Dreiklang der Seele

[190] Der Weiher


Das Sonnenopfer


Der starke Kreis


Der Weiher


Wer wissen will, wo meine Seele wohnt,

Muß sie an weltverborgener Stätte suchen ...

In alten Gärten, wo der stille Mond

Verstohlen küßt die dunkelroten Buchen;

Wo sich ein Netz von lichten Fäden spinnt

Auf Wege, die zu wundertiefen Weihern

Sie leise führen wie ein Königskind,

Das traumverloren wallt in Duft und Schleiern.

Es ist der Ort versunkenen Gesichts,

Da aus dem Nachttau vor erschlossnen Sinnen

Im Spiele des geheimnisvollen Lichts

Die innern Quellen sacht zusammenrinnen.

Was mich verstört im grellen Blick der Not,

Was mich verwirrt im schrillen Schrei der Tage,

Was mich mit Krallen wilden Zorns bedroht,

Und was mich quält mit plumper Menschenplage;

Was meinem Herzen schneidend weh getan,

Was mich zerdrücken will mit rohen Händen –[191]

Wo lautlos Furchen zieht der schwarze Schwan,

Da löst es sich an silbernen Geländen.

Die Wasser zittern, zart vom Mond berührt,

Mit schweigenden Schatten neigen sich die Weiden ...


An das Weib gerichtet:


Hab ich nicht deines Atems Hauch verspürt?

Du willst mit mir von Tag und Trubel scheiden.

Nur eine Gottheit hier, die einsam thront!

Laß uns den Kranz von Feuerlilien winden!

Wer wissen will, wo unsere Seele wohnt,

Wird sie am Weiher liebender Andacht finden.


Das Sonnenopfer


Wer wissen will, wo meine Seele lebt,

Muß unberechenbarem Flug vertrauen,

Und wenn sie zu der Sonne sich erhebt,

Mit ihr dem Taggestirn ins Auge schauen.

Sie liebt zu schwimmen in dem vollen Licht

Und durch der Himmel goldenes Blau zu kreisen,

Die Strahlen stählen, doch sie blenden nicht

Den Falken, fluggewohnt auf Feuergleisen.

Es läßt die Seele nicht ihr göttlich Gut,

Sich über dumpfe Sphären aufzuschwingen

Und aus den kühnen Höhen Glanz und Glut

Den Niederungen dieser Welt zu bringen.[192]

Zuviel schon krächzt aus Winkeln und Gewirr

Des Krämergeistes sonnenscheues Schnarren,

Der freie Mensch wird an sich selber irr

Und läßt in Asche seine Glut verscharren.

Wohl ist's ein Wagnis, unbekümmert wahr

Des Herzens höchstes Wähnen hinzugeben,

Der Alpdruck ängstigt und der Totenmahr

Die armen Seelen, die am Kleinen kleben.

Wenn Einsamkeit das stolze Herz umschnürt,

Löst nur die Liebe, die versteht, das Leiden –


An das Weib gerichtet:


Hab ich nicht deines Atems Hauch verspürt?

Du willst mit mir von Angst und Engnis scheiden.

Nur eine Säule hier, die aufwärts strebt!

Die Flamme uns! Das Grab den Ewigblinden!

Wer wissen will, wo unsere Seele lebt,

Wird sie am Lichtquell liebender Wahrheit finden.


Der starke Kreis


Wer wissen will, wo meine Seele wirkt,

Muß in den Schacht des starken Lebens steigen,

Wo ihr ein Führer Zauberkreise zirkt

Und deutet fest: »Hier rege sich dein Reigen!«

Dann quellen aus den dunkeln Tiefen sacht

Und formen zu Gestalt sich die Gefühle,[193]

Sie wachsen näher aus der weiten Nacht,

Aus heißem Brodem in die klare Kühle.

Es kocht und dampft. O Wollust und Begier!

So ringelt euch noch einmal wild zusammen!

Und zuckt und leckt! Nun aber stehet hier,

Gebannt zum Bild mit roten Lockenflammen!

Es gärt und braut. Du rufst? Es zeigt sich nicht.

Wie Rätselraunen quirlt's. Jetzt seh ich's scheinen:

Schuld und Erlösung, Schattenlast und Licht!

Der Zeit Gesicht. Zum Jubeln und zum Weinen!

Verwirrt es dich, o Seele? Schaue frei

Und schaffe sicher! Dies auch will sich bilden.

Zum Erzlied balle sich der Jammerschrei,

Das Heil zum Psalm aus seligen Gefilden.

Und wo Vulkan sein tollstes Feuer schürt,

Hämmre den Schild dir! – Pan wird wieder weiden.


An das Weib gerichtet:


Hab ich nicht deines Atems Hauch verspürt?

Du willst mit mir von Zorn und Schwäche scheiden.

Nur eine Linie hier, die uns umzirkt!

Mit Blut gezogen soll sie mächtig binden.

Wer wissen will, wo unsere Seele wirkt,

Wird sie im Bannkreis liebender Bildkraft finden.

Quelle:
Karl Henckell: Gesammelte Werke. Band 1: Buch des Lebens, München 1921, S. 190-194.
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