Sturmsegen

[25] Sturm, o Segen!


Ströme, du Kühle

Des wettergereinigten

Sommerabends,

Ströme mir zu!

Ganz verschmachtet

Lag ich am Tage,

Niedergezwungen

Von den dumpfen,

Drückenden Banden

Staubiger Schweißglut.

Widrig Brenzeln,

Schwefelstickig,

Schlug den Atem

Schwer in Bann;

Gähnend starrt' ich

Auf zum Dunstkreis,

Und verschlafen,

Matt und leblos

Schlich des Geistes

Mutverlassenes,

Träges Streitroß.[26]

Siehe, da züngelten

Gelbliche Blitze,

Rollte des Donners

Wachsende Wut.

Wogten die Winde,

Rauschten die Fluten,

Blüten der Linde

Fegte die Windsbraut.

O wilder Segen,

Geburt des Sturmes,

Geburt der Wolken,

Geburt der Kraft! ...


Rein und lieblich

Haucht die Luft nun,

Wohlig hebt die

Brust sich leicht.

Durch die Bäume

Zieht ein Säuseln,

Und der Donner,

Fernverhallend,

Schweigt ...

Nur zuweilen

Flammt's im Osten,

Wetterleuchtend

Spielt die Glut;[27]

Und lebendig

Durch die Adern

Rollt das rascher

Drängende Blut ...


Schlüg' ein Wetter doch,

Sturmwindschwanger,

In diese frevel-

Stinkende Welt!

Allwärts lagert

Ekler Pesthauch,

Lügengeister

Gehen um,

Und den kühnen

Ringer Leben

Schnürt der faule

Dunst »Gewohnheit«.

O, wann weht uns

Freier der Odem,

O, wann leuchtet

Die Luft uns rein?

Komm, o Segen,

Wilder Segen,

Geburt des Sturmes,

Geburt des Kampfes,

Geburt der Kraft!

Quelle:
Karl Henckell: Gesammelte Werke. Band 2: Buch des Kampfes, München 1921, S. 25-28.
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