Die Kirschen

[285] Bewundert sey der Mann,

Und wenn er Türk und Heyde wäre,

Der, wie Herr Crebillon, wie Yorik und Voltaire,

Den Göttern gleich erschaffen kann!


Und diesem laßt uns Ehre geben,

So viel er haben will, der uns zur Lais macht,

Was einer ohne Kunst als Kind hervorgebracht –

Der wie Hanns la Fontain' erheben

Das Todte kann zum ewgen Leben!


Und ist nicht dieser auch wohl eines Lobes werth,

Der, wenn er was erbauliches erfährt,

Für Nichts sich Mühe giebt, es zierlich aufzuschreiben,

Um euch die lange Zeit ein wenig zu vertreiben? –

Man kann nicht immer, wie ihr wißt,[286]

Erschaffen! Dämogorg,1 der Schöpfer aller Sachen,

Hat selbst auch Pausen müssen machen –

Dies tat Boccaz, der gute Christ,2

Petron und Franzens Schwester;3

Der seelge Rost erfand nicht lauter Zeisigsnester;

Und so erzähl' ich auch, was schon geschehen ist.


Es war im Julius. Schon wütheten die Sonnen,

Entzückend war's, im Schatten auszuruhn

Und auszuleeren alte Tonnen;

Entzückender, am Ufer das zu thun,

Nach einem Bad' in frischen Quellen,

Was Zeus mit Leden that, gelagert in die Wellen –[287]

Es war im Julius, als Herr von Strahl,

Ein Held; kurz, Friedrichs General,

Der Stadt Betäubung überdrüssig,

Von kriegrischen Geschäften müßig,

Beschloß', auf's Land zu ziehn

Aus seinem prächtigen Berlin.


Dort, wo der Sprea Wellen stolzer wallen,

Wo sie ihr Heiligthum begrüßt,

Und einen Hayn voll Nachtigallen

Mit reinen Wellen lächelnd küßt,

Steht aufgeblüht ein dichterischer Garten

Voll Zelten, die auf Gäste warten,

Und in der Fern' ein Schloß, in das Herr Diogen

Gewißlich lieber würd', als in sein Fäßchen gehn.


Gott hebe den im dritten Himmel oben,

Der Pankon angepflanzt!

Dort mögen ihn die Patriarchen loben,

Daß er es angepflanzt!

Nach diesem Tempe ging die Reise.


Den General begleitet' ein Prälat,

Der, nach der Herrn Prälaten Weise,

Und aller Orthodoxen Rath,

In Schlesien um Weisheit nie gerungen;

Der immer nur den weisen Salomo

Geschätzt, weil er das Hohelied gesungen,

Und tausend Damen, gleich dem Herkules, bezwungen,[288]

Und nicht gepredigt, wie der Christen Cicero.4

Gleich einem Amsterdamer Bürgermeister

War er an Kinn und Bauche voll:

Am Geiste von der Art der Geister,

Wie nach der Schrift ein Papst ihn haben soll.


Und noch ein Probst, ein Mann, der Hippiassen

so ziemlich ähnlich wär', hätt' er den Stolz

Von hundert tausend stolzen Bassen

Nicht auf das Scepterchen von Ebenholz,

Zu welchem er mit Lammsgestalt gekommen –

Und noch ein Mahler wurde mitgenommen,

Der seinen Winkelmann studirt

Und Roms Antiken abkopirt

Und Raphaels Madonnen –

Und doch mit seiner Kunst noch keinen Deut gewonnen.


Mit diesen Herrn fuhr Herr von Strahl

In einer niedlichen Karosse

Zu seinem schönen Schlosse.

Drey Ritter kamen noch zu dieser Zahl

Aus Pankons Nachbarschaft, drey edle Tagediebe,

Und noch ein alter Freund von Jagd und Wein und Liebe,

Ein Pachter, welcher Gold für neue Schleifer hin

Mit Fäusten warf, Lukullen glich an Sinn

Und Schultern einem Alpenpflüger,

Der grau geworden war und um kein Härchen klüger.
[289]

Wem die Gesellschaft hier nicht allzuschicklich scheint,

Der denke, daß einst Karl5 mit Mönchen sich vereint,

Und Herkules mit Weibern Flachs gesponnen,

Und Alexander hin zu weiser Narren Tonnen

Gewandelt, und der Held Agesilas

Auf Stecken ritt mit kleinen Knaben,

Und Heinrich6 Feenmärchen las,

Und – kurz; daß jeder Held mag Narren um sich haben.


Nun lebte man als wie im Paradies,

Das eine Huhris unter Yemens Lauben

Auf Rosenlagern Mahomeden wies

Bei'm Safte süsser Perser-Trauben –

Doch richtiger; wie da, wo Skogula und Mist,

Hertruda u.s.f. nach Gerstenbergen ist.7[290]

Der General vergaß hier die Kanonen,

Und der Prälat sein Evangelium,

Die Patres und das Jus Kanonikum

Und alle, die im Himmel wohnen,

Und spottete der Heiligen,

Der Tröpfe, die aus Gram gestorben,

Ihr Leben sich verdorben,

Die Rosen flohn, und nur auf Dornen wollten gehn.


Das thu' er denn! wir aber gehn spazieren

Auf dieser schönen Flur herum,

Und lassen uns von Nachtigallen führen

In Gänge von Elysium.


Der Gärtner auf dem Gute

War ein gewisser Franz, ein Mann von frohem Muthe;

Der hatt' ein Töchterchen in seiner Hochzeitnacht,

Ohn' alle Hülfe, schön, wie Venus selbst, gemacht:

Zu mahlen ist es warlich keinen Ohren!

Und wär' ich Ariost für diese Schäferin,

So gieng der schönste Reiz vermuthlich noch verlohren.

