An das ideale Proletariat

[122] Riesig rollst du mir zu Füßen –

Laß vom Buchenwipfel grüßen

Dich, du dröhnend Wogenheer!

Schüchtern in dein Donnerklingen

Wag' ich kaum mein Lied zu singen,

Nachtigall am Zukunftsmeer.


Dickichtnistend mußt' ich lauschen

Lang schon deinem fernen Rauschen,

Zitternd meine Brust dir schwoll.

Leis im Traum ist mir entquollen

Widerhall von deinem Grollen,

Schluchzend schlug ich sehnsuchtsvoll.


Plötzlich hat mich's ganz gezogen,

Bin vom Dickicht aufgeflogen,

Bin geflogen bis hieher.

Muß nun all mein bittres Klagen,

All mein süßes Jauchzen schlagen

Dir im Takte, neues Meer.
[123]

Meer der Menschheit, bäumende Fluten,

Meiner Seele schäumende Gluten

Sprühn euch gischtend in den Schoß.

Aus den Wolken rieselnde Strahlen,

Blauer Segen aus den Qualen,

Aus der Not ein menschlich Los.


Auf dem Maienfeld des Werde,

Heil dir, junger Held der Erde,

Siegfried Proletariat!

Stählern in der Kraft des Schönen

Tritt einher du, Spott und Höhnen

Schweige, wo dein Morgen naht.


Heute mußt du häßlich darben,

Schleppen alle Lust zu Garben

Für ein Rudel, schönheitfremd.

Schönheit mit der Seele suchend,

Webst du, deine Not verfluchend,

Grob des Lebens Sorgenhemd.


Neue Kräfte seh ich glühen,

Neue Säfte seh ich blühen,

Lichtwarm steigt die neue Welt.

Das Gemeine weicht von Erden,

Was nie war, nun will es werden,

Und das Sklavenschiff zerschellt.
[124]

Brüder, Menschheit, bäumende Fluten,

Meines Geistes schäumende Gluten

Sprühn euch gischtend in den Schoß.

Aus den Wolken himmlische Strahlen,

Blauer Segen aus den Qualen,

Aus der Not ein menschlich Los.


Riesig rollst du mir zu Füßen –

Laß vom Buchenwipfel grüßen

Dich, du dröhnend Wogenheer!

Schmetternd in dein Donnerklingen

Wag' ich hell mein Lied zu singen,

Nachtigall am Zukunftsmeer.

Quelle:
Karl Henckell: Gesammelte Werke. Band 2: Buch des Kampfes, München 1921, S. 122-125.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Seltsame Leiden eines Theaterdirektors

Seltsame Leiden eines Theaterdirektors

»Ein ganz vergebliches Mühen würd' es sein, wenn du, o lieber Leser, es unternehmen solltest, zu den Bildern, die einer längst vergangenen Zeit entnommen, die Originale in der neuesten nächsten Umgebung ausspähen zu wollen. Alle Harmlosigkeit, auf die vorzüglich gerechnet, würde über diesem Mühen zugrunde gehen müssen.« E. T. A. Hoffmann im Oktober 1818

88 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon