vieh setzt! Wo nicht gemeinschaftliche Freiheit der Person und des Eigentums und Rang in menschlicher Würde vor seinen Nachbarn der erste Trieb und das Hauptband einer bürgerlichen Gesellschaft ist, veracht ich alles andre, und jedes Verdienst kömmt in kurze Berechnung.

Der Boden trägt freilich auch viel hierzu bei; Rom hat das Mark von dem mittlern Italien und Toskana die Knochen, nach dem alten Sprichwort. Auch erhebt die Gegend nicht so, und Florenz fehlen die majestätischen römischen Fernen.

An unserm Hofe herrscht eine unerträgliche Langeweile; alles muß sich in den Ton des Monarchen stimmen.

Der Minister ist geschwind schon ein Chamäleon geworden und nimmt alle Modefarben an. Verschiedne von meinen angegebnen Einrichtungen sind wieder abgeändert, und die andern werden nachlässig betrieben. Alle Heilungsmittel eines Hippokrates sind vergeblich, wo die Natur sich nicht selbst hilft. Ich muß auf und davon, weil ich das Verderben nicht mehr mit Augen ansehen kann. Wenn man nichts Bessers weiß, so mag es sich ertragen lassen; o Griechenland und Rom, wie glücklich macht ihr unsre Phantasie und[313] elend unser wirklich Leben! Aber wo soll ich hin in dem ganzen jetzigen Italien? Da ist keine Ausflucht, keine Sphäre für einen gesunden Kopf und Arm zu handeln. Mut und Geschick schmachtet überall ohne Gegenstand und Ausübung wie im Kerker.

Um noch einmal von dem leidigen Minister zu reden: so hat der Fuchs ein paar bestialische Grundsätze angenommen, von welchen der erste ist: man dürfe nie gescheiter scheinen als der Herr; und der zweite: alle guten Köpfe, denn jeder ist ihm ein Dorn im Auge, besonders Gelehrten, in der Ferne halten.

Für einen, der gern im trüben fischt, hätte sie kein Machiavell besser ausdenken können. Und bei den meisten Höfen erkennt man gleich daraus, daß da keine Philippe, Alexander, Cäsarn und Mark Antonine herrschen.

Es kann eben keiner höher, als ihm die Flügel gewachsen sind.


Florenz, Februar


Unser Karneval ist mit einer wirklichen ungeheuern Tragikomödie beschlossen worden, die mir aber all mein Eingeweide, Galle und Lunge und Leber und Herz empört hat, so daß ich hier keine bleibende Stätte mehr finde.

Bianca, wie ich Dir schon geschrieben habe, stellte sich die ganze gehörige Zeit vom Herzoge schwanger an, spielte ihre Rolle meisterlich und wählte dies festliche Geräusch, weil zugleich die erkauften Weiber auf dem Lande die Mutterwehen nahe fühlten, niederzukommen. Eine Woche lang tragodierte sie die Geburtsschmerzen, und der gute Herr war zitternd und zagend für ihr Leben bange. Endlich trat gegen Mitternacht die alte abgefäumte Kupplerin von Amme mit dem eben gebornen Knäblein, welchem der Mund mit Wachs verklebt und verbunden war, daß es nicht schreien konnte, in einer Schachtel unter dem Mantel, wie mit Gerät, zur Tür in einem Nebenzimmer herein und winkte das verabredete Zeichen. Bianca rief alsdenn[314] mit Hand und Mund zum Herzoge, der mit dem Kopf in Armen am Fenster stand: »Geht, geht, o Teurester! o weh! ich fühle mich in der Entbindung.«

Er ging freudig fort mit den eifrigsten Wünschen.

Der Komödie wurde bald ein Ende gemacht. Die Alte tat das Kind heraus, nachdem sie das übrige der Szene täuschend zubereitet und die Gebärerin laut genug geächzt hatte, zog ihm das Wachs aus dem Munde, und dies fing an zu schreien. Sie eilte zum eingebildeten Papa und zeigte und frohlockte: »Euch ist ein Löwe, ein Löwe geboren, ganz Euer Gepräge! O seh Eure Hoheit das derbe gewundne Gemächtchen, wie es den Heldensamen verkündigt!«

Ich beschreib es Dir aristophanisch, weil es sich geradeso zugetragen hat. Ihm war es Götterwonne, etwas Lebendiges von sich zu erblicken, was er noch nie schaute; und er krähte vor Jubel, gleichsam wie ein Hahn, ohne weiter ein Wort hervorbringen zu können.

Dies ist eine Posse, welche jedoch große Folgen haben kann, die wir heiß durch die Kammerjungfer erfuhren. Diese und die Alte mögen sich vor der Hochstrebenden in acht nehmen, wenn sie nicht bald den Styx und Phlegeton wollen sieden und brausen hören.

Der andre Auftritt aber ist gräßlich.

Don Paolo, der Gemahl der Isabella, kam vor wenig Tagen von Rom und nahm einen gewissen Scherz und Leichtsinn an über ihre vorige Aufführung, bis er sie täuschte und sie froh sich wieder mit ihm versöhnt glaubte.

Gerade dieselbe Nacht, wo Bianca ihre Farce spielte, so wunderbar fügen sich die Begebenheiten! führte er sie nach seinem Schlafgemach; sie hatte zwar Anstand, ihn zu begleiten, und hielt einigemal ein; ihr Geist mochte ihr Schicksal vorausahnden! Doch folgte das ergiebige Geschöpf endlich seinem Händedruck und hielt die racheheißen für liebewarme.

Im Zimmer umarmt er sie und küßt sie und sinkt wie unenthaltsam mit ihr aufs Bett. Als sie auf der Breite desselben[315] so hingestreckt liegt, wird ihr hinten ein Strick um den Hals geworfen von einem gedungnen Mörder und sie mit langer Marter erdrosselt. O du Elender! warum nicht kurz mit Gift, mit einem Dolchstich, wenn du sie doch aus der Welt schaffen wolltest?

Sie wurde die andre Nacht schon zu ihrer Familie in die Kirche San Lorenzo begraben; und man sprengte aus, sie sei plötzlich an einem Steckfluß gestorben. Allein ihr schwarzes Gesicht war jedem, der sie zu sehen bekam, ein unverwerflicher Zeuge der Tat.

Ihre Verwandten schweigen; aber Florenz murrt laut und bejammert das scheußliche Ende ihres noch so blühenden Lebens.32


März, bei Cortona.


Der Herzog hat mir erlaubt, den künftigen Frühling hier auf meinem Gute zu sein; doch unter der Bedingung, daß ich zuweilen nach Florenz komme und den schon angelegten Palast der Bianca besorge. Übrigens hab ich dort eine gute Partei für mich zurückgelassen, und in manchem Hause lebt die Hoffnung, mich zum Gemahl und Schwiegersohn zu erhalten.

Polybios und die Gegend ist nun mein Geschäft, und zur Abwechslung bau und pflanz ich. Der deutliche Sinn mancher Wörter in der Taktik der alten Griechen und Römer hat mir anfangs bei ihm zu schaffen gemacht; doch bin ich bald durchgedrungen und damit zu Rande gekommen. Dies ist ein Geschichtschreiber, wie sie sein sollen; der das verstand,[316] worüber er schrieb, noch zur rechten Zeit lebte und Menschen und Örter kannte.

Unter allen Heldenzügen ergreift mich keiner so wie der des Hannibal durch Italien; und es geschieht nicht bloß deswegen, weil ich Land und Boden und die Geschichte der kriegenden Völker besser kenne. Der des Alexander durch Persien ist romantischer und hat mehr barbarisches Getümmel um sich; aber der des Afrikaners hat mehr Einheit, Nerve und Kernathletengeist; und es ist ein ganz ander großes Naturschauspiel, zwei solche Republiken sich in den Haaren liegen zu sehn als einen bloßen Darius und Sohn Philipps.

Von seinem Satz an über den wilden schnellströmenden Rhodan unter Avignon und kühnem Marsch durch die reißenden Wetterbäche, über den hundertjährigen Schnee und das schneidende Eis der gräßlichen tiefen Täler und himmelhohen Alpenklippen dünkt mich in jeder Schlacht nur ein olympisches Faustbalgerspiel zu sehen. In der bei der Trebbia, am Trasimenischen See, besonders am Aufidus, packt er überall mit seinem tapfer gebildeten Haufen so gewandt seinen starken ungelenken Gegner und wirft ihn zu Boden, und schlägt ihm Zahn und Nase und Ohren und Backen in einen blutigen Brei zusammen. Er verstand die Kunst zu siegen wie keiner, behandelte Armeen von Hunderttausenden vor und mitten und nach der Schlacht wie einen einzelnen Mann, an jedem Fleck, bei jeder Schwäche voll Vorsicht, Bewegsamkeit, Mut und Schlauheit und Gegenwart der Seele: bis auf so einfache Grundsätze hatte er das weitläuftige Kriegshandwerk von der ersten Jugend an gebracht. Halbgötter erkennt man erst recht bei wichtigen Zeitpunkten.

Welche Reihe Taten nacheinander! Was sind Millionen Menschen gegen diesen einen, die ihr Leben lang nicht eine einzige solche Stunde haben! Ein Heldengedicht möcht ich singen über ihn von den Pyrenäen an bis wo die Scylla um den Fuß des Apennin rauscht.[317]

Wie ein echter unbezwinglicher rächerischer Löwe streift er Italien durch, reißt Rinder und blökende Herden nieder; und das vom Homer schon verbrauchte Gleichnis ist zum erstenmal wahr geworden.

Das römische Volk, das seine Bildsäulen in die Straßen stellte, wo sie am furchtbarsten gesehen wurden, und sich hernach seinetwegen noch an den Mauersteinen von Karthago ereiferte, zeigt den Mann auch bei dem Feind, und anders als die ungerechten Horaze und Liviusse; und Virgil krümmt dem Überwinder bei Cannä mit seiner Hofspötterei der Dido kein Haar.

Der Ausbund von Karthaginenser ging dem römischen Staatskörper auf das Herz los; und außerdem kannt er die Menschen gut genug, um zu wissen, daß jeder seine größten Feinde in der Nähe hat: und fand es so bei den welschen Galliern.

Die Schlacht an meinem See ziert mir hier die Gegend ganz anders aus als Konstantins Schlacht vom Raffael das Vatikan. Die furchtbaren Wörter, die wunderbar davon noch immer übriggeblieben sind, als Ponte Sanguinetto,33 Ossaja,34 Spelonca 35 gehen mir immer wie eine Brandfackel in die Seele, wenn ich da herumreite, so daß ich zuweilen vor Hitze und Ungeduld nicht auf dem Pferde bleiben kann und herunter in ein Wirtshaus muß, um einen frischen Zug zu tun von Römergrimm, der hier ins Gras biß und noch die Weinfelder düngt.