Denkt, wenn ihr könnt, euch eine Huldgöttin,

Eh Amor sie zur Göttin auserkohren.
[291]

Alt sechzehn Sommer kaum

War Lieschen jetzt; das keimende Verlangen

Nach Liebe schwebt' ihr auf den Rosenwangen,

Als säh gen Himmel sie nach Engelchen im Traum.

Ihr Antlitz hätt' erwählt, zu mahlen zum Entzücken

Ein himmlisches Gesicht, mein Guido sicherlich,

Die Unschuld lebt in allen Blicken,

Ihr Herz eröffnet, wenn es lächelt, sich.

Lebendig sah man schon sich durch das Mieder sträuben

Den Busen, der nicht mehr gefangen wollte bleiben;

Noch kannt' ihn Zephyr nur allein.

In beyden Händen war die Mitte fast zu halten,

Von allem Putze frey, von Mäntelchen und Falten:

Das Schöne kann erst schön in eignen Formen seyn.


Es wohnt ein schöner Geist in einem schönen Leibe!

Rief Sokrates, wenn man ihn bey Bathyllen fand.

Es leugnet's mancher Mann bey seinem schönen Weibe,

Drum laß' ich diesen Satz an seinen Ort bewandt;

Doch mit Lisetten würd' er nie bestritten.

Es hatte die Natur den Geist wie ihr Gesicht,

Und keine Kunst verdarb ihn nicht,

So schön gemacht, sie sprach nicht wie der Pöbel spricht,

Und hatte nichts von pöbelhaften Sitten.

Sie sprach die Sprache der Natur,

Empfindung vom Instinkt gebohren

Beseelete die Zunge nur,

Und schwamm auf Engeltönen in die Ohren.
[292]

Und was mit allem dem, käm Amor nicht hieher?

Der weiß allein den Geistern aufzutischen:

Ein Mädchen ist nur Leim, Prometheus ist er,

Den Schlummer muß er ihm erst aus den Augen wischen.

Am allerschönsten Tage gähnt

Die Nymphe sonder ihn, und traurt und träumt und wähnt.

Doch unsre Schäferin gehorchet dem Instinkte,

Der ihr nach ihrem Peter winkte.

Sie liebt ihn ohne Heucheley,

Und weiß fast nicht, warum er liebenswürdig sey,

Und liebt ihn recht. Zwar ist er keiner von den Reichen,

Doch in der Tugend muß ihm jeder weichen,

Er ist der beste Wirth, und arbeitsam

in seinem Haus gleich einer ems'gen Biene.

Er singt und liebt, ist frey von Neid und Gram,

Und freundlich jedermann, und schön von Wuchs und Miene.

In aller Welt kann er nichts als Lisetten sehn,

Die Blumen wachsen nur in Feld', um sie zu zieren,

Und wenn am Abend Windchen wehn,

Und Rosenduft in seine Sinne führen,

Kann er die Gegenwart von seiner Gottheit spüren

Und hört sie schon mit leisen Tritten gehn.

Ihm steigt die Sonn' empor nach seinen süssen Träumen,

Damit nur sie die Welt kann sehn;

Und jeder Vogel singt für sie nur auf den Bäumen.


Er laurt zur Erndtezeit auf Lieschen in dem Thal,

Und wirft ein Schlummerchen einmahl[293]

Sie auf die Aehren hin, ist er gleich gegenwärtig;

Und öffnet dann ihr Auge sich,

So freuet sie sich inniglich

Und sieht die Garbe fertig;

Und Peter drückt sie fest mit Küssen an die Brust,

Und Gott weiß, welche Lust!

Dergleichen Küsse sind unschuldige Vergnügen.

Gott Amor, ihr Patron, soll die Verliebten auch

Durch eines Pastors Hand, nach löblichem Gebrauch,

Vor allem Volk nun bald zusammenfügen.


»Verdammt sey die Geschwätzigkeit!

Wenn werden wir einmahl das Märchen hören?

Zur That! zur That!« – schreyt Leser, immer schreyt!

Ich lasse mich nicht stören.

Ein wenig Weiblichkeit

Ist wohl erlaubt dem freundlichen Erzähler,

Wie jeder weiß, und ganz gewiß kein Fehler.


Um fortzufahren nun, wo wir geblieben sind.

Der andre Morgen war des Sommers schönstes Kind,

Aurora stieg so zärtlich an den Himmel,

Wie in Arkadien sie sich zu zeigen pflegt,

Die Bienen taumelten in reizendem Gewimmel

Auf Rosen hin und her, von linder Luft bewegt

Kroch Blumengeist in alle Sinnen;

Und Seele, die versteinert lag

Im Busen, mußte hier bey Philomelens Schlag

Mit süssem Leben durch entzückte Nerven rinnen.[294]

Die Sonne schwamm in rosenfarbner Fluth,

Wie Gottesmajestät, mit Strahlen voller Gluth

Am Horizont herauf – und alle Wesen schwiegen

Geblendet von dem Glanz, und staunten vor Vergnügen,

Und beteten in ihr den grossen Schöpfer an,

Da sie nichts göttlichers vor ihren Strahlen sahn.


Erweckt von ihren Blicken

Gieng Franz in seinen Garten hin,

Ihm folgte seine Charitin,

Um Kirschen abzupflücken.

Sie pflückten sie herab so unverletzt,

Wie die Natur sie an den Zweig gesetzt,

Für unsern General zu einem Leckerbissen.

Sie waren überreif und fielen in die Hand.

Durch wen sie werden übersandt,

Wird man vermuthlich wissen.


Lisette legte sie mit strenger Wahl

Nun in ein Körbchen hin – wie Mengs es würde bilden

In einer Flora Hand auf paphischen Gefilden

Voll Kirschen nach dem schönsten Ideal –

So sah das Körbchen man in ihren Fingern schweben.

