Mein Ziel

[136] Ein schönes Ziel hab ich mir auserkoren,

Ihm bleibt mein letzter Hauch von Kraft geweiht.

Es harrt das Volk und lauscht mit durstigen Ohren

Auf Lieder, drin die neue Frucht gedeiht.

Ein Spielmann sein will ich an jenen Toren,

Die donnernd schleudern ihre Flügel weit,

Das Land der Sehnsucht aufzutun den Augen,

Die sich der Sonne fromm entgegensaugen.


O meine Brüder, durch des Wahnsinns Wüsten

Bin ich gewandert mit versengtem Haupt,

Wo die Gerippe der Verzweiflung grüßten

Den Gruß des Grausens, wo der Pestwind schnaubt.

Wo trostlos schleppend meine Schritte büßten

Dies Qualjahrhundert, tief mit Schmach bestaubt,

Wo mich die giftigen Insekten stachen,

Bis meine Glieder zuckend niederbrachen.


Vorwärts empor! Und kann ich hoch mich richten,

Genossen meines Elends, euch allein

Soll all mein Fühlen, Wollen, Denken, Dichten,

Mein letztes Können froh verschüttet sein.[137]

Was durch die Seele schwillt von freudelichten

Gebilden aus der Zukunft Blütenhain,

Was mild mein Wehe lindert, soll zu Liedern

Verklärten Trostes schluchzend sich befiedern.


Denn in der Tiefe zündet meine Flamme,

Die purpurrote Flamme weitumher.

Ich bin ein Reis am neuen Menschheitsstamme,

Ein Wellenschlag im neuen Menschheitsmeer.

Die Zukunft wälzt auf blutigem Wogenkamme

Des Elends Todesnachen trauerschwer,

Durch Grauen und Jammer hör' ich Stimmen rufen

Zum Fels des Heils, hoch über Feuerstufen.

Quelle:
Karl Henckell: Gesammelte Werke. Band 2: Buch des Kampfes, München 1921, S. 136-138.
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