Treve, April.


Ich schreibe Dir im Fluge, weil ich Dich künftigen Sommer bei mir haben muß, um Dir die Schönheit und den Reiz auch meiner Gegenden zu zeigen und sie mit Dir zu genießen, glücklicher noch, als ich mit Dir die Lombardei an Deinem Lago genoß. Mache Dich beizeiten auf und kehre bei meiner Tante zu Florenz ein, wo wir uns treffen werden.

Ich lag bei Passignano, nicht weit von meiner Wohnung,[318] auf einer fruchtbaren Anhöhe, wo man den See überschaut, unter hohen Ulmen und Eichen, zwischen alten Ölbäumen und Zypressen und blühenden Wipfeln, den neuen Gesang der Nachtigallen um mich, noch früh am Morgen; und tat nichts als hören und betrachten in Freude, wie ein Kind ohne weitere Gedanken; doch ahndeten süße Regungen in meinem Herzen entzückende Dinge.

Und sieh!

auf einmal reitet aus dem Hohlwege, mit einem Boten voran, ein junger Ritter hervor auf einem kastanienfarben königlichen Rosse, dem auf einem andern ein Mohr folgt. Eine Engelsgestalt der Jüngling, wie er näher kam in rundem Hut mit Federbusch, kurzem spanischen scharlachnen Mantel, Halbstiefeln, die vollen Schenkel und den schlanken Leib in weiches Leder gekleidet, ein blitzend Schwert über den Rücken an seinen Lenden und Pistolen im Sattel.

Ich kannte das halbversteckte Gesicht und wußte mich nicht dreinzufinden. ›Ist sie es, oder täusch ich mich?‹ fuhr ich schnell auf, wie der reizende Ritter bald bei mir war.

Er erblickte mich, hielt ein mit lächelnder Verwundrung, sprang vom Pferde: und Fiordimona und ich hielten uns umschlungen mit wonneglänzenden Blicken, gierigen Seelenküssen.

Ich schrieb ihr noch von Florenz aus; auch sie begab sich ohne weitere Nachricht auf eins ihrer Güter in der Nachbarschaft, wovon sie mir nie etwas gesagt hatte, und kam nun, mich zu überraschen und zu einer Lustreise abzuholen. Zu Perugia, wo sie den Tag zuvor eintraf, saß sie gegen Morgen noch in der Dunkelheit auf und war bei mir in wenig Stunden.

Sie blieb nur zwei Göttertage bei mir; alles, was zu Cortona Liebe fühlen kann, geriet schon im Vorübergehen bei ihrer Annäherung in eine solche Feuersbrunst, daß wir uns plötzlich in der Stille davonmachen mußten, damit meine Wohnung nicht wie Lots Haus belagert würde.[319]

Fiordimona veränderte ihre Kleidung in etwas, und ich gab ihr andern Hut und Mantel, um weniger bemerkt zu reisen. Sie scherzte selbst über ihren vorigen Putz und daß die Weiber ihn nie vergessen könnten, und so verkappten wir noch ihre Mohrin. Ich nahm meinen jungen treuen Schweizer Häl, einen Gemsjäger aus Wallis von den Quellen des Rhodan, mit mir; und Paar und Paar zogen wir in der Nacht ab. Vorher schrieb ich an den Herzog eine notwendige Lüge und an meine Tante um ein paar starke Wechsel.

Zu Perugia weideten wir uns inniglich, nach eingenommenem Frühstück, an den Raffaelen, welcher ihr Liebling ist, und den Werken seines Lehrmeisters. Ritten dann die Höhen herab nach den anmutigen Tälern und über die Johannisbrücke, worunter der Tiberstrom reißend in rauschenden wilden Fluten wegschießt, und hielten Mittagsrast auf dem schönen Hügel Assisi im heiligen Kloster.

Die Nacht blieben wir in Foligno. Den Morgen darauf zogen wir durch das reizende Tal, das an malerischen Schönheiten und Fruchtbarkeit seinesgleichen nächst der Lombardei vielleicht nur wenig auf dem ganzen Erdboden hat, und schieden uns bei Treve abgeredetermaßen.

Sie begab sich wieder auf ihr Gut, welches nicht weit davon liegt und wo wir zusammenkönnen, wenn wir wollen.

Mein Lustörtchen hat die schönste Lage der ganzen Gegend und ist an einen runden, nicht hohen Berg die Hälfte herum gebaut, der einen weiten Olivenwald ausmacht. Die Menschen scheinen sich wie Vögel in die Bäume mit ihren Häusern obenhin genistet zu haben. Man übersieht von hier aus das ganze Tal von Spoleto bis Foligno, Assisi und Perugia, und der Flecken heißt mit Recht der Balkon von Umbrien.

Fiordimona hat ihren Aufenthalt in üppigen Gärten von Fruchtbarkeit und Lieblichkeit bei den Quellen des Clitumnus (le Vene), die am Fuß des höchsten Bergs im ganzen Umkreis, Campello, aus einem Felsen kommen, mit vielen uralten Feigenbäumen bewachsen, in unzählbaren Sprüngen. Es ist ein unaussprechliches Vergnügen, wie das klare,[320] kristallhelle, frische gesunde Naß aufquillt, von der Macht zu zarten Bläschen getrieben, unter dem erfreulichen Schatten, alles innerlich sich regt und bewegt und die Fülle von selbst auf ebner Fläche fortrinnt. Nahe dabei wallen sie in Bächen zu den Gärten Fiordimonens hinein und drängen sich da in einen lebendigen Teich zusammen, dessen Ufer hohe Ahornen, Pinien, Lorbeern, Reben und Haselstauden beschatten; und aus diesem strömt der Clitunno schon ein ansehnlicher Fluß, voll schneller Forellen, so daß ich in Italien keine so starke Quellen kenne.

Etwa tausend Schritte davon steht ein kleiner Tempel mit korinthischen Säulen zierlich in der Ferne, ob gleich aus spätern Zeiten, dem Flußgott zu Ehren, der den Römern ihr Vieh so weiß machte. Auch haben wirklich alle Rinder dieses Tals ein glänzendes Silberweiß und sind außerordentlich gutartig mit ihren ungeheuern großen Hörnern. Der Strom, denn diesen Namen darf man ihm wohl geben, bleibt das ganze lange Tal durch kristallhell.

Ich gebe mich in meinem Wirtshause für einen Maler aus; und wahrlich ist da genug zu malen und zu zeichnen an Menschen, Vieh und den Bergen mit ihren herrlichen Formen und Tinten, wenn mir Zeit dazu übrigbliebe. Die ganze Nächte steck ich bei Fiordimonen, und wir müssen zuweilen unsern Brand bei der heißen Witterung in dem lieblichen See des Clitunno abkühlen, denn sie schwimmt wie ein Fisch, von zarter Kindheit dazu angelehrt; wo wir die Schwäne von ihrem Schlummer aufwecken, deren sie eine Herde darauf hat. Dieser König der Wasservögel ist ihr Lieblingsvogel; und wo gibt es auch einen schönern? und ein lockender lebendiger Bild der Lust, wenn sie ihre Hälse umflechten und vor Entzücken leis kreischen und zusammengirren und mit ihren Flügeln schlagen, daß der Gesang der Nachtigall davor verschwindet und zu geschwätzigem und unaufhörlichem Getön wird. Die meisten läßt sie wild fliegen; sie kennen das Plätzchen und kommen immer wieder.[321]

Morgen geht die Woche schon zu Ende, seitdem wir hier sind; Himmel, wie schnell! Wir wollten nur einen oder zwei Tage haltmachen, aber es war gar zu erfreulich. Sie läßt alles zurück, und die Mohrin, und begleitet mich allein. Übermorgen in der Nacht brechen wir heimlich auf und streichen weiter; im Hause glaubt man, daß sie nach Rom reise.


Terni, Mai.


Ich bin im Himmelreiche! Wie ein paar kühne Adler jagen wir durch die weiten Lustreviere! Freiheit, Quellenjugend und feurige Liebe und Zärtlichkeit!

Gestern abend kamen wir durch den rauhen Wald und das wilde Gebirg von Spoleto hier an, und diesen Morgen sind wir gleich nach dem neuen Sturz des Velino in aller Frühe ausgezogen. Wir wollten ihn zuerst von oben betrachten.

Der Weg dahin ist voll reizender Aussichten; die Berge wölben sich immer einer höher als der andre weiter fort gen Himmel, um gleichsam dieses Paradies ganz von der irdischen Welt abzusondern. Die Sonne ging eben auf, als wir nach der Höhe zu ritten, gerade über dem Gebirg den Felsenriß hinein, worin eine herrliche See von befruchtendem Taunebel in der Mitte schwamm.

Der Wasserfall ist nun eine entzückende Vollkommenheit in seiner Art, und es mangelt nichts, ihn höchst reizend zu machen. Ein starker Strom, der feindselig gegen ein unschuldiges Völkchen handelte, muß sich, gebändigt durch einen tiefen Kanal stürmend, in wilden Wogen wälzen, mit allerlei süßem lieblichen Gesträuch umpflanzt, als hohen grünen Eichen, Ahornen, Pappeln, Zypressen, Buchen, Eschen, Ulmen, Seekirschen, und in die greuliche Tiefe senkelrecht an die zweihundert Fuß hinabstürzen, daß der Wasserstaub davon noch höher von unten heraufschlägt. Alsdenn tobt er schäumend über Felsen fort, breitet sich aus, rauscht zürnend um grüne Bauminseln, und hastig schießt er in den Grund von dannen, zwischen zauberischen[322] Gärten von selbstgewachsnen Pomeranzen, Zitronen und andern Frucht- und Ölbäumen.

Sein Fall dauert sieben bis acht Sekunden oder neun meiner gewöhnlichen Pulsschläge von der Höhe zur Tiefe. Das Aufschlagen in den zurückspringenden Wasserstaub macht einen heroisch süßen Ton und erquickt mit nie gehörter donnernder Musik und Verändrung von Klang und Bewegung die Ohren, und das Auge kann sich nicht müde sehen.