Die Kirschen lächelten darinn mit süsserm Leben,

An keiner durft' ein Fehlchen seyn.

Der gute Franz kann sich nicht satt darüber freun.


Jetzt hüpft sie fort, und wirft um ihre schönen Glieder

Ihr schönstes Röckchen, zieht ihr bestes Mieder[295]

Und grünes Wämschen an, verhüllt den Busen, den

Man ohne Hülle möchte sehn,

Und knüpft um ihren Hut, der erst von frischen Garben

Geflochten war, noch neue Bänderchen

Von lauter schönen bunten Farben;

Und springt zur nahen Quelle hin

Und wäscht sich Händ' und Wangen;

Und diese glaubte, statt der Hand der Schäferin,

Die sanfteste der Blumen zu empfangen.

Nun fliegt sie noch mit blühendem Gesicht

Zum Vater, dieser kennt sie nicht

Vor Freuden, kann vor Lust kaum Athem holen,

Und küßt wohl hundertmahl sein wunderschönes Kind.

Dies eilt nun nach dem Schloß geschwind,

Das Körbchen an dem Arm, zu thun, was ihm befohlen.

Wie Nymphenhaftig ist ihr Lauf!

O wie die Wind' in's Röckchen wallen!

Ihr Aug', ihr Herz sucht ihren Peter auf,

Sie glaubt ihm so geputzt noch besser zu gefallen.


Lisette kömmt in's Schloß, man führt in einen Saal,

Wohin die Herren sich zum Morgenschmaus begeben,

Geschwind sie vor den General.

Sie fängt aus Schüchternheit ein wenig an zu beben,

Und nähert sich, macht eine Reverenz

Errötend, nach der Art der Charitinnen –

»Willkommen, schönes Kind!« – rief Ihro Excellenz –

Die Wollust fließt aus ihr in aller Herren Sinnen.[296]

Das ländliche Geschenk reicht sie dem General,

Wurd' immer röther, schöner immer –

So reizend war das schönste Frauenzimmer

Miß Hebe nie bey Tisch' im griech'schen Göttersaal.

Je länger man sie sieht, je grösser das Erstaunen;

Und links und rechts hört man sich in die Ohren raunen:

»Wie frisch ist sie! wie reizend! – himmlisch schön!«

Die Herren Wölfe sind bereit schon zum Verschlingen;

Man sieht in ihnen schon sich die Begierde blähn,

Vom Kopf in's Herz, vom Herzen weiter dringen.

»Potz Tausend! rief ein junger Tagedieb,

Und dieser war euch keiner von den Zwergen –

Welch eine schöne Brust muß dieses Tuch verbergen!«

Der Mahler, welcher hier allein nicht müßig blieb,

Hatt' eine Venus jetzt zu mahlen,

Der Käufer war bereit, sie theuer zu bezahlen.

Lisette war ihm mehr, als alles Ideal,

Sie nackend mocht' er abkopiren.

Er trug es vor. Das Ding gefiel dem General.

»Nun wohl, mein Freund! sprach er, Sie sollen abkopiren!«

Und alle schrien: »Man muß sie abkopiren


Drauf drang auch der Prälat. »Abzeichnen muß man sie!

Das Nackende, sprach er, erleichtert's dem Genie.

Herr Mahler hat sehr Recht, den Riß von ihr zu nehmen!«

Und Jeder will dies sehn, und Niemand will sich schämen.


Der Probst allein, der nie die Heucheley vergaß,

Empörte sich, und sprach: »Nein! meine Herren, bedenken[297]

Sie doch, wie Sie die Unschuld würden kränken!

Daß man, seit dem Herr Adam Feigen aß,

So nackend nicht darf sehn die jungen Schönen,

Will ich hier nicht erwehnen.

Voltair', Ihr großer Gott, Apoll und Trismegist,

Hat Sie zu gut belehrt, daß dieses Fabel ist.

Allein der Tugend bester Saame

Kam nicht umsonst in Ihre Brust!

Die Tugend ist für Sie kein leerer Name!

Die Tugend und Ihr Stand verbietet diese Lust!

Das Nackende verführt die schönsten Herzen,

Verblendet den scharfsichtigsten Verstand.

Zwölf Augen saugen hier sich süssen Gift, mit Schmerzen

Ist Jeder ganz gewiß bey'm ersten Blick entbrannt.

Und wollten Sie so sehr die Würde wohl verlieren,

Wie Hirsche brunften hier, und kämpfen gleich den Stieren? –«


Die Herren hörten's nicht;8 allein der Mahler sprach:

»Hochwürdiger, Ihr Widerspruch ist schwach.

Man schließt sehr leicht von sich auf Alle!

So schloß sehr oft der Theologen Schaar

Vom Anbeginn der Welt mit ziemlich leerem Schalle

Bis auf den heut'gen Tag, und schloß sehr selten wahr.


Wer gab in Griechenland den Weisen in dem Schönen

Und Guten Unterricht?[298]

Die nackenden Bathylle, die Helenen.

Das Nackende verderbt die Herzen nicht.

Praxiteles und Phidias, Apelles

Und Zeuxis und Protogenes,

Anakreon und Sokrates –

Die tranken von dem reinsten Geist des Quelles!

Genieen flogen auf zum höchsten Ideal

Des Schönen, zu dem Wesentlichen,

Wie's richtig Plato nennt; und dem Original

Hat die Kopie am Werthe nie geglichen.

Jetzt müssen wir das Göttliche von Brust

Und Hüften und – warum soll ich's nicht nennen?

Von schöner Mädchenschaam zu kennen,

Hinreisen nach Florenz; und theuer kömmt die Lust. –«

»Herr Mahler, Schönheit ist bei weitem noch nicht Tugend

»Und ich, Herr Probst, behaupte, daß sie's sey!