Fiordimona jauchzte vor Freude in das allgewaltige Leben hinein und rief außer sich unter dem brausenden Ungestüm: »Es ist ein Kunstwerk so vollkommen in seiner Art als irgend eins vom Homer, Pindar oder Sophokles, Praxiteles und Apelles, wozu Mutter Natur Stoff und Hand lieh.«

Gewiß aber läßt es sich mit keinem andern vergleichen und ist einzig in seiner Art; die große Natur der herrlichen Gebirge herum, der frische Reiz und die liebliche Zierde der den Sturz vor dem Fall umfassenden Bäume, das einfache Ganze, was das Auge so entzückt, auf einmal ohne alle Zerstreuung, so wollüstig verziert und doch so völlig wie kunstlos, nährt des Menschen Geist wie lauter kräftiger Kern.

Wir saßen alsdenn wieder auf und ritten dem Velino oben weiter entgegen, bis wir eine kleine Stunde vor dem Sturz an seinen See kamen, worin er sich klarwäscht. Die Mannigfaltigkeit des Stroms von hier aus, der bald langsamere, bald schnellere Lauf, das mit schöner Waldung eingefaßte Bett überall, der See in seiner Rundung von einem Amphitheater sich nacheinander verlierender höchster Gebirge umlagert; alles, das fruchtbare Tal der Szene, der ehemalige Streit der Nachbarn um ihn, macht diesen Wasserfall immer wunderbarer und ergreifender.

Man hat ihn schon abgemalt und zeigte mir gestern bei unsrer Ankunft die Kopie von dem Original. Aber gemalt bleibt er immer ein armseliges Fragment ohn alles Leben,[323] weil kein Anschauer des Gemäldes, der die Natur nicht sah, sich auch mit der blühendsten Phantasie das hinzuzudenken vermag, was man nicht andeuten kann. Und überhaupt ist es Frechheit von einem Künstler, das vorstellen zu wollen, dessen Wesentliches bloß in Bewegung besteht. Tizian zeigt klüglich allen Wasserfall nur in Fernen an, wo die Bewegung sich verliert und stillezustehen scheint.

Terni selbst, das Vaterland des Geschichtschreibers Tacitus, liegt äußerst angenehm zwischen lauter Gärten. An der Nordseite erhebt sich noch ein Bogen von Hügeln mit lustigen Landhäusern, meistens zwischen Ölbäumen, die einen kleinen Wald ausmachen.

Aus der Nera, worin der Velino seinen Namen verliert, werden eine Menge Kanäle abgeleitet, die die Stadt und alles Land herum, unter immer lebendigem Rauschen, zur höchsten Fruchtbarkeit bewässern.

Tivoli hatte einen so großen Reiz für die alten Römer, weil es nahe an Rom lag, und wegen der weiten Aussicht in die Ebnen herum bis ans Meer. Es hat etwas Feierliches, was Terni nicht hat. Aber dies hat im Grunde größere Natur um sich her und läßt an Fruchtbarkeit mit Tivoli gar keine Vergleichung zu; dieses ist dürres und ödes Land meistens und Terni lauter Mark.

Die Römer verstunden zu leben! Sie genossen den wahren Reiz von jedem und wußten zu wählen aus tausenderlei Erfahrungen. Scipio der Jüngere wählte Terni, dessen Landsitz man noch zeigt, der Ältere Cajeta und seine erhabne Tochter Cornelia das Misenische Vorgebirg, welche letztern Örter wegen des Meers freilich über alles gehen; denn nichts ist doch lebendiger als das Meer und hat mehr Mannigfaltigkeit und Bewegung. O wie freu ich mich, das alte glückselige Bajä bald zu finden!

Die Terner erweisen uns alle Ehre, und dies setzt Fiordimonen nicht wenig in Verlegenheit; sie befürchtet, erkannt zu werden; und außerdem wollen sich ihre mutwilligen Brüste, stolz auf ihre junge Schönheit, mit aller Kunst nicht[324] vollkommen verbergen lassen. Dies macht mich oft lächeln und sie erröten. Wir begeben uns deswegen platterdings in keine sitzende Gesellschaft und sind gegen Abend wieder nach dem Wasserfall untenhin geritten; morgen eilen wir weiter.

Unten ist man recht der Mutter Natur im Schoß und genießt die Höhen und Tiefen der Erde, ihr Schaffen und Wirken und die Fülle ihres Lebens. Ein enges Tal von neuen und äußerst reizenden Kontrasten; welsche Milde und Schweizerrauheit vereinbart. Himmelan strebende Gebirge, donnernder Wassersturz, hereinbrausende wilde Fluten; und daneben: die zarten Pomeranzen- und Ölbäume, Lorbeerngänge, süße Reben und Feigen; und mittendrin im Felsen eine Kapelle der heiligen Rosalia, die Bildsäule der Heiligen, die auf einem weichen Lager ruht, mit Blumen bekränzt, um sie her leisschwebende Engel.


Portici, Junius.


Die Freude läuft mir durch alle Glieder, daß Du mich besuchen willst; o ein Götterjahr, dies Jahr in meinem Leben! Ich habe meiner Tante schon geschrieben, Quartier für Dich bereitzuhalten; bei meiner Ankunft hoff ich Dich zu Florenz zu treffen. Die nächsten Tage werden wir von hier abreisen.

Von unsern Abenteuern hätt ich Dir so viel zu erzählen, daß ich jetzt nicht wüßte, wo ich anfangen sollte; ich verspar es, bis wir Herzen und Seelen mündlich gegeneinander ausschütten. O welch ein Jubel, mit Dir noch durch die bezaubernden Plätze von Umbrien zu streichen! Fiordimona und ich sind nun völlig ein Wesen, so zusammengeschmolzen von tausendfachem Entzücken; alles Hohe und Schöne, Kühne und heroisch Erduldende der menschlichen Natur ist in ihr vereinbart. Endlich werden wir denn doch noch das Band der Ehe der bürgerlichen Ordnung wegen tragen; aber wahrlich nicht deswegen, daß es uns zusammenhalten soll. O sie ist der glückliche Hafen aller meiner stürmischen[325] Wünsche! Wir kennen uns nun von innen und außen bis auf unsre geheimsten Regungen.

Unsre Reise war eine immerwährende Augenlust. Wir haben den Weg über Monte Cassino genommen. Hier fühlt man erst recht die Schönheit von Italien und hat sinnlich vor sich, wie sich der Apennin in seiner ganzen Majestät durch dessen Mitte lagert, zur Erfrischung mit seinen luftigen und waldichten Gipfeln für den Sommer und reizenden Tälern und Ebnen an beiden Meeren für den Winter. In weiten Kreisen türmt sich immer ein Gebirg über das andre, und das Farbenspiel geht in unendlichen Höhen und Tiefen durch alle Töne in süßen und furchtbaren Harmonien.

Der heilige Benedikt hat trefflich für seine Schar gesorgt, und die Mönche zu Monte Cassino leben wie die Fürsten. Jeder hat seine drei Bedienten, das Kostbarste vom Lande zu essen und zu trinken und schläft in weichen Betten auf Stahlfedern. Das übrige versteht sich von selbst; aus Vorsorge bereitete ich meiner Fiordimona eine Krankheitsschminke und gab sie für meinen Bruder, einen Sänger, aus, der seiner Gesundheit wegen in die Bäder von Bajä zöge. Und kaum so sind wir durchgekommen; denn die schelmischen Faune witterten doch die blühende Gesundheit und das Fleisch wie Mandelkern unter dem angestrichnen Gelb.

Ihr prächtiges Kloster liegt auf einem steilen Absatze von einem der höchsten Berge, von unten wie eine Burg des Zeus, nur daß umgekehrt von oben das Wetter des Jahrs wenigstens ein paarmal da einschlägt, und wird in kurzer Ferne von einem stolzen Amphitheater von Gebirgen umgeben, wo die Sonne bei ihrem Untergang immer neue zauberische Schauspiele hervorbringt.

Wir haben uns nur einen Tag zu Neapel selbst aufgehalten und sind gleich aufs Land hieher gezogen, wenn man es Land nennen kann, denn Portici ist gleichsam nur Vorstadt; bewohnen den Garten einer jungen Witwe, von Tarent gebürtig, die mit Recht den lieblichen Namen Candida[326] Graziosa führt, im besten Punkt, dies wirkliche Paradies zu beschauen; denn von Neapel aus ist das göttliche Meer zu eingeschlossen.

Die Stadt selbst sieht man hier am wahrsten und besten; sie ist so recht ein Sitz des Vergnügens, voll Adel, voll der lebhaftesten Menschen, rundum in Schönheit und Fruchtbarkeit! zu strenger und erhabner Weisheit ist's fast nicht möglich, hier zu gelangen. Zur Linken die reizende Küste von Sorrent; dann die Fahrt nach Elysium Sizilien; dann die Insel der Freuden des Tiberius, Capri; dann die unendlichen Gewässer breit und offen, wo sich das Auge verliert; und daneben und darüberhin die alten Feuerauswürfe der Insel Ischia, und Procida, und den entzückenden Strich Hügel des Pausilipp, und das Gebirg der Kamaldolenser; welche bezaubernde Mannigfaltigkeit! Darunter wieder das Gemisch von unzählbaren Felsenhütten von Neapel, wo eine halbe Million Menschen sich gütlich tun; und bei uns, hinter dem schüchternen Portici, in schrecklicher Majestät Vesuv. Ein echter wonneschäumender Becher rundum, dieser große Meerbusen!

Hier schwimmt alles und schwebt in Lust, im Wasser, am Ufer und auf den Straßen. Die Feuermassen scheinen dies Land der Sonne näherzurücken; es sieht ganz anders als die übrige Welt aus. Gewiß waren alle Planeten ehemals selbst Sonnen und sind nun ausgebrannt, und Neapel ist noch ein Rest jener stolzen Zeiten. Man glaubt in der Venus, im Merkur, einem höhern Planeten zu wohnen. Immerwährender Frühling, Schönheit und Fruchtbarkeit von Meer und Land, und Gesundheit von Wasser und Luft.

Gleich die erste Woche haben wir uns mit der ganzen Gegend und der besondern Art Menschen bekannt gemacht; und den dritten Tag schon waren wir oben auf dem Vulkan und genossen den Anblick der höchsten Gewalt in seinem Krater, die man auf Erdboden schauen kann. Die Risse von unten heraus, trichterförmig, gehen über alle Macht von Wetterschlägen, auffliegenden Pulvertürmen und Einbrüchen[327] stürmenden Meeres. Erdbeben, die Länder bewegen wie Winde Wasserflächen, sind dagegen nur schwache Vorboten. Man glaubt in die Wohnung der Donnerkeile wie ein Schlangennest hineinzusehen, so blitzschnell ist alles aus unergründlicher Tiefe gerissen, von Metall bespritzt und Schwefel beleckt: ein entzückend schauerig Bild allerhöchster Wut.

Sein Gipfel besteht aus lauter Schlacken; dies gibt ihm von fern eine haarichte Riesengestalt. Dann wächst lauter Heide; und dann in der Mitte fangen Gärten und Bäume an.

Der Vesuv ist augenscheinlich ein uralter Berg, dessen Krater einst zusammenstürzte, wovon die Risse noch an der Somma zu sehen sind. Alsdenn hat er sich vom neuen durch viele Ausbrüche wieder aufgetürmt. Vorher war es ein einziger Berg; jetzt mag er nicht so schön mehr sein, aber desto furchtbarer.

Wir sind mehr als einmal oben gewesen, so hat uns dies Schauspiel und die Aussicht ergötzt.

Unser Aufenthalt im Garten der Candida hat uns großes Vergnügen gewährt, aber auch viel von unsrer Freiheit benommen und ist Ursach, daß wir früher zurückreisen, als wir wollten. Nebenan bewohnt einen andern die Geliebte des Sohns vom Vizekönig, eine reizende Spanierin, kaum sechzehn bis siebzehn Jahre alt, sogenannte Gräfin von Coimbra. Diese brennt vor Leidenschaft gegen Fiordimonen; und Candida hat sich mit weniger Geschmack, aber besserm Instinkt in mich und meinen jungen Bart vergafft. Beide sind wir so belagert. Coimbra ist eifersüchtig auf mich und Candida auf Fiordimonen, und der Sohn vom Vizekönig ward es endlich auf uns beide und schöpfte Verdacht gegen alle. Die Komödie fing sich damit an.

Wir kauften gleich bei unsrer Ankunft in Neapel eine Laute und Zither zum Zeitvertreib; und die erste Nacht in Portici hielten wir einen Wechselgesang. Coimbra ward entzückt schon von der Stimme Fiordimonens, die, möcht ich sagen, wie ein Arm so stark aus ihrer Kehle strömt mit aller Geschmeidigkeit[328] und Mannigfaltigkeit, vom leisen Lispel bis zum Sturm und in Läufen von erstaunlichem Umfang, jeder Ton perlenrein und herzig.

Den andern Abend hörten wir ein Lied von unsrer Nachbarin, wozu sie sich auf einem Psalter begleitete. Ihre Stimme ist nur schwach, einfach und von wenig vollen Tönen, aber silbern und süß von Empfindung; was sie sang, war ein Meisterstück spanischer Poesie, und wir haben davon nur die ersten Strophen behalten.


Quando contemplo el cielo

de innumerables luces adornado;

y miro hazia el suelo

de noche redeado

en sueño y en olvido sepultado:


El amor y la pena

despiertan en mi pecho un ansia ardiente,

despide larga vena

los ojos hechos fuente,

Oloarte, y digo al fin con voz doliente:


»Morada de grandeza

templo de claridad y hermosura,

el alma, que a tua alteza

Naciò, que desventura

la tiene en esta carcel baxa escura? –«36


Der Jüngling war vermutlich bei ihr; denn wir hörten hernach sprechen und seufzen und Stille zu Kuß und Umarmung in der dichten Laube.[329] Ach, es war in der Tat ein schöner Abend! Kühlender Duft senkte sich nieder und hüllte nach und nach das Gebirg ein, alles wurde verwischt, und Form dämmerte nur unten, indes oben die reinen vollkommnen Sterne blinkten. Wir meinten, wir müßten uns sogleich mit dem Liede der holden Spanierin emporheben und unsre Stelle verlassen. Es ist unten doch alles so Nichts, wenn es nicht von dem klaren himmlischen Licht seine Gestalt empfängt!

Dann ging der stille Mond am wilden dampfenden Vesuv auf; dunkel lag das Meer noch in Schatten und erwartete mit unendlichen leisen plätschernden Schlägen seine Ankunft. Die Menschen kühlen sich ab in den Fluten, machen Chorus und scherzen und genießen weg ihr Dasein.

Es ist entzückend, wie man die Erde mit sich gen Osten unaufhaltbar fortrollen sieht und die ganze Harmonie des Weltalls fühlt!

»Du bist glücklich, Mond«, seufzte Fiordimona; »du läufst deine Bahn ewig fort, dein Schicksal ist entschieden!

Ach Gott, wer wüßte, was das Licht wäre, das so schön leuchtet, und es erkennen könnte! Es ist doch gewiß ein heilig Wesen; und tot ist es nicht, weil es sich so schnell fortbewegt!

O wer in den großen Massen, Himmel und Meer und Mond und Sternen, Frescobaldi, an Deinem liebevollen Herzen immer so schweben könnte! Was dies für eine Ruh und Seligkeit ist! Man atmet so recht aus und schöpft mit jedem Zuge Lust und Erquickung!«

Denke noch zu solchen Wonnelauten, unmittelbar von ihren Quellen, Kuß und Blick und Umarmung der Erhabnen!

Coimbra machte hernach mit uns Bekanntschaft und redt uns zuerst an, als wir einander auf einem Spaziergange begegneten; ein durchaus gefühlig zartes Wesen, worin aber kühne Blitze von Leidenschaften herumkreuzen. Wörtliche Liebeserklärung erfolgte bald, wie Fiordimona sich, zu unerfahrner Jüngling, bei Händedruck und schmachtenden Seufzern und Blicken bezeugte. Fiordimona spielte ihre[330] Rolle trefflich, um sich nicht erkennen geben zu dürfen und Tätlichkeiten bis zu unsrer Fortreise abzuhalten; und wir sind während der Zeit in der ganzen Gegend herumgestrichen und wenig anders zu Hause geblieben, als zu schlafen. Von Quartier wollten wir nur im höchsten Notfall ändern, wegen Anlaß vielleicht zu gefährlichen Auftritten.

Am meisten sind wir zu Bajä, am Pausilipp und einige Tage an der Küste von Sorrento gewesen. Von allen diesen Zaubereien mündlich weitläuftig.

Zu Bajä ist ein Wunder der Natur an dem andern; und in der alten Römer Zeiten war noch dabei ein Wunder der Kunst an dem andern, wovon die herrlichen Ruinen außer den Beschreibungen der Dichter zeugen. Was der Archipelagus sein muß, wo das immerwährende Leben so um unzählbare Inseln herumwallt, wie hier nur um drei oder vier! Glückliche Griechen! wenigstens zwei Drittel bewohnten und bewohnen noch schöne Seeküsten.

Das Grabmal Virgils, an dessen Echtheit man keinen Grund zu zweifeln hat, ist in der Tat ein rührender Winkel, der innerste Punkt des alten Parthenope; der Mittelsitz der Ruhe von der See her, die Spitze des Winkels von der Bucht. Ich wünschte selbst an einem solchen Ort meine Asche; ohne Pomp, still, ein kleines Gemäuer. Es liegt gerad am Pausilipp in der Höhe über der vor alters durchgehauenen Grotte nach Pozzuolo. Die Pinien schienen allemal voll Ehrfurcht sich zu seinem Schatten zu neigen und nur leis zu bewegen, um seinen Schlummer nicht zu stören. Es ist schön, eine solche Stelle zu haben, wo sich die Erinnerungen an einen großen Menschen alle lieblich zusammensammeln!

Das Denkmal an der mit so warmer und heller Empfindung gewählten Stätte ist mit mancherlei Gesträuch bekränzt; Efeu und wilde Weinranken schlingen sich überall herum; und auf der Decke selbst, wo in den vielen Jahrhunderten sich eine Schicht Erdreich festgesetzt hat, grünt es am dichtesten. Ein Lorbeer steigt in der Mitte stolz hervor, der nur nicht lange dauern wird, weil alle Reisenden, Dichter, Prinzen[331] und Damen davon abbrechen, um Anteil an dem Ruhme des Unsterblichen zu haben.

Man genießt hier Neapel und den erfreulichen Meerbusen in einem der schönsten Gesichtspunkte.

Sorrent liegt von Bergen eingeschlossen in einem kleinen Tal, das die Form wie ein Hufeisen hat. Es ist das bezauberndste Plätzchen des weiten Paradieses der Gegend, wohinein das Meer noch eine besondre kleine Bucht macht. Dessen Ufer sind hohe senkelrechte Felsen, so daß es wie auf einer Bühne sich zeigt. Man muß aus der See eine halbe Stunde lang auf einem Wege von Terrassen hinansteigen. Die niedlichen Häuser und Palästchen stecken in einem Gartenwald von Öl–, Pomeranzen–, Zitronen- und Fruchtbäumen; hier wachsen die köstlichsten Melonen.

Der Vesuv ist davon in seiner einfachsten, allergrößten und furchtbarsten Gestalt zu sehen, so stolz und erhaben, daß die höchsten Alpen davor verschwinden. Er sieht aus wie ein Wesen, das sich selbst gemacht hat, alles andre ist wie Kot dagegen, und der Dampf aus seinem offnen Rachen ist im eigentlichsten Verstand entsetzlich schön. An keinem andern Orte möcht ich seine Feuerauswürfe betrachten; es muß ein wahres Bild rasender Hölle sein. Unten am Fuß sind die Menschen mit ihren Wohnungen wie unschuldige Lämmer, die er sich zur Beute herschleppte; und die alte Mutter, die See, zieht vergebens zärtlich rauschend heran, sie zu retten.

Ein entzückender Morgen, wie wir wieder Portici hinüber schifften! Ein leichter Nebel deckte dasselbe wie eine zarte Bettdecke. Auf dem Gewässer waren tausend Nachen, die unbesorgten Fische zu fangen, welche aus ihren Tiefen sich dem neuen Lichte näherten. Leis wallend, wie ein unermeßlicher Lebensquell, verlor sich das Meer in ein Chaosdunkel, woraus Capri kaum sichtbar in grauem Duft noch hervortrat. In blassem Purpur rötete sich auf den Apenninen der Himmel, und der Vulkan atmete schrecklich der Sonn entgegen in majestätischer Ruhe seinen schweren[332] Dampf aus, der sich an den Seiten herabwälzt. Und nun steigt sie empor in Strahlenglut, vollkommen und unveränderlich, der Geist ihrer Welt, die alles mit Liebe faßt, und in ihrem Glanze spielen die Wellen.

Was mir übrigens an Neapel doch nicht gefällt, ist, daß man weder Sonne noch Mond und Morgen- und Abendstern im Meer auf- und untergehen sieht.

Nachschrift: Wir müssen fort, noch heute. Coimbra brennt in lichterlohen Flammen und drang gestern in einem herzbrechenden Briefe darauf, Fiordimona solle sie entführen. Candida schlich sich diese Nacht, aller feinen Wendungen überdrüssig, in mein Zimmer schier nackend und überraschte mich mit Fiordimonen, deren Geschlecht sie erkannte. Und Häl, der so treue, daß er selbst seinen Genuß bei dem Kammermädchen der Spanierin drangibt, verkündigt uns Mord und Tod und die ausgestellten Wachten und Posten des getäuschten Liebhabers.


Diesen letztern Brief erhielt ich erst zu Florenz von seiner Tante, einer jungen Witwe ohne Kinder, voll Geist und Anmut im Umgang und mannigfaltigen Reizen. Ardinghello war noch nicht wiedergekommen bei meiner Ankunft daselbst, und sie erteilte mir anfangs über sein Ausbleiben zweifelhafte Nachrichten von fürchterlichen Begebenheiten, die sich hernach nur zu gewiß bestätigten. Doch vorher etwas von mir und meiner Reisegesellschaft! Ich habe aus seinen Briefen alles weggelassen, was meine Angelegenheiten betraf, um die Geschichte nicht zu verwickeln und weitläuftig zu machen.

Auch ich stand auf dem Punkte, mich zu verheuraten, als meine Geliebte von der Seuche weggerafft wurde, die von Trient nach Verona und von da nach Venedig kam und sich hernach durch die Lombardei verbreitete. Ich folgte nun mit Begier der Einladung meines Freundes, um mich von den traurigen Gegenständen zu entfernen, und sagte davon Cäcilien.[333]

Sie konnte gleich vor Ungeduld nicht bleiben, die Reise mitzumachen. Noch hatt ich ihr immer nicht entdeckt, daß ich alles von ihr und Ardinghellon wußte; ich scheute die Lage, in welche mich dies versetzen würde. Nur gab ich ihr zuweilen von ihm Nachricht, mit Verschweigung seiner Liebesgeschichten, und sie hatten sich auch einander selbst geschrieben, welche Briefe mir aber nicht in die Hände gekommen waren, so daß ich nicht wußte, was für Wendungen er bei ihr brauchte und wie sie zusammen standen. Ich mochte mich nicht mehr dreinmischen und einem Tauben predigen, ließ aber nun doch, gewissermaßen dazu genötigt, der Sache ihren baldigen Ausgang.

Cäcilia beredete gleich ihren Vater und ihre Mutter zu einer Wallfahrt nach Loretto. Von ihren Brüdern war einer zu Korfu, und der andre blieb zu Hause. Und so brachen wir denn in der Geschwindigkeit zu sammen auf. Sie nahm ihr Söhnchen mit, einen kleinen Engel. Wie ein Vogel, der dem neuen Frühling zueilt, war alles an ihr.

»O unsern Ardinghello muß ich doch auch gleich sehen!« hieß es zu Florenz. Das Gerücht war schon in der Stadt, daß er einen jungen Anverwandten des Papsts ermordet und sich darauf aus dem Staube gemacht habe. Ich sagt es ihr geradezu, damit sie bei keinem andern durch ihre Leidenschaft Verdacht erregte. »O Gott!« war ihr Wort; und blaß wie eine Lilie und verstummend begab sie sich beiseite. Ihre Eltern befürchteten darauf, sie habe die Krankheit. Sie litt Todesqualen, als sie ferner erfuhr, die Tat sei um Mitternacht vor dem Palaste der Fiordimona geschehen. Die Unglückliche liebte ihn wahrhaftig, und von Grund der Seele.

Sonderbarerweise hielt sich in demselben Gasthofe Fulvia mit ihrem Gemahl auf; sie hatten Genua wegen der bürgerlichen Unruhen verlassen, worin schon verschiedne Edle dort ihr Leben einbüßten. Ein allgemeines Strafgericht schien wirklich über Italien nach dem Ausspruch der Gottesgelehrten wegen seiner Sünden und Bosheiten verhängt. Auch sie führte ihr Söhnchen, das sie aus voller mütterlichen[334] Liebe selbst säugte, bei sich. Eine wahrhafte Bacchantinfigur, wie von einem griechischen Basrelief oder einer alten Gemme weg ins wirkliche Leben gezaubert! Die Glut schlug aus ihren schwarzen Augen, und ihre Lippen schienen berauscht zu dürsten. Auch sie mußte das Gerücht von Ardinghellon erfahren haben. Doch lief dabei noch ein andres herum: der Kardinal, Bruder des Großherzogs, habe den Anverwandten des Papsts ermordet, und nicht Ardinghello. Dieser sei entwichen, vermutlich, um nicht in Verhaft genommen zu werden und die Schuld für den mächtigen Kardinal zu büßen. So schwebten wir zwischen Furcht und Hoffnung.

Fulvia machte sich nach Rom auf, obgleich vor kurzem erst aus dem Kindbette und von der von Genua nach Florenz gemachten Reise ermüdet, und wir bald ihr nach, um an die Quelle zu gelangen. Ich ging gleich zu Demetrin, welcher von nichts weiter etwas wissen wollte, als was jedermann sagte, ob ich ihm gleich meine Freundschaft mit Ardinghellon aus deutlichen Proben anzeigte. So schlau und sicher betrug er sich. Auch glaub ich, daß Ardinghellos Tante der ganzen Begebenheit kundig war; aber beide liebten ihn schier wie sich selbst, und bei solchen Gefahren kann man nicht genug behutsam sein.

In Rom erfuhren wir noch, daß der Kardinal sich dieselbe Nacht, wo der Anverwandte des Papsts sei ermordet worden, die Hände und Arme von zwei der geschicktesten Chirurgen habe verbinden lassen, die ihm mit starken Wunden wären verhauen gewesen. Tags darauf hab er und Fiordimona Wache vor ihr Zimmer bekommen, seien aber bald wieder davon befreit worden; nur hätte der Papst ohne weitere Untersuchung Fiordimonen von Rom verbannt und auf ihre Güter verwiesen. Die Sache läge so vertuscht, und man laure Ardinghellon doch als dem Täter auf und habe Kundschafter allerorten nach ihm ausgesandt.

Gewissere Nachricht konnten wir nicht erhalten. Wir reisten von Rom ab nach Loretto und hielten uns Sommer und[335] Herbst in den Gebirgen des Apennin auf; Cäcilia und ich mit tiefer Trauer in der Seele, daß der Kardinal unsern Liebling heimlich möchte aus dem Wege geräumt haben. Nach und nach wurden wir vertrauter über diesen Punkt; sie gestand mir endlich von selbst ihre Leidenschaft und faßte Mut auf meine tiefe Treue, weinte wie ein Kind über ihre unseligen Schicksale und daß sie endlich hatte, wo sie ihr angeschwollnes Herz erleichtern konnte. So umschlang uns beide das Band einer vertrauten und innigen Freundschaft.

Endlich im November erst empfing ich einen Brief von diesem, der schon im August geschrieben, aber von Demetri oder seiner Tante, denn von der letztern kam er zu mir, verspätet worden war. Mir dünkte, als ob ich von einem fürchterlichen Traum erwachte und den Glanz der Morgenröte schaute, als ich die Züge seiner Hand erblickte.


Brindisi, August.


Meine widerwärtigen Schicksale erheben mich mehr, als daß sie mich niederschlagen sollten; je stärker der Widerstand, desto gedrungner und geschwellter regt sich alles in mir. Ich glaubte schon in Genuß und Ruhe zu sein, und jetzt erst beginnen meine Arbeiten. Ich seh in ein neues Leben hin, und das hohe Getümmel ergreift meine Sinnen. Gut, daß ich nicht wie ein Kind hineinkomme! Das Leben des Jünglings ist Liebe, das Leben des Mannes Verstand und Tat.

Ach, daß ich Dich nicht noch einmal sprechen durfte! Wir kamen bei Nacht zu Rom an; ich schickte Hälen mit meinen Pferden voraus und wollte mit Fiordimonen auf ihr Gut alle Vene nachfahren, um uns dort zu vermählen. Sie hatte deswegen in der Stadt verschiednes zu besorgen und mitzunehmen; aber es ist alles nun zerstört und zerrissen. Ich versteckte mich auf die drei oder vier Tage bei Demetrin, damit mich der Kardinal nicht wittern möchte; sie hatte mir[336] manches erzählt, wie er sie mit seiner Liebe verfolgte und daß sie ihn nicht leiden könnte.

Die zweite Nacht kam ein fürchterliches Donnerwetter ohne Regen über Rom, und es schmetterte Schlag auf Schlag, als ob alles untergehen sollte. Statt daß ich sonst große Freude an diesen Naturbegebenheiten habe und mich daran nicht satt hören und sehen kann, wurde mir diesmal selbst bang im Herzen. Der Mensch ist ein sonderbares Wesen und voller dunkeln Gefühle, die kein Philosoph aufklärt; es war gewiß Ahndung dessen, was mir bevorstand. Ich warf meinen Mantel um mich und nahm den bloßen Degen auf alle Gefahr unter den Arm und ging fort, um Fiordimonen in der schrecklichen Nacht nicht allein zu lassen; in ihrem Palaste waren den Sommer über nur ein paar alte Bedienten und Frauen zurückgeblieben. Sie hatte mir den Schlüssel zu einer Seitentür gegeben. Ich eilte, und ging oft wieder langsam, und hielt im Schritt ein. Endlich kam ich in das kleine Gäßchen an den Garten, wo ihr Schlafzimmer ist, und wurde plötzlich angefallen mit einem Dolchstoß in die Seite. Ich sprang zurück, Blitze machten die Finsternis hell und zum Tage; erblickte den Mörder, der mir nicht ausweichen konnte. Er rennte noch einmal auf mich zu, mich zu unterlaufen, und ich stieß ihn auf der Stelle nieder. Bei diesem allen wurde kein Wort ausgesprochen, indes der Donner um uns brüllte, daß die Erde dröhnte.

Kaum war dies vorbei und ich im Begriff, den Leichnam wegzuschleppen, so tritt eine andre verkappte Gestalt auf und setzt mit Tigersprüngen auf mich ein, daß ich mit Not den Augenblick erhasche, mich zur Wehre zu stellen. »Vermaledeite Brut!« hört ich die Stimme meines Kardinals, der in die vorgehaltne Klinge mit der Brust lief, die ich bepanzert fühlte. Erstaunt und erschrocken über alle die Folgen, tat ich nichts als ihn von mir abhalten, gebrauchte meine ganze Stärke und war bald so glücklich, daß ich ihm den Degen herausschlug, hieb ihn auf die Hände, womit er in Raserei mein Gewehr fassen wollte, schonte sein Leben[337] und lief dann davon und durch Nebenwege wieder zu Demetrin.