Die Griechen lehrten: Schön und Gut ist einerley. –«


»Herr Mahler, schön ist oft die Jugend,

Doch selten ist sie laster frey. –«


»Was wollen Sie mit Ihrem Wörtchen Tugend?

Lykurg, ein Gott, kein Erdenmann,

Der kein Gesetz umsonst ersann,

Befahl: Die Mädchen sollen ringen

Ganz nackend jede Frühlingszeit,

Indeß die Jungen dazu singen:

Ist dies geschehn, so wetteringen

[299] Die Jungen eben so, wozu die Mädchen singen.

Und dies geschah mit grosser Sittsamkeit.

Durch dieses Grundgesetz ist Sparta hoch gestiegen

An Tugend, Mäßigung, an Freyheit, Macht und Ruhm!

Da konnte kein Gesicht die Hüften schöner lügen! –«


»Wir wollen uns darüber nicht bekriegen!

Die Schönheit ist der Mahler Eigenthum;

Doch nur die leibliche. Die Schönheit ist verschieden!

Herr Plato hat in nackenden Laiden

Die wesentliche nie, so viel ich weiß, gesucht;

Sie war erhabener Gedanken späte Frucht!

Ihm dieses Ideal vom schönsten Nichts zu geben,

Vermochten nie die Phrynen und die Heben:

Das Mahlen ist was anders, als Moral.9

Doch! bilden Sie sich nur Ihr Ideal!

Für meine Herrn sey's immer Augenweide!

Es sieht's ja Niemand mehr! und was man nicht gesehn –[300]

Die Herren schweigen doch? – das ist auch nicht geschehn.

Ich bin so strenge nicht. Herunter mit dem Kleide! –«10


Man trägt Lisetten nun das, was beschlossen, vor.

Ein Donnerschlag fährt ihr in's Ohr,

Sie weint, und sucht, daß sie durch diesen Kerker dringe –

Allein die Arme hängt gefesselt in der Schlinge:

Der heilige Prälat verschloß die Thüren schon,

Da Probst und Mahler sich bestritten.

Vergebens war ihr Seufzen und ihr Bitten;

Die Wollust stürmete die Tugenden davon.

Der General erbarmt sich nicht der armen Schönen,

Die seine Knie' umschlingt, und badet fast in Thränen.

Nichts hilft, und wenn sie sich zu Tode schrie;

Kurz, man entkleidet sie,

Die Bänder alle werden losgebunden –

O was für Schönheit wurde da gefunden!


Ihr abgezogner Hut läßt nun ihr langes Haar

Frey auf die Schultern wallen,

Der Busen läßt die Hüllen fallen,

Das nackte Füßchen sucht, was seine Decke war.

Und endlich muß auch noch der Schleyer weichen,[301]

Wohin die Schaam am letzten flieht,

Den Hymen weg allein mit keuschen Fingern zieht –

Hoch hielt ihn der Prälat zum stolzen Siegeszeichen.


Nie! warlich nie habt ihr so was gemacht,

Ihr Schöpfer Titian', Alban' und Raphaele!

Aus jedem Fleckchen athmet schöne Seele –

Kein Pinsel hat so was hervorgebracht,

Als dies Gesicht, die Brust umzittert von den Haaren,

Ach! nur zu himmlisch für die Bande von Barbaren!


Auch ohne Sünde kann man eine Danae

So faselnackend sehn, als wie sie Gott erschaffen.

Prälaten freylich nicht! für keine Zwiebelpfaffen11

Hat, wie sie selbst gestehn, der Schöpfer sie erschaffen,

Quartill' ist mehr für sie als nackte Grazie –

O Leser, mahle dir ein himmlisches Gewächse,

Ganz in Begeisterung, in deiner Phantasie!

Ein reizender Kontur umfliesse jede Flechse,

Wie Meister Ariost ihn hat besungen nie:

Laß ihn der Unschuld Roth entzückend dir beseelen,

Und Alabasterglanz mit Rosen sich vermählen.

O tausend Schätze könnt' in's Geistes Magazin

Von Idealen sich ein Titian hier saugen![302]

Der Anblick ist gemacht von der Natur für ihn,

Für Gleimen und für mich, und unsers Peters Augen.

Lisette hatte jetzt dies Alter blühen sehn,

Wo jede Schönheit reift, wie Knospe zu der Blume,

Wo die Natur nicht mehr kann weiter gehn,

Und Liebesgöttern giebt ihr Werk zum Eigenthume,

Um der Empfindung Feu'r ihm in das Herz zu wehn.

Die Herren dachten hier nicht an dergleichen Sachen;

Die bleiben ewiglich an Geistes Augen blind;

Doch rathet, was der General ersinnt?

Der Teufel hätt' es selbst nicht ärger können machen.


Wem fallen nicht die schlimmen Kirschen ein?

Er läßt sie auf den Boden streun,

Lisette soll sie nun in's Körbchen wieder sammlen,

Sie mag auch noch so süsse Bitten stammlen.

Welch eine Marter für ihr Herz!

Für ihre Keuschheit welch ein Schmerz!

Wie kann sie widerstehn? Entblößet vom Gewande

War zur Vertheidigung ein Mädchen nie im Stande.

Die Thränen helfen nichts; so will's der General.

Sie soll bald da, bald dorthin wandern,

Auflesen eine nach der andern,

Und in das Körbchen thun, und – eine auf einmahl.


Jetzt fängt sie an, zu thun, was ihr befohlen.

Sie bücket sich, geht vorwärts, hinter sich,

Und rechts, und links – und greift nach glühnden Kohlen –[303]

Wie Täubchen stehlen, geht sie furchtsamlich,

Zeigt immer, was man kaum mit Liebe

Und mit Beständigkeit erhält,

Was keinem Bräutigam so ganz in's Auge fällt,

Und ewiglich verborgen bliebe.


Enthüllt ist jeder Reiz: da wallen auf der Brust,

Gleich Sonnen, Kugeln, weiß wie Blüth' auf Pfirsichbäumen –

O wie so frisch daraus der Liebe Knospen keimen!

Unschuldig blickt hervor der Polstern jeder Lust,

Bei dessen Aufgang die Begierden schäumen –

So schön, ein Vinci12 konnt' ihn nie so schön sich träumen:

Unschuldig, wie ein Kind, das noch zu lächeln scheint,

Wenn schon vor seinem Tod Mamachen ängstlich weint.

Wie Märzenschnee beglänzt von Morgenröthe

Sind Arm' und Rücken anzuschaun:

Und Hüften – da zerränn' in Wonn' ein Faun!

Ich glaube, daß hier mancher Cato täthe,

Was Della Casa13 sang und Lucian uns pries14[304]

Und Plato allen grossen Helden,

Wie seiner Republik Gesetze weislich melden,

Doch nur bey Knaben machen ließ.15


Gebt eurer Phantasie die allerhöchsten Schwünge,

Und schwindelt bis in Jovis Heiligthum,

Und seht euch nach dem schönsten Wesen um,

Dem schönsten der erschaffnen Dinge!

Kleinasien und Griechenland

Und Gegenden, wo Yemens Lüfte schweben –

Wie der Harmonika16 geträumte Töne beben –

So lind durch Myrthen hin – wo Götter Hand in Hand

Mit Charitinnen gehn – nur diese Länder haben

So was, und selten, wie Lisetten, vorgebracht:

Vielweniger ein Land vom Winter halb begraben,

Und bald von einer trüben Nacht.


Kein Mahler kann den Reiz euch allen mahlen,

Der Anna17 Sänger singen nicht![305]

Lisette muß ihn selbst in eure Sinnen strahlen,

Und eurer Phantasie bezauberndstes Gesicht –

In frischer Blüthe steht noch alles ungenossen,

Davon bei'm ersten Blick das Auge trunken ist,

Und dir, wenn du noch nicht gestorben bist,

Im Lesen schon das Herz von Wollust überflossen.


Zwei Dingerchen entrollten hier

Von diesen schlimmen Früchten ihr,

Und zwar die reifesten von allen,

So roth, als wären sie von ihrer Brust gefallen.

Sie weiß nicht, wie sie die erhaschen will,

Wagt einen Schritt, und zween, holt Athem, stehet still,

Erhascht die Stiel', entfernet sich geschwinde,

Bemerket jedes Blick, sucht ihn zu hintergehn –

Doch ein gewisser Gott spielt mit dem armen Kinde,

Und lacht der List, und führt es bald

Zur Traufe von dem Regen –

Vermeiden kann sie nicht den Hinterhalt,

Verbirgt sie was dem einen im Bewegen,

So sehn's die andern insgesammt;

Flieht sie den General, so sehn's die Tagediebe,

Und jeder wird zur Brunst entflammt.

Ein jeder Schatz im Heiligthum der Liebe,

Das Heiligste der Schönheit auf der Welt,

Sie mag es, wie sie will, nur machen,[306]

Wird hundertmahl dem Auge vorgestellt,

Und allen Sinnen, die wie Teufel wachen.

Der Reiz, der jetzt gebohren ist,

Ist schöner noch, als der, den man vermißt –


»Das ist ein wahres Fest für Auserwählte!

Was dieses für ein herrlichs Ende hat! –

Rief wonnetaumelnd der Prälat,

Den Wollust unausstehlich quälte –

Nein! hundert Pistoletten nähm' ich nicht darum!«

Ein Ritter setzt zum Scherz noch funfzig drüber;

Die andern blieben auch nicht stumm,

Und jeder steigerte den andern über.

Oft schielt der stolze Probst gleich einem Judas hin,

Der Kitzel sticht auch ihn nach unsrer Schäferin.

Der Mahler hat, von seiner Kunst entglommen,

Nunmehr den Riß, mit ernstem Amtsgesicht,

Von ihr zur Venus abgenommen.

In einem Winkel ohne Licht

Ruft noch ein Korporal, von dem man nichts gerochen,

Vom Stachel süsser Lust zu Tode fast gestochen:

»Ein halbes Jahr nähm' ich die Löhnung nicht,

Und sollt' ich meine Kost erhacken und ergraben,

Um diese Herzenslust zu haben!«


Nun hört erst, was der alte Pachter spricht.

Man muß ihn sitzen sehn vor allen Dingen

In seinem langen Stuhl, und mit den Augen springen[307]

Auf ihrem Leib herum; dann hören, was er spricht.

»Nein! sprach er als ein erzerfahrener Kenner,

Nur Puppen siehet man bey dir, Herr Korsika!18

Ich habe nichts gesehn von dieser Stärke da

Im Nackenden, selbst in der Opera!

Und was noch mehr – sogar jenseits dem Brenner.19

Was ich gesehn, weicht hier zurück.«


Nun schätzt er einzeln jedes Stück.

So viel giebt er für ihre Lenden,

So viel für Brust, so viel für Fuß –

Und dabei läßt's der Cynikus

In seinem Eyfer nicht bewenden,

Wie jeder leichtlich schließt –

So viel für das, was unaussprechlich ist.

Bei jeder Wendung steigert er, als Prahler,

Und seine Summe steigt auf tausend Thaler.


Doch unterdessen ist das Körbchen noch nicht voll,

Und jedes Auge lechzt, noch neuen Reiz zu sehen,

Vergebens ist hier alles Flehen,

Der Wollust Rausch macht Jeden toll,

Und Herz und Seele wüthen

Bei jeder Zähre mehr, die sie voll Unschuld weint –

Dem Frühlingshimmel gleich, wenn dort die Sonne scheint,

Und hier ein Schauer fällt auf Rosen durch die Blüthen,[308]

Entzückt die wilden Herrn ihr himmlisches Gesicht,

Bald kömmt ein Blitz daraus, und bald ein sanftes Licht.