Diesem erzählt ich gleich, was geschehen war, und vertraute ihm das Hauptsächlichste meiner Geschichte mit Fiordimonen; und sein großer edler Charakter erhielt hier Gelegenheit, sich zu zeigen. Er verbarg mich unerforschlich und half mir die folgende Nacht fort, nachdem wir erfuhren, daß der Ermordete, den wir zuerst für einen Banditen hielten, selbst Vetter des Papsts, der jüngere B*** sei. Auch dieser war wütend in Fiordimonen verliebt, ob sie mir gleich nie etwas von ihm gesagt hat. Meine Wunde ging nur gestreift über die Rippen weg; das Stichblatt vom Degen im Arm hielt den Stoß auf, und wir brauchten dazu keinen Chirurgen. Tolomei verkleidete sich mit mir in einen Franziskaner, und so sind wir die Pontinischen Sümpfe zu Fuß durch und von Capua durch Kalabrien nach Brindisi. Heroen, echte wie Theseus und Perithoos, wie Orestes und Pylades, Demetri und er. O der Mensch kann groß sein in jedem Zeitalter, und das Edle in seiner Natur bleibt immer irgendwo noch auf Erdboden!

Fiordimona dauert mich; was kann das Feuer dafür, daß es brennt? Demetri hat kurze Nachricht vom fernern Erfolg an Tolomein nach Brindisi gegeben, unter andern Dingen, die er ihm meldete, dies wie im Vorbeigehen, wenn ohngefähr der Brief sollte aufgefangen werden: sie und der Kardinal haben des Mordes wegen Arrest bekommen. Um alles noch zu tun, was ich kann, hab ich selbst an den Heiligen Vater geschrieben, und an den Großherzog, und noch an den Kardinal; und ihnen allen die Natürlichkeit und Notwendigkeit der Begebenheit und meine Unschuld vorgestellt.

Und nun denn hinein in die Wasserwelt; o wie klopft mir das Herz! O Vaterland, Vaterland, daß ich dich in Ketten und Banden sehen muß und von dir scheiden! Lebe wohl, schönes Italien, lebe wohl! Lebe wohl, Venedig, Genua und Rom! O du warst es wert, stolzes Land, vor allen andern einmal die Herrschaft über die Welt zu haben![338] Umarm und küsse Cäcilien statt meiner; das himmlische Geschöpf wird an keines andern Brust besser aufgehoben und glücklicher sein als der meines Freundes. Befürchtet keine Sünde; der Größte der Halbgötter gab Iolen mit der empfangnen Frucht seiner Liebe seinem eignen Sohne zur Gattin. Lucinde, du allein brennst mich auf dem Herzen; aber ich will alle Verfolgungen des erzürnten Himmels dulden, wenn ich's büßen kann.

Lebt wohl, ihr Höhen des Apennin und ihr entzückenden Täler! wohl, du königlicher Po, und du, Tiber und Arno! ach, und ihr klaren Quellen des Clitumnus! Ein günstiger Wind schwellt die Segel, und ich flieg Ionien entgegen. Ich reiße mich von Eurem Herzen, o all Ihr Lieben, um Eurer würdig zu sein.

Ardinghello


Fiordimona war leider an allem schuld; sie mochte nun erkennen, wohin ihr schönes System führe. Sie hatte vermutlich erst dem Neffen des Papsts Gehör gegeben, und hatte dann dem Kardinal Gehör gegeben, und suchte beide loszuwerden, wie sie Ardinghello mit ganz andrer Lust und Freude und Schönheit und Inbrunst an sich fesselte; und dieser ließ sich in jugendlichem Taumel von ihren überschwenglichen Reizen fangen. Die verwegne Reise nach Neapel machte sie wahrscheinlich deswegen, um die erstern ganz von sich abzubringen, welche vielleicht auch den Weg zu den Quellen des Clitumnus wußten, und den Ardinghello in aller möglichen Lust ungestört zu genießen. Ein Weib kann seine Natur nicht verleugnen: sie kam den folgenden Winter mit Zwillingen von beiderlei Geschlecht nieder und fand es doch ihrem Stande gemäß, den Vater derselben als Gemahl zu besitzen.

Die Mohrin mußte unter den heftigsten Drohungen ohne Zweifel dem Kardinal ihre Reise mit Ardinghellon anzeigen, konnte aber nicht sagen, wohin. Und zu Rom und alle Vene wurde voll Rache auf ihre Zurückkunft gelauert. In der[339] Leidenschaft hatte das zärtliche Paar seine Maßregeln nicht behutsam genug genommen.

Ardinghello wurde allgemein bedauert, und auch Fiordimonen tadelte man nicht sehr: sie machten miteinander das vollkommenste Paar aus, das man weit und breit hätte finden können. Das Verständnis der letztern mit dem Neffen und dem Kardinal ließ sich durch den Ausgang nur mutmaßen und blieb außerdem im verborgnen; ihre seltne Schönheit und hohe Naturgaben und Reichtümer sprachen übrigens für sie, und das Geschwätz der Weiber hielt man für Neid und gewöhnliche Lästerung. Jeder Triumph hat seine Schmählieder vom Pöbel hinterdrein; dies ist in der Natur. Der Mann im Purpurhute schwieg hierüber weislich und sagte nicht mehr, als was er sagen mußte, ins Ohr dem Richter. Ich habe hernach in lauter neuem Vergnügen vergessen, sie hierüber auszuforschen.

Von den Gütern des Ardinghello wurde nichts eingezogen, der Kardinal mußt es doch groß finden, daß er sein Leben schonte, da er es in seiner Gewalt hatte; und seine Tante übernahm deren Verwaltung, als Schwester seines Vaters. Sie verkaufte einen Teil davon und tilgte die Schulden; der Edle hatte manchem Mann von Talent aus der Not geholfen und in eine bequemere Verfassung gesetzt, welches nun bekannt wurde.

Erst den Frühling darauf erhielt ich wieder kurze Nachricht von ihm; ein Brief war unterdessen mit einem venezianischen Schiffe verlorengegangen, das im Sturm bei Korfu scheiterte.


Im Hafen zu Scio, Mai.


All mein Wesen ist Genuß und Wirksamkeit; heiter der Kopf, immer voll heller Gedanken, reizender Bilder und bezaubernder Aussichten, und das Herz schlägt mir wie einer jungen Bacchantin im ersten ganz freien Liebestaumel.

Diagoras durchstreicht mit mir den Archipelagus, damit ich[340] jeden gefährlichen Paß und alle Häfen kenne. Von Smyrna sind wir ausgelaufen, den langen Golfo durch, nach Mytileni, Tenedos, an den Dardanellen herum, nach Stalimene, den herrlichen Posten Skyros und von hier ferner in jeden guten Hafen der Kykladen. Jetzt sind wir an den Küsten von Asien und werden bis Rhodos, in den Golfo von Makri segeln und von dort nach Ägypten. Die Arbeit wird mir leicht; denn er hat von seinem Alten die trefflichsten Karten, woran wir wenig verbessern können.

Überall weiß mein edler Führer, wo die neuern Helenen, Aspasien und Phrynen stecken, und hat mit mancher schon in Korsarenehe37 gelebt; Liebesgötter umgaukeln uns, sooft wir einlaufen.

Demetri hat einen glücklichen Geburtsort gehabt. Scio ist die schönste Stadt aller griechischen Inseln; und die Rebenhügel und Täler und Gärten zwischen den Gebirgen im Innern des Landes mit ihren Pomeranzen–, Zitronen- und Granatenhainen, von klaren herabstürzenden Bächen erfrischt und belebt, sind entzückend und bezaubernd.

Jedoch so schön ist alles, wie Du längst weißt, unter diesem seligen Himmel; fast immerwährender Frühling, und für die Sommerhitze kühle Nächte; dichte Schatten, spielende Seelüfte, Menge von Quellen und Überfluß an gesunden und erquickenden Früchten.

Paradies der Welt, Archipelagus, Morea, Karien und Ionien, o daß ich würdig werde, euer ganz zu genießen!

Die Griechen sind noch immer an Gehalt und Schönheit die ersten Menschen auf dem Erdboden, ihre Liebe zur Freiheit und ihr Haß gegen alle Art von Unterdrückung noch ebenso wie bei den Alten. Sobald sie nur ein wenig Luft bekommen von der ungeheuern Masse des Schicksals, die sie drückt, wie regt sich alles und ist Leben und Feuer! und wie halten sie an, wie blitzschnell durchdringt ihr Verstand bei Gefahr, übersieht das Ganze und schlägt den rechten[341] Weg ein! Die Mainotten auf den Gebirgen von Sparta sind noch nie bezwungen worden, sie und Montenegriner, Illyrier und Karier Helden wie ihre Urväter bei Plataia.

Kunst und mildere Sitten sind nur Ausbildung und machen weder eigentlichen Kern noch Genuß aus.

Und der Hang zur Freude, zur Lust, zu Gesang und Tanz, wie klopft er dennoch ebenso in ihren Adern! und wie mächtig das Gefühl für Schönheit.

O Du und Cäcilia, Ihr meine Geliebten, eilt hervor aus Euern Sümpfen!

Ardinghello


Im Herbste schrieb er mir von Sizilien aus, in dessen Gewässern er herumkreuzte und reiche Beute machte, ›am Fuß der Säule des Himmels, des stürmigen Ätna, aus dessen hohlen Eingeweiden die lautersten Quellen unergründlichen Feuers geworfen werden‹.

Ulazal, der berühmte Kalabreser, das Schrecken der Mittelländischen See, welcher die türkische Flotte anführte und schon verschiedenemal die Spanier schlug, hatte ihn mit Freuden aufgenommen. Er tat sich bald hervor durch Verstand und Tapferkeit; bekam alsdenn eine Galeere unter seine Befehle, worin meistens italienische Renegaten und Griechen dienten; und es wurde durch Vermittelung des Diagoras, des Sohns vom Admiral, so unter der Decke getrieben, daß er nicht einmal seinen Glauben abschwören durfte und man dies für geschehen annahm. Er und dieser junge Held, sein Todesbundesfreund, streiften nun jeder mit einem kleinen Geschwader als raublüsterne Adler an den Küsten von Kalabrien, Sizilien und Spanien herum.