Lisette, tröste dich! nur deine Kleider nahm er!

Die Ehre bleibt! Du bist vor Peters Augen rein! –

Kann höher noch ein Grad der Unschuld seyn?

Lisett' ist nackend noch sittsamer,

Und hüllt sich in die Schaam, als einen Schleyer ein.


Die Unschuld rührt in diesem Augenblicke

Selbst unsern General,

Er sieht, daß er gefehlt, bedauert ihr Geschicke,

Das Mitleid fängt nun auf einmahl

In seinem Busen an zu leben,

Er läßt die Schäferin ihr ländliches Gewand

Ungnädig auf sich selbst und alle, wiedergeben,

Führt groß, wie Scipio, sie nun mit eigner Hand

In ein Gemach und – kehrt sich an die Spectatores.


»Potz Wetter! rief er aus, mit Augen voller Gluth,

Wie? bin ich euer Narr? ich will euch lehren Mores!

Denkt ihr, ich sey für euch zum Kuppeln gut?

Wahrhaftig! eine schöne Rolle!

Daß ich euch Hengste da nach Lust bedienen solle!

Meint ihr, ich habe hier, wie jener Salomo,

Die Zimmer alle voll von sechzehnjähr'gen Dingern?

Nein, meine Herrn! hier lebt man nicht also!

Ich muß die große Lust ein wenig euch verringern![309]

Ein Jeder soll den Tax, den er gesetzt,

Für's Anschaun dieser nackten Schönen,

Die ihr Gesicht mit Thränen noch benetzt,

Bezahlen, um sich wieder auszusöhnen;

Und dies zwar gleich! frisch auf zur That!

Ich kann ihn einem Jeden sagen.

Der Donner soll mich gleich erschlagen,

Wenn einer geht, eh' er bezahlet hat!

Ihr alle habt euch selbst das Urtheil ausgesprochen,

Erfüllt's, und machet gut, was ich durch euch verbrochen.«20


»Wie? was? schrie der Prälat, das wär' ein feines Spiel!

Bey'm Teufel! in Berlin giebt's tausend schöne Nymphen,

Die warlich sich von der nicht werden lassen schimpfen!

Da nimmt ein Bataillon für mehr nicht halb so viel!«


»Euch alle soll der Teufel hohlen!«

Antwortet Strahl mit wütendem Gesicht,

Eröfnet einen Schrank, und nimmt ein Paar Pistolen.

Die Wirkung ist geschwind; nicht einer widerspricht,

Ein Jeder schlägt die Augen furchtsam nieder,

Verbirgt die Hand, und bringt voll Gold sie wieder.

Die Ritter zählen flugs großmüthig ihr Gebot,

Nicht minder der Prälat; denn hier ist nicht zu scherzen,

Wo mit gespanntem Hahn schon die Pistole droht.[310]

Doch keiner zählt sein Gold mit so vergnügtem Herzen,

Als unser Pachter da, der alte Cynikus,

Ob er darunter gleich das meiste zahlen muß.

Er hatte gnug gethan der goldnen Venus Werke

Und dient' ihr jetzt mit Geld, statt jugendlicher Stärke.

Auch aus der Ecke trat der alte Korporal

Hervor mit zweenen Friedrichsdoren,

Und überreichte sie gebückt dem General,

Als hätt' er ohne sie den Kopf verlohren.

Der stolze Probst muß, wie Prälat,

Für seine Wollust auch bezahlen.

Der Mahler ganz allein, der nur gezeichnet hat,

Zu Gunst der schönen Kunst zu mahlen,

Ist frey, weil, wie ihr es schon wißt,

Sein Beutelchen verdächtig ist.


Noch will der General an sich Lisetten rächen,

Man sieht ihn selbst sich nun ein strenges Urtheil sprechen.

Sein Herz war Löwenherz, doch quoll der feinste Geist

Der Menschlichkeit daraus in seine starken Sehnen:

Halb war er Hannibal, das übrige war Kleist –

Drum rührten ihn erst spät, doch stark, Lisettens Tränen.

Sechs tausend Thaler trägt er zärtlich zu ihr hin,

Und will abbittend ihr das Gold in's Körbchen legen.21
[311]

»Behalt' es nur! spricht unsre Schäferin,

Du Felsenherz! mich fängt kein goldner Regen!

Zu dir komm' ich, als einem heilgen Mann,

Und überbringe dir ein ländliches Geschenke,

So gut, als es mein Vater geben kann;

Und da ich mir in dir den besten Schutzgott denke,

Gebrauchst du meine Schüchternheit,

Um zu beschimpfen mich, mich äusserst zu entehren!

Da du die Unschuld solltest ehren,

Verwelkst die Blüthe du von meiner Lebenszeit.

Der Tugend Früchte sind nun auf einmal verlohren!

Unwürdig hast du mich auf stets des Blicks gemacht

Des einz'gen Sterblichen, für den ich war gebohren!

Mir selbst hast du mich nun verhaßt gemacht,

Um meinen Peter hast du mich gebracht,

Er hatte mich, ich ihn zu lieben auserkohren.«22


Nun rinnen Thränen, wie ein Bach,

Von jeder Wang' herab; aufreisset sie die Riegel,

Läuft schluchzend von ihm fort: vergebens folgt er nach,

Die Furcht gab ihrer Unschuld Flügel.


Den Augenblick muß Peter her.

»Dein Lieschen sah' ich heut von ungefehr;[312]

Ihr sollt euch beyde zärtlich lieben.

Heyrathe sie, nimm diese Summe hier,

Die Hochzeit soll nicht länger sich verschieben;

Allein, dabey befehl' ich dir,

Kein Wörtchen ihr davon zu sagen,

Bis nach den ersten Hochzeittagen.