Den Winter darauf machten sie den Anfang mit Ausführung eines der kühnsten und feinsten Plane. Der alte Ulazal und besonders sein Sohn galten alles bei dem jungen Sultan Amurath. Diese begehrten die Inseln Paros und Naxos, um eine italienische Kolonie hier anzulegen. Beide waren durch Krieg schier unbewohnt geblieben. Die wenig übrigen Griechen[342] wollte man reichlich wegen ihrer Besitzungen entschädigen und an andre Örter verpflanzen, und zwar deswegen, weil die Abkömmlinge ihre eigne Religion auszuüben verlangten und damit weder stören noch darin gestört sein wollten. Es wären in diesem Jahrhundert mancherlei Sekten unter den Christen entstanden, die sich einander bis aufs Blut haßten und verfolgten, unter andern eine, die sich Todesleugner nennten und glaubten, daß die Natur ein ewiger Quell von Leben und der Trieb alles Daseins Freude sei; deren Meinungen mit der Lehre Mahomeds in wesentlichen Punkten übereinkämen. Zu dieser hielten sich die edelsten und reichsten Jünglinge und Frauenzimmer und hofften am ersten unter seiner Herrschaft Schutz.

Ein Held aus ihnen, einer von ihren Anführern, habe flüchten müssen, diene bei ihnen und verrichte seinen Grundsätzen gemäß die tapfersten Taten. Eine Menge würde diesem nachfolgen, wenn sie Sicherheit für ihre Personen und ihr Eigentum wüßten. Der große Vorteil für sein Reich dabei wäre augenscheinlich; außerdem dürften wohl wenige Muselmänner an Feuer im Gefecht gegen die sogenannten Orthodoxen ihnen gleichkommen.

Amurath wollte den Ardinghello sehen.

Dieser trat auf in männlicher Jugend und Schönheit, kühn, als ob er selbst ein Sultan wäre, und gefällig wie vor einer Semiramis. Sie sprachen Neugriechisch miteinander, und Amurath blieb von ihm bezaubert; sie waren schier von gleichem Alter, und Ardinghello schmeichelte lieblich und mächtig seiner geheimsten Denkungsart.

Sie erhielten, was sie wollten.

Ardinghello schrieb gleich an Demetrin, den er bei seiner Schwäche faßte. Jeder Mensch, auch der festeste Charakter, hat seinen Grad von Schwärmerei; die reinste Vernunft so wie die geringste Insektenseele, ihre Ebbe und Flut unter dem Mond. Und sandte geheime sichere Werber aus nach Venedig, Genua, Florenz mit starken Summen zu Reisegeldern. Er kannte die vortrefflichste Jugend in allen diesen[343] Städten, und sein Name schon allein war genug Verführung.

Den neuen Frühling bewegte sich alles in den lustigen Inseln. Sie befestigten zuerst die Häfen von Paros und machten besonders den Hafen Nausa, wo die größten Flotten sicher liegen, ganz unüberwindlich. Demetri kam bald mit zwei Schiffen voll jungen tapfern Römern und blühenden Römerinnen in den zauberischen Gegenden seiner Geburt an, und Künstlern: Architekten, Bildhauern, Malern, äußerst mißvergnügt vorher über ihren Lebenswandel, und hatte seinen Abzug mit wunderbarer Klugheit bewerkstelligt.

Sie brachen Marmor in den reichen Gängen des Bergs Kapresso zu Tempeln, öffentlichen Palästen mit Versammlungshallen; das alte Athen unter dem Perikles schien wieder aufzuleben. Und es lebte wirklich und verklärt auf. Nach Vertrag und Übereinkunft mit dem Ardinghello und Diagoras predigte Demetri erst insgeheim Auserwählten seine neue Religion; die mehrsten andern fielen hernach diesen bald bei, und endlich alle. Tolomei tat Wunder mit seiner Schönheit und einschmeichelnden Zunge. Wir waren meistens lauter unbefangne Jugend.

Ein neues Pantheon wurde der Natur aufgeführt, ein Tempel der Sonne und den Gestirnen, ein Tempel der Erde, ein Tempel der Luft und einer auf einem Vorgebirg in die See hin thronend dem Vater Neptun, und dann noch ein Labyrinth angelegt von Zedern und Eichen zur künftigen schauervollen Nacht für Zweifler dem unbekannten Gotte. Der Tempel der Erde, der Tempel der Luft und das Labyrinth kamen nach Naxos, der Tempel der Erde in ein entzückendes Tal.

Während der Zeit hatte Fiordimona den größten Teil ihrer Güter zu Gelde gemacht und überraschte mit einem kleinen Kastor und einer kleinen Helena den glücklichen Ardinghello; sie ward von der Coimbra begleitet, die sich mit List und Gewalt zu Neapel mit ihr einschiffte, und einer auserlesnen Schar.[344]

Ich konnte Cäcilien nicht länger widerstehen, ihrem Gram und Kummer. Sie schien dieselbe nicht mehr, die sie bei den großen Szenen ihres Lebens war; aber eben dies machte sie mir immer liebenswürdiger. Nach dem Tode meiner Braut und unsrer Reise glaubte man in Venedig allgemein bei unserm vertrauten Umgange, und selbst ihre Brüder und Eltern, daß wir uns bald vermählen würden. Sie verkaufte unter allerlei Vorwand ihre reichsten Güter; wir segelten, wie zu einer Lustreise, aus der alten Residenz des heiligen Markus nach Ancona, schifften uns dort ein nach Smyrna und kamen auch an. Welch ein Auftritt, Ardinghello, sie und ich! So hat die Freude ihren Nektarrausch noch in wenig Herzen ergossen.

Alles ging nach Wunsch, nur Fulvia war unglücklich. Sie flüchtete auf einem Schiffe Genueser, dem man nachsetzte. Es kam bei dem Golfo von Tarent zu einem mörderlichen Gefechte, wo sie die volle Ladung eines Mörsers traf und in Trümmern zerfleischte. Die jungen Helden schlugen sich jedoch durch und langten an, und brachten zugleich die Nachricht: Lucinde sei zu Lissabon, vermählt mit dem Florio Branca, welchen der König zum obersten Admiral seiner ganzen Schiffahrt gemacht habe.

Gabriotto band dem Ardinghello nichts auf, als er ihm erzählte, ein portugiesischer Prinz sei der wahre Vater von Lucinden. Dieser war vor kurzem auf den Thron gestiegen und ließ nun die provenzalische Frucht seiner Liebe aufsuchen, weil er mit seiner Gemahlin ohne Kinder blieb. Und Lucinde kam schon vorher in der klösterlichen Einsamkeit wieder zu sich von ihrer Leidenschaft, wofür sie genug gebüßt hatte, und ließ ihren wohl größtenteils verstellten Wahnsinn. Sie ward wie im Triumph mit einem prächtigen Schiff unter Bedeckung von andern abgeholt. Die Großen des Reichs lagen der himmlischen Schönheit bald zu Füßen; aber das edle Herz wählte seine erste Liebe.

Ihre Ehe war äußerst glücklich; sie zeugten viel Söhne und Töchter, von welchen jene der Vater zu Helden bildete[345] und diese die Mutter durch ihr unvergleichliches Beispiel zu trefflichen Wirtschafterinnen und frommen, zärtlichen und keuschen Frauen.

Ardinghellon war ein ander Los beschieden, eine andre Glückseligkeit, von mancherlei Stürmen und Gefahren durchwütet.

Mazzuolo brachte mit einem starken Trupp Florentinern Emilien noch in seine Arme, und er schien für jetzt Mahomed im Paradiese bei lebendigem Leibe.

Demetri ward zum Hohenpriester der Natur von allen einmütig erwählt. Ardinghello zum Priester der Sonne und der Gestirne, Diagoras zum Priester des Meers. Fiordimona zur Priesterin der Erde und Cäcilia zur Priesterin der Luft. Coimbra und ich pflegten und warteten das Labyrinth.

Demetri und Ardinghello und Fiordimona setzten Gesänge auf aus dem Moses, Hiob, den Psalmen, dem Hohenlied und dem göttlichen Prediger; und aus dem Homer, dem Plato und den Chören der tragischen Dichter und ihrer eignen Begeistrung im Italienischen für sich und die andern Priester und Priesterinnen und die Gemeinde, und erfanden heilige Gewänder in echter alter ionischer Grazie und Schönheit. Und die Feierlichkeiten ergriffen bei dem Reize für Aug und Ohr noch mit den starken Bildern aus wirklicher Natur den ganzen Menschen, daß alle Nerven harmonisch dröhnten wie Saiten, von Meistern gespielt, auf wohlklingenden Instrumenten. Alles leere Pöbelblendwerk ward verworfen, und wir wandelten in lauter Leben.

Darauf richteten wir unsre Staatsverfassung ein nach Rom und Griechenland und studierten fleißig dabei die Republik des Lykurg, des Plato, die Politik des Aristoteles, und den Fürsten vom Machiavell, um uns vor diesem zu bewahren. Platons doppelten Bürgerstand, wo die eine Klasse die Ehrenstellen haben und die andre den Ackerbau treiben soll, vermieden wir weislich, behielten aber die Gemeinschaft der Güter gegen den Aristoteles. Der Haufen[346] Übel, den wir dadurch verbannten, war allzu groß, und der scharfsinnige Prüfer aller zu seiner Zeit bekannten Republiken schien uns hierin die Vorurteile der Erziehung nicht genug abgelegt zu haben. Inzwischen fand noch immer Eigentum statt, nämlich öffentliche Belohnungen; und jedem blieb, was er mit sich brachte, bis ans Ende seiner Tage.

Ferner waren die Weiber nach dem erhabnen Schüler des Sokrates, jedoch auch nur gewissermaßen, gemeinschaftlich, und so die Männer; das ist: jedes hatte völlige Freiheit seiner Person, und alle Gewalttätigkeit wurde hart bestraft. Für gute Ordnung war dabei wohl gesorgt; Männer und Weiber wohnten voneinander abgesondert. Den Weibern und Kindern überließen wir ganz Naxos, die schönste Perle aller Inseln, von den Alten schon wegen ihrer Fruchtbarkeit und Lieblichkeit das kleine Sizilien genannt. Ihr Wein und ihre Früchte haben an Köstlichkeit ihresgleichen nicht auf dem weiten Erdboden. Schade nur, daß sich jener nicht verführen, nicht einmal auf die See bringen läßt, ohne sogleich zu verderben. Wahrer Nektar, dem Himmel unentwendbar! Alles schien für uns, von der Natur selbst, schon vorherbereitet. Naxos hatte keinen Hafen für Schiffe, nur die Barken der Verliebten können anländen: hingegen Paros deren fünf, rundum einen immer schöner als den andern.

Für die Jugend, bevor sie mannbar ward, hatte man noch andre Einrichtungen getroffen.

Auch die Weiber hatten Stimmen bei den allgemeinen Geschäften und wurden nicht als bloße Sklavinnen behandelt, doch nur zehn Prozent in Vergleich mit den Männern. Fiordimona, die unbegreiflich allein – wer kann des Menschen Charakter fassen? – dem Ardinghello treu blieb, hatte dies durchgesetzt, wie noch andres Amazonenhafte für ihr Geschlecht; daß sie zum Beispiel auch Schiffe ausrüsteten und auf Streifereien ausliefen. Sie waren Mitglieder vom Staat, obgleich die schwächern; und ihnen blieb das Recht, gut oder nicht gutzuheißen, besonders was sie selbst betraf.[347]

Übrigens war immer der Hauptunterschied, daß die Männer erwarben und sie bewahrten.

So schwang die Liebe in allerhöchster Freiheit ihre Flügel; jedes beeiferte sich, schön und liebenswürdig zu sein, und konnte sich weder auf Geld und Gut noch Pflicht und Schuldigkeit verlassen. Was die Bevölkerung betraf, wollten wir uns in der Folge nach dem Spartaner richten, von welchem die erstaunte Priesterin zu Delphi nicht wußte, ob sie ihn als Sterblichen oder Gott begrüßen sollte; die Kinder gehörten dem Staate, und der Tod dünkte uns bei weitem nicht das größte Übel.

Kurz, wir vermieden alle die Unbequemlichkeiten, die Aristoteles und zum Teil schon Aristophanes in seiner weiblichen Volksversammlung bei solchen Einrichtungen berühren.

Um jeden Tempel, auf Bergen und Anhöhen, mit den Aussichten auf die reizenden Inseln umher, war ein schöner Hain gepflanzt, bestimmt noch außer Festen zur Erziehung der Jugend. Nebenan führte man nach und nach Gymnasien auf. Wir hielten die Übung des Körpers für die Hauptsache, welcher alsdenn die Bildung des Geistes durch zweckvollen Unterricht und im Umgange leicht nachfolgt. Alle Tugenden und Künste müssen sich allemal nach dem gegenwärtigen Staate richten, wenn sie wirken und Nutzen bringen sollen, oder überhaupt jede Tugend nach der Person.

Binnen wenig Jahren hatten wir schon alle Kykladen im Besitz und starken Einfluß auf dem festen Lande. Bei den Griechen, fast durchgehends heitern Sinnes, rotteten wir in gesellschaftlichen Gesprächen bald den Aberglauben aus und verschafften ihren Geistlichen auf anständigre Weise Unterhalt. Die Türken, die sich um uns, mitten im Meer, wenig bekümmerten, ließen wir in der Meinung, die verschiednen Tempel seien nur für verschiedne christliche Heiligen, als für den Heiligen des Feuers, der Wasser, der Lüfte. Überhaupt herrschte über diesen Punkt, die Fortpflanzung, und andre bei uns unerhörte Verschwiegenheit;[348] wir schienen durchaus ein Orden dieser Tugend. Auf allen Fall hielten wir uns des Schutzes vom Sultan für versichert.

Wir machten uns die gesellschaftlichen Bürden so leicht wie möglich zu ertragen und genossen alle Wonne dieses Lebens unter dem milden Himmelsstrich bei den ersprießlichen und allgemein beliebten Gesetzen; und das Ganze fügte sich immer lebendiger zusammen und wuchs zur reifen Schönheit durch neue auserwählte Ankömmlinge, worunter sich die schönste und heldenmütigste griechische Jugend aus beiderlei Geschlecht befand, die wir mit Behutsamkeit in unsern Geheimnissen einweihten. Kriegerische Schiffahrt und Handlung zwischen Kleinasien, dem Schwarzen Meer und den westlichen Ländern, und höchste Freiheit, süßes Ergötzen und frohe Geschäftigkeit im Innern, darauf zweckte alles; durch jene erhielten wir Sicherheit und verdienten Schutz, und durch beides gewannen wir Sklaven und Sklavinnen und Überfluß an allen Bequemlichkeiten. Bei aller dieser Seligkeit glaub ich jedoch, daß auf dem ganzen Erdboden kein andrer Platz war, wo man sich so wenig vor dem Tode scheute.

Jeden Frühling war allgemeine Versammlung, worin wir die nötigen neuen Einrichtungen oder Abänderungen für das ganze Jahr trafen; sie wurde mit feierlichen Spielen und Lustbarkeiten beschlossen.

Kurz, wir kamen beieinander, so verschieden auch mancher vorher dachte, in folgenden Grundbegriffen überein: Kraft zu genießen, oder, welches einerlei ist, Bedürfnis, gibt jedem Dinge sein Recht, und Stärke und Verstand, Glück und Schönheit den Besitz. Deswegen ist der Stand der Natur ein Stand des Krieges.

Das Interesse aller, die sich in eine Gesellschaft vereinigen, bildet darauf Ordnung, stiftet Gesetze und innerlichen Frieden; alles richtet sich dabei, wie bei jedem andern lebendigen Ganzen, immer nach den Umständen.

Der beste Staat ist, wo alle vollkommne Menschen und[349] Bürger sind; und diesem folgt, wo die mehrsten es sind. Hier wird kein Nero gedeihen! Derjenige Mensch und Bürger ist vollkommen, welcher seine und seines Staats Rechte kennt und ausübt.

Jedes hat fürs erste das Bedürfnis zu essen, zu trinken, mit Kleidung und Wohnung sich zu schützen und zu sichern, die Wahrheit von dem Notwendigen einzusehen und, wenn es mannbar ist, das der Liebe zu pflegen. Vermag es nicht, sich dieses friedlich zu verschaffen, so darf es dazu die äußersten Mittel brauchen; denn ohne dasselbe erhält es weder sich noch sein Geschlecht.

Auf gleiche Weise geht es hernach mit den Bequemlichkeiten und Freuden des Lebens. Ein armer schwacher Staat mag sich an den ersten rohen begnügen; allein dieses ist zur Glückseligkeit nicht hinlänglich. Der starke und tapfre hat zu mehrerm Recht, eben weil er weitre Bedürfnisse hat. Das beste Instrument gehört dem besten Virtuosen, das königlichste Roß dem mutigsten und geübtesten Bereiter. Land für Themistoklesse und Scipionen, für Praxitelesse und Horaze keinen Mönchen und Barbaren.

Wirkliche (nicht bloß eingebildete und erträumte) Glückseligkeit besteht allezeit in einem unzertrennlichen Drei: in Kraft zu genießen, Gegenstand und Genuß. Regierung und Erziehung soll jedes verschaffen, verstärken und verschönern.

Der Krieg richtet greuliche Verwüstungen an, es ist wahr; bringt aber auch die wohltätigsten Früchte hervor. Er gleicht dem Elemente des Feuers. Es ist nichts, was den Menschen so zur Vollkommenheit treibt, deren er fähig ist. Das goldne Jahrhundert der Griechen kam nach den Schlachten gegen die Perser. Das goldne Jahrhundert der Römer war mitten unter ihren Bürgerkriegen, und ihr Geist fing an zu er schlaffen bei dem langen Frieden unter Augusten. Florenz ragt in den neuern Zeiten hervor bei innerlichem Tumult und Aufruhr.

Die höchste Weisheit der Schöpfung ist vielleicht, daß alles[350] in der Natur seine Feinde hat; dies regt das Leben auf! Sterben ist nur ein scheinbares Aufhören und kömmt beim Ganzen wenig in Betrachtung. Alles, was atmet, und wenn es auch Nestor wird, ist ohnedies in einer kurzen Reihe von Tagen nicht mehr dasselbe.

Ruh und Friede ist ein herrlicher Stand, zu genießen und sich zu sammeln; aber der Mensch, ohne gereizt zu werden, träge, versinkt dabei in Untätigkeit. Besser, daß immer etwas da ist, das ihn aus seinem Schlummer weckt. Wir sollen einander bekriegen, weil kein höher Geschöpf es kann.

Was das ganze menschliche Geschlecht betrifft, durch Meere und Gebirge und Klima, durch Sitten und Sprachen abgesondert, welcher Kopf will es in Ordnung bringen? Die Natur scheint ewig wie ein Kind in das Mannigfaltige verliebt und will zu jeder Zeit deswegen rund um die Erdkugel Skythen, Perser, Athen und Sparta.

Das besondre Geheimnis unsrer Staatsverfassung, welches nur denen anvertraut ward, die sich durch Heldentaten und großen Verstand ausgezeichnet hatten, bestand darin: der ganzen Regierung der Türken in diesem heitern Klima ein Ende zu machen und die Menschheit wieder zu ihrer Würde zu erheben. Doch vereitelte dies nach seligem Zeitraum das unerbittliche Schicksal.

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Eine gleichzeitige handschriftliche Chronik meldet dabei, jeder habe gesagt: che bisognava aver rimediato prima, che il padre, e il Granduca Francesco, il Cardinale, & altri suoi fratelli si servissero del mezzo suo per cavarsi le lor voglie, e con le altre donne della cità menandola tutta notte fuori vestita da Uomo, e voler poi, ch'ella fusse stata santa senza il marito. Und macht den Beschluß mit ihr, nachdem sie von den andern schier ein gleiches erzählt hat: e questo fu il misero fine delle figliole del Duca Cosmo de Medici.

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Blutbrücke.

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Knochenberg.

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Das Mordloch.

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Wenn ich den Himmel betrachte, mit unzählbaren Sternen ausgeziert, und nieder auf den Boden schaue, von Nacht umgeben, in Schlaf und Vergessenheit begraben: So erwecken Kummer und Liebe in meiner Brust eine heiße Bangigkeit, und die Augen, zu Quellen geworden, vergießen einen Bach von Tränen, Oloarte, und ich sag endlich mit klagender Stimme: »Aufenthalt der Herrlichkeit, Tempel der Klarheit und Schönheit, welch ein böses Schicksal hält die Seele, für deine Höhen geboren, in diesem tiefen dunklen Kerker? –«

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Ist in den griechischen Häfen so im Gebrauch, wie bei den Engländern die Soldatenehe.

Quelle:
Wilhelm Heinse: Ardinghello und die glückseligen Inseln, Leipzig 51961, S. 297-351.
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