Geh hin, mein Sohn, gehorche mir!

Ihr seyd ein schönes Paar; sey glücklich, leb' in Freuden!

Ein König sollte dich beneiden.«


Ich mahlte gern dem General zu Fuß,

Ganz ausser sich in's Paradies entrissen,

Hier unsern Peter ab; allein, man wird schon wissen,

Was in dergleichen Fall geschehen muß.

Nun trägt er schnell das Päckchen mit dem Golde

Hin in sein Haus, und läuft geschwind

Zu Franzen, bittet um sein Kind,

Um seine schöne, liebe Holde –

Kein Sterblicher sey mehr, als er, Lisettens werth;

Beredter spricht er hier, als alle Demosthene,

Die Phrasen insgesammt, die heiße Liebe lehrt,

Die glühnde Wange spricht, im Auge spricht die Thräne;

Die Geister fliegen all' in seinem Leib' herum –

Kurz; Franz giebt Petern sie zu seinem Eigenthum.


Dreimal will schon Lisett' erröthend sagen,

Was ihr geschehn, es hüpft ihr auf der Zung' empor;

Doch dreymahl sagt ihr Amor leis' in's Ohr:[313]

Es nicht zu thun; sie läßt ihn nicht mehr klagen,

Sie liebt, sie saget Ja. Und wider Willen

Hätt' es kein Mädchen hier gethan.

Der künftge Morgen soll schon ihre Quaalen stillen,

Und Peter springt vor Freuden Decken an.


Den andern Tag, als sie des Priesters Segen,

Um ohne Sünde sich in's Ehebett' zu legen,

Empfangen, hält ihr Peter sich nicht mehr,

Und trägt im Sprung das schöne Päkchen her,

In welchem lauter goldne Friedrichs waren;

Zählt sie Lisetten vor, nennt ihr den General,

Und will vor Herrlichkeit hinauf gen Himmel fahren,

Und benedeyt ihn mehr als tausendmahl.

Das Blut steigt hier Lisetten in's Gesichte,

Doch Peter macht den Zorn geschwind zunichte;

Die Wonne schwellt ihr Herz so sehr, daß sie vergißt,

Was kurz vorher dafür im Schloß geschehen ist.

Wenn die Natur in reinerm Sonnenlichte,

Wie Paphos Göttin aus dem Bade schlüpft,

Gleich Liebesgöttern um sie jeder Vogel hüpft,

Nach strahlenschwangern, donnernden Gewittern:

Dann scheucht ein süß'rer Ruch von Rosen Furcht und Zittern.

Wir Kinder der Natur vergessen jede Quaal

Bey eines Freundes Kuß, bey einem kleinen Mahl,

Bey einem Wonneschlag von Philomelen;23

Und sollte Lieschen wohl sich hier noch länger quälen?
[314]

»Und wie man sieht, so hat sie nichts erzählt?«

Hat denn darinnen sie gefehlt?

Die Hölle sollte sie in Peters Brust erzählen?

Das Beste was Verschwiegenheit.

Warum bey Hochzeitsfest und Tanze

Die göttlichste Glückseligkeit

Um nichts zu schlagen in die Schanze?

Nichts konnte Pachter und Prälat;

Das Röschen ist noch ganz in Peters Hand gekommen,

Und seine Schönheit hat,

Indem er's brach, noch zugenommen.

Glückselig können sie, vielleicht auf Lebenszeit,

Wie Türkenheiligen nun leben und sich küssen.

Sechs Tausend ist für sie nicht eine Kleinigkeit,

Und trägt nicht wenig bey, ihr Leben zu genießen.

Fußnoten

1 Dieser Gott war der erste, nach der Fabellehre der Griechen, der sich zum Herrn über das Chaos machte und alle Wesen davon erschuf. So bald die Göttin Zeit gebohren wurde, hört' er auf zu schaffen, und übergab ihr seine Macht, mit der Bedingung, daß sie für seine Geschöpfe sorgen sollte. Darauf begab er sich wieder aus der Welt in seine alte Wohnung, wo er, von Grazien und Liebesgöttern bedient, die er von seiner Gottheit selbst gemacht hatte, weiter nichts that, als die höchste Seeligkeit zu geniessen, oder bisweilen ein Edikt an seine Statthalterin zu schreiben. – Dämogorg heißt im Deutschen Erdgeist. Plato an verschiedenen Orten.


2 Das Hauptverdienst des Boccaccio war, daß er, nach dem Dante, die Betrügereyen und Ausschweifungen der Geistlichen öffentlich bekannt machte, und sie deswegen züchtigte; ausserdem hatte der Mann wenig Verdienste, weil er keine Empfindung des Guten und Schönen hatte.


3 Margaretha von Navarra, die Beschützerin des Clemens Marot und aller Genieen, deren geringstes Verdienst war, die Schwester eines Königs zu seyn. Ihre Erzählungen sind bekannt.


4 Hierunter ist, wie ich glaube, der Kirchenvater Laktanz zu verstehen.


5 Karl der Große. Er errichtete eine gelehrte Gesellschaft, von welcher er selbst ein Mitglied war. Er führte den Namen David, und der Bischof von Mainz den Namen Damöt.


6 Heinrich der vierte, König von Frankreich.


7 Das ist: in der Vallhalla, oder dem Himmel der alten Normänner, in welchem die größte Seeligkeit war, daß man sich in englischem Oele berauschen, im Rausche sich prügeln und todtschlagen, und nach dem Tode, der nicht länger daurete, als man Zeit braucht, einen Bierrausch auszuschlafen, wieder verklärt, wie aus einem Fegfeuer in dem Himmel, vor den größten Zechern Tuisko, Mannus, Rodigast, und den Zecherinnen Trigla, Siwa, Flynz erscheinen konnte. Unsere Barden lassen sich' s sehr angelegen seyn, den Glauben an diesen Himmel, der das Elysium der Griechen und das Paradies der Muselmänner augenscheinlich an Schönheit weit übertrift, wieder herzustellen. Wenn sich doch die grossen und kleinen Monarchen von Deutschland durch ihr Flehen erweichen liessen und ihnen dabey zu Hülfe kämen! Es wundert mich sehr, daß es noch nicht geschehen ist, da dieser Himmel für manche unter ihnen reizender sein muß als alle Musen, Charatinnen und Aphroditen der Griechen. – Wer hätte voraus sehen können, daß auch dieser Versuch, den Grossen eine Liebe zu den deutschen Musen beyzubringen, fehl schlagen würde?


8 Sonst würde der Hippias vermuthlich das letztere auch nicht gesagt haben.


9 Ich nehme keinen Antheil an beider Herrn Streite. Halb mag der Mahler, und halb der Probst Recht haben. Beyde sprechen nur aus dem Hörensagen von dem wesentlichen Schönen des Plato, wie sie auch nicht anders sprechen konnten. Der Mahler hat Recht, wenn er sagt, Plato sey vom Anschauen nackender Alcibiaden und Aspasien auf sein Ideal vom wesentlichen Schönen empor gestiegen; denn dieses läßt Plato selbst seinen Sokrates sagen; hingegen hat vielleicht auch der Probst Recht, wenn er es das schönste Nichts nennt und behauptet, daß man ein sehr besonderer Mann seyn müsse, um von dem Busen einer Aspasia auf das wesentliche Nichts in die Höhe steigen zu können. Der Raum ist mir zu enge, viel über dieses wesentliche Schöne zu sagen; ich hab' es schon an einem andern Orte gethan.


10 Man muß sich an den Charakter des Probsts erinnern, sich die ganze Scene und insbesondre die bezaubernden Reize Lisettens vorstellen, und die Ebbe und Fluth der wollüstigen Begierden in den Herzen der Söhne Adams kennen, um diese letztern Worte des Probsts nicht für unnatürlich zu halten. Gesagt hat er sie gewiß, darauf kann man sich verlassen.


11 Das sind Priester, welche die Geheimnisse der christlichen Religion eben so betrügerisch lehren, wie die Aegyptischen die Anbetung einer Zwiebel lehrten. Kein wahrer Priester der Gottheit wird sich folglich durch diese Stelle für beleidigt halten.


12 Leonhard von Vinci, ein florentinischer Mahler, oder vielmehr ein allgemeines Genie, dessen wollüstige Gemählde für Leo X. und Franz I. den mehrsten meiner Leser bekannt seyn werden.


13 Giovanni della Casa, Erzbischof von Benevent, hat ein berühmtes Kapitel sopra il forno geschrieben, welches aber doch selten geworden ist. Wer dergleichen Schriften für einen Schatz hält, kann sie alle zusammen in den drei Büchern der Opere Burlesche di Mess. Berni finden. Er hat dann nicht nötig, wenn er die Sprache der Priester von Venedig versteht, die Priapejen der Franzosen sich mit vielen Kosten anzuschaffen.


14 Uns Philosophen nämlich, in seiner Disputation über die Liebe.


15 Diese satyrische Stelle ist ein wenig zu muthwillig. Der Verfasser glaubte, das nämliche Privilegium zu haben, welches die Italiener und Franzosen ihren Erzählern vergönnen; aber er hätte nicht vergessen sollen, daß er in Deutschland, und nicht allein für Berlin, erzähle. Das Horazische ludentem verba lasciva decent mag ihn entschuldigen.


16 Die Harmonika ist ein musikalisches Instrument, aus gläsernen Glocken zusammen gesetzt, deren sanfte, feste Töne, in einer Pergolesischen Melodie, den singendsten Flöten- und Lautenton verscheuchen; und unsre Geister mit den süssesten Wellen der Entzückung aus allen Paradiesen der Erde gen Himmel wallen.


17 Eine Anspielung auf eins der schönsten lyrischen Gedichte des Gottes Metastasio, welches die Aufschrift hat: Canto Epitalamico per le nozze degle Eccell. S. Antonio Pignatelli & D. Anna Francesca Pinelli.


18 Bei diesem Herrn werden zu Berlin die Bälle gehalten.


19 Ein langer Berg vor Italien.


20 Man wird unserm Helden seine kriegrische Sprache verzeihn, wenn man bedenkt, daß keine andre auf seine Zuhörer einen Eindruck machen konnte, wie gleich der Prälat beweist.


21 Dies sey genug zur Apologie dieses grossen Manns. In Griechenland hätte leicht ein Xenophon in dem nämlichen Falle diese Sünde begehen können. Das Vergnügen würde auch hier unschuldiger gewesen seyn, wenn nicht ein Prälat und ein Probst und vier baumstarke Müßiggänger aus der Nachbarschaft es mit genossen hätten. Aber wie kann ein sechs und dreißigjähriger Alcibiades immer die Vernunft mit einem Senekaischen Spiesse vor dem Herzen und den Sinnen Wache halten lassen?


22 So sprach sie, die schöne Tochter der Natur; und wer es nicht glauben will, der reise nach Pankon, und höre sie sprechen, und mit den Tönen einer Schmeling oder Cuzzoni, Gleims und Hagedorns und Utzens Lieder singen.


23 Durch diese Philosophie machten Alexander, Hannibal, Cäsar, Karl der Große, und der größte Held der Deutschen ihre Krieger unüberwindlich, und die weisen Philosophen ihre Schüler glückselig.


Quelle:
Wilhelm Heinse: Die Kirschen. Aus: Wilhelm Heinse: Sämmtliche Werke, Bd. 2, Leipzig 1903, S. 285-315.
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